Sind Frauen die besseren Politiker? Wie würde die Welt aussehen, wenn Frauen mehrheitlich das Sagen hätten? Wie können Frauen es schaffen, mehr Einfluss zu bekommen? Schon der griechische Dichter Aristophanes beschäftigte sich in seiner um 392 v. Chr. geschriebene Komödie Die Frauenvolksversammlung mit diesen Fragen. Das Stück bildet den Ausgangspunkt für Gerhild Steinbuchs In letzter Zeit Wut, das als Auftragsarbeit des Schauspiel Frankfurt entstand und am Selbigen jetzt in den Kammerspielen uraufgeführt wurde.
Vier unterschiedliche moderne Frauen skizzieren dabei mit einer gehörigen Portion Humor und Agilität eine bunte Palette an Möglichkeiten. In die Dunkelheit der Welt bringen sie Licht, ihr Licht. Wie ist es nun um die weibliche Solidarität bestellt? Was bedeutet das F-Wort (Feminismus) heute? Darüber sind sie sich nicht einig, nicht alle wollen die Männer abschaffen. Ist ein Staat im Stil der Amazonen erstrebenswert und wie würde er heute aussehen? Konkrete Lösungen gibt es keine. Selbst die schönste Utopie bringt praktische Probleme. Wer soll in einem Staat, bei dem alle gleich sind, beispielsweise die Drecksarbeit machen? Dennoch werden zahlreiche Aspekte und Denkrichtungen skizziert. Sie zeichnet aus, das sie ihr eigenes Handeln immer wieder hinterfragen. Und da wir im digitalen Zeitalter sind, ist es zudem leicht, immer wieder einen Restart zu machen und von Irrwegen zurückzukehren (hier in Form einer Wunder-Armbanduhr).
Ihre Fragen und ihr Suchen verhandeln sie in einem ehemaligen parlamentarischen Sitzungsraum. Auf dem Boden der halbrunden Tribüne sind noch die Spuren ehemals montierter Brüstungen und Sitze zu erkennen, die Rückwand in klassischer Holzvertäfelung hat vier Türen, womit auch äußerlich die Nähe zur Komödie gegeben ist (bei der Räume mit vielen Türen beliebt sind). Hinter den Türen befindet sich zunächst ein Heißgetränkeautomat, später gar Amazonien, angedeutet mit einem Urwald (Bühne: Sarah Sassen).
In letzter Zeit Wut wurde von Regisseurin Christina Tscharyiski zur Uraufführung gebracht. Sie hatte sich im vergangenen Jahr mit Else Lasker-Schülers IchundIch erstmals am Schauspiel Frankfurt vorgestellt. Wut ist per se nicht schlecht, auch wenn der Figur der Regan McNeil (aufgeweckt und lebhaft: Tanja Merlin Graf) immer kotzübel wird, wenn sie wütend ist. Besonnen und scharf denkend ist die Kirsty Cotton der Sarah Grunert. Rational handelt die Ellen Ripley der Katharina Linder und träumerisch ist die Nancy Thompson der Melanie Straub. Sie arbeiten in einer Social-Media-Firma mit dem Namen „Nice“ und sind damit beschäftigt, Schmutz aus dem Internet fernzuhalten (indem sie unerwünschte Bilder wie Tierquälerei, Hakenkreuze und Penisse, vor allem Penisse, aussortieren). Trotz ihrer Individualität sprechen sie als Ausdruck der Übereinstimmung auch viel chorisch.
Der „Nice“-Firmenchef ist ein Mann. Dieser gibt sich offensiv feminin, offenbar aber nur zum Schein. Es ist ein Buhmann, ein Horst, der sich mit weisen Phrasen sehr gut auskennt (herrlich überzogen: Isaak Dentler). Dazu gibt es einen analytisch denkenden Sean Keller (fokussiert: Uwe Zerwer).
Am Ende haben die vier Frauen eine Verwandlung erfahren, zumindest äußerlich. Den zwischenzeitlich angelegten Amazonenpanzer legen sie am Ende wieder ab (Kostüme: Svenja Gassen). Ein Schriftzug „Herland“, nach dem utopischen Roman über eine nur aus Frauen bestehende Gesellschaft der Autorin Charlotte Perkins Gilman aus dem Jahr 1915, bleibt im Amazonien-Bereich, hinter der Realität.
Viel Applaus für den anregenden und kurzweiligen Diskurs um eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung.
Markus Gründig, November 21
In letzter Zeit Wut
Von: Gerhild Steinbuch
Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt
Premiere/Uraufführung am Schauspiel Frankfurt: 12. November 21 (Kammerspiele)
Regie: Christina Tscharyiski
Bühne: Sarah Sassen
Kostüme: Svenja Gassen
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Frank Kraus
Besetzung:
Kirsty Cotton: Sarah Grunert
Regan McNeil: Tanja Merlin Graf
Ellen Ripley: Katharina Linder
Nancy Thompson: Melanie Straub
Horst: Isaak Dentler
Sean Keller: Uwe Zerwer
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