Über die dramatischen Folgen von Medienmanipulationen: »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« am Schauspiel Frankfurt

Die verlorene Ehre der Katharina Blum ~ Schauspiel Frankfurt ~ Katharina Blum (Sarah Grunert) ~ © Robert Schittko
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Vor fünfzig Jahren erschien Heinrich Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann zunächst als Vorabdruck im Wochenmagazin Der Spiegel, dann als Buch. Was gesellschaftliche Denkweisen und Konventionen anbelangt, hat sich seitdem vieles geändert. Die Grundstruktur der Menschen ist freilich gleich geblieben. Sensationsgier, Neid und Missgunst gibt es nach wie vor. Heutzutage sind es in erster Linie die sozialen Medien, die starken Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben.

Böll beschreibt, wie eine bisher unbescholtene, kluge und finanziell unabhängige junge Frau durch eine üble Medienkampagne innerhalb weniger Tage nicht nur der Grundfesten ihres Lebens entrissen wird, sondern wie sie zu einer Mörderin wird. Die Erzählung wurde schon mehrfach dramatisiert. Zuletzt erarbeitete der Dramaturg und Schriftsteller John von Düffel eine Bühnenfassung. Diese ist jetzt unter der Regie von Sapir Heller in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt zu sehen.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
© Robert Schittko

Der Abend beginnt beschwingt und karnevalesk. Schließlich spielt die Handlung während der Karnevalszeit (Tag vor Weiberfastnacht bis Faschingssonntag). Einzelne Figuren treten hervor, in dicken Mänteln aus Kunsttierfell und mit Katzenmasken, und führen in das Geschehen ein. Nach dieser energiegeladenen Eröffnung folgt ein langes Nacherzählen der Verhöre und Ermittlungen.

Auf der Bühne befindet sich lediglich eine Treppenanlage, im Hintergrund hängt eine Breitbildleinwand (Bühne und Kostüme: Ursula Gaisböck).

Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Schauspiel Frankfurt
Alois Sträubleder (Christoph Bornmüller), dahinter Dr. Hubert Blorna (Peter Schröder)
© Robert Schittko

Temporeich und bewegend wird es erst nach rund einer Stunde. Nun gerät die bisher einen kühlen Kopf und Contenance bewahrende Katharina Blum zunehmend aus der Spur. Schließlich ist ihre Person inzwischen zu einem medialen Ereignis mitsamt Hashtag geworden. Hierzu wird ein Film auf die Breitbildleinwand projiziert, bei dem ein bunter gesellschaftlicher Querschnitt sein Urteil zum Fall Blum abgibt (allesamt dargestellt vom grandios wandelbaren Stefan Graf; Video: Lion Bischof). Zwei Influencer:innen treten aus den Publikumsreihen auf die Bühne und filmen das Geschehen für ihre Social Media Kanäle. Beim Essen der Freunde Blorna/Sträubleder wird es makaber, wenn, auch nur per Filmprojektion, ein wertvoller Ring aus einer auf dem Speiseteller liegenden Hand geschnitten wird. Die Menschen um Katharina Blum entarten schließlich mit monsterhaften Mäuseschwellköpfen zu einer entmenschlichten Gesellschaft.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Schauspiel Frankfurt
Dr. Trude Blorna (Melanie Straub), Dr. Hubert Blorna (Peter Schröder)
© Robert Schittko

Die Figur der Katharina wird in ihrer Verletztheit zunehmend nahbarer. Wenn sie schließlich den Journalisten, der am hartnäckigsten die Wahrheit verdrehte, mit einem „Bums“ zu Fall bringt, ist das zwar falsch und ein Mord. Es ist aus ihrer Sicht allerdings auch nachvollziehbar. Sarah Grunert gibt die Titelrolle würdevoll, sehr nuanciert und empathisch. Stefan Graf ist nicht nur der insistierende Kriminalassistent Moeding, sondern auch der manipulative und perfide auftrumpfende Journalist Werner Tötges. Christoph Bornmüller echauffiert sich als Hauptkommissar Beizmenne und „Herrenbesucher“ Alois Sträubleder. Peter Schröder gibt den besonnenen und neutralen Staatsanwalt Hach, sowie Blums Arbeitgeber Dr. Hubert Blorna. Melanie Straub verdeutlicht als Dr. Trude Blorna mit viel Herzenswärme, warum sich Katharina Blum bei dem Paar so gut aufgehoben gefühlt hat.

Am Ende intensiver Applaus für diese mit einer Prise Humor angereicherten Erzählung.

Markus Gründig, Januar 24


Die verlorene Ehre der Katharina Blum
oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann

Erzählung von: Heinrich Böll (1917-1985)
Bühnenfassung von: John von Düffel
Erstaufführung der Bühnenfassung von John von Düffel: 28. Februar 2020 (Hannover, Staatstheater Hannover)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 19. Januar 24 (Kammerspiele)
Besuchte Vorstellung: 25. Januar 24

Regie: Sapir Heller
Bühne und Kostüme: Ursula Gaisböck
Musik: Gustavo Strauß
Video: Lion Bischof
Dramaturgie: Lena Wontorra

Besetzung:

Katharina Blum: Sarah Grunert
Hauptkommissar Beizmenne / Alois Sträubleder: Christoph Bornmüller
Kriminalassistent Moeding / Werner Tötges, Journalist: Stefan Graf
Staatsanwalt Hach / Dr. Hubert Blorna, Anwalt): Peter Schröder
Dr. Trude Blorna, Architektin: Melanie Straub

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