Sehnsucht nach St. Pauli – Eine Schlagerrevue
Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: 15. Juni 12 (Premiere)
Im Hamburger Kiez mit Kapitän Paulsen und Chefstewardess Beatrice
Als dritte Abendproduktion der Burgfestspiele Bad Vilbel im Jahr 2012 hatte jetzt die Schlagerrevue „Sehnsucht nach St. Pauli“ Premiere. Bei noch leerer Bühne ertönt zu Beginn kurz James Lasts „Traumschiff Thema“, die seit 1986 verwendete Erkennungsmelodie für die beliebte ZDF Serie „Das Traumschiff“. Und schon hat die „MS Deutschland“ an der Vilbeler Wasserburg angelegt (wobei die Reederei der echten MS Deutschland gerade für Schlagzeilen sorgt, will sie doch das Schiff künftig unter maltesischer Flagge fahren lassen, statt unter deutscher wie bisher). Schiffstaue werden an Pollern festgebunden, eine Plane über die Schiffstreppe geschwungen und schon läuft Chefstewardess Beatrice (Sigrid Brandstetter) begleitet vom Kapitän Jakob Paulsen (Thorsten Tinney) die Treppe herab. Doch keine Angst, der Abend ist keine, bzw. wenn überhaupt nur eine sehr geringe, rührselige Geschichte um das Liebesglück einzelner Paare. Das deutet bereits die Bühne an, die eine schäbige Ecke im Hamburger Kiez zeigt. Die guten Zeiten sind lange her, der Lack ist von den Wänden ab und kein Licht brennt mehr in den Leuchtreklamen von „Hanse-Bier“ und „Susis Show Bar“, auch wenn in Letzterer noch etwas Betrieb herrscht. Die verführerische Edelprostituierte „Prinzessin“ (sexy und mit kräftiger Stimme: Verena Mackenberg) empfängt hier weiterhin die unterschiedlichsten Freier (und erzählt jedem hochdramatisch die Geschichte, die er hören will, warum sie diesen Job macht bzw. machen muss). Am Horizont sind Hamburger Häuserzeilen zu sehen, vor denen zwei Barkassen schippern. Träume und Realität treffen hier auf kleinem Platz aufeinander, ganz so wie im richtigen Leben (Ausstattung: Pia Oertel).
Schlager satt und nicht von gestern
Kapitän Paulsen bekennt beim Landgang sein „Heimweh nach St. Pauli“ (das Lied sang einst Freddy Quinn, es entstammt dem gleichnamigen Film von 1963). Thorsten Tinney überzeugt gleich hier mit seinem angenehmen baritonalen Timbre. Währenddessen geht eine Salutistin der Heilsarme durch die Zuschauerreihen und fragt nach Geldspenden. Zum Ende des Liedes ist sie dann auf der Bühne angekommen und singt gemeinsam mit vier weiteren Salutisten anschließend a Capella einen Gospelsong („Harmony“). Friede, Freude, Eierkuchen also. Aber nicht lange! Plötzlich reißen sich die Männer die Kirchenanzüge vom Leib und entpuppen sich als Rocker, die mit purer Energie und tänzerischen Einlagen das „Hamburg Lied“ der Band Hamburger Jungz („Die Könige des Nordens“) geben.
Nach diesem furiosen Auftakt beginnt die eigentliche Handlung der von Benedikt Borrmann konzipierten Schlager-Revue: Der schüchterne und verliebte Ferdinand Schmitz (erst zurückhaltend, dann kraftvoll: Dirk Hinzberg) hat einen heruntergekommenen Puff geerbt und steht jetzt vor dem Problem, was er mit dieser Erbschaft anfängt. Pläne, ein luxuriöses indisches Restaurant zu eröffnen, scheitern an den deutschen Behörden. Am Ende siegt nicht nur der Pragmatismus, es haben sich dann auch noch drei Paare gefunden (die natürlich noch von Kapitän Paulsen ihren Segen erhalten). Benedikt Borrmann, der hier auch die Regie innehat, verband sehr geschickt viele alte und neue Schlager. Die lose Geschichte reicht aus, dass keine Nummernfolge zu sehen ist, sondern erneut fast ein kleines Musical.
Von Freddy Quinn bis Ina Müller
Es gibt nicht nur schöne Stimmen zu hören, die von der live spielenden St. Pauli Band unter ihrem musikalischen Leiter Thomas Lorei mit viel Schwung begleitet werden. Was überzeugt, ist die perfekte Gesamtpräsentation mit Amore (wie mit Oliver Polenz als Neffe Lothar mit „Verlieben verloren vergessen verzeihn“ von Wolfgang Petry), Besinnlichkeit (wie mit John Wiseman als Richard Schädel mit „Junge, komm bald wieder“), Humor (wie mit Camilla Kallfaß als Maria mit „Männer muss man loben“, bekannt durch die Interpretation von Barbara Schöneberger) und Tanz (wie mit dem leichtgewichtigen Muskelpaket Luigi Scaeano als Diego, der nicht nur mit schöner Stimme betört, sondern auch mit seinen akrobatischen Einlagen, wie Radschläge über Stuhllehnen und Liegestützen, beeindruckt).
“Sehnsucht nach St. Pauli – Eine Schlagerrevue“ ist für ein breites Publikum jeden Alters. Gesungen wird oftmals im Duett, Terzett oder Quartett. Stets stimmig und sehr schön arrangiert. Vielfältig ist die Auswahl durch Zeiten und Stile: Von klassischen Liedern (wie Sigrid Brandstetter als Vamp mit „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, das von Axel Kraus gesungene „Ach, sag doch nicht immer wieder Dicker zu mir“ von Hans-Arno Simon [mit starkem Zwischenapplaus] und Raphael Koeb als Punk mit melancholischen „Illusionen“ von Friedrich Meyer und Fritz Rotter, bekannt durch Hildegard Knef) geht es über die Beatles (wie mit dem von Oliver Polenz soulig gesungenen „Yesterday“ ), dem mehrstimmig vorgetragenen „Blow Gabriel Blow“ aus dem Musical „Anything Goes“ und Udo Lindenberg (wie mit Marc Lambertys coolem „Reeperbahn“) bis in die heutige Zeit (wie mit Stephanie Marins saloppen „Bitte, bitte spring doch vom Balkon“ von Ina Müller).
Viel Spaß macht es, der Choreografie von Stephan Brauer zuzuschauen, die auch einen Steppkurs auf Bierkisten beinhaltet (was tun Männer nicht alles, um Frauen zu gefallen). Auch hier ist es wieder die nahtlose, runde Verbindung aller Elemente zu einem stimmigen Ganzen. Die Kostüme von Anja Müller beschränken sich nicht nur auf weiße Seemannsanzüge für die Herren und kurze Höschen für die Damen in Strumpfhosen. Die Männer erscheinen auch als vielfarbige „Blaumänner“, Rocker, Punks und Geschäftsleute.
Das gibt’s nur auf der Reeperbahn bei Nacht
Wenn sich dann drei Liebespaare gefunden haben heißt es „I want to hold your hand“ (Beatles) und während Sigrid Brandstetter innig „Küss mich, halt mich, lieb mich“ („Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“) singt, erhalten die Bräute Schleier und einen Blumenstrauß. Einziger Wermutstropfen dieser großartigen Produktion: Nach der Pause kommt das große Finale recht schnell, es hätte ruhig etwas mehr sein dürfen. Zum Schluss lebt dann noch einmal Freddy Quinn auf („Das gibt’s nur auf der Reeperbahn bei Nacht“). Das Publikum jubelte und stampfte mit den Füßen und entlockte so den Klassiker „La Paloma“ als Zugabe.
Markus Gründig, Juni 12
PRG LEA 2012
Festhalle Frankfurt, 20. März 12
Glamouröse Gala in der Frankfurter Festhalle
Zum zweiten Mal wurde jetzt in der Frankfurter Festhalle der PRG LEA verliehen. Die LEAs – stilisierte Konzerttickets aus massiver Bronze – werden bereits seit 2006 jährlich an Veranstalter, Künstlermanager, Konzertagenten sowie an Hallen- und Clubbetreiber verliehen. Hinter diesem vom Trägerverein LEA Committee e. V. verliehenen Preis stehen die Verbände der Konzertwirtschaft (der Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (bdv) als Initiator des Preises, der Verband Deutscher Konzertdirektionen, die Musikmarkt Verlags-GmbH mit dem Branchenmagazin „Musikmarkt“ und viele bedeutende Unternehmen der deutschen Veranstaltungswirtschaft). Vergleichbar zu den Musikpreisen ECHO, ECHO JAZZ und ECHO KLASSIK, werden beim LEA (Live Entertainment Award) in insgesamt 15 Kategorien die besten und erfolgreichsten Leistungen aus dem Bereich Live-Entertainment gewürdigt. Das schöne daran ist, dass nicht nur die Branchengrößen der Promoter, Künstlermanager, Booking-Agenturen und Spielstättenbetreiber im Mittelpunkt stehen, sondern die ganze Branche. So gibt es neben Auszeichnungen für große Hallen- und Tourneeveranstalter auch Auszeichnungen für Clubs und örtliche Veranstalter.
Starrummel beim PRG LEA 2012
Die Bedeutung dieser Veranstaltung zeigt sich nicht zuletzt an der Liste der anwesenden Gäste, den Laudatoren und den Ausgezeichneten. Mit dabei waren u.a.
Stargeiger David Garrett (der für seinen Kurzauftritt extra aus New York eingeflogen war), Gitarrenlegende John McLaughlin, Eurovision Song Contest-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut, Shootingstar Tim Bendzko („Nur noch kurz die Welt retten“), Silbermond (ihr neues Album „Himmel auf“ erscheint in diesen Tagen), Smudo von den Fantastischen Vier, Frida Gold („Wovon sollen wir träumen“), The BossHoss, Jupiter Jones, Maite Kelly, Rainald Grebe und internationale Gäste wie John Miles („Music Was My First Love“), Hardrock-Legende Suzi Quatro, Toto-Sänger Bobby Kimball oder Everlast.
Das Blitzlichtgewitter der Fotografen am roten Teppich richtete sich auf die zahlreich vertretene Prominenz, angeführt von der Metal-Rockerin Doro Pesch, Thomas Godoj, der „Voice of Germany“-Zweitplatzierten Kim Sanders, Pe Werner, Michael Robert Rhein (In Extremo) und den Musikproduzenten Moses Pelham und Leslie Mandoki. Stark vertreten war auch die TV-Moderatorenriege mit Marco Schreyl (DSDS), Guido Cantz („Verstehen Sie Spaß“), Barbara Hahlweg (ZDF), Birte Karalus (VOX), Cécile Schortmann (3sat), Jörg Bombach (HR) und vielen anderen. Auch die Schauspieler Heike Ulrich („Marienhof“), Katja Mitchell und Filmregisseur Adnan Günter Köse („Homies! Greif nach den Sternen“) sowie Jazzpianist Michael Wollny schlenderten über die Auslegware im Foyer der Festhalle.
Die Festhalle präsentierte sich verzaubert
Für diesen Anlass wurde die Frankfurter Festhalle (an sich innen ein eher nüchternes Ambiente bietend) festlich geschmückt. Der Hallenboden wurde komplett mit einem roten Teppich belegt. Die rund 1.3200 Gäste saßen bequem auf mit weißen Hussen überzogenen Stühlen in kleinen Gruppen an runden Tischen. Für die Verzauberung der Halle zu einer stimmungsvollen Location sorgten zusätzlich rund 90 Tonnen Lichttechnik. In der Mitte der Festhalle schwebte eine riesige, lüsternähnliche Leuchtkonstruktion mit einem runden breiten LED-Band in der Mitte. Jeweils drei große LED-Tafeln waren auf den beiden Seiten in Höhe des 1. Ranges aufgehängt. Zahlreiche Scheinwerfer tauchten den 2. Rang in ein stimmungsvolles Licht. Und die riesige Bühne bot mit ihren vielen Spots und LEDs für diesen Anlass auch ein beeindruckendes, grandioses Lichtspiel (Licht- und Videoinszenierung: LEA-Ausrüster PRG, die Production Resource Group).
Moderiert wurde der LEA erstmals von ZDF-Moderator Ingo Nommsen („Volle Kanne“, „Hallo Deutschland“). Dies machte er überaus charmant und galant. Gern nahm er mit einzelnen Gästen auch zum Smalltalk immer wieder Platz auf einer seitlich aufgestellten Couch und entlockte ihnen interessante Antworten. Die amtierende Miss Germany Isabel Gülck assistierte dem Moderator.
Michael Brenner wurde posthum für sein Lebenswerk ausgezeichnet
Ein erster Höhepunk des Abends war die Verleihung des Frankfurter Musikpreises an die Jazzlegende John McLaughlin („Friday Night in San Francisco“) und das darauf folgende rund zehnminütige Spiel mit der Band 4th Dimension. Übergeben wurde der Preis vom Frankfurter Kulturdezernenten Prof. Dr. Felix Semmelroth und von Gerhard A. Meinl, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Musikinstrumenten-Hersteller (die PRG-LEA-Verleihung ist zugleich Auftakt für die Internationale Frankfurter Musikmesse und die Event-Technikschau „Prolight + Sound“).
Für sein Lebenswerk wurde posthum der im Alter von 59 Jahren tödlich verunglückte Produzent und Veranstalter Michael Brenner von BB Promotion (Mannheim) geehrt. Marek Lieberberg hielt eine ergreifende Laudatio, die Michael Brenner als „impossible Dreamer“ und „singuläre Erscheinung“ würdigte. Dem folgte eine gemeinschaftliche Schweigeminute im Stehen. Später folgte eine Würdigung weiterer im vergangenen Jahr verstorbener Künstler und Größen des Showbiz (wie Bernd Clüver, Whitney Houston, Georg Kreisler, Ralf Regitz, Amy Winehouse). Marek Lieberberg selbst erhielt einen LEA als „Tourneeveranstalter des Jahres“.
Zum „Festival des Jahres“ erklärte die aus bekannten Musikjournalisten zusammengesetzte LEA-Jury das Taubertal-Festival in Rothenburg ob der Tauber, wobei die Juroren ihren Fokus diesmal auf Veranstaltungen mit Künstlern vorwiegend aus dem Independent-Bereich legten. „Show des Jahres“ wurde das Finale des Eurovision Song Contest im Mai vergangenen Jahres in der Düsseldorfer ESPRIT-Arena, das insgesamt rund 80.000 Menschen in den Entscheidungsrunden live erleben konnten.
Das Team um Tim Bendzko mit Manager Konrad Sommermeyer (Guerilla Entertainment), Veranstalter Peter Rieger, Musikverleger Mark Chung und Sony Music-Manager Willy Ehmann konnte sich mit ihrem Jungstar über den LEA für die „Nachwuchsförderung des Jahres“ freuen. Mit dem neuen Star der deutschen Rap-Szene, Casper, und dessen Berliner Konzertagenten Landstreicher-Booking, die für die „Clubtournee des Jahres“ geehrt wurden, war ein weiterer Newcomer unter den Gewinnern der Galanacht.
Erstmals wurde ein LEA für grüne Projekte vergeben, denn Musikfestivals sind nicht gerade zurückhaltend, was den Energieverbrauch und damit einhergehende CO2-Emissionen betrifft. Erhalten hat ihn die Green Music Initiative unter ihrem Initiator Jakob Bilabel.
Das Frankfurter Kulturzentrum „Batschkapp“ konnte sich über den „Club-Award“ und 20.000 Euro freuen (diese Finanzspritzen stellt die „Initiative Musik“ zur Verfügung, eine Einrichtung der Bundesregierung zur Förderung der Musikwirtschaft).
Zahlreiche Live-Auftritte und bombastische „Master Of Puppets“-Version
Live-Auftritte („Garantiert ohne Playback“ – eiserne Regel des PRG LEA) boten neben John McLaughlin zudem Jeanette Biedermann mit ihrer Band Ewig, Rainald Grebe, Alina Süggeler/Frida Gold, Tim Bendzko und Roman Lob. In der Königsdisziplin, der „Hallen-/Arena-Tournee“, siegte der Berliner Veranstalter DEAG Classics. Agenturchef Peter Schwenkow inszenierte 2011 erfolgreich die Crossover-Konzerte von David Garrett auf dessen „Rock Symphonies“-Tour. Und dieser überreichte dann auch höchst persönlich den Preis und ließ es sich auch nicht nehmen, der glanzvollen Gala einen würdigen Abschluss zu präsentieren. Mit „Live and Let Die“ sorgte er samt Band für ein Inferno in der Festhalle, bei Metallicas „Master Of Puppets“ schien die Festhalle vor lauter freigesetzter Energie fast zu explodieren. Bombastisch und super Klasse!
Zum Finalbild versammelten sich alle Laudatoren und Preisträger erneut auf der Bühne. Nach vier Stunden war dann der offizielle Teil beendet, bei der Aftershow-Party wurde bis in die frühen Morgenstunden gefeiert.
Markus Gründig, März 12
Die Preisträger des PRG LEA 2012
In die Wertung in insgesamt 15 Kategorien nahm die LEA-Jury rund 450 begutachtete Veranstaltungen. Neben Live-Produktionen bewerteten die Juroren Leistungen von Promotern, Künstlermanagern, Booking-Agenturen und Spielstättenbetreibern.
Die Sieger:
Hallen-/Arena-Tournee des Jahres: David Garrett – „Rock Symphonies Tour 2011“ (Veranstalter: DEAG Classics, Berlin)
Show des Jahres: Eurovision Song Contest (ESC) 2011, Esprit Arena Düsseldorf (Veranstalter und Durchführung: Norddeutscher Rundfunk und BRAINPOOL TV, Köln)
Halle/Arena des Jahres: O2 World Hamburg (Betreiber: Anschutz Entertainment Group Arena Hamburg)
Künstlermanager / Künstleragent des Jahres (ermittelt in einem Voting von 21 deutschen Tourneeveranstaltern): Uwe Kanthak, Künstlermanagement Uwe Kanthak, Hamburg (Helene Fischer, Michelle, Angelika Milster)
Club des Jahres / Club-Award der Initiative Musik: Kulturzentrum „Batschkapp“, Frankfurt am Main
Tourneeveranstalter des Jahres: Marek Lieberberg Konzertagentur, Frankfurt am Main (Rihanna, Mark Knopfler & Bob Dylan, Coldplay, Herbert Grönemeyer u. a.)
Festival des Jahres (präsentiert von PRG): Taubertal-Festival, Rothenburg ob der Tauber (Veranstalter: KARO Konzert-Agentur, Rothenburg o. d. T.)
En Suite-Veranstaltung des Jahres: Sister Act, Hamburg (Veranstalter: Stage Entertainment, Hamburg)
Club-Tournee des Jahres (präsentiert von Ströer Deutsche Städte Medien): Casper, „Der Druck steigt“ (Veranstalter: Landstreicher Booking & Konzertagentur, Berlin)
Kooperation des Jahres: Shadowland, Pilobolus Dance Theatre (Semmel Concerts, Bayreuth und Berlin, Follow Me Entertainment, Köln)
Örtlicher Veranstalter des Jahres (ermittelt in einem Voting von 21 deutschen Tourneeveranstaltern): Prime Entertainment, Köln
Nachwuchsförderung des Jahres (präsentiert von der Veltins-Arena): Tim Bendzko (Guerilla Entertainment Berlin, Peter Rieger Konzertagentur Köln, Freibank Musikverlag Hamburg, Sony Music München)
Konzert des Jahres: Rainald Grebe und das Orchester der Versöhnung auf der Waldbühne Berlin (Semmel Concerts, Bayreuth, Rita Baus Kulturproduktionen, Berlin und Agentur Alexia Agathos, Köln)
Preis der Jury: Green Music Initiative / Green Club Index
Lebenswerk: Michael Brenner (posthum), BB Promotion, Mannheim
Regenbogensitzung 2012
Haus Ronneburg, Frankfurt, 14. Februar 12
“Da zucke die Tucke!”
Nach drei Jahren Pause hieß es jetzt endlich wieder „Da zucke die Tucke! – willkommen zur Regenbogensitzung ~ Das Original“. Die Regenbogensitzung mit Sitzungspräsidentin Bäppi la Belle an der Spitze ist nach einer Station im Südbahnhof (2009) nun wieder im Haus Ronneburg angekommen, wo sie 2004 Premiere feierte. Der Zusatz „Das Original“ weist darauf hin, dass es seit dem vergangenen Jahr noch zusätzlich eine Rosa-Wölkchen-Sitzung gibt. Doch nur die Regenbogensitzung ist von und für die lesbisch- schwule Szene, die sich natürlich auch sehr heterooffen gibt. Und wie Bäppi Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth zitierte, die am Abend zuvor Gast bei „Bäppis Couchgebabbel“ war: „Die Regenbogensitzung ist Frankfurts beste und schönste Fastnachtssitzung!“.
Schon vor Beginn sorgte die Mike Nail Band (die aus Platzgründen statt als Oktett nur als Trio auftrat) für richtig gute Stimmung im seit Wochen ausverkauften Saal. Nach dem großen Einzug des Elferrates gab es zunächst Blech satt. Das 30 Mann/Frau starke Bonameser Drum Corps heizte den Saal weiter kräftig ein. Und wie es sich für eine richtige Sitzung gehört, gab es natürlich auch Gardetanz. Im ersten Teil des Programms mit der Garde des TSC Schwarz Gold Frankfurt (zu denen sich Bein schwingend Bäppi la Belle gesellte) und im zweiten Teil von den Pink Tigers, Hessens einziger schwulen Tanzgarde. Marion Scholz plauderte zunächst als Tante Brigiddes schwule Schwester auf witzige Weise über Beziehungen und über die Liebe. Richtig gefeiert wurde später bei ihrem Abba-Medley, stehend sang das bunt kostümierte Publikum Hit für Hit mit.
Mit einem Sprachfehler sorgte die Quotenhete Bernd Bruch als überdimensionale Blechdose für viele Lacher im Saal, um dann noch im schicken Nixenoutfit auf zu trumpfen. Kelli Hilton wies als erotische und graziöse „Caschelsche“ auf die im Juni anstehende Premiere von „La Cage aux Folle“ im Volkstheater Frankfurt hin. Für Partystimmung pur sorgten der neu gegründete „Tanzclub“ der Frankfurter Szenewirte mit einer spritzigen YMCA-Darbietung. Schräge Töne mit viel Spaß gab es bei den Kinziggeistern, der hessischen Guggemusiker-Clique, die Ausschnitte aus ihrer aktuellen Sonnenkriegertour präsentierten. Jessica Walker bat betörend und singend „Nenn mich bitte nicht Schatz!“. Babsi Heart sorgte mit dem viel Bein zeigenden Magic Ken für zauberhafte Momente. Das Weiterstädter Männerballett „Die Funkenspritzer“ entführten das Publikum mit einer spritzigen Tanzdarbietung in die Schwarzwald-Klinik.
Keine noch so elegante Madame kann Bäppi la Belle so schnell das Wasser reichen, niemand babbelt so herrlich charmant „dumm Zeug“ wie sie und nirgendwo gibt es so turbulente und stimmungsgeladene schwul-/lesbische Faschingsmomente. Zum Medley mit Liedern aus Mainz (wie „Am Rosenmontag bin ich geboren“, „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ und „Am Aschermittwoch“) sang der ganze Saal stehend und schunkelnd mit. Selbst der hessische Innenminister Boris Rhein ließ es sich nicht nehmen, als Ehrengast dabei zu sein, wofür er aus der Hand von Sitzungspräsidentin Bäppi La Belle die Ehrenmütze der Regenbogensitzung erhielt (wie zuvor bereits Oberbürgermeisterin Petra Roth und die Politikerin Julia Klöckner; übrigens alle von der CDU). Da ließ sich Rhein auch nicht lange bitten und reihte sich in die Polonaise ein, die Bäppi la Belle durch den vollen Saal ziehen ließ.
Zum großen Finale versammelten sich alle Künstler auf der Regenbogenbühne. Und allen auf und vor der Bühne war klar: Die Frankfurter Regenbogensitzung hat den besten Mix und alle freuen sich bereits jetzt auf das nächste Mal, wenn es wieder heißt „Da zucke die Tucke!“.
Markus Gründig, Februar 12
Holiday on Ice: Speed
Festhalle Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 10. Januar 11 (Frankfurt-Premiere)
Genieße die Zeit, denn das Leben fliegt dahin…
In seiner mittlerweile 68-jährigen Unternehmensgeschichte hat HOLIDAY ON ICE schon mehr als 320 Millionen Zuschauer begrüßt und ist damit die meistbesuchte Eisshow der Welt. Aus einer kleinen Hotelshow, die 1943 erstmals in Ohio gezeigt wurde, ist ein global agierendes Unternehmen entstanden, das jährlich bis zu sieben Shows (inklusive Kids’ Ice Shows) weltweit parallel präsentiert. In Deutschland wurde 1951 die erste HOLIDAY ON ICE Show in Frankfurt gezeigt. Da zu diesem Zeitpunkt die Festhalle noch in Trümmern lag, spielte die Show „Edition 1951“ in der Messehalle 4. Jetzt, im Jahr 2012, gastiert HOLIDAY ON ICE mit seiner brandneuen Show „Speed“, wie inzwischen seit langem gewohnt, in der Festhalle. In sechs Tagen werden hier insgesamt 14 Vorstellungen gegeben.
Die Premierenvorstellung eröffnete Michael Duwe, Geschäftsführer von HOLIDAY ON INCE Deutschland mit freundlichen Worten für das Frankfurter Publikum (das aus einer bunten Mischung jeglicher Altersstufen bestand). Die neue Show SPEED wird als schnell, sexy und voller Adrenalin angekündigt und das ist nicht zu viel versprochen! Auch wenn waghalsige Sprünge das eigentliche Highlight einer jeden Eisrevue sind, geht es doch auch darum, wie das Ganze präsentiert wird. Und hier wird nicht gekleckert sondern geklotzt.
Das beginnt schon beim futuristischen Bühnendesign von Bart Clement. Über der großen Eisfläche schwebt die Beleuchtungsanlage, doch ist diese originell hinter einem monströsen Unikum von Wagen versteckt (das locker aus Gotham City/Batman oder einem anderen Science-Fiction Film entsprungen sein könnte). Seitlich befinden sich zwei runde Monitorwände, die jeweils von drei großen roten Schläuchen gesäumt sind. Wobei die projizierten Bilder anfangs so täuschend echt aussehen, dass man denkt, es befänden sich dort reale Propeller. Auf der Bühne steht zudem eine große mobile Brückenkonstruktion mit frontseitigem LED-Leuchtband. Sie dient vor allem für vier Tänzerinnen als Bühne.
Das Thema „Speed“ (Geschwindigkeit) zieht sich als roter Faden durch das Programm. Neun Kapitel zeigen die vielen Facetten von „Speed“ auf. Sei es „Speed of the City“, „Speed of Love“ oder „Speed of the Machines“. Dabei verfallen nicht nur die Eisläufer einem Geschwindigkeitsrausch, sondern auch das Publikum. Regisseur und Choreograf Bart Doerfler hat die Nummern groß und rasant gestaltet, Solisten wie Ensemble präsentieren sie perfekt. Atemberaubend ist die präzise Ausführung der Ensemblenummern: ein optisches Highlight, wie scheinbar mühelos und selbstverständlich stets neue Formationen entstehen (beispielsweise beim erotisch prickelnden „Speed of Time“). Das Publikum wird mitunter einbezogen und darf dann auch einmal große Bälle über die Reihen werfen oder wird von einem wild durch die Reihe laufenden Bademeister von einer Wasserpistole getroffen. Ein Wettrennen erinnert lose an Starlight Express. Beeindruckend ist auch eine Motorradnummer auf spiegelglatter Bahn, mit waghalsigen Sprüngen über eine Feuerlinie (die Motorräder mit beleuchteten Felgen wirken schon optisch grandios).
Doch auch das Eiskunstlaufen kommt nicht zu kurz und so gibt es viele Elemente zu bewundern, seien es klassische Sprünge (vom Doppelaxel bis zu Dreifachsprüngen), Sprünge über sechs Menschen, waghalsige Fahrten mit dem Oberkörper nahezu parallel zum Eis oder unglaubliche Hebeübungen. Und auch die Erkenntnis, dass nicht alles immer so klappt (bei den Damen gab es zwei folgenlose Stürze).
Die einzelnen Nummern werden von der österreichischen Moderatorin, Schauspielerin und Synchronsprecherin Mirjam Weichselbraun per Videoeinblendung charmant angekündigt. Dabei wandelt sie sich vom anfänglich lieben Mädchen zu einer scharfen Rockerbraut und erinnert das Publikum daran, jeden Augenblick des Lebens zum wichtigsten Moment zu machen. Sängerin und X-Faktor Jurorin Sarah Connor steuert zwei eigens für diese Show geschriebene Songs bei (die Connor hochschwanger im Herbst aufgenommen hat): „Gimme Some More“ (beim bezaubernden Solo von Mélody Le Moal während „Speed of Love“) und „Gone“ (beim anmutigen Solo von Mauro Bruni bei „Speed of Time“),
Eleganz versprühen Victorine Luron und Michal Zych beim Paarlauf und begeistern dabei, als liefen sie eine Kür bei einer WM. Rohene Ward verführt als Croupier im weißen Jackett und schwarzer Hose („Speed of Money“) und auch die Solisten Yebin Mok und Forrest Ryan McKinnon lassen den Alltag vergessen, indem sie das Publikum mit auf ihre berauschende Fahrt nehmen. Als artistische Bereicherung setzen das Luftakrobaten-Ehepaar Alyssa und David Gray am „Wheel of Death“ die Zuschauer außer Atem.
Von der ersten bis zur letzten Nummer ist die Stimmung in der Festhalle grandios, was nicht zuletzt an der fetzigen Musik, mit Partymusik im Stile von „Like Ice in the Sunshine“ (bei „Speed of Nature“) oder harten, basslastigen Clubsounds bei “Speed of the Machines”) liegt (Komponist und Arrangements: Stephen Emmer).
Ausgefallene Kostüme dürfen bei HOLIDAY ON ICE natürlich auch nicht fehlen. Kostümdesignerin Cynthia Nordstrom entwarf einen Mix aus klassischen Abendgarderoben, Partykleidung und leichten sommerlichen Outfits. Lichtdesigner Luc Peumans setzte das Ganze optisch in einen überaus sinnlichen Rahmen.
„Speed“ beweist, das eine gut gemachte Eisrevue auch heute noch zwei wundervolle Stunden besinnlicher wie packender Unterhaltung bietet.
Markus Gründig, Januar 12
Tortellini, Touristen und ein Testament
Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: 1. Juli 1
Macht, was ihr wollt und macht es jetzt
In ihrem Bemühen möglichst viele Menschen für Aufführungen in der schönen Wasserburg zu gewinnen, spannen die Burgfestspiele Bad Vilbel einen weiten programmatischen Bogen. Dieses Jahr u. a. mit den Klassikern „Die Feuerzangenbowle“, „Anatevka“ und „Don Karlos“. Also mit Komödie, Musical und klassischem Schauspiel. Komödie und Musical verbindet auch das neueste Stück der Burgfestspiele, das jetzt Premiere hatte: „Tortellini, Touristen und ein Testament“. Auch hierbei handelt es sich wieder um eine Eigenproduktion. Sie wurde von Benedikt Borrmann eigens für die Burgfestspiele erarbeitet (er führt auch die Regie). Unter dem etwas sperrigen Titel verbirgt sich ein kleines Juwel an gut gemachter Unterhaltungskunst, weshalb die Bezeichnung Schlagerrevue zwar nicht falsch ist, aber dem Stück nicht ganz gerecht wird, ist es doch viel mehr als eine lose Aneinanderreihung von Schlagern. Mit viel Charme, Witz und Spaß sorgt das diesjährige Musicalensemble der Burgfestspiele Bad Vilbel für einen überaus vergnüglichen Abend. Es erklingen nicht nur über zwei Dutzend deutsche und internationale Schlager, das Ganze wird anhand einer schönen und stimmigen Geschichte erzählt und geht damit über die letztjährige Revue „Je schöner der Schlager“ weit hinaus.
Dabei bleiben die Burgfestspiele dem Thema Klassiker in gewisser Weise treu, ist Italien (in dem das Stück spielt) doch ein klassisches Urlaubsziel der Deutschen. Wie auch von der Familie Clotzke aus Bochum, die in Erfüllung des Testaments ihres verstorbenen Oberhaupts Karl-Friedrich (souverän: Marco Jorge Rudolph) nach Florenz reist, wo dieser mit seiner Berta einst seine Flitterwochen verbracht hatte. Dort tauchen dann alte Liebespartner wieder auf, neue amouröse Eskapaden entstehen und auch König Fußball spielt eine Rolle. Karl-Friedrich erscheint seiner Frau auch im Traum („Cheek to cheek“) und ermahnt sie, die Trauer zu überwinden, das Leben zu genießen und das zu tun, was man tun will und das bitte jetzt!
Groß ist die Spannbreite der Lieder. Geboten werden alte wie neue Klassiker, beispielsweise „Quando quando“, „Merci Cheri“ und auch „Tonight“, bis hin zum a capella vorgetragenen „Kein schöner Land“ als Zugabe. Das besondere der Produktion ist die stimmige Einbindung der sorgfältig ausgesuchten Songs in die jeweilige Szene und das großartige Ensemble, das voller Esprit und Humor eine glühende Darbietung bietet. Alles wirkt sehr geschlossen, rund, wie aus einem Guss. Bravo!
Auf die Bühne der Burg hat Pia Oertel einen kleinen Piazza Firenze gestellt, mit einer Häuserfront die aus Cinque Terre stammen könnte. Kleine Häuser, mit bunten Türen, kleinen Balkonen und Wäscheleinen vor den Fenstern, in der Mitte ein Denkmal mit einem nackten Jüngling (der seine vier Buchstaben in Richtung Publikum streckt) einem kleinen Wandbrunnen und einem Bistro an den Seiten. Die Musiker der Band ziehen anfangs mit einem Strohhut auf dem Kopf durch das Publikum auf die Bühne und nehmen in einem der Häuser Platz, durch ein Fenster sind sie stets teilweise zu sehen. Erneut steht den Musikern Thomas Lorey als musikalischerLeiter vor, der auch am Keyboard begleitet und dafür sorgt, dass die Schlager mit stimmungsvollen Klängen und ausgefallenen Interpretationen untermauert werden. Wie beispielsweise „I remember you“ von Skid Row, das hier von Elfriede (beschwingt: Inez Timmer) gesungen und mit Saxofon (Andreas Pompe) gespielt unter die Haut geht. Viele Tanzszenen (Choreografie: Stephan Brauer) fügen sich stimmig und unterhaltsam ein.
Das aus 14 Personen bestehende Ensemble ist in zwei Gruppen aufgeteilt, in die Tortellinis aus Florenz und die Touristen aus Bochum. Vater Hajo (mannsbildhaft: Heiko Stang) berührt und trumpft beim Publikum mit „Verdammt ich lieb dich“ auf. Ehefrau Elfriede tanzt mit dem Bistrobesitzer Guiseppe (elegant: Thorsten Tinney) leidenschaftlich Mambo („Sway“). Die gehörnten Ehepartner (als feurige italienische Mama Livia: Stephanie Marin) und Hajo beklagen ihr Leid mit „I will survive“. Die Kinder tun es den Großen nach und sorgen auch für manches Liebesabenteuer. Bernd (schwungvoll: Sebastian Hammer) umwirbt Veronica (verführerisch: Dorothée Kahler), Raffaélla (überaus wandlungsfähig: Nina Vlaovic) und Fabrizzio (feurig: Raphael Koeb) bestechen zudem als eigenwillige Spätpubertierende.
Die mitgereisten Schalke 04 Fans Horst (Axel Kraus) und Didi (Axel Weidmann) beweisen sich auch als versierte Tänzer, ebenso wie die vom Balkon aus Rosenblätter streuenden AC Florenz Fans und Italiener Marcellino (charmanter Macho: Udo Eickelmann) und Robertino (eifrig Rosen verteilend: Oliver Heim). Letztere träumen auch von einem eigenen Blumenhandel bzw. sorgen dafür, das für verwelkt Geglaubte wieder prächtig aufblühen (hier überraschend: Marina Edelhagen als Berta mit Princes „Kiss“).
Schön dann auch noch das finale „Dankeschön“, bei der in Form eines Staffellaufs jeder vom Ensemble beteiligt ist. Viel Applaus, schon zwischendurch, inklusive fröhlichem Geschunkel und reichlich Lachern für diese beschwingte Revue.
Markus Gründig, Juli 11
Gala 40 Jahre Volkstheater Frankfurt Liesel Christ
Volkstheater Frankfurt, 19. Juni 11
Mit einer großen Gala feierte das Volkstheater Frankfurt Liesel Christ jetzt seinen 40. Geburtstag. Viele Freunde und Wegbegleiter waren zu diesem besonderen Ereignis gekommen. Auch wenn kein offizieller Vertreter der Stadt der Einladung gefolgt war, wird das Theater dennoch von der Stadt gefördert. Schließlich ist es eine unverzichtbare und einmalige Spielstätte, dazu liegt es mitten im Herzen von Frankfurt, gleich neben Goethes Geburtshaus. Vor 40 Jahren erfüllte sich Liesel Christ (1919 – 1996; „Mama Hesselbach“) ihren Traum eines eigenen Mundart-Theaters. Nicht zuletzt durch das über 30 Jahre währende Mitwirken des Regisseurs Wolfgang Kaus etablierte es sich zu einer festen Größe weit über die Stadtgrenzen hinaus. Aktuell wird es von den Töchtern Gisela Dahlem-Christ (Geschäftsführung und Intendanz) und Bärbel Christ-Heß geleitet, Rechtsträger ist der gemeinnützige Verein Frankfurter Volkstheater e.V., künstlerische Leiterin ist Sylvia Hoffman.
Nach einer kurzen Hommage an die Gründerin in Form von Diafotos und einem Lied von CD, gab Gisela Dahlem-Christ einen kurzen Überblick über die Geschichte des Hauses und den damit verbundenen Personen, von denen viele als Gäste anwesend waren. Danach begann der große Programmteil mit zahlreichen Künstlern, wie Margit Sponheimer, Hans Zürn, Sybille Nicolai, Sabine Roller, Julia Schneider, Ulrike Neradt, Anette Krämer, Thomas Koob und dem gesamten Ensemble der aktuellen Produktion „Kleiner Mann, was nun?“. Hierbei wurde sich, ob der vielen Stücke, die bisher inszeniert wurden, auf einige wenige Stücke aus den vergangenen 20 Jahren beschränkt. Es moderierte charmant und eloquent Steffen Wilhelm. Steffen Wilhelm sang auch eifrig, wie im Duett mit Sybille Nicolai „Es muss was Wunderbares sein“ (aus „Im weißen Rößel“). Stimmungsvoll waren auch die vielen anderen Musiknummern, wie „Ein Freund, ein guter Freund…“ (aus „Die Drei von der Tankstelle“) mit Sören Messing, Artur Molin und Rüdiger Schade, „Jente, oh Jente“ (aus „Anatevka“) mit dem betörenden Trio Christine Richter, Sabine Roller und Julia Schneider und Rüdiger Schades großartiger Vortrag von „Wenn ich einmal reich wär („Anatevka“).
Thomas Bäppler (Bäppi La Belle) war als kurzfristiger Ersatzmann für Wolff von Lindenau eingesprungen und präsentierte auf seine einmalige nonchalante Weise „Schenk´ mir doch ein kleines bisschen Liebe… “. Eine grandiose Darbietung bot Sybille Nicolai als Betrunkene („Egon“).
Neben vielen musikalischen Beiträgen, die von Cordula Hacke und Jürgen Streck am Klavier begleitet wurden, sorgten aber auch Wortvorträge für heitere Momente. Wie Hans Zürn mit „Der Kautabak“. Den Saal zum Toben brachten die Red Hot Hottentots mit New Orleans Jazz, in der Pause und am Ausgang sorgte ein junger Drehorgelspieler für nostalgische Stimmung.
Viel Jubel am Ende für diesen liebevollen Abend voller schöner Erinnerungen.
Markus Gründig, Juni 11
Yma ~ zu schön, um wahr zu sein
Friedrichstadt-Palast, Berlin
Besuchte Vorstellung: 1. September 10 (Medienpremiere)
Artistisches, erotisches, poetisches und tänzerisches Show-Superlativ versetzt in eine zauberhafte Traumwelt
Als Show-Tornado, größer als jede Produktion in Las Vegas, wird die neueste Show des legendären Berliner Friedrichstadt-Palasts beworben, die sich jetzt anschickt, an den Erfolg der im Oktober 2008 uraufgeführten Show „Qi- eine Palast-Phantasie“ anzuknüpfen. „Qi“ war die erste Show unter der Intendanz von Dr. Berndt Schmidt, der damit vor zwei Jahren für einen Neuanfang des Hauses sorgte. Schmidt war zuvor Generalbevollmächtigter beim Musical ,Ludwig II – Sehnsucht nach dem Paradies‘ in Füssen und Geschäftsführer für die beiden Stage Entertainment Musicalhäuser Apollo- und Palladium-Theater in Stuttgart.
Mit 14 Nummern im ersten Teil und 12 Nummern im zweiten Teil, ist bei „Yma“ schon allein von der Anzahl her für ein gut zweistündiges Unterhaltungsprogramm gesorgt. Noch bevor das Feuerwerk der Superlative startet, wird der Zuschauer im überarbeiteten Zuschauersaal von einem mysteriös anmutenden Wesen empfangen, das hoch über der Bühne an der Decke schwebt. Zu den Seiten ziehen sich schwarze, schlangenähnliche Glieder, in der Mitte hat es einen großen Frauenkopf. Es zieht mit kritischen, ermahnenden und betörenden Blicken in Bann und bietet damit erste großartige optische Effekte.
Nach einer herzlichen und kurzen Begrüßung durch Dr. Berndt Schmidt zeigte sich ein weiteres Wesen: Yma schwebte galant vom Bühnenhimmel herab. „Yma“ (gesprochen: Ima) ist eine frei erfundene Figur, die dem Publikum mit Charme und Witz aus ihrem Liebesleben erzählt (irgendwie könnte sie auch die junge Schwester von Lilo Wanders sein). Der erste Kuss, das erste Verliebtsein, Träumereien und Romantik, das Ende und die Schuld der besten Freundin… die Hoch und Tiefs des Liebeslebens läßt Yma Revue passieren. Mit zum Friedrichstadt Palast Ensemble passenden langen Beinen, einer variationsreichen Stimme und einem bezaubernden Lächeln gibt Andreas Renee Swoboda der Yma ein einmaliges Profil. Und dann geht’s auch los. Die Eröffnungsnummer „Get The Party Started“ versammelt erstmals fast alle der insgesamt über 100 Personen, die bei dieser Produktion auf der Bühne mitwirken. Das Stimmungsvoltmeter ist hierbei noch gedrosselt. Das ändert sich bei „Lady Marmalde“, bei dem zehn Damen eindrucksvoll an einer Ballettstange heiß posieren. Und von heißen Nummern gibt es viele. Da bedarf es immer mal wieder einer Abkühlung. Sei es, wenn sich zu „Sexmachine“ acht Mitglieder des männlichen Ballett-Ensembles nackt hinter einer Milchglasscheibe rekeln und das Duschwasser vom Bühnenhimmel herabfällt, oder wenn Teile des weiblichen Ballett-Ensembles sich bekämpfen und dann in einem Bassin abtauchen.
Sechs jeweils knapp 20 Quadratmeter große fahrbare LED-Wände zeigen mit ihren 300.000 LED-Lampen spektakulären Bildner und sorgen so für atemberaubende Szenen (Videocontent-Programmierung und –Gestaltung: Marcus Boßdorf). James Bond Stimmung im XXL-Format gibt es bei „Fire Cocoon“. Hierbei steht eine große Metallröhre (Durchmesser acht Meter, 200 m² verspiegelte Innenfläche und ein Gewicht von knapp 3 Tonnen) in der Bühnenmitte und der Feuerkünstler des U-Show Teams zeigt seine Kunststücke. Einmalig und nicht zu toppen ist jedoch die Girlreihe bei „This Is The Dream Of my Life“, unmittelbar vor der Pause. 64 Frauenbeine bewegen sich synchron wie ein einziges. Das ist Entertainment und Show, das ist der Berliner Friedrichstadt-Palast. Wow!
Die große tänzerische Leistung des Balletts unter der Direktion von Alexandra Georgieva zeigt sich von Pop bis zum Tango. Zusätzlich untermauern die „Flying Steps“ mit ausgefallenen Breakdance Nummern die Vielfalt des Tanzes.
Neben den grandiosen Tanznummern gibt es exzellente artistische Darbietungen. So beeindruckt der russische Äquilibrist Andrey Katkov wenn er auf einer Hand seinen Körper in alle Himmelsrichtungen biegt und das ukrainische Paar Olesya und Dmitriy Shulga mit ihrem „Flight of Passion“ in luftiger Höhe. Für Begeisterungsstürme sorgte das ukrainische U-Show Team mit seinen Trampolin-Sprüngen an einer extravaganten Hüpfburg.
Ähnlich wie beim Cirque du Soleil, begleiten auch bei der Show „Yma“ Sänger die einzelnen Nummern. Hier sind es Meike Jürgens, Anna Krabbe und Koffi Missah, die mit ihren Stimmen einzelne Nummern von der Seite aus unterstützen. Allerdings stehen sie auch auf der Bühne im Mittelpunkt. So Anja Krabbe bei „Muscles“, als lasziver, Männer verschlingender sexy Vamp auf einem riesigen roten Plüschbett.
Das Orchester unter der Leitung des jungen Dirigenten Daniel Behrens spielt über der Bühne und seitlich und sorgt für einen schmissigen Sound. Ausgefallen sind auch die Kostüme (Show Couture Designer: Michael Michalsky), mit an Tiere erinnernden Roben, leuchtenden Anzügen und sexy Dessous.
Erzählt wird keine in sich geschlossene Geschichte, die einzelnen Nummern sind nur lose miteinander verbunden. Das irritierte manchen Stammbesucher. Jedoch: die Show läuft perfekt ab, großartige, emotional ansprechende Bilder (mal mit schwebenden Tänzer, mal mit tollen Projektionen) sorgen für Weltstadtflair. Unter der Regie von Jürgen Nass zeigt sich das Ensemble des Friedrichstadt Palasts und seine künstlerischen Gäste in Höchstform. In Verbindung mit einem perfektes Lichtdesign (Marcus Krömer) und einem klasse Sound (Sounddesign: Gerd Drücker) wird der Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis. Das artistische, erotische, poetische und tänzerische Show-Superlativ versetzt in eine zauberhafte Traumwelt. Europas bedeutendster und zeitgemäßer Show-Palast steht unzweifelhaft in der Berliner Friedrichstrasse.
Markus Gründig, September 10
Bäppi la Belle: Die Bäppi Ford Klinik
Bäppi´s Theatrallalla, Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 20. August 10 (Premiere)
Alltagsstress und Sorgen? Probleme auf der Arbeit und in der Familie? Einsamkeit, Tristesse und Not macht sich breit? Nun, das ist alles kein Problem. Ihnen kann geholfen werden! Bäppi, die Spezialistin für derart schwierige Fälle, hat in den letzten Jahrzehnten bereits schon viele Menschen geheilt, prominente wie weniger prominente. Jetzt hat sie sogar ein eigenes Gesundheitskompetenzzentrum eröffnet: Die Bäppi Ford Klinik. Hier wird jedem geholfen, der einfach mal allen Alltagsschrott vergessen will und für ein paar Stunden herzhaft lachen und sich amüsieren will.
Doch bevor es soweit ist, geht es erst einmal von Hippdebach nach Dribbdebach, bzw. genauer zum Flughafen, wo schon eine Maschine der Theatrallalla Airline mit einer bezaubernden Chefstewardess wartet. Diese fragt sogleich: „Was trennt zwei Alkoholiker und drei Nymphomaninnen?“ Genau: die Cockpittür…
Wieder sicheren Boden unter den Füßen, stellen sich einige der bekanntesten ehemalige Patienten der Klinik vor, aber auch solche, die noch in Behandlung sind (bzw. sich zur Behandlung dort einfinden sollten), wie Amy Winehouse, Liza Minelli, Liz Taylor. Bäppi trumpft auch bei dieser Show wieder nicht nur mit ihren unglaublich attraktiven Beinen auf, sondern auch erneut mit ausgefallenen Kostümen (die entworfen und handgefertigt wurden von: Vladimir Vlahovic, Bärbel Klaesius und Gundula Hartwig). Dazu stets Top-Frisuren (Peter Bohländer) und ihrem einzigartigen herzlich derben Charme.
Dresser Tobias Wick glänzt als Winnetouch auf seiner Puder-Rosa-Ranch, auch seinem Pflegeprogramm würde man sich nur zu gerne anvertrauen. In kurzen Audioeinspielungen ist auch wieder Luigi (alias Johannes Scherer) mit von der Partie, dazu neu Dieter Gring und Sibylle Nicolai. Musicalprofi Michael Kargus ist in einer Videoeinspielung in seiner Paraderolle als Cabaret-Conférencier zu sehen.
Bäppi, erst einmal in Fahrt gekommen, ist nicht zu bremsen, teilt wieder kräftig aus und spart auch nicht mit Selbstkritik („Meine Falten fresse ich mir weg“). Das Premierenpublikum (darunter Volkstheater-Chefin Gisela Dahlem-Christ, TV-Koch Mirko Reh, Mentalmagier Lars Ruth, und HR-Moderator Holger Weinert mit Lebenspartner Roland Klostermann) war zu recht begeistert.
Markus Gründig, August 10
Flic Flac – “ARTgerecht”
Gastspiel in Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 29. April 10 (Premiere)
Ein Zirkus der rockt
Nicht ohne Grund nennt sich der Zirkus Flic Flac im Untertitel „the modern art of circus“. Denn Flic Flac ist alles andere als ein gewöhnlicher Zirkus: Es gibt keine Elefanten, Ponys oder sonstige Tiere und auch keine typischen Clowns. Dafür hammerharte artistische Nummern, die mit rockigen Beats und opernhaften Arien in einer an Tempo kaum zu überbietenden Show aktionsreich und spektakulär dargeboten werden. Ein Zirkus, der rockt – und wie!
Das aktuelle Programm „ARTgerecht“ wurde von dem französischen Regisseur Bruno Darmagnac inszeniert, der hier, im Gegensatz zu manch früherer Flic Flac Show, zwar nicht auf düstere Elemente verzichtet, ihnen aber als Pendant auch Engelhaftes gegenüberstellt. Dies wird schon gleich zu Beginn deutlich, bei dem die weiß gekleideten Artisten auf weißem Boden in vollkommener Harmonie „artgerecht“ zusammenleben. Die ukrainische Sopranistin Alexandra Gerbey unterstützt als Fee mit ihrem arienhaften Gesang diese verzauberte Szenerie (was sie später wiederholen wird, dann schwingt sie sich jedoch nicht nur zu Koloraturhöhe auf, sondern gleichzeitig auch artistisch am Vertikaltuch, ohne auch nur ein wenig aus dem Atem zu geraten). Als erste Nummer präsentiert die russische Tsisov Truppe auf dem Hoch- und Schrägseil waghalsige Läufe, mit einem Spagat, bei dem die Artistin mit ihren Füßen auf den Köpfen von zwei Läufern ruht oder bei dem, auf einem Kopf ruhend, ein Handstand gegeben wird (wohlgemerkt auf dem Hochseil, bei gleichzeitiger Präsenz von vier weiteren Artisten auf dem Seil nebst Querbalken).
Ein so paradiesischer Zustand der Harmonie und Eintracht kann auf Erden nicht von Dauer sein. Und so mischt Rockröhre Frank Fabry als Bösewicht das Paradies mal so richtig auf und befreit die Menschen aus der Mittelmäßigkeit. Er bestreitet musikalisch weite Teile der Show. Seine Lieder erinnern stark an den Stil von Rammstein. Ihre brachiale Stimmung mit basslastigen Beats passt hervorragend zu den besonders kraftvollen Nummern, wie bei den „Bikers“, mit ihren Sprüngen und Salti auf LKW-Reifen und an der russischen Schaukel. Aber auch zum Wasser und Feuer speienden Anatoli Zhukov oder Larissa Kasteins hingebungsvoller und sexy Performance an der Pole-Stange (zu „Ich will sterben für dich“). Diese Artisten sind dann auch in Schwarz gekleidet, also bei dem wenigen, was sie zum Teil tragen.
Im Wechselspiel mit Gut und Böse folgen den actionreichen Nummern auch immer wieder poetisch anmutende Vorführungen, wie die der jungen Äquilibristin Tatjana Kastein (die ihren Körper auf einem Arm gestützt scheinbar knochenlos drehen und wenden kann) und der ukrainischen Crazy Flight Juniors (die Ähnliches, allerdings aufeinander [!], vorführen).
Einfach nur peinlich ist Komiker, Jongleur und Zauberkünstler Steve Eleky, der im Schottenoutfit allein mit seinen Grimassen das Publikum zum Toben bringt. Sein lang gezogenes „Hi“ bohrt sich sofort als Ohrwurm fest, da hilft dann auch nicht mehr, dass er es mit einem kleinen Plastik „Hai“ erklärt (der aber eigentlich weiblich ist, heißt nämlich „Hei-di“).
Krasse Artistik bieten auch Nicolai Kuntz am Schwingtrapez, die Heros am fliegenden Trapez, Yulia Galenchyk am Vertikalnetz (was mehr einem Tuch ähnelt) und die Bulgaren Miroslav Toskov und Nicolay Dobrovolov am Strapatenseil. Da bleibt nur Hochachtung vor jedem Athleten.
Flic Flac ohne den „Globe of Speed“ ist undenkbar. Viele kommen allein wegen der Finalnummer, bei der mittlerweile bis zu acht kolumbianische Fahrer auf Motocross-Maschinen durch eine Stahlkugel (Durchmesser: 5,60 Meter) sausen, kreuz und quer, sodass es nur so aus dem Globe qualmt.
Bevor mit einem furiosen Abschied, bei dem die Fetzen fliegen, das 2,5-stündige Programm beendet wird, haben sich die Fee und der Bösewicht gefunden und schreiten einer gemeinsamen Zukunft, trotzt aller Gegensätze, entgegen.
Seit über 20 Jahren gibt es Flic Flac, gegründet wurde er von den Brüdern und Artisten Benno und Lothar Kastein mit ihren Ehefrauen Scarlett Kaiser-Kastein und Gabi Kastein in Isselburg bei Bocholt. Die aktuelle Tournee „ARTgerecht“ wird als Abschiedstournee bezeichnet, denn die Macher gönnen sich ab Sommer 2010 eine kreative Pause (eine Wiederaufnahme des Spielbetriebes ist nicht in konkreter Planung). Also nichts wie hin, denn zu sehen gibt es Atemberaubendes, in knackigen Formen und last, but not least, zu attraktiven Preisen (von Euro 18,50 bis 42.50).
Markus Gründig, April 10
Bäppi & Lars: Abramakabra ~ Die Hexe und der Zauberer
Bäppis Theatrallalla Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 29. Dezember 09
Simsalabim: Da will ich hin!
Bei diesem Programm trifft die Kunst der Travestie auf die Kunst der Magie. Warum diese Kombination erst jetzt von Bäppi & Lars Ruth, den Frankfurter Weltstars, in einer bezaubernden und herrlich blödsinnigen Show gezeigt wird, ist schon verwunderlich, geht es doch in beiden Künsten darum, dem Publikum falsche Realitäten vorzumachen.
Bei seinen jüngsten Rekordshows „Samstags gibt´s dick Supp“ und „Angela, du goldisch Maus“ zeigt Travestiekünstler Thomas Bäppler alias Bäppi nicht nur seine eleganten Beine, sondern besticht auch in den ausgefallensten Kostümen als singende und ansteckend fröhlich hessisch babbelnde Grande Madame. Lars Ruth gastierte in Bäppis Theatrallalla zuletzt im Mai 09 mit seinem Mentalmagie Soloprogramm. Stop. Mentalmagie, was ist denn das? Als Spezialgebiet der Zauberkunst kombiniert die Mentalmagie Suggestion, Psychologie und Magie. Doch auch Prinzipien von Telepathie, Psychokinese und Hypnose finden sich hier wieder. Kurz gesagt: es geht darum die Gedanken anderer zu lesen oder vorherzusehen (spätestens seit den großen Uri Geller TV-Shows dürfte die Mentalmagie eigentlich jedem bekannt sein).
Wenn nun also erstmalig Bäppi und Lars gemeinsam arbeiten, kann nur eine lachmuskelintensive, spannungsgeladene und zauberhafte Show herauskommen.
So sind es auch die Meister des Unmöglichen aus Las Vegas höchstpersönlich, die zu Beginn im kuscheligen Theatrallalla Theater erscheinen: Siegfried (alias Bäppi) schiebt Roy (Lars Ruth) im Rollstuhl durch den Saal auf die Bühne, natürlich mit Montecore, dem bissfreudigen weißen Tiger, im Schlepptau.
Noch bevor der smarte Lars Ruth seine erste Mentalnummer zeigt, gibt er sich als Sänger zum Besten (das macht er gar nicht mal so schlecht; wobei auch Bäppi noch einmal gesangstechnisch ordentlich zugelegt hat). Während Ruth singend um einen Biergarniturtisch zieht, macht es plötzlich zisch, rums und Donnerschlag und schon steht in ihrer ganzen Pracht die gute Bäppi im kurzen roten und wild glitzernden Paillettenkleid funkelnd auf der Bühne und freut sich wie eine Prinzessin. Wow, da hat die Hebebühne von PitStop (eine Etage tiefer) ganze Arbeit geleistet (wie Bäppi später den Zauber ihrer plötzlichen Erscheinung erklärt).
Gut gelaunt und mit unter die Gürtellinie frotzelnden Kommentaren zieht Bäppi durch das Publikum (und drückt dabei zehn Gästen Stift und Zettel in die Hand), bereitet Lars Ruth die „Lidl-Nummer“ vor. Mit Unterstützung von Peggy aus dem Publikum, die eine der zehn ausgefüllten Zettel, der vorgabegemäß ein Produkt und den Preis beinhaltet, zieht. Und was befindet sich in der Lidl-Tüte, die neben den beiden steht? Genau das von einem Gast ausgewählte Produkt, natürlich inklusive Kassenzettel mit dem exakten Preis
Später beim Russischen Roulett wird statt Revolvern ein Zimmermannsnagel verwendet. Stefan aus dem Publikum gibt sich tapfer und schlägt wagemutig auf die aufgestellten Pappbecher, bis am Ende tatsächlich geklärt ist, unter welchem der die Hand durchbohrende Nagel versteckt war. Später werden noch Sektgläser und –flaschen scheinbar aus dem Nichts hervorgebracht, genauso wie eine Batterie von Weckern und selbst ein Häschen fehlt dabei nicht. Beeindruckend ist, wie Lars Ruth ausgewählte Gegenstände blind erkennt und nicht nur bei der Potter-Nummer (bei der er einen kleinen Tisch durch den Saal schweben lässt) oder seiner „Verschwindens-Nummer“ fragt man sich: „Wie macht er das bloß?“ Gibt es doch eine höhere Macht die hier mitwirkt?
Mitwirken tut vor allem Hausherrin Bäppi. Zappelnd und fröhlich alle Gliedmaße von sich streckend, fragend: „Was ist das?“, bekennt sie, sich selbst von spitzen Kommentaren nicht ausnehmend, dass sei ausgelassener Speck! Weihnachtsplätzchen und das Festtagsessen blieben halt nicht folgenlos. Sie babbelt frech und fröhlich wie ihr der Schnabel gewachsen ist, singt frohgemut im ostfriesischen sado-maso Schlampenrock, da kann auch ein Magier sie nicht stoppen und schon gar nicht der Licht- & Tontechniker, der ihr nach gut zweieinhalb Stunden den Saft abdrehen will.
Bis dahin gab es nicht nur verblüffende und herzhaft komische Momente, sondern auch besinnliche, wie bei der Mosaikbildnummer oder beim aus der Hand gezauberten Schneetreiben zu dem Lied „Winter in Kanada“.
In schöner Erinnerung bleibt aber auch Assistent Tobi, der als genervter Junker im Gothic Style vor „guter Laune“ fast explodierte. Die von Dirk Schicke und Thomas Bäppler inszenierte Show läuft noch bis zum 6. Januar 10 in Bäppis Theatrallalla, beste Gelegenheit also für einen bezaubernden Start in das neue Jahr.
Markus Gründig, Dezember 09
Bäppi La Belle: Samstags gibts dick Supp
Theater in der Tanzschule, Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 7. März 08
Oh Gott diese Samstage! Muss es denn jeden Samstag Suppe geben? Im Hause Bäppler war dies der Fall und Bäppi La Belle kann noch heute ein Lied davon singen. Doch die Suppe am Samstag ist nicht ihre einzige unleidige Erinnerung an die Kindheit im Frankfurter Stadtteil Griesheim. Gepflogenheit der unterschiedlichsten Art dienen Bäppi La Belle jetzt als Vorlage für eine neue, schrille Show (Showtexte, Choreografie und Bühnenbild: Thomas Bäppler). Seien es die Eigenarten von schwangeren Frauen, Müttern mit zu laxen Erziehungsmethoden oder wertlose Männer („Brüste ohne Milch, Eier ohne Schale, Sack ohne Geld und wegen 70 gr. Wurst lohnt es sich nicht ein ganzes Schwein zu kaufen“).
Bei Bäppi bekommt jeder sein Fett weg, freilich stets mit Charme und einem derben Augenzwinkern vermittelt und scheut sich auch nicht vor selbstironischen Bemerkungen.
Dabei gibt sie sich u.a. als Marlene Dietrich, im Bein freien schwarzen Kunstkleid mit roten Nähten („Batman als Tunte von Gotham City“), konservativ als Lia Wöhr, im roten Discodress als Frida (ABBA) und endlich erstmals als Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die aufwändigen Kostüme von Vladimir Vlahovic und Bärbel Klaesius wurden auch für diese Show extra für sie handgefertigt. Allein für ein langes schwarze Kleid wurden 150 m Marabu-Boa verarbeitet. Viele Kleider geben dabei den Blick auf ihre atemberaubende Beine frei, die nach wie vor bei den anwesenden Damen für Neid und für Begeisterung bei den Herren sorgen.
Musikalische Klassiker wie „Ich bin die fesche Lola“, „Sag mir, wo die Blumen sind“ (mit sozialkritischer Aktualisierung), „Dancing Queen“ (unterstütz vom ekstatischen Dresser Tobi) bringen den Saal in Stimmung und auch ein Vorschlag für eine hessische Landeshymne fehlt bei der mit viel Lokalkolorit gewürzten Show nicht. Für dumme Sprüche aus dem Off sorgt zudem der von Hitradio FFH bekannte Luigi (alias Johannes Scherer).
Was bei einem Besuch von Bäppi La Belles Show zählt ist vor allem das Gesamtprodukt: ein Abend voller Lacher und unbeschwerter Kurzweil. Da schmeckt einem dann auch am Samstag wieder die dick Supp.
Markus Gründig, März 08