Sartres »Die schmutzigen Hände« spannend am Schauspiel Frankfurt

Die schmutzigen Hände, Schauspiel Frankfurt, Live-Musiker (Philipp Rohmer), Hoederer (Matthias Redlhammer), Hugo (Fridolin Sandmeyer) ~ Foto: Birgit Hupfeld
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Auf politischer Ebene gibt es keinen Erfolg, ohne sich die Hände schmutzig zu machen, der Zweck heiligt die Mittel. Das ist die feste Überzeugung von Hoederer, einer der Hauptfiguren in Jean Paul Sartres Drama Die schmutzigen Hände, das 1948 uraufgeführt wurde. Für das Schauspiel Frankfurt hat jetzt die Regisseurin Lilja Rupprecht das Stück werknah auf die große Bühne des Schauspielhauses gebracht. Im vergangenen Jahr stellte sie sich mit einer Dramatisierung von Ingeborg Bachmanns Roman Malina in den Kammerspielen erstmals in Frankfurt vor. Dort hätten Die schmutzigen Hände durch ihren kammerspielartigen Charakter durchaus auch inszeniert werden können. Viel Handlung bietet das Stück in sieben Bildern nicht, dafür ausgedehnte Diskurse. Trotz einiger Streichungen beträgt die pausenlose Spieldauer rund 130 Minuten.

Die schmutzigen Hände
Schauspiel Frankfurt
Hoederer (Matthias Redlhammer), Jessica (Lea Ruckpaul)
Foto: Birgit Hupfeld

Wie positioniert sich das eigene ich?

Zu Beginn sind für einen kurzen Augenblick übereinander geschnittene Zitate von Sartre zu hören und Porträts von ihm zu sehen, eine willkommene Überleitung vom Alltag in das Stück.
Erfreulicherweise nutzt Rupprecht die Bühne des Schauspielhauses fast voll aus. Im nackten Bühnenraum mit seinen schwarzen Wänden gibt es unterschiedliche Bereiche, ohne unmittelbare Verbindung zueinander (wie ein großes Bett, eine Schaukel oder ein Tisch mit Stuhl). Daneben aber auch abstraktere, wie ein Raum mit Spiegeln, ein großes, leicht abschüssiges Podest mit glatter Oberfläche und in dezenter Pfeilform eine große vom Schnürboden herabhängende Fläche, die für Projektionen verwendet wird. Zu Beginn und am Ende steht ein großer Korpus, der einem menschlichen Herz nachempfunden ist, im Zentrum. Vor Beginn der Aufführung wird auf dessen Flächen ein organisches Herz projiziert (für viele Zuschauer ein Foto wert). Im Stück dient es als Projektionsfläche für Porträts. Wobei bei genauem Hinschauen darin sehr schön die jeweilige Figur zu sehen ist, wie sie dahinter in die Kamera spricht (Bühne: Anne Ehrlich, Video: Moritz Grewenig). Der Herzschlag als ständiger Puls der Suche der Menschen nach Identität.

Die Kulissen sind bewusst als ebensolche platziert. Alles ist Konstruktion, die Welt ist Konstruktion und die Figuren stehen zwischen den Welten. Damit wird Sartres Thema der Positionierung des eigenen Ichs visualisiert. Wie und wo seinen Platz finden?

Die schmutzigen Hände
Schauspiel Frankfurt
Hugo (Fridolin Sandmeyer)
Foto: Birgit Hupfeld

Entstellte Gesichter

Den Konstruktionscharakter der Bühne spiegeln auch die Figuren wieder. Über weite Strecken tragen sie Masken, die ihr Gesicht verfremden und entstellen (wohl als Folge des anhaltenden Krieges). Die Augen- und Mundpartien sind frei, die Hirne auf ein XXL-Format angewachsen und die Haare dicht und meist lang. Dazu tragen sie individuelle und meist sehr heutige Kleidung (Kostüme: Annelies Vanlaere). Es gibt dezente Livemusik (Philipp Rohmer) und wenn mal gesungen wird, kann es auch laut werden.

Die schmutzigen Hände
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Birgit Hupfeld

Auftragsmörder wird vom Opfer väterlich umsorgt

Die schmutzigen Hände erzählt von einem Krieg im fiktiven osteuropäischen Staat Illyrien und von Hugo, der im Auftrag einer politischen Partei deren Funktionär Hoederer umbringen soll. Dieser plant eine Kooperation mit einer gegnerischen Partei und wird deshalb als Verräter angesehen. Hierbei ist nicht zu vergessen, dass das Stück ja erst kurz nach Ende des 2. Weltkriegs entstand. Die Ermordung Leo Trotzkis im Exil war wenige Jahre her. Obwohl Hugo Sympathie zu Hoederer entwickelt, bringt er ihn dann doch um. Sein Motiv ist aber nicht politischer Natur, er tötet im Affekt, aus Eifersucht.

Fridolin Sandmeyer, seit dieser Spielzeit leider nur noch als Gast am Schauspiel Frankfurt, gibt den Hugo sehr glaubwürdig in all seiner Zerrissenheit und Suche nach Zugehörigkeit. Sehr charismatisch, souverän und dennoch markant ist der wunderbare Hoederer des Matthias Redlhammer.

Zwei Frauen sind für Hugo wichtig. Die Parteisekretärin Olga, die ein Faible für Hugo zu so haben scheint (besonnen: Manja Kuhl) und die Freundin Jessica (lebhaft und mit Hornbrille und Zigaretten auf Sartre anspielend: Lea Ruckpaul). Annie Nowak gibt den kritischen Parteigenosse Louis (daneben den Prinz und Karsky). Für Heiterkeit sorgen die beiden gut gebauten Leibwächter Slick (Mark Tumba) und Georges (Sebastian Kuschmann).

Am Ende wird deutlich, dass jeder die Wahl hat, nie nur ein Opfer der Umstände ist.
Viel Applaus.

Markus Gründig, Oktober 22


Die schmutzigen Hände

Stück in sieben Bildern

Von: Jean-Paul Sartre
Uraufführung: 2. April 1948 (Paris, Théâtre Antoine)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 28. Oktober 22

Regie: Lilja Rupprecht
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Annelies Vanlaere
Video: Moritz Grewenig
Musik: Philipp Rohmer
Dramaturgie: Katrin Spira

Besetzung:

Hoederer: Matthias Redlhammer
Hugo: Fridolin Sandmeyer
Olga: Manja Kuhl
Jessica: Lea Ruckpaul
Louis / Prinz / Karsky: Annie Nowak
Slick: Mark Tumba
Georges: Sebastian Kuschmann
Live-Musik: Philipp Rohmer
Live-Video: Miguel Graetzer

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