Wagners »Der fliegende Holländer« als Psychothriller am Staatstheater Wiesbaden

Der fliegende Holländer ~ Staatstheater Wiesbaden ~ v.l.n.r.: Daland (Young Doo Park), Senta (Dorothea Herbert), Holländer (Tommi Hakala), im Video: Junge Senta (Nina Vohs) ~ © Thomas Aurin
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Statt den aufrichtigen und liebenswerten Erik zu lieben, opfert sich Senta dem undurchsichtigen und mysteriösen Holländer. Eigentlich. Doch in der Neuinszenierung am Staatstheater Wiesbaden ist nicht nur viel los, es ist auch vieles anders. Regisseur Martin G. Berger fokussiert sich auf die Figur der Senta. Ein dunkler Schatten aus der Vergangenheit umgibt sie. Dabei geht es vor allem um die dunklen Seiten des Vaters. Die Inszenierung thematisiert sexuelle Gewalt, dementsprechend wird ein Besuch ab 16 Jahren empfohlen.

Schon beim Betreten des Zuschauersaals treten auch die ersten Sänger:innnen auf die Bühne. Diese zeigt vor einem Bungalow sechs Bierzeltgarnituren, seitlich werden Würste auf einem Grill gebrutzelt. Die Gruppe wird immer größer, ein Fest wird vorbereitet. Alle sieben Jahre wird beim Unternehmer Daland eine Piratenparty gefeiert und der Legende des fliegenden Holländers gedacht. Dementsprechend sind alle auch mehr oder weniger als wilde Seeleute gekleidet und fröhlich gestimmt. Aus dem Orchestergraben tönen dann vorab nicht nur die üblichen Einspiel- und Anspieltöne, sondern beschwingte Klaviermusik. Doch der Schein trügt, unter der scheinbar sorglosen Oberfläche liegt ein dunkles Geheimnis. Davon erfährt Senta, die heute erstmals nach Hause zurückkommt. Auf dem Fest vor 21 Jahren verließ ihre Mutter den Ort und nahm die damals vierzehnjährige Senta mit. Aus der Schauerballade entwickelt sich sogartig ein packender Psychothriller, bei dem die Figuren des Vaters und des Holländers immer mehr ineinander verschmelzen.

Der fliegende Holländer
Staatstheater Wiesbaden
Chor des Hessischen Staatstheater Wiesbaden, stehend: Daland (Young Doo Park)
© Thomas Aurin

Unverzichtbare Videos

Der auf der Bühne platzierte kleine Bungalow wird hauptsächlich von seiner Rückansicht gezeigt, einer Garage. Hinter einem Sektionaltor, das ständig auf- und zugeschoben wird, verbirgt sich ein Raum. In ihm lagern zahlreiche Bierkisten und eine Matratze. Dunkle Tannen deuten später einen Wald an. Für die Finalszene bekommt der Bungalow eine Galionsfigur verordnet (Bühne: Alexandre Corazzaola).

Dem Bühnengeschehen gleichgestellt sind aufwendig erstellte Videos, sie sind für das Verständnis dieser Inszenierung unverzichtbar. Sie zeugen von der Kindheit Sentas, von ihren Träumen und dem, was damals geschah (Video: Vincent Stefan). Sie werden auf herabgelassene Leinwände, auf das Haus und einem Bühnenvorhang projiziert. Sind die Übergänge auch sehr fließend, ist der Gesamteindruck allein ob der Masse ablenkend und verstörend. Vater, Tochter und ihr Freund tragen Jeans, allein der Holländer bleibt als Legende stets in seiner Piratentracht (Kostüme: Esther Bialas).

Der fliegende Holländer
Staatstheater Wiesbaden
Der Holländer (Tommi Hakala), Daland ( Young Doo Park)
© Thomas Aurin

Am Ende ist es Erik, der Senta zuspricht und ihr einen neuen Weg in ihre persönliche Freiheit aufweist. Dazu gibt es ein starkes Bild, wenn eine Alter Ego-Schar gleich gekleideter Kinder auf die Bühne tritt. Senta hat erkannt, das der liebende und zerstörerische Vater zusammengehören. Ihr Trauma kann sie hinter sich lassen, sie ist erlöst (ausführliche Informationen zum Inszenierungsansatz finden sich im Programmheft).

Musik und Gesang sind zugänglicher

Wie der Schlussapplaus bei der Premiere zeigte, hat die Regieidee nicht alle überzeugt. Auf musikalischer und gesanglicher Seite sieht das aber anders aus. Hier gab es für alle Beteiligte viel Beifall. Generalmusikdirektor Leo McFall leitet das Hessische Staatsorchester Wiesbaden mit sichtbarer Leidenschaft, kräftig gegen die szenische Bilderflut ankämpfend. In der Titelrolle nimmt der finnische Bariton Tommi Hakala für sich ein. Wendig wie ein Captain Jack Sparrow (Fluch der Karibik) beherrscht er die Szenerie, was er auch vokal untermauert. Bass Young Doo Park ist ein nicht nur vokal kraftvoller Daland.

Der fliegende Holländer
Staatstheater Wiesbaden
Senta (Dorothea Herbert), Erik (Aaron Cawley)
© Thomas Aurin

Sopranistin Dorothea Herbert gibt die verunsicherte Senta authentisch und innig. Mit kraftvollen Spitzentönen gefällt Tenor Aaron Cawley als sich um Senta sorgender Erik. Mit großer Spiellaune sind nicht nur Ariana Lucas als Mary und Lukas Schmidt als Der Steuermann beteiligt, sondern auch die von Albert Horne einstudierten Chöre (Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden).

Markus Gründig, Januar 25

Bei den Internationalen Maifestspielen 2025 werden Vida Miknevičiūtė als Senta, Johan Reuter als Holländer und Stephen Milling als Daland zu erleben sein.


Der fliegende Holländer

Romantische Oper in drei Aufzügen
Von: Richard Wagner (1813 – 1883)

Uraufführung: 2. Januar 1843 (Dresden, Königliches Hoftheater)

Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 19. Januar 25 (Großes Haus)

Musikalische Leitung: Leo McFall
Inszenierung: Martin G. Berger
Bühne: Alexandre Corazzola
Kostüme: Esther Bialas
Video: Vincent Stefan
Licht: Klaus Krauspenhaar
Chor: Albert Horne
Dramaturgie: Katja Leclerc

Besetzung:

Der Holländer: Tommi Hakala
Daland: Young Doo Park
Senta: Dorothea Herbert
Erik: Aaron Cawley
Mary: Ariana Lucas
Der Steuermann: Lukas Schmidt

Chor: Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden/Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Orchester: Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Statisterie: Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden

staatstheater-wiesbaden.de