Oper mit Historienbezug: »L’Aignon« am Staatstheater Mainz

L’Aiglon ~ Staatstheater Mainz ~ L’Aiglon (Alexandra Samouilidou), Flambeau (Derrick-Ballard) ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Mit Beginn der Spielzeit 2025/26 tritt Hermann Bäumer sein neues Amt als Musikdirektor der Staatsoper Prag an. Doch bis zum Sommer ist der Mainzer Generalmusikdirektor und Chefdirigent noch in Mainz. Hier leitet er u. a. noch die Neu-/Erstinszenierungen von L´Aignon und Das schlaue Füchslein (Premiere: Juni 25), sowie die Symphonie Fastnachtique (21. – 23. Februar 25) und zwei Sinfoniekonzerte (14./15. März, 13./14. Juni 25).

Jetzt feierte unter seiner musikalischen Leitung die fünfaktige Oper L´Aignon ihre Mainzer Erstaufführung. Es ist allein schon deshalb ein außergewöhnliches Werk, weil es aus der Feder von zwei Komponisten stammt: Arthur Honegger (1892 – 1955) und Jacques Ibert (1890 – 1962).

Trotz unterschiedlicher Klangfarben und Stile wirkt die Oper an sich recht geschlossen. Ibert haftet der Ruf eines Eklektikers an. Honegger war der neuen deutschen Musik (Berg, Mahler, Schönberg, Strauss) aufgeschlossen. Bekannt ist sein Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher (an der Oper Frankfurt wurde es in 2017 inszeniert (Besprechung), es wird am 21. Juni 25 wiederaufgenommen). Honegger zählte zur Groupe des Six, die gemeinschaftliche komponierte und Konzerte gab (neben Honegger waren dies Georges Auric, Louis Durey, Darius Milhaud, Francis Poulenc und Germaine Tailleferre).

L’Aiglon
Staatstheater Mainz
Flambeau (Derrick-Ballard), Thérèse de Lorget (Julietta Aleksanyan), L’Aiglon (Alexandra Samouilidou), Marie Louise (Anke-Peifer), Opernchor
© Andreas Etter

Musik ist für ein breites Publikum zugänglich

1937 uraufgeführt, ist die Musik für ein breites Publikum zugänglich. Hermann Bäumer arbeitet mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz die Vielfalt der neoklassizistischen Musik schön akzentuiert heraus. Dazu gehören auch Revolutionslieder, fröhlich stimmende Walzerklänge und veristische, filmreife Melodienbögen mit Ohrwurmcharakter. Jeder der fünf Akte hat dabei seinen ganz eigenen musikalischen Schwerpunkt.

Anspruchsvolles Libretto

Anspruchsvoll ist das Libretto von Henri Cain nach Edmond Rostand’s Drama L´Aignon. Es geht um Politik, infolge dessen wird viel „poitisiert“. Sollte man nicht der französischen Sprache mächtig sein, ist ein intensives Lesen der Übertitel unverzichtbar. Hilfreich ist eine im Theater ausliegende Sonderausgabe der Theaterzeitung, die einen guten Überblick über die Figuren gibt (sie ist auch downloadbar).

L’Aiglon
Staatstheater Mainz
Flambeau (Derrick-Ballard)
© Andreas Etter

Im Mittelpunkt steht L´Aignon, der Adler. Damit ist die historische Figur von Napoléon François Joseph Charles Bonaparte (1811 – 1832) gemeint. Er gilt als der einzige legitime männliche Nachkomme Napoleon Bonapartes und erhielt den bedeutungslosen Titel „Herzog von Reichstadt“. Seine Mutter war Marie-Liuise von Österreich, der zweiten Ehefrau von Napoleon (sie war die Tochter des österreichischen Kaisers Franz II./I.). An den dortigen Hof mussten die beiden nach Napoleons Regierungszeit umziehen (deshalb spielt die Handlung auf dem Wiener Schloss Schönbrunn).

Von Macht und Ruhm träumend, möchte L´Aignon die alte Ordnung in Frankreich wiederherstellen. Schnell schrecken ihn Geschehnisse auf dem Schlachtfeld aber ab und holen ihn zurück in die Realität. Oper, wie bereits das Drama, sind frei erfunden. Der frühe Tod des L´Aignon entspricht allerdings der Realität, er starb 21jährig an den Folgen einer Lungenkrankheit (Tuberkulose).

Sein Vater Napoleon Bonaparte war übrigens neunmal in „Mayence“ (Mainz) und ordnete u. a. an, am Gutenbergplatz ein Theater zu errichten. Zu seiner Zeit konnte das zwar nicht umgesetzt werden, doch seit 1833 hat das Staatstheater Mainz (ehemals Großherzoglichen Nationalbühne Mainz) dort seinen von Georg Moller geschaffenen Bau.

L’Aiglon
Staatstheater Mainz
Fürst von Metternich (Gabriel Rollinson), Der französische Militärgesandte: (Collin Andre Schöning)
© Andreas Etter

Handlung spielt zur Originalzeit

Für Regisseurin Luise Kautz ist es nach Carmen die zweite Arbeit für das Staatstheater Mainz. Auf eine Versetzung in die Gegenwart verzichtet sie. So spielt die Handlung zwischen 1831 und 1832. Valentin Mattkas Bühne zeigt einen großen Saal im Wiener Schloss Schönbrunn. Es ist ein goldener Käfig für den jungen L´ Aignon. Von Akt zu Akt wandelt sich der Raum. Salon, Ahnengalerie, Theater sind zunächst ganz real, dann wandelt sich der Raum ins Abstrakte. Das Schlussbild zeigt eine puzzle ähnliche Rückwand unterschiedlicher Bilder (Gemäldeausschnitte und Napoleondarstellungen). Auch die Kostüme haben historische Bezüge. Sie beleben die szenische Wirkung deutlich (Kostüme: Tanja Liebermann).

Titelfigur als Hosenrolle

Die anspruchsvolle Titelfigur des L´Aignon ist als Hosenrolle angelegt. Sopranistin Alexandra Samouilidou betört dabei als um seinen Platz suchender Prinz gesanglich und darstellerisch. Von einer betont maskulinen Darstellung wurde hier abgesehen.
Alle weiter Beteiligte, und deren gibt es viele, entsprechen ihrer Rolle, eine charakterliche Entwicklung ist nicht vorgesehen. Bass-Bariton Derrick Ballard ist als Flambeau ein loyaler Bonapartist mit sonorer Stimme. Bariton Gabriel Rollinson ist der Strippenzieher und Aignon überwachender Fürst von Metternich. Sopranistin Julietta Aleksanyan ragt als volltönende Vorleserin und Vertraute Thérèse de Lorget heraus.

Nach knapp zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) viel Applaus, auch für das Inszenierungsteam.
Es gibt nur fünf weitere Vorstellungen dieser Opernrarität.

Markus Gründig, Januar 25


L’Aiglon

Oper in fünf Akten
Von: Arthur Honegger (1892 – 1955) und Jacques Ibert (1890 – 1962)
Libretto: Henri Cain (basierend auf Edmond Rostand’s gleichnamigen Drama)
Uraufführung: 11. März 1937 (Monaco, Oper Monte-Carlo)

Premiere am Staatstheater Mainz: 25. Januar 25 (Großes Haus)

Musikalische Leitung: Hermann Bäumer
Inszenierung: Luise Kautz
Bühne: Valentin Mattka
Kostüme: Tanja Liebermann
Video: Judith Selenko
Licht: Frederik Wollek
Chorleitung: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Theresa Steinacker

Besetzung:

L’Aiglon, Herzog von Reichstadt: Alexandra Samouilidou
Flambeau: Derrick Ballard
Fürst von Metternich: Gabriel Rollinson
Marschall Marmont: Tim-Lukas Reuter
Friedrich von Gentz: Myungin Lee
Der französische Militärgesandte: Collin Andre Schöning
Graf Prokesch-Osten: Daniel Semsichko
Sedlinksky, Polizeichef: Patrick Hörner
Thérèse de Lorget: Julietta Aleksanyan
Marie Louise, Gräfin von Parma: Anke-Peifer
Komtesse Camerata: Liudmila Maytak
Fanny Eslssler: Verena Tönjes
Venezianische Maske: Alexander Simoes
Zweite venezianische Maske: Jinsei Park
Gilles: Doğuş Güney
Pierrot: Agustin Sanchez Arellano
Polichinelle / Ein Offizier: Scott Ingham
Harlequin: Dennis Sörös
Isabelle: Franziska Jobst
Eine Marquise: Katharina Sebastian

Opernchor des Staatstheater Mainz
Statisterie des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

staatstheater-mainz.com