

In relativ kurzer Zeit entstand während Bertolt Brechts Asyl in Finnland (1941) sein Drama Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Es ist eine bissige Parabel über Hitlers Aufstieg zur Macht (bis zum Jahre 1938). Parallelen zu heutigen politischen Tyrannen lassen sich dabei sehr leicht ziehen. Womit das Stück an Aktualität nichts eingebüßt hat.
Am Schauspiel Frankfurt war es zuletzt während der Intendanz von Oliver Reese in den Kammerspielen zu sehen (Besprechung). Der frühere Schauspieler Samuel Weiss inszenierte es.
Inszenierung macht Eindruck
Bei der jetzigen Neuproduktion im Schauspielhaus wurde es erneut von einem Regisseur in Szene gesetzt, der früher als Schauspieler wirkte: Christian Weise. Mit Frankfurt/M verbindet ihn viel. Zwischen 1997 und 2003 spielte er zunächst am Schauspiel Frankfurt, dann am ehemaligen Theater am Turm. 22 Jahre später kehrte er nun als Regisseur hierher zurück. Seine Inszenierung über den Emporkömmling Arturo Ui ist mit einer immensen Livevideoeinbindung außergewöhnlich und in dieser ausgeprägten Form erstmals am Schauspiel Frankfurt zu erleben. Sie macht mächtig Eindruck und stellt eine faszinierende Abwechslung dar.

Schauspiel Frankfurt
O’Casey (Heidi Ecks), Goodwill (Sebastian Reiß), Ernesto Roma (Sebastian Kuschmann), Bowl (André Meyer), Der alte Dogsborough (Michael Schütz), Guiseppe Givola (Andreas Vöger), Arturo Ui (Christoph Bornmüller), Flake (Christina Geiße), Mulberry (Mitja Over)
Foto: Thomas Aurin
Das Besondere der Inszenierung ist, dass die Schauspieler:innen die überwiegende Zeit der 140-minütigen Aufführung (inklusive einer Pause) nur per Livevideoprojektion zu sehen sind. Dies in ausgezeichneter Qualität und anders als sonst üblich. Denn auf Julia Oschatz´ Bühne wurde verdeckt ein richtiges Filmset aufgebaut.
Artifiziellen Umgang mit Szenographie und Kostüm
Auf klappbaren Wänden malte Oschatz eine vielseitige Chicagoer Gangsterszenerie. Diese vermittelt ein historisches Gefühl vergangener Zeit. Gleichzeitig weist sie zur Moderne (wie das Filmsetting aus Batmans Gotham City). Bezüge zur bildenden Kunst sind deutlich erkennbar.
Das Filmsetting ist dabei bis kurz vor Schluss gar nicht zu sehen. Eine große Wand, die als Projektionsfläche dient, verhindert den Blick darauf. Nur eine Tür verbindet den hinteren Spielbereich mit der Frontbühne. Damit die vielen schnellen Szenenwechsel schnell und reibungslos funktionieren, sind viele Bühnenmitarbeiter:innen und Kamerafrauen/-männer beteiligt.
Großes schauspielerisches Aufgebot
Außergewöhnlich groß ist auch das Aufgebot an Darsteller:innen, die teilweise mehrere Figuren spielen. Sie sind alle extrem überzeichnet und sorgen schon beim ersten Auftreten für Lacher im Publikum. Wie der Prokurist Bowl mit seinem überdimensionalen Obelixbauch (André Meyer; auch von Alkohol benebelter angeklagter Fish) oder der als breitschultriger Punk mit Granatenpanzerjacke und Irokesenschnitt sich voll prollig gebende Gangster Emanuele Gibi (herrlich zum Publikum „Buh“-rufend: Annie Nowak).

Schauspiel Frankfurt
Gangster (Sebastian Reiß), Gangster (Tobias Lutze), Ernesto Roma (Sebastian Kuschmann)
Foto: Thomas Aurin
Dagegen ist die Titelfigur eher schlicht und unauffällig gekleidet. Ganz normal allerdings auch nicht. Nur wenige Männer dürften an dessen zart rosaroten Fransenpullover und seinem Bob-Haarschnitt Gefallen finden. Dennoch wirkt er letztlich rein äußerlich halbwegs „normal“. Das Schräge der Figur spielt Christian Bornmüller aber von der ersten Sekunde an mit einer starken Mimik und Gestik kunstvoll aus. Er fasziniert und stößt gleichzeitig ab. Die Stärken und Schwächen des Arturo Ui zeigt er mit immens hoher Intensität.
Die vielen weiteren Figuren wurden gleichsam aufwendig, liebevoll und karikaturistisch gestaltet. Der Blumenhändler Guiseppe Givola mit einer langen blauen Haarsträhne und einer Fußflosse (Andreas Vögler). Ernesto Roma ist ein verwegen gestalteter Leutnant Uis mit Narben auf der linken Wange und einen Cowboyhut tragend (Sebastian Kuschmann).
Der alte Dogsborough hat sein Leben lang gebuckelt, nun hat er selber einen großen Buckel unter seinem weißen, mit schmalen schwarzen Streifen durchzogenen Mantel (Michael Schütz). Goodwill ist ein in Anzug und Krawatte an den preußischen Opa aus Klimbim erinnernder Herr von der Stadtverwaltung (Sebastian Reiß). Stylisch chic geben sich im Stil einer Piratenbraut mit langem blonden Haar und Augenklappe Dockdaisy (Viktoria Miknevich) und der Reporter Ted Ragg (Miguel Klein Medina). Seine Wandlungsfähigkeit zeigt Uwe Zerwer u. a. als Schauspieler im Shakespearegewand oder als vergeblich standhafter Ignatius Dullfeet.

Schauspiel Frankfurt
Betty Dullfeet (Heidi Ecks)
Foto: Thomas Aurin
Heidi Ecks ist eine O’Casey, die an die Mutter aus Klimbim erinnert, vor allem aber eine großartige Betty Dullfeet, deren schweigende Blicke mehr als tausend Worte sprechen.
Dass die Geschäftsmänner und Führer des Karfioltrusts, Flake und Mulberry, quasi Marionetten sind, wird hier schon deutlich, da sie nahezu Puppen sind (mit lang gezogenen roten Nasen und Hasenzähnen: Christina Geiße und Mitja Over).
Es wird auch etwas gesungen, wie von Reedereibesitzer Sheet (Tobias Lutze) mit „Nothing else Matters“ von Metallica. Musik spielt eine große Rolle in dieser Inszenierung. Im klein angelegten Orchestergraben sorgt der Musiker Jens Dohle in kurzer Hose und über die Knie reichenden Stiefeln, am Keyboard, Vibrafon und Mischpult für eine situationsbezogene Untermalung.
Zum Ende gibt es einen ausgiebigen, neu geschriebenen Epilog von Soeren Voima, der noch einmal die Bezüge zwischen Stück und Gegenwart offenlegt.
Lang anhaltender und begeisterter Applaus,sowie teilweise stehende Ovationen.
Markus Gründig, Oktober 25
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
Sprechtheater mit Musik ~ Gangsterspektakel in 17 Bildern
Von: Bertolt Brecht und Hans-Dieter Hosalla
Uraufführung: 10. November 1958 (Stuttgart, Staatstheater Stuttgart)
Premiere am Schauspiel Frankfurt: Samstag, 18. Oktober 25 (Schauspielhaus)
Mit einem Epilog von: Soeren Voima
Regie: Christian Weise
Bühne: Julia Oschatz
Kostüme: Josa Marx
Musik: Jens Dohle
Dramaturgie: Katja Herlemann
Besetzung:
Arturo Ui, Gangsterchef: Christoph Bornmüller
Emanuele Giri, Gangster: Annie Nowak
Guiseppe Givola, Blumenhändler – Gangster: Andreas Vögler
Ernesto Roma, Uis Leutnant – Gangster: Sebastian Kuschmann
Flake, Geschäftsmann, Führer des Karfioltrusts: Christina Geiße
Mulberry, Geschäftsmann, Führer des Karfioltrusts: Mitja Over
Der alte Dogsborough: Michael Schütz
Dockdaisy: Viktoria Miknevich
O’Casey / Betty Dullfeet: Heidi Ecks
Ted Ragg, Reporter: Miguel Klein Medina
Goodwill, ein Herr von der Stadtverwaltung / Leibwächter / Der Verteidiger: Sebastian Reiß
Gemüsehändler / Ein Schauspieler / Der Ankläger / Ignatius Dullfeet: Uwe Zerwer
Gemüsehändlerin, Regieassistent: Vincent Schlarbaum
Bowl, Prokurist bei Sheet / Der Angeklagte Fish: André Meyer
Sheet, Reedereibesitzer / Leibwächter / Der Richter: Tobias Lutze
Live-Musik / Der Ansager: Jens Dohle
Live-Video: Angelo Lo Bello, Amanda Schulenburg, Joëlle Pidoux