kulturfreak.de Besprechungsarchiv Musical und Show, Teil 6

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City of Angels

English Theatre Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
11. November 06

Brillante Produktion eines ungewöhnlichen Musicals

Das Musical City of Angels zählt zu den jüngeren Musicals und ist hierzulande noch ein Geheimtipp. Es hatte im Dezember 1989 seine Uraufführung am New Yorker Broadway, die deutschsprachige Erstaufführung fand sechs Jahre später (1995) im Theater der Stadt Heilbronn statt (Übersetzung: Michael Kunze). Es ist ein Musical mit hohem Niveau (Buch: Larry Gelbart), bei dem das gesprochene Wort mehr im Vordergrund steht, als die Lieder. Grund hierfür ist der grundsätzliche Aufbau, denn es orientiert sich stark am sogenannten Film noir, dem Filmgenre der überwiegend Schwarz-Weiß Kriminalfilme vergangener Tage, bei dem die Charakterisierung der Figuren mindestens ebenso wichtig war, wie die eigentliche Handlung.
Die Texte von David Zippel sind gespickt mit vielen Witzen, Anzüglichkeiten und Spitzfindigkeiten, sehr gute Englischkenntnisse sind bei der vom English Theatre Frankfurt gespielten Originalfassung natürlich von großem Vorteil und mitunter auch notwendig. Gesprochen wird ein angenehmes breites amerikanisches Englisch, so wie es in L.A./Hollywood nun mal üblich ist, bei einigen Darstellerinnen gar inklusiv typisch amerikanischer  Piepsstimme. Die Story wird, kennzeichnend für den Film noir, zusätzlich zum Handlungsablauf mit Off-Kommentaren dargeboten, was sie bei packender Intensität zu einem faszinierenden Kriminalfall werden läßt..

Cy Colemans (u.a. Komponist der Musicals “Sweet Charity”, “The Life” und “Barnum”) Musik ist vielseitig und populär gehalten. Die einzelnen Songs unterstützen den Handlungsablauf, sie bleiben aber nicht so sehr im Ohr hängen, wie beispielsweise die Melodien eines Andrew Lloyd Webber. Ausnahme hiervon ist der Hit: „You’re nothing, without me“.

Das Musical handelt vom Disput zwischen dem jungen Autor Stine und dem Filmtycoon Buddy Fidler über das Drehbuch zum Film „City of Angels“, bei dem der Privatdetektiv Stone die zentrale Figur ist. Es spielt im legendären Hollywood der vierziger Jahre. Als Parallelhandlung läuft eben dieses, noch nicht abgeschlossene, Drehbuch. Zwei Ebenen die anfangs getrennt sind und sich immer mehr ineinander verzahnen und verstricken. Beim versöhnlichen Ende wird deutlich, das Stine nichts ohne Stone ist (und umgekehrt) und im übertragenen Sinne gilt das dann auch in Bezug auf Stine und seine Ehefrau Gabbie.
Allein für die Bereitschaft, dieses ungewöhnliche Musical als Hauptstück der Saison zu zeigen (kein Stück hat hier eine längere Laufzeit), verdient das English Theatre Frankfurt mehr als ein Lob (als privates Theater hat es schließlich ganz besonders auch auf die Einnahmen zu achten). Ein noch viel größeres Lob verdient es aber zu der wirklich gelungenen, ja brillanten Umsetzung, durch die der verruchte Reiz des Film noir auf der Bühne zum Leben erweckt wird.
 
Die Produktion des English Theatre Frankfurt setzt das Spiel der zwei inhaltlichen Ebenen, auch optisch auf zwei Ebenen um. Bühne beherrschend ist ein leerer Swimmingpool, mit vergilbten Fliesen und hochrankenden Pflanzen. Die Rückwand wird für die zahlreichen Szenenwechsel torähnlich aufgeschoben und gibt den Blick dann frei auf Stines Büro, aber auch auf eine Bar samt Flügel, auf eine Gefängniszelle und ein Bordell.
Die Fläche über dem Pool dient als Stones Büro oder auch als Platz für eine Radio-Show. Bühnenbildner Jeremy Daker hat sich einiges einfallen lassen um die Atmosphäre der vierziger Jahre wiederzugeben. Auch die Kostüme spiegeln diese Zeit wieder. Doch es geht nicht nur ernst zur Sache. So könnte das bizarre Krankenbett von Mr. Kingsley auch einem Science-Fiction-Film entsprungen sein. Erheiternd wirken gar die tanzenden Oscar-Statuen. Insgesamt wird sehr viel fürs Auge geboten (auch immer wieder richtige Film-Sets), wobei das Stück ungewöhnlich viele Szenen hat (insbesondere im 1. Akt), die ausnahmslos stimmig umgesetzt wurden.
Mit viel Liebe zum Detail ist auch die stimmungsvolle Ausleuchtung von Guy Hoare mit stets punktgenauen Spots auf einzelne Akteure. Nicht minder großartig sind die großartigen britischen und amerikanischen Darsteller, die zusammen ein harmonisches Ensemble bilden, sei es bei den (wenigen) Tanzszenen (Choreografie: Gary lloyd), beim Gesang (Associate Musical Director & Arrangements: Mark Colins, Musical Director: Thomas Lorey) und im Schauspielerischen (Regie: Nikolai Foster). Anthony Houghton gibt wunderbar den abgebrühten und etwas trübsinnigen Privatdetektiv Stone, Chris Thatcher den smarten und engagierten Stine. Ihr Duett „You’re nothing, without me“ beendet als Höhepunkt den ersten Akt (wobei Thatcher den letzten Ton hervorragend lang halten kann; Musicalfans hätten hiervon gerne mehr). Julia Hinchcliffe ist eine Femme fatale per Excellence, Julie Stark macht ihrem Namen alle Ehre und überzeugt als Donna/Oolie. Als einen liebenswerten Schuft gibt Jack McKenzie den Filmtycoon Buddy/Irwin. Auch die hier nicht weiter aufgeführten zehn weitere Darsteller gefallen außerordentlich, zumal sie alle in mehrfachen Rollen aufzutreten haben. Die Liveband ist leider nur beim Schlussapplaus zu sehen.

City of Angels im English Theatre Frankfurt ist ein anspruchsvoller und delikater musikalischer Hochgenuss, eine Perle im Großstadtdschungel.

Markus Gründig, November 06


Copacabana

Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Jugendclub
Besuchte Vorstellung:
10. September 06

Heiße Rhythmen im Staatstheater

Nach dem Politmusical „The Beautiful Game“ und dem Jugendmusical „Footloose“ zeigt das Jugend-Club-Theater im Staatstheater Wiesbaden mit seiner neusten Saisonproduktion eine Show ganz im Stil einer großen Broadwayshow. Die jungen Darsteller spielen allesamt erwachsene Charaktere und da die Handlung überwiegend in den angesagtesten Nachtclubs in den 40er Jahren spielt, gibt es neben vielen Gesangsnummern mit der Music von Bary Manilow auch zahlreiche schmissige Tanznummern. Insgesamt eine große Herausforderung für das Jugendclubtheater, denn Leidenschaft pur ist angesagt, sei es im New Yorker „Copacabana“ oder in Havanna´s „Tropicana“. Dahin verschlägt es den aufstrebenden Star Lola la Mar (Charlotte Thompson). Ihr Geliebter Tony Forte (Tim Speckhardt) kann sie am Ende aus der Gefangenschaft des finstren Rico Castelli (Marian Kindermann) befreien.
Diese Geschichte ist ein Tagtraum des Songwriters Stephen (Rainer Maaß), der sich zum Leidwesen sein Frau Samantha (Ann Christin Fray) viel zu sehr dem Komponieren hinwendet, statt sich um sie zu kümmern, gilt es doch den 5. Hochzeitstag zu feiern, ist also eine Geschichte in der Geschichte.

Mit der bewährten Unterstützung von Iris Limbarth (Inszenierung und Choreografie) sorgt das Ensemble für ein exotisches Flair im Wiesbadener Staatstheater, was natürlich auch an den farbenfrohen Kostüme von Heike Ruppmann liegt. Sei es in sexy Bademoden, wilden Piratenkostümen oder in eleganten Abendkleidern: die Damen zeigen sich stets mit großer Eleganz. Wobei auch die drei Andrew Sisters/die drei Meerjungfrauen (Jessica Göttmann, Cassandra Göller und Felicitas Geipel) gefallen. Herausragen tun energische wie herzensgut Stefanie Köhm als Gladys Murphy und Alexandra Fukazawa als Conchita Alvarez.
Überraschend stark sind die jungen Herren bei ihren feschen Tanzeinlagen, die sich am Stil von Bob Fosse orientieren und für zahlreiches Johlen der Damen im Publikum sorgen. Prickelnd geht es beim erotischen „Bolero“-Tanz eines unbekannten Paares zur Sache.

Die Inszenierung ist zugleich die deutschsprachige Erstaufführung dieses 1994 in London uraufgeführten Musicals, das die Songs mit Liveband (Musikalische Leitung Joachim Braun/Frank Bangert) abwechselnd in Deutsch und Englisch präsentiert. Die Bühne von Reinhard Wust besteht hauptsächlich aus einer großen Showtreppe, sowohl für das „Copacabana“° wie für das „Tropicana“ (nur jeweils unterschiedliche Schriftzüge). Mobile Kulissenwände bilden New York´s Centralstation oder Häuseransichten Havanna´s wieder und dienen zugleich als Abtrennung für eine glänzende Auditionszene.

Ein Lob an das Jugendclubtheater für eine mehr wie engagierte Leistung (es spielte die Zweitbesetzung, für die es wiederum die Premiere war) und an das Staatstheater Wiesbaden, diesem Musical in Deutschland auf die Beine geholfen zu haben.

Markus Gründig, September 06


Jetzt oder nie: Die Comedian Harmonists // Teil II

Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung:
Premiere vom 11. Juli 06

Jedes Ende ist zugleich ein Neuanfang. Der erste Teil von „Die Comedian Harmonists“ endete mit dem letzten Konzert der ersten deutschen Boygroup, im Februar 1935 in München, das damals überhaupt nur Dank einer Ausnahmegenehmigung des Münchner Gauleiters zustande kam. Der zweite Teil des Stücks von Gottfried Greiffenhagen beginnt mit eben diesem Konzert, das nach einigen Lieder („In der Bar zum Krokodil“, „Blume von Hawai“) jäh unterbrochen wird, um dem Publikum mitzuteilen, dass die Comedian Harmonists heute unwiderruflich zum letzten Mal auftreten (jedenfalls in dieser Zusammensetzung mit drei jüdischen Sängern). Wenige Tage drauf kommt es noch zu einer letzten Plattenaufnahme in Berlin (mit einem wunderschönen, leicht melancholischen „Glücklich bin ich nur bei dir“).
Eingerahmt in zahlreiche Lieder zeigt das Stück die getrennt laufende Entwicklung auf: die Neugründungen zweier Vokalensembles. Einerseits das Meistersextett, mit den in Deutschland verbliebenen Sängern und andererseits die Comedy Harmonist, die neue Truppe der jüdischen Sänger (mit Wien als Heimatbasis). Wo einst die Lust am Singen die jungen Männer zusammenführte, obsiegten schnell wirtschaftliche Gründe, das Singen wurde zum Lebensunterhalt und in guten Zeiten sogar zu einem sehr guten. Doch keine der beiden neuen Ensembles konnte am Erfolg der Comedian Harmonists anknüpfen. Alltagssorgen, Rechtsstreite und nicht zuletzt die Nationalsozialisten und der II. Weltkrieg sorgten fürs das Ende beider Gruppen.

JETZT ODER NIE Die COMEDIAN HARMONIST // Teil II
Burgfestspiele Bad Vilbel
Carlos Horacio Rivas, Dirk Witthuhn, Johannes Schwärsky, Steffen Häuser (v.l.n.r.)
Foto: Eugen Sommer

Autor Gottfried Greiffenhagen wechselt zwischen Meistersextett/Comedy Harmonists und kurzen Rückblenden der gealterten Mitglieder der Comedian Harmonists. Das Stück wurde für die Bad Vilbeler Burgfestspiele von Pit Holzwarth bearbeitet, der gleichzeitig auch die Regie, Choreographie und den Sound übernahm.

Dank beiger Westen sind die Meistersextett-Sänger optisch gut von den Comedy Harmonists zu unterscheiden, ansonsten herrscht schwarz-weiße Ordnung im Frack mit ärmellosen Hemden (passend zu den aktuell hohen Temperaturen). Schwarz/Weiß ist auch die Bühne von Werner Brenner. Weiße Wände und in der Mitte ein Bühnenpodest mit ein paar Stufen, das in der Mitte gespalten ist, ganz so wie die Comedian Harmonists. Bei all den wissenswerten Details über die Entwicklung der Truppe ist die Musik, der Gesang vorherrschend und so bilden die sechs erstklassigen Sänger durchaus ein sanftes Highlight in der Zeit nach der WM.

Steffen Häuser (Harry Frommermann/Fred Kassens), Dirk Witthuhn (Erich Abraham-Collin/Richard Sengeleitner), Alexander Franzen (Roman J. Cycowski/Walter Blanke), Johannes Schwärsky (Robert Biberti/(Rudolf Mayreder), Jan-Andreas Kemna (Erwin Bootz/Fritz Engel) und Carlos Horacio Rivas (Ari Leschnikoff/Hans Rexeis) lassen den Zauber und den einmaligen Klang der Comedian Harmonist aufleben und gehen dabei weit über bloßen Singen weit hinaus.
Neben vielen unbekannten Liedern fehlen auch nicht Hits wie „Veronika“ (außergewöhnlich brillant gesungen), „Ich wollt ich wär’ ein Huhn“ oder in der Zugabe „Mein kleiner grüner Kaktus“. Doch das man sich in diese Zeit zurückversetzt glaubt hängt nicht zuletzt an Liedern wie „Ohne Dich ist die ganze Welt ohne Freude“ (sentimental, sehnsuchtsvoll und herrlich verträumt) und dem Dankeslied des jüdischen Kantor Roman J. Cycowski. Frauen spielen hierbei übrigens keine Rolle (lediglich von Erwin Bootz erfährt man, dass er eine Familie gegründet hat).

Zum umjubelten Schlussapplaus ließen es sich Dr. Thomas Stöhr (Bürgermeister von Bad Vilbel) und Claus-Günther Kunzmann (Festspielleiter) nicht nehmen, wie bei jeder Premiere der Burgfestspiele, dem Ensemble Rosen zu überreichen. Das gibt es auch nicht überall.

Markus Gründig, Juil 06


Marilyn – Das Musical

Staatstheater am Gärtnerplatz, München; in Koproduktion mit der Marilyn Musical Produktions GmbH
Besuchte Vorstellung:
Uraufführung vom 17. Juni 06

Wer war Marilyn Monroe, wie war Marilyn Monroe? Schon das Programmheft zur Uraufführung des Musicals zeigt nur ein unklares Bild der Monroe. Autor Georg Büttel schuf um einige biografische Eckpunkte herum eine dramaturgisch gelungene Umsetzung, wobei es ihm mit dem Kreativteam stets um die Frage der Identität Monroes ging und wie sie damit umging, stets von anderen definiert zu werden.
Wer und vor allem wie sie wirklich war, ist zwar auch nach Besuch dieses Musical offen, dennoch bietet es vielfältige Ansichten zu ihr, zeigt sie vor allem auch von ihrer unbekannten Seite, so dass sich jeder sein eigenes Bild machen kann. Beginnend mit ihrem viel zu frühen Ende (sie starb mit nur 36 Jahren), zeigt das Musical in einer Rückblende das Lebend der Norma Jeane Baker (wie die Monroe wirklich hieß). Aufgewachsen ohne familiäre Nestwärme, später umgeben von vielen falschen Freunden, wird ihr hier als einzig wirkliche Freundin ein Engel in Form der von ihr verehrten Sexbombe Jean Harlow (1911-1937) an die Seite gestellt. Marilyn – Das Musical zeigt auf, dass die Monroe kein blondes Dummchen war. Zielstrebig verfolgte sie ihre eigene Karriere, sich stets nach Liebe und Anerkennung sehnend. Natürlich spielen auch Männer eine wichtige Rolle. Ihre Liebe zum Jazz, ihr Eifer eine gute Schauspielerin zu werden und dass sie als erste Schauspielerin ihre eigene Produktionsfirma gründete, sind einige der Facetten, die hier gezeigt werden.

Marilyn – Das Musical
Staatstheater am Gärtnerplatz, München
Jean Harlow (Caroline Frank) und Marilyn (Anna Montanaro)
Foto: Ida Zenner

Die Musik des Duos Olivier Truan und David Klein fängt mit leichtem Jazz und Swing den Zeitgeist der 40er und 50er Jahre gut ein, ist dabei sehr abwechslungsreich, bindet in die vielen satten Bläsersätze auch einen Rap und berührende Balladen ein und ist so alles andere als gewöhnliche Musicalkost. Die erste große Ensemblenummer verbindet den Hochzeitsmarsch mit Jazz und ist somit Ausdruck auch der musikalischen Spaltung. Den Verzicht auf weichgespülten Musicaleinheitsbrei kann man nun gut oder schlecht finden, auf jeden Fall ist es mutig sich für diese angejazzte Musik zu entscheiden und wird so auch Besucherschichten ansprechen, die sonst eher einen Bogen um Musicals machen. Die großen Monroe Hits „Diamonds Are a Girls Best Friend” und „I wanna Be Loved By You“ fehlen nicht (ein eigenen Hit verdächtigen Song dafür schon).

Phantastisch ist die Bühne von Heinz Hause geraten. Kein Ausstattungsbombast, sondern ein überaus geschicktes Spiel mit einer großen, meist schräg hängenden Spiegelfläche, die bei rückseitiger Ausleuchtung transparent wird, Wahrnehmungsebenen in Frage stellt und manchmal auch fast psychedelisch erscheint. Ähnlich wie bei der großen Bühnenversion vom Musical AIDA gibt es auch einen Swimmingpool, hier jedoch mit einem eleganten Sprung ins Wasser. Krankenhausparavents tanzen ein Ballett, ein Flieger steigt empor und in einer Alptraumszene zeigen sich die klassischen Monroeposen im Terzett. Marilyn Monroes Unterschrift zieht sich im dicken Rot quer über den Bühnenboden und unterstreicht den gespaltenen Eindruck ihrer Figur.

Anna Montanara, als einer der wenigen Deutschen mit Engagements am Broadway und im Londoner Westend, ist die Monroe: anfangs naiv, dann immer berechender, aber auch verletzbarer und unsicher, in alledem aber von der ersten Minute bis zum letzten an das Publikum gehauchten Kuss, einfach grandios.
Starken Zwischenapplaus erhielt zu Recht Soulsängerin Siggy Davis als Ella Fitzgerald. Einen extra Schlussapplaus auch Caroline Frank als Jean Harlow. Bei den Männern, die hier freilich in keinem guten Licht erscheinen, gefallen vor allem Florian Simson (als gute „Schwester“ Sidney) und Jeiko Ruprecht als Arthur Miller. Das Ensemble begeistert mit schwungvollen Tanzszenen (Choreografie: Melissa King), von denen es ruhig mehr hätte geben können. Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz spielte unter der musikalischen Leitung von Andreas Kowalewitz, unterstützt von der Jazz-Band „Die Konferenz“.
Regisseur Matthias Davids kann trotz schnellen Tempo bei einzelnen Szenen eine gewisse Langatmigkeit zwar  nicht verhindern, schafft dafür aber auch immer wieder heitere Momente, etwa bei der Vorsprechszene, die die Monroe erst mit einem gut gespielten Selbstbewusstsein und unter Einsatz ihrer körperlichen Qualitäten schafft, und als Belohnung dann das Ruder in die Hand nimmt.
Marilyn – Das Musical ist eine packend inszenierte und mit Witzen garnierte Studie über die Monroe, über starke Frauen in einer Welt, die von Männern beherrscht wird.

Markus Gründig, Juni 06


Pfingst-Gala in Tecklenburg

Heißhunger auf die neue Spielsaison geweckt ~ Sieben Top-Künstler ließen die kühlen Temperaturen vergessen

Wenn dem wirklich so sein sollte, dass die Pfingst-Gala, die traditionell am Beginn der neuen Tecklenburger Saison steht, eine wie auch immer definierte Erwartungshaltung auf den folgenden Spielsommer rechtfertigt, dann, ja dann darf das Publikum gespannt der Dinge harren, die da kommen werden. Alles wird gut!!! Mit großem künstlerischem Personaleinsatz hat Deutschlands größter Freilichtbühne ihre Gäste an diesem denkwürdigen Montag verwöhnt und auf die Spielzeit 2006 eingestimmt. Es war ein Auftakt nach Maß, der, ganz wie geplant, Appetit, wenn nicht sogar Heißhunger auf Mehr weckte.

Annähernd drei Stunden langte eine exquisite und blendend aufgelegte Riege exponierter Musical-Protagonisten trick- und erfindungsreich in die Zauberkiste und spann einen sowohl hörens-, als auch sehenswerten Bogen, der die ach so facettenreiche Welt des Genres repräsentativ widerspiegelte. Dem Motto der Veranstaltung  („Musical meets Pop“) entsprechend, servierten die Akteure einen prickelnden Song-Mix aus diesen (und anderen) Sparten und ließen die kühlen Temperaturen schnell vergessen.

Beschränkte sich die Auswahl im ersten Teil der Veranstaltung auf Titel aus dem Bereich des  klassischen und modernen Musiktheaters (Les Misérables, Phantom, The Wiz, Tanz der Vampire, Elisabeth, The Wild Party, König der Löwen u.a.), kamen nach der Halbzeit die Pop- und Rock-Fans auf ihre Kosten, wobei sich das Spektrum von Elton John, über Meat Loaf,  Nena, die Beatles, die Bee Gees, Bonnie Tyler bis hin zu den Pointer Sisters , den Wise Guys und Bon Jovi reichte. Eine recht unkonventionelle und eigenwillige Mischung. Aber es funktionierte bestens.

Die Überraschung des Tages: Willemijn Verkaik

Was die Zusammensetzung der Cast anbelangte, war die in diesem Jahr ziemlich We-will-rock-you-lastig, was sich aber nicht unbedingt in der Tracklists niederschlug. Mit Vera Bolten, Sascha Krebs, Michael Eisenburger und Willemijn Verkaik waren gleich vier Vertreter der Kölner Erfolgsinszenierung am Start. Den Namen letzterer sollte man sich unbedingt merken. Die temperamentvolle und volkalstarke Niederländerin, den Veranstaltern von ihrem Kollegen Krebs wärmstens empfohlen, entpuppte sich als die große Überraschung des Tages. Eine mit viel Ausstrahlung und einer unglaublichen Stimme gesegnete Powerfrau, die ihren Zenit mit Sicherheit noch nicht erreicht hat und der nicht wenige noch eine große Karriere voraus sagen.

Krögers toller Einstand

Uwe Kröger, Deutschlands bekanntester Musical-Titan, feierte einen furiosen Einstand in Tecklenburg. Viele der über 2000 Besucher mochten vielleicht gerade wegen ihm gekommen sein. Und der Mann enttäuschte seine Anhänger (natürlich) nicht. Um „Der letzte Tanz“ und „Die Musik der Nacht“ kam der Stargast natürlich nicht herum, um dann nach der Pause  u.a. mit „Unchained Melody“ von den Righteous Brothers ganz andere Saiten aufzuziehen. Trotz alledem:  Es gehörte noch nie zur Politik der Freilichtbühne, immer und ausschließlich nur auf die ganz großen Namen zu setzen. Warum auch? Es gibt so viele hervorragende  und begnadete Talente im bundesdeutschen Musical-Business, dass es einfach eine Schande wäre, diesen Fundus nicht an zu zapfen. Das tun die Tecklenburger seit Jahren – und sind immer gut dabei gefahren. Oft genug entpuppen sich nämlich gerade Künstler aus der vermeintlich „zweiten Reihe“ (was jetzt nicht abwertend gemeint ist), als echte Überflieger.

Der Überflieger: Michael Eisenburger

Michael Eisenburger beispielsweise ist so ein „Geheimtipp“. Wer den quirligen  Temperamentbolzen schon mal als „Gallileo“ im Kölner Queen-Opus erleben durfte, weiß wovon die Rede ist. In Tecklenburg hat der Rocktenor aus Essen bei den letztjährigen Produktionen „Camelot“ und „Hair“ schon jede Menge Pluspunkte sammeln können. Bei der weltweit ersten Freilicht-Inszenierung von „Les Misérables“, die hier am 24. Juni Premiere feiert, übernimmt er den Part des Enjorlas.

Murray und Bolten gefeiert

Für dieses mit Spannung erwartete Ereignis die Werbetrommel zu rühren, war denn auch ein gerne genutzter Nebeneffekt der Pfingst-Gala. Nicht von ungefähr hatten die Verantwortlichen mit Chris Murray (Valjean) und Vera Bolten (Eponine) zwei weitere Hauptdarsteller mit einschlägiger Les-Mis-Vergangenheit hinzu gebeten. Eine weise Entscheidung. Chris Murray zeigte den Zuhörern mit „Bring him home“ schon mal vorab, wo der Hammer hängt und fuhr mit seiner „Unstillbaren Gier“ stehende Ovationen ein. „Scaramouche“ Bolten unterstrich mit „Miss Bird“ aus „Closet than ever“ und Nenas „Leuchttum“ ihre stilistische Vielfalt . Aber nicht zuletzt  ihr Duett mit  WWRY-Kollege Eisenburger, „Suddenly Seymor“ aus dem „Kleinen Horrorladen, geriet zum Showstopper.

Sternstunden

Derer gab es freilich noch mehr. Es wäre müßig, an dieser Stelle  die komplette, aus 25 Titeln bestehende Songliste herunter zu beten, aber das grandiose  „Don’t let the sun go down on me“ von Elton John /Georg Michael in einer packenden Interpretation von Uwe Kröger und Sascha Krebs bedarf schon einer besonderen Erwähnung, ebenso Ralf Schaedlers „Living la vida Lloca“ Der Düsseldorfer , im vergangenen Jahr an gleicher Stelle als „Claude“ in „Hair“ zu sehen und derzeit bei „Dirty Dancing“ in Hamburg unter Vertrag, komplettierte das stimmlich bestens aufgelegte Ensemble  und bewies Headbanger-Qualitäten. Ein großartiger Entertainer!

La-Ola-Wellen und Wunderkerzen

Die Stimmung in der weitläufigen und überwiegend überdachten Theaterarena ähnelte, vor allem in der zweiten Halbzeit, der in der Fankurve eines Bundesliga-Spiels. Die Besucher standen mehr, als dass sie saßen – La-Ola-Wellen  und Wunderkerzenschein inklusive. Vor allem beim finalen, freilich etwas gewöhnungsbedürftigen Beatles-Let-it-be oder  dem Robbie-Williams-Nachschlag „Let me entertain you“. Aber was nutzt die durchdachteste Dramaturgie und die glücklichste Besetzung, ohne dass diesen Polen auf der anderen Seite eine adäquate  musikalische Entsprechung gegenüber steht. Tat sie aber. Mit Klaus Hillebrecht und seiner handverlesenen Gala-Band sind die Tecklenburger seit vielen Jahren bei derlei Anlässen auf der todsicheren Seite. Hillebrecht wird auch bei den „Elenden“ dem großen, aufgerüsteten Orchester als musikalischer Leiter vorstehen und möchte  ferner beim  und im „Kleinen Horrorladen“, dem zweiten Saison-Stück der Tecklenburger, dahin gehend nichts anbrennen laden.

Die Killerpflanze „Audrey“ erblüht hier erstmals am 28. Juli. Regie: Hans Holzbecher. Bis einschließlich 31. August stehen dann insgesamt zwölf Aufführungen auf dem Spielplan, während Thénadiers Kneipe hier zwischen dem 24. Juni und dem 26. August  26 mal geöffnet ist. Hinterm Tresen putzt übrigens Martin Berger als schmieriger Wirt die Gläser. Die Regie liegt in den bewährten Händen von Helga Wolf. Wir sind gespannt.

Jürgen Heimann, Juni 06


Harry und Sally

Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: Premiere vom 9. Juni 06

Können Mann und Frau befreundet sein ohne Sex miteinander zu haben? Harry ist davon überzeugt, dass dies unmöglich ist. Der gleichnamige Film mit Meg Ryan und Billy Crystal in den Hauptrollen, hat längst Kult-Status erreicht. Seit 2002 gibt es eine musikalische Bühnenversion dieses Films, die im Dezember 2004 im Berliner Hansatheater ihre deutschsprachige Erstaufführung hatte.
Als eine ihrer diesjährigen Eigenproduktionen präsentieren die Burgfestspiele Bad Vilbel dieses junge Musical, wofür sie ein Extralob verdienen. Denn sie verzichten diesmal darauf, ein gern, ständig und überall gespieltes (und nicht zuletzt Einnahmen sicheres) Stück wie „Jesus Christ Superstar“ oder „Evita“ zu zeigen. Dabei lässt sich über die Musicalversion von Harry und Sally durchaus streiten. Wer fürchtet, dass hier wieder einmal eine tolle Vorlage im süßen Musicaleinheitsbrei dahin schmilzt, dem sei Entwarnung kund getan. Der Spanische Autor und Komponist Joan Vives verzichtete auf typische Musicalklänge eines Andrew Lloyd Webber und auch auf sich wiederholende musikalische Themen. Der Nachteil daraus ist, dass keines der Lieder im Ohr verbleibt, obwohl unter der musikalischen Leitung von Ralph Abelein durchaus viel gesungen wird. Zudem bieten Vvives´ Lieder den Sängern nur wenig Möglichkeiten, ihr sängerisches Potential voll zu zeigen, da bei den Liedern die einzelne Töne nie lange gehalten werden. Dafür gibt es Latino-Klänge mit einer Tango-Einlage, der dazugehörige Song wird von Patricia Klotz schön melancholisch in Spanisch gesungen.

Harry und Sally
Burgfestspiele Bad Vilbel
Harry (Mathias Paganini) & Sallly (Petra Madita Kübitz)
Foto: Eugen Sommer

Bei der Premiere herrschte dennoch einhellige Begeisterung im Publikum, denn die fabelhaft präsentierte Story (Regie: Egon Baumgarten) steht im Vordergrund und wird durch die Musik nur ergänzend untermalt (wobei es auch nicht nötig ist, den Film vorher gesehen zu haben).
Hochkarätige Musicaldarsteller wurden für diese Produktion verpflichtet, allen voran Petra Madita Kübitz (Sally) und Matthias Pagani (Harry). Kübitz gibt die sich zierende Sally mit viel Spielfreude, natürlich fehlt nicht die Orgasmusszene im Restaurant oder ihre köstlichen, die Kellner in den Wahnsinn treibenden, Essensbestellungen (wofür sie von Harry schlussendlich geliebt wird). Pagani ist in Jeans und Sweatshirt ein jugendlicher Draufgänger, im Anzug dann gereift und trotz seinem Pessimismus nahezu geläutert. Zehn weitere Darsteller bilden das Ensemble, mit Isabel Dörfler als Maria und Alexandre Pelichet als Jess. Es gibt viele gut gelungene Tanzszenen (Choreographie: Wara Cajias Ponce), reichlich Kostümwechsel (von Hippi bis zur eleganten Abendgradrobe) und auch leichte Frivolität, etwa wenn sich zwei Stewardessen küssen oder wenn beim „Männer-Song“ das Lustobjekt der weiblichen Begierde in Chaps gekleidet daher kommt. Eine gute Figur machen drei sexy Nikolausbunnys im roten Plüschbikini, die Harry zur Weihnachtszeit seine Einsamkeit vorführen.
Die karge Bühne von Pascale Arndtz besteht aus großen Wänden mit Pop-Art-Strukturen, die kühle Großstadtstimmung stimulieren, durch Einsatz einer Drehbühne erscheinen Bistrotische für die Restaurantszene oder Umzugskartons für die Szenen in der Wohnung von Maria und Jess.
Der Traum vom Glück trotz Irrungen und Wirrungen, hier wird er am Ende nahezu wahr; ein Abend über die wundersame Kraft der Liebe und den umständlichen Weg dorthin.

Markus Gründig, Juni 06


AIDA – Das Musical

Tour Deutschland/Schweiz 2005/06, Tourstart: 19. November 05 (München)
Besuchte Vorstellung: 7. Februar 06 (Niedernhausen, Rhein-Main-Theater)

Wenn die Presse vom Abflauen des Musicalbooms spricht, geht es meistens nur darum, das ein Stück irgendwann „abgespielt“ ist. Am Broadway und im Londoner Westend ist dies ein nahezu alltäglicher Vorgang. Stücke wechseln, Theater bleiben. Doch dieser Wechsel sagt nichts über die Qualität eines Stückes und einer Inszenierung aus. Manche Stücke sind aufgrund ihres Inhalts schneller, andere weniger schnell „abgespielt“. Nur die absoluten Ausnahmen wie CATS, DAS PHANTOM DER OPER oder STARLIGHT EXPRESS schaffen es, über Jahre an einem Theater gespielt zu werden.
In den USA ist es seit langem eine gängige Praxis, ein Stück nach der Spielzeit am Broadway durch die Staaten touren zu lassen. Diesem Beispiel folgend, touren derzeit die Originalproduktionen von CATS und AIDA – DAS MUSICAL durch Deutschland und die Schweiz.

Disney`s AIDA – Das Musical
Pharao mit Amneris und Wächtern

© STAGE ENTERTAINMENT, Foto: Brinkhoff/ Mögenburg

Nach einer ersten Station in München gastiert Elton John & Tim Rice´s AIDA derzeit im Niedernhausener Rhein-Main-Theater, das einst mit Andrew Lloyd Webers SUNSET BOULEVARD eröffnet wurde.
Die spannende Frage, ob die Tourversion wesentlich abgespeckter als die auf eine lange Spielzeit angelegte Produktion im Essener Colloseum ausfällt, klärt sich schnell: sie tut es nicht!
Zwar ist die Bühne im Rhein-Main-Theater geringfügig verkleinert worden und in einzelnen Bildern gibt es Unterschiede, doch von einem Tourcharakter mit relativ einfachen Bühnenbild wie bei den sonst üblichen Tourproduktionen kann man hier nicht sprechen, im Gegenteil: es ist eine Produktion die allein schon optisch starken Eindruck macht, für Erst- und Wiederseher.

Überarbeitet wurde beispielsweise die Grabkammer, die nun eine perspektivische Flucht fokussiert (diese Sicht wurde auch für einen spektakulären Prospekt mit Tunnelcharakter übernommen) und das Gefängnis mit König Amonasro besteht nicht mehr aus lauter Würfeln. Ein klein wenig enttäuschend allein der (notwendige) Verzicht auf das Schwimmbecken von Amneris.
Marktführer Stage Entertainment lässt auch auf dieser Tour höchste Perfektion und Ausstattung nicht missen. Die vielen Szenenbilder wechseln dabei fließend, leise und sehr schnell.

Für die Tourproduktion verpflichtete Stage Entertainment Darsteller, die bereits in der Essener Produktion begeisterten: Ana Milva Gomes (AIDA), Bernhard Forcher (Radames), Kristian Vetter (Zoser), Daniel White (Amonasro) und Lutz Ulrich Flöth (Pharao). Sie spielen und singen alle mit solch einer großen Leidenschaft, als wären sie erst ganz neu dabei. Wobei insbesondere Ana Milva Gomes als AIDA großartig ist. Sie geht vollkommen in dieser Rolle auf, behält aber ihre Natürlichkeit. Dadurch wirkt sie authentisch und glaubwürdig. Zudem unterstützt ihre dunkel gefärbte Stimme hervorragend den Konflikt zwischen ihren eigenen Gefühlen und der Pflicht, der sie als Prinzessin Folge zu leisten hat.
Amneris wird hier nicht von Maricel gespielt, diese Rolle übernahm souverän die Münchnerin Bettina Mönch.
Tolle Tanzszenen von Zosers Gefolge erfreuen auch hier wieder die Zuschauer, die Liveband spielte dynamisch unter der Leitung von Hannes Schauz.
Am Ende, obwohl es nur eine normale Dienstag Abendvorstellung war: Standing Ovations als Ausdruck für 2 ¾ Stunden Unterhaltung, die beim Publikum ankam.

Neues Leben im Rhein-Main-Theater, leider nur für sechs Wochen (von den Depro-Konzerten mal abgesehen). Also nichts wie hin und sich diese Show nicht entgehen lassen, für vergleichbare Produktionen muss man sonst quer durch die Republik reisen.

Markus Gründig, Februar 06


Alle Nonnen wieder

(Nuncracker: The Nunsense Christmas Musical)
Deutsche Erstaufführung: 20. Dezember 05
Besuchte Vorstellung: 22. Dezember 05

Dan Goggins Musical “Nun(n)sense” feierte vor zwanzig Jahren seine Premiere in New York und wurde seitdem in über 20 Sprachen übersetzt. Die Produktion dieses Stückes vom Hanauer Musical Theater Ensembles um Benjamin Baumann ist mit über 440 Aufführung die meistgespielte Inszenierung im deutschsprachigen Raum.

Nachdem Benjamin Baumann auch die zweite Fortsetzung (= Teil3, „Sister Amnesia’s Country Western Nunsense Jamboree“) inszenierte, brachte er nun gemeinsam mit der Stadt Hanau die dritte Fortsetzung des Stückes, also Teil 4 auf die Bühne. „Nun(n)sense“ startete seinerzeit noch im Wilhelmsbadener Komödienhaus, für „Alle Nonnen wieder“ wurde der Große Hindemithsaal im neuen Congress Park Hanau gewählt. Multitalent Baumann zeichnet bei dieser Produktion, die gleichzeitig die deutschsprachige Erstaufführung ist, nicht nur für die Regie verantwortlich, sondern auch für das Bühnenbild (incl. Licht) und die Übersetzung.

Handlungsmäßig hat sich Dan Goggin in diesem vierten Teil nicht viel Neues einfallen lassen, daran kann auch die gute Führung der Charaktere nichts ändern. Vieles erinnert stark an den Ersterfolg. Auch gibt es wieder etliche frivole Witze, wahrscheinlich sogar mehr als bisher, doch der originelle Charme der den fünf Ursprungsschwestern eigen war, kommt bei „Alle Jahre wieder“ nicht im gleichen Maße auf. Vielleicht liegt das aber auch nur an dem starken Eindruck von früher. Ein Besucher der die Nonnen bei dieser Produktion das erste Mal sieht, wird vielleicht ebenso stak beeindruckt sein. Denn an Charme, Ausstrahlung und kleinen menschlichen Fehlern(die sie umso liebenswerter machen), haben sie nichts eingebüßt.
Und durch die Verbindung zum „Nussknacker“(der auch von der Mutter Oberin gemeinsam mit Pater Vergil getanzt wird, Choreografie: Anita Vidovic) ist das Stück eine schöne Einstimmung auf das Fest der Feste, für Kleine und Große.

Längst haben die Nonnen den Verlust ihrer durch Schwester Julias Bouillabaisse umgekommenen Mitschwestern überwunden. Auf allgemeinen Wunsch hin soll nun im Hauseigenen TV-Studio von Hobogen eine Weihnachts-TV-Show stattfinden. Gelegenheit für die Schwesten, sich mal wieder ins Rampenlicht zu setzten. Zudem ist wieder Pater Virgil (Christian Schöne) mit dabei, zusätzlich noch vier Klosterschüler (Amanda Lischke, Philipp Mellies, Lina Plaue und Marco Plaue).
 
Das weihnachtliche Bühnenbild könnte einer Großproduktion entstammen, so perfekt sind die wenigen Teile (Kamin mit Bild, Christbaum, ein Sessel, Bank und Fenster) arrangiert und ausgeleuchtet (Gaby Mayer & Benjamin Baumann). Ein großartiger optischer Gesamteindruck, genauso wie die aufwendigen und bunten Kostüme (Walter Baumann).

Bestens auch wieder die Besetzung. Petra Mathein ist am längsten bei den Nonnen mit dabei, doch von Routine oder Ermüdung ist bei ihr nichts zu spüren. Ihre Augen funkeln nach wie vor für die Liebe zum Herrn. Gleiches gilt für Isabella Hof (Schwester Maria Hubert) und Christiane Schneidt (Amnesia). Isabella Hof hat, ähnlich wie beim ersten Teil, eine große Soul-Nummer am Ende der Show („Drum gib etwas her“), wo sie ihren tiefen Sound voll ausspielen kann und das Publikum begeistert mitsingt und mitklatscht.
Pater (Christian Schöne), hat bei diesen Damen einiges zu schlucken und so greift er beherzt zur Rumflasche, die eigentlich fürs backen bestimmt war, seine Backvorführung gelingt zur genialen Comedynummer. Simone Kerchner (u.a. Evita, Bonifatius) zeichnet die etwas derb angelegten Schwester Robert Anne mit viel Wärme.

Die kleine Liveband spielt unter der Leitung von Thomas Lorey, hinter dem großen Gazevorhang ist sie nur beim Schlussapplaus ein wenig zu sehen.

“Wir wünschen Frieden uns für diese Welt, und Freude unter dem Himmelszelt. Jeden Tag voll Glück, hell und klar, und Segen für das neue Jahr“, so der Refrain des Weihnachts-Karaoke-Songs, der vom Publikum mitgesungen wird.  Dermaßen gestärkt, mag nun das Weihnachtsfest beginnen.

Markus Gründig, Dezember 05


RENT

English Theatre Frankfurt
Premiere: 24. November 05

Viva la vie boheme

East Village New York City in den frühen 90er Jahren: in den heruntergekommenen Wohnblocks leben Menschen die am Rande der Gesellschaft stehen: mittellose Künstler, Arbeitslose, Drogenabhängige und HIV+.  Sie bilden mit ihrer unkonventionellen Lebensart die Bohemiens der Neuzeit.
Das Viertel ist im Umbruch, Immobilienspekulanten wollen hier Büros und Gewerbeflächen errichten. Unterstützt von der Polizei soll die Subkultur von hier vertrieben werden.
In diesem Umfeld beginnt der heterosexuelle und HIV- Jonathan Larson mit den Arbeiten an einem Musical das anders als die großen Broadwayproduktionen, die Spektakel über Aussage und Technik über Persönliches stellen, Schicksale und soziale Werte beinhaltet. Mit seinem RENT schuf Larson ein modernes „La Boeheme“. Den großen Erfolg seines Werkes hat er nicht erleben können, er starb wenige Tage vor seinem 36. Geburtstag unerwartet an einem Herzfehler.
RENT hatte im Jahr 1999 in Düsseldorf seine deutschsprachige Erstaufführung (Übersetzung Heinz Rudolf Kunze). Erst jetzt sind die Aufführungsrechte für unabhängige Inszenierungen frei gegeben worden. Das English Theater Frankfurt sicherte sich als erstes Theater die Aufführungsrechte für eine bis 12. Februar 06 begrenzte Spielzeit (in 06 soll es zudem eine Europatournee der Broadwayproduktion geben, die Filmversion startete dieser Tage in den USA).

Um New Yorker Atmosphäre und urbanes Lebensgefühl auf die Bühne des in einem Tiefgeschoss eines eleganten Bankenhochhauses gelegenen English Theatre´s zu bringen, hat der Brite Bob Bailey Stahlgerüste aufgestellt und den gesamten Bühnenraum von Graffiti Künstlern mit an die hundert Spraydosen bemalen lassen. Sparsam mit Licht lässt er gerade im ersten Teil die Szenerie im Dunkeln, verstärkt dadurch die gedrückte Stimmung der Wohngemeinschaft, wo es ja auch immer wieder zu einem Stromausfall kommt. Bunt wird es in Szenen wie der im Life-Cafe, wo unendlich viele kleine bunte Lichterketten in der Gerüstskonstruktion zusätzlich für eine festliche Stimmung sorgen.
Für Farbe sorgen vor allem die Darsteller.Zwölf junge Nachwuchstalente wurden in London gecastet. Acht von Ihnen spielen die Hauptrollen, die anderen vier sämtliche Nebenrollen.
Ngo Omene Ngofa als drogenabhängige und HIV+ Mimi gibt diese einfühlsam mit viel Sexappeal, ihr „out tonight“ eröffnet sie in reizender Unterwäsche, kein Wunder dass sich der sensible Roger (Tim Oxbrow) sofort in sie verliebt. Die „light my candle“ Nummer geben die beiden als rührendes Liebesduett.
Cathryn Davis zeigt als Maureen in deren Performance für Obdachlose („Over the moon“) ihre starke Stimme. Gbemisola Ikumelo als ihre Freundin Joanne hat leider keine derartig große Solonummer, doch reicht ihr die Telefonszene um ihre warme große Stimme vorzuführen. Stark auch das Duett der beiden („take me or leave me“).
Jon Robyns gibt den engagierter Filmer und Erzähler Mark, Peter Saul überzeugt als Hausbesitzer Benny (und spielt noch ein paar Nebenrollen) und gefühlsstark zeigt sich Edward Baruwa als Tom Collins.
Herausragend Mark Iles als Angel. Wenn er sich in der Selbsthilfegruppe vorstellt reicht es aus, seinen Namen zu sagen und schon ist eine besondere Aura um ihn. Angels Kostüme von Bob Bailey sorgen für visuelle Highlights und stehen ihm perfekt und ebenso bewegt er sich auf den Highheels.
Als Mütter, Väter, Polizisten, Kellner, Pfarrer, Verkäuferin, Agentin etc noch mit dabei: Matthew Eames, Corrie Mac, James Reid und Helen Siveter.

Die kleine Liveband spielt unter der Leitung von Grantley Buck, der nebenbei auch noch als Mimi´s Dealer auftritt.

Regisseur Matthew White führt seine zwölf Helden des New Yorker Alltags geschickt, zeigt deren Leben innerhalb eines Jahres als emotionales wie reales Drama. Wo Mimi auf der Empore Roger sehnsuchtsvoll nachhängt („without you“) zeigt White die Paare Joanne/Maureen und Angel/Collins währenddessen innig vereint auf der unteren Ebene. Im letzten Auftritt von Angel sitzt dieser in der Bühnenmitte, um ihn herum mit teilweise freien Oberkörpern Unbekannte, die in wilder Leidenschaft füreinander die freie Liebe zelebrieren. („contact“).
Über allen Verlusten (auch Mimi ist unheilbar krank, ihre Sucht wird sehr versteckt gezeigt) stehen die Songtexte von Jonathan Larson, die Liebe, Mut und Hoffnung ausdrücken. „Seasons of Love“ fragt, wie ein Jahr gemessen wird, in Sonne?, in Regen?, in Lachen?, in Streit? 525600 Minuten, schnell vergeht ein Jahr, Freundschaft bleibt und diese wird gefeiert.

Markus Gründig, November 05


GAUDI – Das Musical

Gastspiel im Rhein-Main-Theater Niedernhausen vom 18. November 05


Im Frühjahr wurde das Eric Woolfson Musical GAUDI von John & Kaybee Cashmore neu inszeniert, die Geschichte dabei etwas verändert, vor allem mit der Rolle der umtriebigen TV-Journalistin Gracia Lopez. Jetzt gastierte das Musical GAUDI erstmals im Niedernhausener Rhein-Main-Theater („Sunset Boulevard“).

Die Figur des katalanischen Architekten Antoni Gaudí wird bei diesem Musical mit der Geschichte des Schriftstellers Don Parker verwoben, der allein seinen Idealen verpflichtet ist, sich in die PR-Managerin eines Filmregisseurs verliebt und bei einem Bahnunglück verstirbt. Selbst für Musicalverhältnisse ist die Handlungsgeschichte äußerst dünn. Dem Unterhaltungswert tut dies aber keinen Abbruch. GAUDI ist eine Show mit Gesang und vor allem vielen Tanzszenen.
Für diese Produktion werden fünf Videoleinwände verwendet, die den Bühnenraum abgrenzen und durch das gleichzeitige einspielen identischer Bilder/Filme eine kostspielige Realkulisse ersetzen. So werden Stimmungen und Orte hervorgerufen und ein schneller Szenenwechsel ist möglich. Denn Flott geht es durch die Geschichte, die Kaybee Cashmore als TV-Journalistin Gracia Lopez von Anfang bis Ende mit Kameramann begeleitet. Sie spielt mit Witz auf die Machenschaften im TV-Journalismus an, wo jedes Mittel Recht ist, um eine heiße Story zu bekommen (und hilft notfalls selber noch nach). Dabei sieht sie das ganze durchaus mit einem zwinkernden Auge und bezieht das Publikum mit ein. Schade nur, dass für diese neue Rolle kein Song geschrieben wurde.
John Cashmore spielte den Don Parker bereits über 550-mal (von der Aachener Uraufführung 1993 über die Produktion im Kölner Musical Dome ab November 1996 bis heute).
Lange dabei auch Renee Knapp (Isabella Masini) und Calvin Hard(Marc Winner, der während der Kölner Aufführungsserie Martin Moss ersetzte.
Kurzen Dialogszenen folgen die in Englisch gesungenen Songs des Musicals (mit musikalischer Unterstützung vom Band). John Cashmore eigentlich sehr warmer baritonaler Klang wurde von der Technik leider ziemlich übersteuert, so viel Lautstärke hätte es nicht bedurft. Calvin Hard gibt den Machtbesessenen „Puppet Master“ das notwendige böse Profil und Renee Knapps Isabella ist hin- und hergerissen zwischen Don und Marc. Ihre tolle Figur kann sie bei „Forbidden Fruit“ bestens zeigen und ist auch gesanglich ein Trumpf.
Musicalprofi Kim Duddy zeichnet für die ausgefallene und vielschichtige Choreografie und die Regie verantwortlich. Das Tanzensemble hat enorm viele Szenen zu bestreiten, was wunderbar gelang, zumal die Tänzer auch noch als Statisten mitwirken. Zusammen mit ausgefallenen Kostümen und einer hervorragenden Beleuchtung wurde von dieser kleinen Truppe etwas ganz Großes geboten. Eine Show die durch die Melodien von Eric Woolfson  (Alan Parsons Project) berührt und visuell ein Leckebissen ist. Am Ende hieß es wieder einmal „until the next time“, nun – hoffentlich bald!

Markus Gründig, November 05


The Life

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen
Premiere vom 12. November 05

Drei Prostituierte: Queen, Mary und Sonja. Queen träumt vom Glück an der Seite von Fleetwood, Mary hat das Leben auf dem Land satt und will nun in New York ihr Glück probieren. Sonja ist da realistischer: in ihrer schäbigen kleinen Welt fühlt sie sich Zuhause. Dazu drei Männer: Jojo, Fleetwood und Memphis.
Jojo ist nur auf seien Vorteil bedacht, Fleetwood hin- und hergerissen zwischen Sonja und Mary, und über allen der mächtige Drogenboss Memphis. Allesamt Figuren aus dem Milieu, die das Musical „The Life“ in den Mittelpunkt seiner Handlung stellt. Das Stück hatte im Januar 2000 seine europäische Erstaufführung am Staatstheater Kassel, seitdem wurde es in Deutschland nicht wieder aufgeführt. Leider setzten viele Häuser auf die ewigen Dauerläufer Evita, Jesus Christ Superstar, Kiss me Kate oder gleich auf Anatevka. Das Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen hat sich in der Vergangenheit immer wieder um das Genre Musical äußerst erfolgreich bemüht und sich nun mit „The Life“ einen neuen Hit ins Haus geholt.

Natürlich ist da das Buch von dem Trio David Newman, Ira Gasman und Cy Coleman („Bonie and Clyde), das die Geschichte mit einem Mix aus Komik und Tragik flott erzählt, sowie die eingängige Musik von Altmeister Cy Coleman („Sweet Charity“). Doch daraus eine gelungene Inszenierung zu machen ist nicht selbstverständlich, am MiR von Dick Top aber bestens gelungen!
Das Leben am Straßenstrich wird dabei weder idealisiert noch verdammt. Es sind, wie überall, die Menschen, die das Leben und die Stimmung ausmachen. Eine großartige Besetzung aus Ensemblemitglieden und Gästen lassen „The Life“ am MiR zu einem lohnenswerten Musicalbesuch in Gelsenkirchen werden. Manche waren schon bei der Kasseler Erstaufführung dabei, so Gaines Hall (Jojo), Lemuel Pitts (Fleetwood) und Melissa King (Choreografie).

Gaines Hall kann hier mal wieder seine große Entertainerqualität ausspielen: als Sänger, Schauspieler und Tänzer (wo er sich nahtlos in das Tanzensemble einfügt). Sein Jojo ist zwar ein schäbiger Egoist, doch Hall ist mit so viel Lachen und Strahlen dabei, dass man sich nicht wundert, dass alle auf ihn reinfallen.
Lemuel Pitts als ehemaliger Vietnamkämpfer Fleetwood trägt die Haare jetzt im kurzen Armeeschnitt und gibt den hilflosen Fleetwood dennoch nicht als Looser.
Majestätisch kraftvoll, im Stile eines Grafen von Krolock : Dennis LeGree als Drogenboss Memphis. Es ist nicht nur der große rote Mantel der ihm Würde und Größe gibt (Kostüme: Andreas Meyer und Wolfgang Scharfenberger), LeGree wirkt durch seine kleinen Gesten. Zu Recht begeisterter Zwischenapplaus bei „My Way or the Highway“.
Leah Gordon als neu New Yorkerin Mary zeigt schnell, das sie locker den Anforderungen gewachsen ist. Anfänglich herrlich naiv, hat sie bald die Nase vorn. Die alte Puffmutter Sonja ist mit der Sopranistin Richetta Manager auch bestens besetzt. Ihre immense Erfahrung (über 15.000 Männer) glaubt man ihr aufs Wort, dennoch verströmt sie Herzensgüte und zeigt als einzige was wahre Freundschaft ist.
Ein schönes Wiedersehen gibt es mit Florence Kasumba (wobei man sich an ihren Kahlkopf erst einmal gewöhnen muss). Sie ist hier als strenge Domina mit Peitsche zu sehen.

Queen in dieser Inszenierung, nicht nur vom Rollennamen her, ist Ensemblemitglied Anke Sieloff, die eine großartige Queen gibt: lasziv, kämpferisch, verletzt und sehnsuchtsvoll (z.B. bei “We had a dream“).

Neben den Einzelszenen sorgen die Ensemble- und Tanzszenen für eine gelungen Abwechslung. Melissa King choreografiert famos.
Einen Mix aus abstrakter Gegenständlichkeit und Naturalismus bietet das Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau. Einerseits ein großer im Hintergrund befindlicher dreieckiger Körper, der sich im zweiten Akt geschickt zum Wolkenkratzerapartment wandelt. Andererseits für die Szenen in Queen und Fleetwoods Heim, für die Bar und Polizeistation: kleine Zimmer die eingeschoben werden und aneinandergereiht das New York der achtziger Jahre aufleben lassen.
Kai Tietje dirigierte bei der Premiere schwungvoll und dynamisch. Die Texte werden in Deutsch gesprochen und (anders als in Kassel) in Englisch gesungen (mit deutschen Übertiteln; bei Musicals noch nicht so üblich, ein weiteres Lob für das MiR).

Sex, Drugs and Musical führt das MiR als Untertitel an. Heiße Gesangsnummern, schwungvolle Tanzszenen und berührende Momente, könnte man auch sagen. Musicalherz, was willst Du mehr.

Markus Gründig, November 05


Heimatlos

Pfalztheater, Kaiserslautern
Premiere: 22. Oktober 05
Besuchte Vorstellung: 26. Oktober 05


„Abenteuer eines Straßenkinds“ wäre der passendere Titel für das Musical „Heimatlos“, das jetzt seine deutschsprachige Erstaufführung im Pfalztheater Kaiserslautern hatte. Das norwegische Stück beruht auf dem Jugendbuchklassiker des Franzosen Hector Malot. Dies heißt „Sans famille“, also „ohne Familie“, was der Geschichte näher kommt.
Erzählt wie ein Junger aus einer reichen englischen Familie seinen Eltern als Kleinkind geraubt wird, in Frankreich in einfachsten Verhältnissen aufwächst, an einen wandernden Gaukler verkauft wird und nach einigen Abenteuern zu seiner wahren Familie zurückfindet.

Was hier mit wenigen Worten beschrieben ist, ist auf der Bühne eine komplexere und langwierigere Angelegenheit, das wird schon beim Durchlesen der langen Inhaltsangabe im Programmheft deutlich (ohne Pause dauert das Stück knapp drei Stunden). Anfangs noch etwas holprig, gewinnt es zunehmend an Fahrt, insbesonders im zweiten Teil.
Udo Schürmer inszeniert die Geschichte nicht als kleines Kammermusical sondern fährt groß auf.
Mag es an der Schirmherrschaft des Botschafters des Königreichs Norwegen in Deutschland (S.E.Bjørn Tore Godal) gelegen haben, oder an dem deutschen Erstaufführungsstatus, das Pfalztheater hat hier jedenfalls keine Mühen und Kosten gescheut, Großes zu zeigen.
Mit einer Podestinstallation im Zentrum der Drehbühne wechseln die vielen verschiedenen Stationen (Anwesen der Milligans, Dorf, Markt, Ufer, Kohlegrube, Jahrmarkt etc.). Elke Schlottermüller´s Bühnenbilder beeindrucken mit einfachen Mitteln, besonders die Kohlengrubeszene: kontrastreiches rot leuchtet durch die schwarze Szenerie.
Den stärksten Eindruck erweckt die Aufführung aber bei den Masseszenen mit Chor, Extra-Chor, Ballett und Statisterie des Pfalztheaters, wo bis zu sechzig Darsteller auf der Bühne stehen (die stets gut geführt agieren). Sie wurden von Anke Drewes mit Kostümen des 19. Jahrhunderts aufwendig ausgestattet. Auch hier wieder enormer Einsatz, denn es gibt zahlreiche Kostümwechsel, die eines großen Fundus bedürfen.

Einziger Wermutstropfen dieser Produktion ist, dass die Hauptrolle des Remi, ein Junge von 11 Jahren, alternierend mit zwei Mädchen besetzt wurde, die auf Junge gemacht werden. Spielte in der gesehenen Aufführung auch Antje Eckermann sehr glaubwürdig und sang vor allem hervorragend, nimmt diese Hosenrollenentscheidung der Story etwas an Glaubwürdigkeit.

Mit Tom Zahner als Vater Vitalis hat das Pfalztheater einen Musicalprofi mit ins Boot genommen, der ausdrucksstark den fahrenden Gaukler mit Herz gibt.
Ähnlich wie in Les Misérables gibt es auch bei „Heimatlos“ ein gleichsam böses wie witziges Ehepaar, hier heißt es Harry Driscoll und Frau Maggie (spaßig und überdreht Mario Podrečnik und Anna Carolin Stein). Ungewöhnlich dafür die Tierfreunde Brio der Hund (Adonis Daukajew), Zemira die Hündin (Olivera Kramaric) und Janko der Affe (Dennis Grenz).
Rollenbedingt ohne große Ausdrucksmöglichkeiten ist Astrid Vosberg als Lady Miligan auf ihre Mutterrolle beschränkt. Alexis Wagner hat es da als fieser schmieriger Schwager James Milligan besser, Profil zu zeigen.

Auf musikalischer Seite ist „Heimatlos“ ein angenehm hörbarer Mix aus klassischen Motiven, u.a. gemixt mit starken Bläsereinsätzen alá West Side Story und Ragtimeklängen.

“Heimatlos“ ist ein vielschichtiges, buntes und unterhaltsames Familienmusical, vom Pfalztheater großartig in Szene gesetzt.

Markus Gründig, Oktober 05


Bonifatius – Das Musical

Fulda

Eine gelungene Wiederaufnahme

Als am 3. Juni 2004 „Bonifatius – das Musical“ seine Weltpremiere feierte, konnte noch keiner ahnen, welche Auswirkungen das Musical nach sich ziehen würde. Was 2004 als ein Experiment begann, endete in einem grandiosen Erfolg. Exakt nach einem Jahr feierte „Bonifatius – das Musical“ seine zweite Premiere im Schlosstheater Fulda. Zu Beginn der Vorstellung ließ es sich OB Gerhard Möller nicht nehmen den Produzenten Michael Weiß zu loben. Er sprach von einer Bereicherung des Fuldaer Kulturlebens und Imagegewinn für die Stadt. Er begrüßte den Entschluss, auch in diesem Jahr das Musical erneut aufzuführen.

Die Geschichte um Bonifatius wird vom Mönch Willibald (Artur Ortens) erzählt. Mit stoischem Gleichmut erzählt er die aufregende Geschichte um Liebe, Verrat und Glaube. Er führt souverän durch die Handlung und hält die Fäden fest in der Hand, führt den „roten Faden“ sicher durch das Geschehen.
Ortens war 2004 schon als Mönch Willibald dabei und ließ sich für diese Rolle extra eine Tonsur schneiden, die er auch in diesem Jahr wieder trägt.

Der Schüler des Bonifatius und getreue Gefolgsmann Sturmius, wird in diesem Jahr von Dave Mandell gespielt. Während seine Rolle im ersten Akt weniger auffällig ist, kommt sein „großer Auftritt“ in dem SMS (sentimentales mittelalterliches Sonett). Das Liebesduett „Wenn das wirklich Liebe ist“ mit Alrun (Katrin Wiedmann) ist ein tiefgehender Song mit sehr viel Gefühl. Wer Mandell kennt wird bei diesem Lied etwas an seine Rolle des Bobby C (Saturday Night Fever, Köln) und den Song „Tragedy“ erinnert. Nach dem Duett gab es nicht enden wollenden frenetischen Applaus, der erst durch das Auftreten von Mönch Willibald gestoppt werden konnte. Mandell versteht es auch in „Abendrot“ die Trauer, den Schmerz und die Verzweiflung des Sturmius zum Ausdruck zu bringen und bewegte so manche Seele im Publikum.

Wer zur Premiere Leah Delos Santos erwartet hatte, war zunächst enttäuscht sie nicht zu sehen. Doch konnte Katrin Wiedmann als alternierende Alrun überzeugen und schaffte spätestens in dem SMS den Durchbruch.

Die Rolle des Bonifatius wird in diesem Jahr von Ethan Freeman verkörpert. Mit seinem hervorragenden Bariton begeisterte er das Premierenpublikum. Als „alter Hase“ im Musicalgeschäft weiß er genau, wie er seine schauspielerischen und gesanglichen Fähigkeiten einsetzen muss. Begeisterte er in „Gib mir Kraft“, kam sein größter Auftritt in „Ein Leben lang“. Dieser Song wurde als einziges Lied von Dennis Martin (Musik & Liedtexte) neu eingefügt und spiegelt die innere Zerrissenheit des Bonifatius wieder. Freeman versteht diesen Song grandios umzusetzen und zu inszenieren. Fast hat man den Eindruck das Lied sei extra für ihn geschrieben worden. Alleine diese Szene lohnt eine Fahrt nach Fulda zu „Bonifatius – das Musical“! Nach dem Song lang anhaltender Applaus – ein tobendes Premierenpublikum.

Der Gegenspieler des Bonifatius und Meuchelmordanstifter ist der Mainzer Bischof Gewilip (Koffi Missah). Missah weiß sehr gut die Rolle des Fieslings Gewilip darzustellen und gefällt mit seiner Interpretation. Mit einigen Gesten und Ausdrucksweisen erinnert er jedoch stark an den verstorbenen Martin Moss. Beim Premierenpublikum ist er gut angekommen und hat gefallen. Für den Kenner wirkt sein Spiel etwas abgekupfert.

Die Rolle der Lioba (Manuela Floryan) ist rollenmäßig recht unauffällig.

Eindrucksvoller ist hier schon der Auftritt der Mutter (Simone Kerchner). Sie kann ihren Schmerz und Wut über den von den Schergen Gewilips ermordeten Ehemann sehr gut rüberbringen. Wer Kerchner kennt, weiß dass da noch etwas Spielraum ist. Ihre Vorgängerin (2004) hatte etwas mehr „biss“. Kerchner wird es zu verstehen wissen, den Spielraum in den kommenden Vorstellungen auszuschöpfen. Auch wenn es nur wenige zur Kenntnis nehmen werden, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Simone Kerchner in der Szene „Salz der Erde“ es sehr gut versteht sich aus dem Ensemble heraus zu lösen. Bravourös kann sie gegen die kraftvolle Stimme Freemans und gegen das Ensemble in „Selbsterkenntnis“ ankommen.

Hervorragend auch der Heidenchor und die choreographischen Einlagen (Julia Poulet). Die in diesem Musical sicherlich nicht leicht zu gestaltenden choreographischen Szenen, hier sei beispielhaft „Die Heerscharen des Odin“ benannt, wirkten in diesem Jahr kraft- und schwungvoller. Verstärkt wird das ganze noch mit dem rockigen, fetzigen Song „Die Donar Eiche“ bei dem man am liebsten mitrocken würde und die Füße kräftig mitwippen. Mit diesem Song haben Julia Poulet und vor allem Dennis Martin ein kleines High Light geschaffen.

Es gäbe noch viel positives hervorzuheben, wie das Duett in „Der Komplott“, die lustigen, auflockernden Einlagen des Karlmann (Oliver Grice), die Furchterregende, kraftvolle Erscheinung des Radbod (Karsten Kammeier) und vieles mehr.
Die Glaubensbotschaft wurde tief im inneren des Musicals eingebettet und wirkt nicht aufdringlich. Am Ende der Show bleibt es jedem selbst überlassen, an was der Besucher glauben möchte: „Mensch, besinn dich auf die Fähigkeit zu glauben…“

Mit „Bonifatius – das Musical“ wurde ein sehr schönes Musical geschaffen. Die Darsteller, egal ob Profi oder Laie, überzeugen auf voller Linie. Dennis Martin hat wundervolle Songs geschrieben die noch lange im Ohr hängen bleiben.
Noch nie sah man ein Premierenpublikum das sich so schnell von seinen Plätzen erhob wie an diesem Abend. Schon nach dem ersten (!) Schlussvorhang stand der ganze Saal. Aufrichtige, ehrliche, frenetische Standing Ovationen die von den Künstlern freudig und dankend entgegen genommen wurden.

„Bonifatius – das Musical“ kann sich locker mit den großen Produktionen in Deutschland messen. Das Musical war in 2004 ein Juwel in der deutschen Musical-Landschaft und ist es auch wieder 2005. Schade nur, dass die Spielzeit am 31. Juli bereits wieder zu Ende ist.

Siegfried Fröhlich, Juni 05


Fame – Das Musical

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Das MIR (=Musiktheater im Revier) hat in der Spielzeit 2004/2005 ab Mai das Musical „Fame“ im Spielplan. Vorweg: Wer sich dieses lohnende Musical  um die „Highschool of Performing Arts (PA)“ noch ansehen möchte, hat dazu bis einschließlich 06. Juli 2005, 19.30 Uhr Gelegenheit.

Die Geschichte um die darstellenden Künste Tanz, Musik und Schauspiel steht im Vordergrund der Handlung, es wird jedoch immer wieder auch auf die erfolgreiche Absolvierung der akademischen Fächer, nicht zuletzt durch die gute Darstellung der Englischlehrerin Miss Sherman (Ines Timmer) hingewiesen. So steht das tänzerische Talent von Tyrone Jackson (Andreas Wolfram) konträr zur Allgemeinbildung, was letztlich zu seinem Scheitern führt.
Highlights des Musicals sind eindeutig die Tanzszenen des Ensembles. Bis zu 20 Tänzer gleichzeitig präsentieren nahezu synchron ihre Drehungen, Pirouetten und Sprünge.

Die bekanntesten Song sind neben dem Titellied „Fame“ (Welthit von Irene Cara) auch noch die Songs „Yesterday Once More“ (bekannt geworden durch die Carpenters), „Cold As Ice“ (Foreigner).

In einigen Passagen lässt in Gelsenkirchen die Akustik ein wenig zu wünschen übrig. Es bedarf doch einiger Konzentration, um den witzig bis hintergründigen Dialogen (in Deutsch) folgen zu können.

Als Solisten/innen fallen neben der bereits erwähnten Schulleiterin, die für ihre zwischen Pflicht und Gefühl schwebende Arie „Children“ frenetischen Applaus des Publikums erhält, auch andere Charaktere aus den Fächern Tanz, Musik und Schauspiel mit ihren Arien und Duetten besonders auf.

Durch das geschickt angeordnete Bühnenbild – offene Doppeltreppe mit abzweigenden Podien – werden, je nach Genre, die entscheidenden Songs in den gleichen Bildregionen vorgetragen.

Das weniger glückliche Schicksal der Carmen Diaz (Jennifer Sarah Boone), die den Verlockungen von L.A. zum Opfer fällt, das aufbockende Verhalten von Tyrone Jackson und die unverstandene, aber zuletzt doch glückliche endende Beziehung zwischen „Romeo“ Nick (Christian Stadlhofer) und „Julia“ Serena (Doris Warasin) sind einige Höhepunkte.

Als Tanzsolistin fällt Iris (Tanja Maria Meier), Partnerin von Tyrone und Nebenbuhlerin von Carmen positiv auf.

Für Witz sorgt die stets nach Eis und Pudding lechzende Mabel (Marie Christin Ruback), deren Schwäche im Kontrast zu ihrer angehenden Tanzkarriere steht.
Konsequenz: sie sattelt um auf eine „wohlproportionierte und ambitionierte Charakterdarstellerin“.

Das für 2 Euro erhältliche Programmheft mit zahlreichen Hochglanzfotos bietet eine schöne Erinnerung an diesen Musicalbesuch.

Werner Auerswald, Tommy Musical Club-Mitglied, Duisburg 05