Koloraturgesang verzaubert das Publikum immer wieder aufs Neue. Bekannte Arien, wie die der Königin der Nacht aus Mozarts Zauberflöte („Der Hölle Rache“) oder die Wahnsinnsarie der Lucia („Il dolce suono“ in Donizettis Lucia di Lammermoor; die für den Hollywood Blockbuster Das 5. Element verwendet wurde), kennen selbst opernfremde Menschen. Sängerinnen, die diese Partien singen können, sind begehrt (und werden dafür auch entsprechend vergütet). Doch meist können Sie Koloraturen nur eine begrenzte Zeit singen. Eine Ausnahmeerscheinung ist in dieser Hinsicht die gebürtige slowakische Prima donna assoluta Edita Gruberová. Seit Jahrzehnten betört sie mit ihrem Koloraturgesang Jung und Alt. Nicht ohne Grund trägt sie Titel wie „Königin der Koloratur“, „Diva und Hohepriesterin des Belcanto“ oder „slowakische Nachtigall“.
Inzwischen hat sie die siebte Lebensdekade überschritten und sich bereits in Wien, Berlin und München von ihrem Publikum verabschiedet.
An der Oper Frankfurt debütierte sie im April 2015 mit einem Liederabend. Ihr jetziger Lied- und Arienabend unterschied sich deutlich von dem 2015er, auch wenn sie erneut von Peter Valentovic begleitet wurde. Damals sang sie im offiziellen Programmteil ausschließlich Kunstlieder der Komponisten Tschaikowski, Rimski-Korsakow, Dvořák, Strauss und Wagner. Ihr Koloraturtalent kam erst in den Zugaben zur Geltung. Bei dem jetzt präsentierten und klug zusammengestellten Programm wählte sie Lieder und Arien, die die Besonderheiten ihrer Stimme und ihres Könnens (wie eine ausgeprägte Legatofähigkeit, Geschmeidigkeit und Verziertechniken) besonders schön zur Geltung brachten, dabei aber einen großen musikalischen Querschnitt boten. Alles sang sie frei von ausliegenden Noten.
Edita Gruberová begann ganz zart, mit Händel, dessen Werke nicht unbedingt ein Schwerpunkt einer Koloratursopranistin darstellen. Fein entspann sie aus dem Rezitativ und der Arie „E pur cosi in un giorno…Piangeró la sorte mia“ aus seiner Oper Giulio Cesare in Egitto eine magische Stimmung. Noch mehr überraschte sie mit ätherischen Höhenklängen bei Richard Strauss´ „Waldseligkeit“ und riss das Publikum bei dem populären Lied „Zueigung“ zu Beifallsstürmen hin. Der Frühlingsstimmenwalzer von Johann Strauß Sohn wies vor der Pause schon auf den zweiten Programmteil hin, konnte sie doch hier bereits ihre immense Ausdrucksstärke beim Koloraturgesang präsentieren. Nach der Pause folgte Rossinis Hit „Una voce poco fa“ aus Il barbiere di Siviglia und Bellinis „Sono all´ara“ aus La straniera, bei denen sie ihre vokale Energie zur vollen Blüte entfaltete. Mit der anspruchsvollen und großen Wahnsinnsszene der Orphélie („A vos jeux, mes amis, permettez-moi“) aus Ambroise Thomas´ Hamlet beendete sie den offiziellen Teil dieses glanzvollen Abends.
Peter Valentovic ist nicht nur ein exzellenter Pianist und erfahrener Korrepetitor, er ist vor allem als Dirigent tätig. So wurde er im September 2018 zum Chefdirigenten des Slovak Radio Symphony Orchestras in Bratislava ernannt. Beim gemeinsamen Arien- und Liederabend mit Edita Gruberová fiel er nicht nur dadurch auf, dass er auf Unterstützung eines Notenumblätterers verzichtete, sondern auch mit einer sehr leidenschaftlichen Unterstützung von Edita Gruberová, bei dem er dem Steinway-Flügel mitunter sehr beherzt zusetzte. Gruberová eine Pause gönnend, spielte er zudem, frei von Noten, virtuos Auszüge aus Sergei W. Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 und aus der Rhapsodie über ein Thema von Paganini.
Für ihre Fähigkeit auch im gehobeneren Alter Spitzentöne leicht zu erreichen und sie gleichsam so harmonisch in den Gesang einzubinden, kokett mit den Tönen zu spielen und sie zu modulieren, begeisterte
Edita Gruberová das Publikum in der fast ausverkauften Oper Frankfurt und erhielt dafür tosenden Applaus, zahlreiche Blumenbouquets und Standing Ovations, für die sie sich und Ihr Pianist Peter Valentovic mit vier Zugaben bedankten. Bei der Zweiten, dem Walzerlied der Harriet „Ach, wir armen Primadonnen…“ (aus Der arme Jonathan von Carl Millöcker), zeigte sie einmal mehr, das sie auch herzhaft über sich selbst lachen kann. Ein denkwürdiger Abend, den man lange in guter Erinnerung halten wird.
Markus Gründig, April 19
Die Zugaben 1 – 3:
Vincenzo Bellini (1801-1835): Arie der Titelheldin „Ah! se un’urna è a me concessa…“ – „Ah! la morte…” aus dem Finale der Oper Beatrice di Tenda (1833)
Carl Millöcker (1842-1899): Walzerlied der Harriet „Ach, wir armen Primadonnen…“ aus dem II. Akt der Operette Der arme Jonathan (1890)
Johann Strauß Sohn (1825-1899): Couplet der Adele „Mein Herr Marquis…“ aus dem II. Akt der Operette Die Fledermaus (1874)