Oper Frankfurt: Tenorale Battles bei Rossinis »Otello«

Otello ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Jago (Theo Lebow), Otello (Enea Scala; auf dem Tisch liegend), Emilia (Kelsey Lauritano), Rodrigo (Jack Swanson) und Elmiro Barberigo (Thomas Faulkner ) sowie im Hintergrund Ensemble ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Gioachino Rossini (1792 – 1868) war zu seiner Zeit eine Größe sondersgleichen. Viele seiner Opern waren erfolgreich, manche sind es bis heute. Dies gilt vor allem für Il barbiere di Siviglia, der in der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins auf den Plätzen zwischen 10 und 20 liegt (leichte Unterschiede je nach Betrachtung: Anzahl der Inszenierungen / Anzahl Aufführungen / Zuschauer etc.). Sein Otello, am 4. Dezember 1816 in Neapel uraufgeführt, gehört sicher nicht zu seinen meist gespielten Werken, zumindest seid Verdis Otello ihm ab 1887 den Rang abnahm. Bis dahin war er sehr erfolgreich. Viele sehen sie als eine der am meist verkanteten Oper der Musikgeschichte an. Neben Aufführungen beim Rossini Festival in Wildbad war sie zuletzt auch in Zürich (mit Cecilia Bartoli als Desdemona) und Wien zu sehen, in Frankfurt/M hingegen noch nie. Bevor im Oktober als erste eigene Neuproduktion der Spielzeit 2019/20 Manon Lescaut gespielt wird (mit Asmik Grigorian in der Titelrolle), zeigt die Oper Frankfurt eine Übernahme der Otello-Produktion des Theater an der Wien aus dem Jahr 2016 (Inszenierung: Damiano Michieletto, der in der vergangenen Saison in Frankfurt/M Schreckers Der ferne Klang inszenierte).


Otello
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Otello (Enea Scala) und Jago (Theo Lebow)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Francesco Maria Berio de Salsa nutzte für sein Libretto Bearbeitungen der Shakespeare-Tragödie. Die tragische Geschichte des siegreichen Feldherrn Otello, der als Belohnung für seinen Ruhm fatal endenden Intrigen ausgesetzt ist, setzte er frei um. Damit das Drama heutigen Zuschauern plausibel erscheint, behandelt Regisseur Damiano Michieletto wiederum Berios Libretto frei. Vom Venedig des 15. Jahrhunderts verlegte er die Handlung in die heutige Zeit. Otello ist bei ihm ein erfolgreicher arabischer Geschäftsmann, der gerade mehrere tolle Deals abgeschlossen hat. Zwar wird er von der höheren Gesellschaft gefeiert, löst zugleich aber auch viele Ängste aus. Angst vor dem Fremden, ist Michielettos zentrales Thema, das sich in vielen kleinen Szenen widerspiegelt.
Schon in der Ouvertüre, bei der die Hauptcharaktere mittels Textprojektionen kurz vorgestellt werden, deutet Emilia, Desdemonas kleine Schwester (eigentlich ist es ihre Zofe; als flinke Mitanstifterin: Kelsey Lauritano vom Opernstudio) mit den Fingern auf Otello und spuckt auf den Boden. Er hat von vornherein keine Chance, Teil dieses Clans zu werden. Nicht nur, dass Otello ein überaus erfolgreicher Geschäftsmann ist, wodurch der missgünstige Neid der anderen aufkeimt, in dem er Desdemona ihr Tuch als Kopftuch aufdrückt und später einen Gebetsteppich ausrollt, outet er sich als jemand, der eine andere Tradition hat. Wenn er dann auch noch die einst von Jago und nun von Rodrigo begehrte Desdemona als Frau bekommen soll, eskaliert die Szene. Am Ende des ersten Akts kommt es zu einem großen Tumult, bei dem Jago mit seinen demagogischen Gedanken die anderen infiltriert und Otellos Namen plakativ beschmutzt (beides wird optisch wirksam mit viel schwarzer Farbe gezeigt).


Otello
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Rodrigo (Jack Swanson), Doge (Hans-Jürgen Lazar)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Das Einheitsbühnenbild von Paolo Fantin zeigt einen kammerspielartigen und eleganten Raum, der durch Anheben der Rückwand zu einem großen Salon umgewandelt wird. Im Raum hängt ein großes Ölgemälde, das mehr als bloße Dekoration ist. Es zeigt das Bild „Der Tod von Paolo und Francesca“ von Gaetano Previati aus dem Jahr 1887 (inspiriert von Dantes Göttliche Komödie): Ein sich liebendes Paar, bei dem der Mann auf einer Frau liegt, beide scheinen von einem Schwert durchbohrt zu sein. Das Bild wird in der Inszenierung von Michieletto zur Realität, die Figuren erscheinen als stumme Rollen auf der Bühne und werden so zu Teilen von Desdemona und Otello. Die Ausleuchtung von Alessandro Carletti spiegelt die jeweilige Emotionslage wider. Sie wechselt zwischen warmen, kalten und gespenstisch anmutenden Farbtönen, ganz nach Szene. Die Herren tragen Anzüge, die Damen zeitlose Kleider (Kostüme: Carla Teti).


Otello
Oper Frankfurt
Desdemona (Nino Machaidze)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Richard Strauß war vermutlich kein Fan dieser Oper, stehen in ihr doch gleich sechs Tenöre auf der Bühne (diese Inszenierung verbindet zwei Rollen, sodass es hier „nur“ fünf sind). Und drei von Ihnen müssen für sängerische Höchstleistung im Belcantostil sorgen und das tun sie hier mit Bravour: Der Italiener Enea Scala in der Titelrolle, der junge US-Amerikaner Jack Swanson, laut Bernd Löbe steht er am Beginn einer Weltkarriere, als Rodrigo, und vom Ensemble Theo Lebow als düsterer Jago (der sich hier zum Schluss gar selbst richtet). Hans-Jürgen Lazar gibt den hier als geschwächt gezeichneten (im Rollstuhl sitzenden) Dogen kraftvoll, Michael Petruccelli vom Opernstudio den Arzt Lucio (Otellos Vertrauten) und einen Gondoliere. Trotz Wetteifern um tenorale Strahlkraft und Spitzentönen, verfügen alle fünf über eine angenehme Tiefe, die natürlich vom Bass des Thomas Faulkner (Elmiro) überboten wird.


Otello
Oper Frankfurt
v.r.n.l. Desdemona (Nino Machaidze), Elmiro Barberigo (Thomas Faulkner), Otello (Enea Scala; mit Turban) und Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Wegen Erkrankung der Sopranistin Karolina Makuła ist in den ersten drei Vorstellungen Nino Machaidze zu Gast in Frankfurt, die die Figur der Desdemona bereits in Wien gegeben hat. Desdemona ist durchweg eine tragische Figur, sie hat keine Chance, Otello von ihrer Unschuld zu überzeugen. So ist es nur konsequent, wenn sie sich am Ende selbst richtet und nicht von Otello gerichtet wird. Zuvor singt sie aber herzergreifend ihr „Weidenlied“ (das von einem besonders schönen Orchestervorspiel mit Harfe eingeleitet wird). Der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt gibt sich gewohnt stark. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester spürt der italienische Dirigent Sesto Quatrini Rossinis Melodienreichtum für vielseitige Klangeindrücken couragiert und feinsinnig nach.

Sehr viel Applaus für diesen belcantischen Höhenflug.

Wer diese Produktion noch sehen will, sollte sich schnell um eine Eintrittskarte kümmern, die weiteren fünf Vorstellungen sind bereits gut verkauft. Mehr Rossini gibt es an der Oper Frankfurt im Frühjahr 2020 (ab 2. Februar La gazzetta im Bockenheimer Depot und ab 5. April Bianca e Falliero im Opernhaus).

Markus Gründig, September 19


Otello
Dramma per musica in drei Akten

Von: Gioachino Rossini

Premiere an der Oper Frankfurt: 8. September 19 (Frankfurter Erstaufführung)
Besuchte Vorstellung: 12. September 19
Übernahme der Produktion des Theater an der Wien (Premiere: 19 Februar 16)

Musikalische Leitung: Sesto Quatrini
Inszenierung: Damiano Michieletto
Szenische Einstudierung: Marcin Lakomicki
Bühnenbild: Paolo Fantin
Kostüme: Carla Teti
Licht: Alessandro Carletti
Chor: Tilman Michael

Besetzung:

Otello: Enea Scala
Desdemona: Nino Machaidze / Karolina Makuła (3., 12., 20. Oktober 2019)
Jago: Theo Lebow
Rodrigo: Jack Swanson
Elmiro Barberigo: Thomas Faulkner
Emilia: Kelsey Lauritano
Doge: Hans-Jürgen Lazar
Lucio / Ein Gondoliere: Michael Petruccelli

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de