Günther Groissböck erweckte mit einem Liederabend das Staatstheater Wiesbaden aus der Covid-19-Zwangspause

Liederabend Günther Groissböck (Bass) und Alexandra Goloubitskaia (Klavier) ~ Staatstheater Wiesbaden, 18. Mai 20 ~ Alexandra Goloubitskaia, Günther Groissböck ~ © Markus Gründig

Wie viele Freizeitaktivitäten, sind besonders die Musical-, Oper- und Theaterhäuser von den Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Corona-Pandemie betroffen. Seit Mitte März sind sie bundesweit geschlossen. Mit den jüngst verkündeten ersten Lockerungsmaßnahmen sind in Hessen wieder öffentliche Aufführungen möglich. Wenn auch unter besonderer Beachtung der Abstands- und Hygienerichtlinien (die es insbesondere kleinen Häusern unmöglich macht, zu öffnen). Nach 65 Tagen Zwangspause setzt das Staatstheater Wiesbaden als erstes großes Haus mit einem Ersatzprogramm die Spielzeit 2019/2020 fort und präsentiert in reduzierter Form die eigentlich abgesagten Internationalen Maifestspiele 2020. Zunächst sind im Großen und im Kleinen Haus Vorstellungen bis zum 6. Juni geplant. Neben Spitzenstars der Opernszene und Gastspielen aus dem Deutschen Theater Berlin wird Intendant und Regisseur Eric Uwe Laufenberg Anfang Juni auch eine Beckett-Trilogie inszenieren.

Dem gebürtigen österreichischen Bass Günther Groissböck fiel die Ehre zu, den Anfang bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu machen. 2016 war er am Staatstheater Wiesbaden als Sarastro in Mozarts Zauberflöte zu sehen. Bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden gastierte er 2017 mit seiner Erfolgspartie Sarastro und in 2019 als Pogner in Die Meistersinger von Nürnberg.
Er stellte seinen Liederabend unter den programmatischen Titel “Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit“ (Schiller). Womit er auch die Stimmung in weiten Teilen des Publikums, nach wochenlanger Zwangspause, Homeoffice oder Kurzarbeit, Kulturgenuss nur aus dem Radio und als Stream und eingeschränkten sozialen Kontakten, getroffen hat.

Der Saal war „gut gefüllt“, wenn auch in Zeiten von Covid-19 die Mehrzahl der Plätze zwangsweise unbesetzt blieb. Im Parkett des großen Hauses ist jede zweite Reihe leer und in der Mitte fehlen zwei Sitze (sodass es möglich ist, kontaktfrei herauszugehen). Zwischen den Zuschauern sind zudem zu jeder Seite mindestens drei Plätze frei (Paare können zusammensitzen). Der Zutritt mit Mund-Nase-Bedeckung erfolgt von rechts, herausgegangen wird über links. Auf den Sitzplätzen kann die Mund-Nase-Bedeckung abgenommen werden. Einen Weltstar wie Günther Groissböck in solch einem exklusiven, fast schon kammermusikalischen Rahmen, erleben zu können, ist außergewöhnlich. Und sein Vortrag mit Liedern von Schubert, Loewe und Mahler war exzeptionell. Dies weniger wegen der technischen Raffiniertheit, als durch seine charismatische und virile Ausstrahlung.

Zu Beginn präsentierte der vor allem als Wagner-Sänger gefeierte Groissböck drei lange Lieder von Franz Schubert auf Texten von Johann Wolfgang von Goethe: „Prometheus“, „Grenzen der Menschheit“ und „Ganymed“. Sie boten ihm Gelegenheit, seine beeindruckend kräftige Stimme in einer großen Tonskala und mit viel Pathos vorzuführen. Bei den nachfolgenden fünf Schubert-Liedern auf Texten von Johann Mayrhofer ragten besonders „Der Sieg“ und Der Schiffer“ hervor.

Ein umfangreiches Liedgut hat der deutsche Komponist Carl Loewe (1796-1869) hinterlassen. Dennoch kommt es bei Liederabenden nur selten zu Gehör. Umso schöner, dass Groisssböck das kurzweilige „Die Uhr“, das ergreifende „Der heilige Franziskus“ und den stürmischen „Odins Meeresritt“ vortrug.

Sein anspruchsvolles Liedprogramm, das auf Hits von Schubert verzichtete, setzte er nach der Pause fort. Diese konnte bei Außenbewirtung im Freien genutzt werden, das prachtvolle Foyer des Staatstheater Wiesbaden ist als Schutzmaßnahme vorübergehend geschlossen.

Auch der zweite Programmteil begann mit einer Gruppe von Schubert Liedern: Orests anflehen der Diana („Der entsühnte Orest“), das erhabene „Lied eines Schiffers an die Dioskuren“, die pessimistische „Fahrt zum Hades“ und mit dem Zuversicht aussprechenden Gondelfahrer („Wer wird von Erdensorgen befangen immer sein!“).

Der Abend endete offiziell mit zwei Lieder aus Gustav Mahlers Zyklus Des Knaben Wundehorn. Zunächst das Lied eines Deserteurs, der zum Galgen geführt wird („Der Tambourg’sell“) und dann das existenzielle Fragen aufwerfende „Urlicht“.

Eine besondere Ehre fiel Groissböck kürzlich bei der »At-Home Gala« der New Yorker Metropolitan Opera zu. Am 25. April beteiligte er sich mit dem Morosus-Monolog aus Richard Strauss´ Die schweigsame Frau aus seiner Tessiner Wahlheimat . Dabei begleitete er sich selbst am Klavier. Dies musste er beim Liederabend nicht. Hier hatte er mit Dr. Alexandra Goloubitskaia eine erfahrene Pianistin an seiner Seite. Sie hat seit 2017 eine Professur an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien inne. Ihre hohen Spielfertigkeiten konnte sie bei diesem anspruchsvollen Liedprogramm überzeugend darbieten und die beiden harmonierten hervorragend.

Groissböck ohne Wagner ist kaum vorstellbar und so kam er bei der Zugabe zu Gehör. Mit Wotans Abschied (von seiner Lieblingstochter Brünnhilde aus dem 3. Akt Die Walküre) verwies Groissböck auf die Bayreuther Festspiele. Bei diesen hätte er diesen Sommer bei der Neuinszenierung der Tetralogie den Wotan geben sollen, was nun auf 2022 verschoben wurde.

Den Abend besonders gemacht hat aber auch Intendant Uwe Eric Laufenberg, der nicht nur zu Beginn das Publikum mit Friedrich Schillers Gedicht „Hoffnung“ begrüßte, sondern auf Wunsch von Günther Groissböck auch zwischen den Liedblöcken Texte rezitierte. Die Auswahl traf Laufenberg selbst. Er wählte sozialkritische Texte von Bertolt Brecht („Lob der Dialektik“ und „Fragen eines lesenden Arbeiters“ und Friedrich Schillers „Nänie“).

Trotz eingeschränktem Zuschauerkreis: viel Applaus und vereinzelte Standing Ovations.

Markus Gründig, Mai 20