

Shakespeares Drama Hamlet ist ein Klassiker par excellence. Vor über vier Jahrhunderten uraufgeführt, steht er noch immer regelmäßig auf den Spielplänen. Am Burgtheater Wien (BURG), dem größten und bedeutendsten Schauspielhaus im deutschsprachigen Raum, inszenierte ihn Karin Henkel im vergangenen September neu. Diese Inszenierung war jetzt im Rahmen der Internationalen Maifestspielen Wiesbaden für zwei Vorstellungen im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden zu Gast. Zu diesem Haus hat die Regisseurin ein ganz besonderes Verhältnis. Denn hier begann ihre berufliche Karriere.
Keine klassische Inszenierung
Es wäre eine relativ leichte Sache für Karin Henkel gewesen, das Stück nah an der Vorlage umzusetzen. Doch sie entschied sich für einen wesentlich aufwendigeren Weg. Die Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch nutzend, entwickelte sie eine ganz eigene Fassung, quasi „nach Shakespeare“. Hierfür band sie viel zusätzliches Textmaterial ein (u. a. von Thomas Bernhard, Marjorie Garber und Tom Stoppard). Die Rahmenhandlung kommt vor, spielt aber nicht die Hauptrolle. Sie fokussiert sich stark auf die Titelfigur und die schlüssige Herausarbeitung der im Stück liegenden Fragestellungen für die Gegenwart. Dazu zählt für sie auch die enthaltene Grenzüberschreitung zwischen Realität und Fantasie

Burgtheater Wien
Hamlet (Benny Claessens und Tim Werths), Ensemble
Foto: Lalo Jodlbauer
Exkurse, wie über die unterschiedliche Wachstumsdauer von Nägeln an Hand und Füßen, brechen den an sich nie zu ernst nehmenden Abend zusätzlich auf.
Gewitterwolken und dezente Klanguntermalungen
Dabei verzichtet sie auf zeitliche und ortsbezogene Bezüge. Die Bühne ist ein weit geöffneter Raum. Auf ihr befinden sich lediglich drei unterschiedlich große runde Podeste, die wie Präsentierteller wirken. Im Hintergrund sorgen kompakte Gewitterwolken in unterschiedlichen Farben für eine Art Wolkenballett (Bühne: Katrin Brack). Die ganze knapp dreistündige Aufführung über (dankenswerterweise mit einer Pause) bewegen sie sich langsam auf und ab und untermauern, zusammen mit aufsteigenden Nebelschwaden, die unterschiedlichen Stimmungen (Licht: Michael Hofer). Zwei Live-Musiker sorgen vom rechten Bühnenrand für eine dezente Klanguntermalung (Musik & Live Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel).

Burgtheater Wien
Hamlet (Tim Werths, Katharina Maertens)
Foto: Lalo Jodlbauer
Theater im Theater
Karin Henkel zeigt unverblümt das Theater im Theater. Es wird sich nicht nur auf der Bühne umgezogen. Die Figuren treten aus ihrer eigentlichen Rolle immer wieder heraus. Dies insbesondere Michael Maertens , der zusätzlich zum Brudermörder König Claudius als Regisseur strenge Anordnungen gibt, wie was zu machen ist („sprecht nicht zu laut.. wie von der Zunge weg…“). Das Ertrinken Ophelias wird nur plakativ angedeutet, indem Wasser aus PET-Flaschen über sie geschüttet wird.
Fünffacher Hamlet
Das auffallendste Merkmal dieser Inszenierung ist die Vervielfältigung der Titelfigur. Den Prinzen von Dänemark gibt es gleich fünffach (Alexander Angeletta, Benny Claessens, Katharina Lorenz, Marie-Luise Stockinger, Tim Werths). Diese genderneutrale Umsetzung verdeutlicht die verschiedenen Seiten Hamlets glaubwürdiger und intensiver, als es ein Darsteller allein könnte. Das ist ein großer Gewinn. So ist Hamlet natürlich als großer Zauderer zu erleben, beispielsweise aber auch als vehement auftretender Kämpfer. Und weil dies noch nicht genug ist, entspringen dem Hamlet auch die weiteren Figuren (bis auf König Claudius), wie der Oberkämmerer Polonius, dessen Tochter Ophelia und Hamlets ehemalige Schulfreunde Rosencrantz und Guildenstern (teilweise als Marionetten angedeutet).
Beim Gastspiel in Wiesbaden wurde die Rolle von Hamlets Mutter Gertrud von Sona MacDonald übernommen (für Kate Strong). Als strenge Verfechterin des Systems bringt sie sich in einem Mix aus englisch und deutsch stilvoll ein.
Vervielfältigt und nahezu omnipräsent ist der Geist des ermordeten König Hamlet in Form von Gespenstern, die zugleich auch als eine Art Über-Ich Hamlets erscheinen. Auch hier geschehen die Kostümwechsel oftmals offensichtlich, wenn sich ein weißes Tuch mit ausgeschnittenen Augenbereichen übergezogen wird.
Am Ende sind bis auf ein Mädchen, alle Tot. „Der Rest ist Schweigen“.
Lang anhaltender Applaus für diese unkonventionell wirkende und doch so gewissenhaft herausgearbeitete Umsetzung von Shakespeares Klassiker Hamlet.
Markus Gründig, Mai 25
Hamlet
(The Tragicall Historie of Hamlet, Prince of Denmarke)
Drama in 5 Akten
Von: William Shakespeare
Uraufführung: 1601 (London)
Gastspiel des Burgtheater Wien bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden: 9. und 10. Mai 25 (Großes Haus)
In der Übersetzung von: Angela Schanelec und Jürgen Gosch
Besuchte Vorstellung: 9. Mai 25
Premiere am Burgtheater Wien: 5. September 24
Regie: Karin Henkel
Bühne: Katrin Brack
Kostüme: Teresa Vergho
Chorleitung: Alexander Weise
Licht: Michael Hofer
Dramaturgie: Thomas Jonigk/Christina Schlögl
Mit: Alexander Angeletta / Benny Claessens / Katharina Lorenz / Michael Maertens / Marie-Luise Stockinger / Sona MacDonald / Tim Werths
Musik & Live Musik: Thomas Kürstner/Sebastian Vogel
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