

Das Sujet der Meerjungfrau findet sich in allen Kunstgattungen. Auch Aribert Reimann, dessen Spätwerk L´ invisible vor Kurzem im Opernhaus in einer spektakulären Inszenierung zu erleben war, nimmt mit seiner zweiten Oper Bezug auf sie. Dabei orientierte er sich an der Figur der mythischen Sagengestalt der Melusine. 1971, noch vor seiner Oper Lear feierte Melusine Premiere bei den Schwetzinger Festspielen. Die Bedrohung der Natur durch die Menschheit hat er darin schon früh hervorgehoben. Der Inhalt in einem Satz: „Die Flucht vor einer Verantwortung für Natur und Menschen ist zum Scheitern verurteilt“ (Schott Music).
Aufwendig und spektakulär in Szene gesetzt
Die jetzt erfolgte Frankfurter Erstaufführung von Melusine nutzt Regisseurin Aileen Schneider, um die Zuschauer:innen die Grundfrage dieser Oper vorzuführen: Ist man bereit für das Wohl der Welt sein eigenes Glück zu opfern?
Dafür wurde das Werk aufwendig und spektakulär in Szene gesetzt. In der Spielstätte Bockenheimer Depot gibt es hierfür keine traditionelle Guckkastenbühne. Vielmehr sitzt das Publikum und das Orchester kreisförmig um eine runde Spielfläche. Somit ist eine große Nähe gegeben.

Oper Frankfurt
Melusine (Anna Nekhames; Bildmitte) und Ensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Die Bühne selbst hat einen artifiziellen und futuristischen Charakter. Ein wie sich aufgebender gebogener grüner Baum repräsentiert in den ersten beiden Akten den Park, der dem Bau eines Schlosses geopfert werden muss. In den beiden letzten Akten deuten Holzpodeste und ein kleiner Zaun das Schloss an.
Über der Szenerie schwebt ein Gebilde, das Assoziationen an eine Raumstation weckt und somit in die Zukunft weist. Es kann aber auch als eine Art Brennglas verstanden werden, mit einer goldenen Linse im Zentrum. Effektvoll senkt es sich mit viel Nebel zum Schluss herab, die Feuerflut in dem von Pythia abgefackelten Schloss andeutend (Bühnenbild: Christoph Fischer).

Oper Frankfurt
Pythia (Zanda Švēde)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Prägnant und ausgefallen sind die Kostüme von Lorena Díaz Stephens mit ihren mystischen wie futuristischen Bezügen. Dies zeigt sich u. a. bei Pythias Mantel und dem Arbeitsanzug von Oger. Als Ausdruck ihrer Naturverbundenheit hat Pythia ellenlange Fingernägel und anfangs zwei mit Dornen besetzte hornartige Auswüchse an den Schultern. Nicht nur unter Masken, aufgrund einer ausgefeilten Schminktechnik sind viele Sänger:innen kaum zu erkennen, so anders sehen sie hier aus.
Anspruchsvolle Titelpartie
Neben der optischen Vielfalt ragt die anspruchsvolle atonale Musik von Aribert Reimann hervor. Das relativ klein besetzte Frankfurter Opern- und Museumsorchester (33 Musiker:innen) spielt unter der versierten Leitung von Karsten Januschke. Fein gesponnene und schwebende Klänge wechseln mit schroffen Ausbrüchen.
Anspruchsvoll ist insbesondere die Titelpartie ob ihrer vielen und ausgedehnten Koloraturen. Anna Nekhames schafft hier Großes. Mit schier unendlicher Kraft meistert sie die gellenden Spitzentöne und zeigt sich dabei, auch mit ihrem elastischem Körper, als wäre alles ein Kinderspiel.

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v.l.n.r. Graf von Lusignan (Liviu Holender) und Oleander (Jaeil Kim) sowie Ensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Mit starker Präsenz und stimmlicher Stärke auch alle weiteren Beteiligten. Sei es in größeren oder kleineren Partien. Zanda Švēde ist eine geheimnisvolle Pythia, Cecelia Hall eine erhabene Mutter und Madame Laperouse, Jaeil Kim ein sehr agiler Oleander, Liviu Holender ein Graf von Lusignan mit gehobener Eleganz und Dietrich Volle ein verkopfter Geometer (er trägt einen Bildschirm auf dem Kopf). Daneben sind zahlreiche weitere Sänger:innen beteiligt, wie auch Frederic Jost als Maurer, Andrew Kim als Architekt und Morgan-Andrew King als Oger.
Am Ende der 140-minütigen Aufführung (inkl. einer Pause) enthusiastischer Beifall und vor allem für das Frankfurter Opern und Museumsorchester/Karsten Januschke und Anna Nekhames kräftiges Getrampel bei der besuchten zweiten Vorstellung.
Markus Gründig, Juni 25
Melusine
Oper in vier Akten
Von: Aribert Reimann (1936 – 2024)
Libretto: Claus H. Henneberg nach dem gleichnamigen Schauspiel von Yvan Goll
Uraufführung: 29. April 1971 (Schwetzingen, Schlosstheater; Auftragswerk des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart)
Premiere / Frankfurter Erstaufführung: Freitag, 6. Juni 25 (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 8. Juni 25
Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Inszenierung: Aileen Schneider
Bühnenbild: Christoph Fischer
Kostüme: Lorena Díaz Stephens
Licht: Olaf Winter / Jonathan Pickers
Dramaturgie: Maximilian Enderle
Besetzung:
Melusine: Anna Nekhames
Pythia: Zanda Švēde
Madame Laperouse: Cecelia Hall
Oleander: Jaeil Kim
Graf von Lusignan: Liviu Holender
Geometer: Dietrich Volle
Maurer: Frederic Jost
Architekt: Andrew Kim°
Oger: Morgan-Andrew King°
1. Dame: Ekin Su Paker
2. Dame: Daria Tymoshenko
3. Dame: Zuzana Petrasová
1. und 3. Herr: Hubert Schmid
2. Herr: Alexander Winn
Sekretär: Dominic Betz
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
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