Gioacchino Rossini war ein emsiger Opernkomponist, der 39 Opern schuf. Da ist klar, dass nicht alle bekannt sind. Die Oper Frankfurt hilft dem nach und wird in der kommenden Spielzeit drei von Ihnen neu inszenieren (Otello, La gazetta und Bianca e Falliero). Eine weitere selten auf den Spielplänen stehende Oper war jetzt als ein Highlight der diesjährigen Internationalen Maifestspiele Wiesbaden zu sehen. Dort gastierte für eine Vorstellung Max Emanuel Cencics Inszenierung von La Donna del Lago. Das Gastspiel kam durch Parnassus ARTS Productions zustande. Die Koproduktion zwischen der Opera de Lausanne (wo vor einem Jahr die Premiere stattfand) und dem National Theater Zagreb (wo sie im April gespielt wurde) wird im nächsten Jahr auch in einer konzertanten Version auf Tour, u. a. in Wien und Moskau, zu erleben sein. Auch wird sie am National Theater Zagreb wiederaufgenommen.
Sieht man Bilder der opulenten Inszenierung, mutet sie zunächst recht klassisch an. Doch Regisseur Max Emanuel Cencic hat sie nicht nur als vielschichtige Erzählung angelegt, sondern auch als einen hysterischen Tagtraum der Elena, der attraktiven Frau vom See. Die ist, wie sich erst zum Schluss zeigt, eine unglücklich verheiratete Frau. Ihren Mann würde sie lieber tot als lebendig sehen (der sterbende Rodrigo ist hier zugleich ihr Ehemann). Und natürlich läuft es zwischen den beiden auch im Bett nicht mehr. Mit Büchern flieht sie deshalb in ihre eigene obsessive Fantasiewelt, hin zu entfesselter Libido. Hinter einem riesigen Bilderrahmen mit Goldrand findet die eigentliche Handlung wie in einem Kolossalgemälde statt. Anfangs und zum Ende steht Elena jeweils vor dem „Gemälde“ und stellt schließlich ernüchternd fest, dass alle entfesselte Leidenschaft lediglich ein Traum war und ihr Mann immer noch der gleiche ist wie immer.
Konsequenterweise zeigt die Einheitsbühne von Bruno de Lavenere dann auch nur einen feudal ausgestatteten privaten und großzügigen „Lustraum“, mit edel anmutenden Säulen, Sesseln und Bistrotischen, zahlreichen Nischen mit dünnen schwarzen Vorhängen und einer Empore mit Balustrade. Eine Festung, eine Grotte oder eine Hütte, wie im Libretto vorgesehen, gibt es in Elenas Fantasiewelt nicht. Schottisches Hochland und Unterwasserbilder des Sees erscheinen hinter den großen Fenstern des Etablissements als Videoprojektionen. Elena ähnelt, ist sie erst einmal von ihrer Welt in ihren Traum gerückt, einer Kurtisane. Die Gastfreundschaft die sie dem Jäger Uberto gewährt, geht über das übliche Maß weit hinaus und ist weiterer Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Die auftretende höfische Damengesellschaft ist freizügig und erotisch gekleidet (Kostüme: auch Bruno de Lavenere), zwei Damen animieren zusätzlich mit ihren offen zur Schau getragenen Brüsten. Die Männer tragen zwar ganz gesetzt schwarze Anzüge und Fräcke, ihre Wollust steht ihnen durch Geweihe auf ihren Köpfen, nahezu auf die Stirn geschrieben.
In der Partie der Elena verführte anstelle der ursprünglich angekündigten aber erkrankten Lena Belkina, die junge chinesische Mezzosopranistin Nian Wang Männer wie Frauen. Sie wird ab der kommenden Spielzeit Ensemblemitglied am Oldenburgischen Staatstheater sein. In der großen Partie zeigte sie viele Facetten und gefiel insbesondere bei der finalen Bravourarie „Tanti affetti in tal momento!“.
Statt einer Altistin verkörperte, erstmals auf einer deutschen Bühne, ein Mann die Figur des Malcom, Elenas Liebhaber: Max Emanuel Cencic. Der Regisseur ist ja in erster Linie ein Countertenor, ein weltweit gefragter dazu. Malcom ist in seiner Umsetzung ein einfacher Bediensteter (mit Augenklappe), der das Herz Elenas erobert hat und dann mit seiner Stimme bei den waghalsigen Koloraturen und hingebungsvollen, innigen Ausdruck das ganze Publikum in Bann schlug und so zum eigentlichen Star des Abends wurde. Daniel Behle, ehemaliges Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, bestach mit seiner edel klingenden Tenorstimme als Großmut übender schottischer König Giacomo V. (Uberto).
Ein inzwischen versierter Belcantosänger ist der recht junge spanische Tenor Antonio Garés. Seine vielseitige Stimme mit Durchschlagskraft führte er als vehement auftretender Rodrigo vor. Daneben gefielen Bassbariton Neven Paleček als Elenas Vater Douglos, Mezzosopranistin Sonja Runje als Albina, Tenor Ivo Gamulin als Serano und Tenor Nikša Radovanović als Bertram. Der Chor des Kroatischen Nationaltheaters Zagreb (Chormeister: Luka Vukšić) brachte sich, unterstützt von Statisten, als lustvolle Pastoren, Schäferinnen, schottische Barden, Damen, Krieger, Jäger und Wachen ein.
Der griechische Dirigent George Petrou sorgte als ausgewiesener Barockspezialist für ein kraftvolles und romantisches Spiel des Orchesters des Kroatischen Nationaltheaters Zagreb.
Sehr viel Applaus für alle Beteiligte.
Markus Gründig, Mai 19
La Donna del Lago
Melodramma von Gioachino Rossini
Gastspiel der Produktion der Opéra de Lausanne in Koproduktion mit dem Nationaltheater Zagreb am Staatstheater Wiesbaden: 24. Mai 19 (Großes Haus)
Dirigent: George Petrou
Regisseur: Max Emanuel Cencic
Bühnendesign und Kostüme: Bruno de Lavenere
Licht: David Debrinay
Video: Étienne Guiol
Chormeister: Luka Vukšić
Besetzung:
Elena: Nian Wang
Malcolm: Max Emanuel Cencic
Giacomo V (Uberto): Daniel Behle
Rodrigo: Antonio Gares
Duglas d’Angus: Neven Paleček
Albina: Sonja Runje
Serano: Ivo Gamulin
Bertram: Nikša Radovanović
Statisterie: Antonija Blaće, Katarina Čalović, Silvija Musić, Božica Tunjić, Mladen Hren
Orchester und Chor des Kroatischen Nationaltheaters Zagreb
www.staatstheater-wiesbaden.de