Kein Ausweg aus dem Trauma: »Die tote Stadt« in Mainz

Die tote Stadt ~ Staatstheater Mainz ~ Paul (Corby Welch), Marietta (Nadja Stefanoff) ~ © Andreas Etter

Im Alter von 23 Jahren komponierte der österreichisch-amerikanische Komponist, Dirigent und Pianist Erich Wolfgang Korngold die Oper Die tote Stadt. Sie ist jetzt am Staatstheater Mainz zu erleben und das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Für den neuen Generalmusikdirektor Gabriel Venzago ist es die erste von ihm geleitete Opernproduktion in Mainz. Für die Regisseurin Angela Denoke ist es die erste Inszenierung am Haus. Und für das Staatstheater selbst ist es eine Erstaufführung. Trotz des immensen Erfolgs, den das Werk zu seiner Entstehungszeit hatte, wurde es in Mainz bisher noch nie gespielt.

Die Oper handelt vom Witwer Paul, der in der Tänzerin Marietta meint, seine verstorbene Frau Marie wiederzuerkennen. Er verstrickt sich krankhaft zwischen Realität, Wahn und Wunschvorstellung.

Das Libretto schrieb Korngolds Vater unter dem Pseudonym Paul Schott (der Nachname als Würdigung an den verlegenden Musikverlag). Es beruht auf dem Roman „Das tote Brügge“ des belgischen Schriftstellers Georges Rodenbach.

Packende Mystery-Oper

Mit viel Fingerspitzengefühl, detaillierten Blicken auf Details und in einem rabenschwarzen Umfeld mit morbiden Bezügen vermittelt Angela Denoke die Geschichte als eine Art Mystery-Oper. Dabei lenkt sie die Perspektive nicht nur auf die Figur des Paul, sondern auch auf die der Marietta/Marie. Daraus entwickeln sich vielfältige Bilder. Beide sind gleichermaßen Täter und Opfer. Der im Werk vorhandene religiöse Aspekt Pauls gerät in ihrer Sicht in den Hintergrund.

Die tote Stadt
Staatstheater Mainz
Victorin (Collin Andre Schoening), Fritz (Brett Carter), Marietta (Nadja Stefanonff), Paul (Corby Welch)
© Andreas Etter

Große Unterstützung hat die Inszenierung durch das Bühnenbild von Timo Dentler und Okarina Peter. Es zeigt in dunkler Umgebung drei Hausfragmente ohne Inneneinrichtung. Sie sind wie schichtartig aufgeschnitten und scheinen aus den Fugen geraten zu sein, so wie das dunkle Seelenleben von Paul. Die Häuser werden ständig in neue Positionen gebracht und wechseln durch die Drehbühne ihre Position. Die Bühnenmitarbeiter sind für das manuelle Verschieben wie mystische Totengräber gekleidet. Wie auch fast alle anderen, insbesondere die Menschen auf dem Jahrmarkt, schwarz gekleidet und weiß geschminkt sind. So zeigt die Szenerie ein großes, unheimliches Panoptikum von scheinbar Halbtoten (Kostüme auch Timo Dentler und Okarina Peter).

Nadja Stefanoff und Corby Welch harmonieren hervorragend

Ein Pluspunkt der Mainzer Inszenierung ist zudem, dass die Hauptbesetzungen bereits von früheren Inszenierungen mit ihren Partien vertraut sind. Nadja Stefanoff gab die Marietta bereits in Düsseldorf und Helsinki, Corby Welch den Paul in Düsseldorf. Bei der Mainzer Inszenierung hat Stefanoff zusätzlich die Partie von Pauls verstorbener Frau Marie, die ihm immer wieder in seinen (Alb-) Träumen erscheint, übernommen. Beide Figuren gestaltet die Sopranistin in ihren lieblich bis brutalen Facetten (mitsamt frivolen Posen) äußerst intensiv und besticht wie stets mit ihrer aufblühenden Stimme.

Der US-amerikanische Tenor Corby Welch ist erstmals am Staatstheater Mainz zu erleben, allein für ihn lohnt sich ein Besuch. Die umfangreiche und zwischen ekstatischen Ausbrüchen und tiefer Innerlichkeit liegende Partie gestaltet er äußerst leidenschaftlich.

Die tote Stadt
Staatstheater Mainz
Frank (Brett Carter), Brigitta (Karina Repova), Paul (Corby Welch)
© Andreas Etter

Die zurückhaltende und sich um Paul sorgende Haushälterin Brigitta verkörpert Mezzosopranistin Karina Repova mit viel Anmut und Wohlklang. Gut aufgelegt gibt Bariton Brett Carter die Partien des Frank (Pauls Freund und Nebenbuhler) und Fritz (den Pierrot; mit dem bekannten „Mein Sehnen, mein Wähnen“).

Dass es am Ende für Paul, entgegen dem Libretto, keinen Neuanfang geben kann, zeigt Regisseurin Angelo Denoke plakativ. Statt die Stadt Brügge zu verlassen, gibt er sich in Brigittas Hände, die ihn mit ihrem Schal kurzerhand von seinem Leid erlöst (oder sich für seine Ablehnung ihr gegenüber rächt), indem sie ihn erdrosselt.

Das groß besetzte Philharmonische Staatsorchester Mainz nutzt die Gelegenheit, mal richtig in die Vollen zu gehen, mit Vehemenz. Selten ist solch ein Furor aus dem Orchestergraben zu erleben. Doch derartige Momente sind kurz, schon wird rasant schnell umgeschaltet und es ertönen subtil die zartesten Töne. Ein fulminanter Einstieg des neuen GMD Gabriel Venzago.

Am Ende der besuchten 2. Vorstellung intensiver Beifall.

Markus Gründig, Oktober 25


Die tote Stadt

Oper in drei Bildern
Von: Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957)
Libretto: Paul Schott
Uraufführung: 4. Dezember 1920 (Hamburg, Stadttheater und Köln, Stadttheater)

Premiere / Mainzer Erstaufführung: 18. Oktober 25
Besuchte Vorstellung: 26.Oktober 25

Musikalische Leitung: Gabriel Venzago
Inszenierung: Angela Denoke
Bühne und Kostüme: Timo Dentler, Okarina Peter
Choreografie: Fabio Toraldo
Licht: Frederik Wollek
Chorleitung: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Sonja Westerbeck

Besetzung:

Paul: Corby Welch
Marietta / Marie: Nadja Stefanoff
Frank / Fritz: Brett Carter / Gabriel Rollinson
Brigitta: Karina Repova
Juliette: Dorin Rahardja
Lucienne: Alexandra Uchlin
Gaston: Johannes Knieps / Lennart Simon
Victorin: Collin André Schöning
Graf Albert: Myungin Lee

Philharmonisches Staatsorchester Mainz
Chor des Staatstheater Mainz
Statisterie des Staatstheater Mainz

staatstheater-mainz.com