Julietta
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 25. Juni 15
Anders als Antonín Dvořák oder Leoš Janáček, brachte es der 1890 geborene tschechische Komponist Bohuslav Martinů nicht zu einem solch hohen Ruhm, wie die beiden Erstgenannten. Obwohl er neben Vokal- und Kammermusik, sinfonischen Werken, Balletten und 15 Opern komponierte, ist er relativ unbekannt. Seine Opern „Griechische Passion“ und „Julietta“ finden heute noch Beachtung. „Julietta wurde in den letzten Jahren öfter inszeniert. Wie 2002 von den Bregenzer Festspielen (die bereits 1999 auch seine „Griechische Passion“ aufführten) oder 2014 von der Oper Zürich (mit der Sopranistin Annette Dasch in der Titelrolle).
Die Oper Frankfurt zeigt die lyrische Oper „Julietta“ jetzt nicht nur in der deutschen Fassung (was für einen leichten Zugang sehr zweckdienlich ist), sondern widmet dem Komponisten Bohuslav Martinů auch die diesjährige Reihe „Oper Finale“, mit einer Vielzahl an vertiefenden Vorträgen, Kammermusiken und der Inszenierung der „Drei Einakter“ im Bockenheimer Depot. Denn Bohuslav Martinů, der jeden akademischen Musikunterricht ablehnte, ist es absolut wert, gehört zu werden. Sein Musikstil ist ein ausgeprägter freier Stilmix und gerade darin einmalig. Insbesondere in „Julietta“ erklingen eine Vielzahl an musikalische Themen, die an Wagner, Dvořák oder Strawinsky erinnern. Dazu näherte er sich der mährischen Volksmusik und dem Jazz an. Was zunächst irritierend erscheinen mag, hat einen logischen Grund. In „Juliette“ (Originaltitel) versuchte Martinů die Atmosphäre eines Traums einzufangen, mitsamt der ihm eigenen unlogischen Sprünge, die auch absurde Züge aufweisen können.
So vielfältig wie die Musik, ist auch die Inszenierung von Florentine Klepper. Nach Arnulf Herrmanns „Wasser“ im Frankfurt LAB (2012) und Georg Philipp Telemanns „Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe“ im Bockenheimer Depot (2014), durfte sie für die Oper Frankfurt nun erstmals im Opernhaus inszenieren. Und das gleich richtig groß. Nicht nur, dass ihr eine hervorragende Sängerbesetzung zur Verfügung stand, auch vom naturalistischen Bühnenbild her wurde für ein solch am Rand des Repertoires stehendes Stück viel investiert. Boris Kudlička entwarf für die Geschichte, die nach dem von Martinu selbst verfassten Libretto in einer nicht näher bezeichneten kleinen Stadt am Meer spielt, eine Szenerie, die einen nicht näher bezeichneten öffentlichen Raum zeigt, der aber Grundzüge einer großzügigen Hotellobby erkennen lässt. Dazu zählen komfortable Wartesessel, eine Bücherwand, eine kleine Rezeption und ein Selbstbedienungsrestaurant sowie eine Galerieebene mit großflächigen Fenstern und eine Lampendecke in einem modernen Architekturstil.
Ein Hotelbezug passt allein schon deshalb, weil der Pariser Buchhändler Michel ja auf der Suche nach dem „Hôtel du Navigateur“ ist. Allein diese Bezeichnung ist typisch für die Oper, die auf dem gleichnamigen Theaterstück des französischen Dramatikers und Surrealisten Georges Neveux beruht. Sicher zu einem Ziel geführt wird hier niemand, im Gegenteil. Und so landet Michel eher in einem „Hôtel de confusion“. Die entindividualisierten und namenlosen Menschen, auf die er hier trifft, haben ihre Erinnerung verloren, leben immer nur im Moment. Dazu gibt es skurrile Gestalten wie einen Erinnerungsverkäufer oder einen Beamten im „Zentralbüro der Träume“. Sie tragen oftmals bunte Kostüme, die auf ihre Figur maßgeschneidert wurden (Kostüme: Adriane Westerbarkey).
Für jeden der drei Akte wandelt sich die Bühne. Steht im ersten Akt die holzvertäfelte Lobby im Mittelpunkt, rückt im zweiten Akt die zunächst als Wandbild anmutende Zimmerpalmen-Grünfläche hervor (als Wald Ersatz). Im dritten Akt fährt ein mehrgliedriger Jalousie-Rahmen herunter, vor dem zunächst gespielt wird. Das Grün ist später dann in einem dunklen Nichts verschwunden.
Trotz einer gewissen Länge (die ersten beiden Akten werden pausenlos gespielt) wird es in Florentine Kleppers Inszenierung nie langweilig. Ständig passiert irgendwo etwas, treten Menschen hinzu oder beobachten aus der Ferne. Dabei vermeidet sie überzogene, plakative Szenen und besticht mit ihrer subtilen Personenführung. Skurrile, wundersame Elemente spart sie nicht aus. In dieser Welt der Unlogik wird ausgerechnet mit Dominosteinen gespielt, die ja aufgrund ihrer Zahlen eine stringente Logik vorgeben.
Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester steht bei dieser Produktion der Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der kurz zuvor die Neuproduktion von Strauss´ „Der Rosenkavalier“ leitete. Mit großer Emphase und Hingabe vermitteln er und das Orchester die so unterschiedlichen und vielgestaltigen Klangwelten Martinus auf höchstem Niveau. Das Changieren zwischen den so unterschiedlich und oftmals abrupt wechselnden Stilen ist ein wahrer Ohrenschmaus.
Sängerisch steht der amerikanisch-österreichische Tenor Kurt Streit im Fokus der Aufführung. Schauspielerisch wie sängerisch ist er stark gefordert und meistert dies bravourös. Dabei hat er eine der umfangreichsten Partien der Opernliteratur zu bewältigen (weshalb die Oper auch „Michel“ heißen könnte). In der Titelrolle, als Frau aller Frauen, gefällt Ensemblemitglied Juanita Lascarro, als einfühlsame aber auch zu Streit fähige (“Du bist das allergrößte Krokodil”) Julietta.
Die Dorfbewohner wurden mehrfach besetzt und jeder von ihnen ist ein Original. Sei es beispielsweise der alte Mann des Magnús Baldvinsson (auch alter Araber und alter Matrose), der Mann am Fenster des Andreas Bauer (auch Sträfling), der Beamte im „Zentralbüro der Träume“ Michael McCown (auch Nachtwächter), der Waldhüter des Beau Gibson (auch Kommissar und Lokomotivführer) oder der Mann mit Helm des Boris Grappe (auch Altvater „jugend“, Verkäufer von Erinnerungen und blinder Bettler). Auch die Damen sind hier außergewöhnlich, sei es die Vogelverkäuferin der Marta Herman (auch zweiter Herr), die alte Frau der Judita Nagyová (auch alte Dame), die Fischverkäuferin der Maria Pantiukhova (auch dritter Herr und Handleserin), sowie in Hosenrollen der kleine Araber der Nina Tarandek (auch erster Herr, junger Matrose und Hotelboy). In dieses illustre Klientel bringt sich der von Markus Ehmann einstudiert Chor der Oper Frankfurt spielfreudig wie dezent ein.
Gelegenheit, dieses vielschichtige Ausnahmewerk zu sehen, gibt es noch an ausgewählten Terminen bis zum 13. Juli 15.
Markus Gründig, Juni 15
An unserem Fluss
Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot
Besuchte Vorstellung: 3. Juni 15
Es ist ein großer Konflikt, der seit sehr langer Zeit gärt: der Nahostkonflikt um die Region Palästina. Unversöhnliche Parteien stehen sich gegenüber, die Stimmung ist geprägt von Fanatismus, großem Leid, Misstrauen und nicht enden wollenden militärischen Auseinandersetzungen. Über dieses Sujet eine Oper zu schreiben ist mutig. Dem israelischen Komponisten und Dirigenten Lior Navok ist dies jetzt eindringlich gelungen. Als Auftragswerk der Oper Frankfurt, in der bereits seine Stücke „Die kleine Meerjungfrau“ und „Pinoccios Abenteuer“ uraufgeführt wurden, entstand „An unserem Fluss“ im Jahr 2013, die Uraufführung fand am 31. Mai 2015 in der Spielstätte Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt statt. Navok schrieb für diese rund 100-minütige, aus zwei Akten bestehende Oper auch das Libretto, das von Kristian Lutze ins Deutsche übersetzt wurde. Konkrete Bezüge zur Realität, zu Völkern und Geografie, wurden bewusst vermieden. So wird im Libretto nur von zwei Gruppen gesprochen, in einem nicht näher bezeichneten Kriegsgebiet (mit dem Ort Naos), mit Trümmern und verbrannter Erde vor einem großen Staudamm. Die Stimmung ist ruhig, aber unheimlich.
Dies alles findet sich, in leicht abstrahierter Form, im Bühnenbild von Stephanie Rauch wieder. In sich intakte Mauerfragmente mit Fenster und Türöffnungen stehen verteilt im nur gering ausgeleuchteten Raum (Licht: Jan Hartmann), ein ausgetrocknetes Flussbett teilt die Bühne und führt hinab, vor zum Orchester. Der Boden nimmt den Gedanken der verbrannten Erde mit grauem Sand und Steinen auf. Einzig ein Olivenbaum steht für Leben. Aus Furcht, dass Scharfschützen ihn nutzen könnten, wird er schon bald abgesägt. Frei herumstehende Pappkartons tragen die Aufschrift „BIG UNCLE“, ein Verweis auf die allgegenwärtigen großen Macher Big Uncle 1 (als die rationalere und maßgebendere Hälfte von “Big Uncle”: Gurgen Baveyan) und Big Uncle 2 (als die kapriziösere Hälfte von “Big Uncle“: Yves Saelens), die in der Rangordnung gleich unterhalb Gottes stehen und die die beiden verfeindeten Parteien finanziell unterstützen und ihr Spiel mit ihnen treiben.
Auch in den Kostümen wird ein nahöstlicher Hintergrund vermieden, dennoch schaffte Kostümbildnerin Judith Adam passende Kolorite von fremden Kulturen und Krieg zu verdeutlichen.
Die verfeindeten Parteien finden, wie in der Realität, auch in dieser Oper freilich nicht zueinander. Aber wo die große Politik versagt, geschehen kleine Wunder im Privaten. Hier sind es zwei junge Menschen, die die Grenzen des Hasses und der Vorurteile überwinden und ein Paar werden. Am Fluss, der das überlebensnotwendige Wasser führt, treffen Lucia (mit schwarzer Lockenperücke und im Jeansdress kaum wiederzuerkennen: die gebürtige ukrainische Sopranistin Kateryna Kasper mit betörenden hohen Tönen) und Sipho (im legeren Hemd, Jeans, später aber auch mit einem Sprengstoffgürtel: der gebürtige amerikanische Tenor Michael Porter mit sehr guter Aussprache) zusammen. Besonnenheit und Wärme bringt der Allendorf des Daniel Schmutzhard ein (Allendorf ist nach dem Tod der Eltern die wichtigste Bezugsperson für Lucia). Zu ihrer Gruppe gehören auch der Bürgermeister Fred Bucksmann (vehement: Davide Damiani) und seine eitle Frau Klara (Elizabeth Reiter), sowie das Paar Sinya (Stine Marie Fischer) und der bald ein schnelles Ende findende Chicken-Heart (Alexander Mayr).
Die andere Gruppe wird angeführt von Zachary Rutget (eindringlich: Alfred Reiter). Sein Assistent trägt den passenden Namen „Right-Hand“ (kämpferisch: Hans Schöpflin). Ein Wiedersehen gibt es mit Opernlegende Carlos Krause in der Rolle von Right-Hands Vater.
Die Musik von Lior Navok ist modern, aber nicht verstörend. In weiten Teilen herrschen sanfte Streicherklänge vor, die oftmals von einzelnen Instrumenten unterstützt werden (wie Klavier und Celesta, Querflöte, Klarinette, Fagott, Harfe oder Vibrafon), wodurch viele faszinierende Klangfarben ertönen. Eruptive Momente mit vollem Orchestereinsatz sind meist nur von kurzer Dauer. Kapellmeister Sebastian Zierer leitet die Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchester (und Gästen) mit großem Einfühlungsvermögen.
Regisseurin Corinna Tetzel gelang mit vielen eindrucksvollen Momenten eine fesselnde und nachdenklich stimmende Umsetzung dieser Geschichte und des Nahostkonflikts. Am Ende sitzen nur die Gruppenanführer getrennt im Raum und jeder von ihnen beharrt darauf, Recht zu haben. Gleichwohl verdeutlichen sie, dass die Unterschiede zwischen Ihnen letztlich nur Makulatur sind (Gott resümierend: Bucksmann „Meiner predigt Liebe und Nachsicht“, Rutget „Meiner predigt Nachsicht und Liebe“).
Viel Applaus.
Markus Gründig, Juni 15
Der Rosenkavalier
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 29. Mai 15
Eine Komödie für Musik in drei Aufzügen lautet der Untertitel zu Richard Strauss´ bekanntester Oper. Mit einer Wiener Klamotte hat sie allerdings wenig gemein. Nach seinen spektakulären Opern „Salome“ (1905) und „Elektra“ (1909) wurde „Der Rosenkavalier“ 1911 uraufgeführt und überraschte auch, allerdings in anderer Hinsicht. Ging es doch jetzt um eine Konversationsoper und nicht darum, an die Grenzen der Atonalität vorzustoßen. Die Zusammenarbeit von Strauss mit seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal war sehr fruchtbar, wenn auch beide bei diesem Werk unterschiedliche Schwerpunkte sahen. Strauss wollte zunächst eher eine derbe und komische Oper mit der Figur des von Ochs im Mittelpunkt (und das Stück dementsprechend „Der Ochs von Lerchenau“ betiteln). Hofmannsthal hingegen plädierte für das Zarte, Ätherische, sah den Schwerpunkt eher beim Boten der silbernen Rose und bei der Marschallin.
Claus Guth, der nun nach Ruth Berghaus 1992 einen neuen Rosenkavalier an der Oper Frankfurt inszenierte, ist die Figur der Feldmarschallin das „Gravitationszentrum“. Dabei geht es nicht nur um ihren legendären Liebesverzicht zugunsten der Jugend und um ihr Alter. Hier erfährt sie eine besondere Dimension, denn im Wissen um die Endlichkeit jeglichen Lebens ist sie zusätzlich unheilbar krank, hat ihr nahendes Ende im Visier. Und so ist dieser neue Rosenkavalier von einer zarten Melancholie umhüllt, die eher zum trüben November als zum Wonnemonat Mai passt, in dem die Premiere stattfand.
Die Handlung spielt eigentlich im Wien zu Beginn der Regierungszeit Maria Theresias, also um das Jahr 1740. In Guths Inszenierung ist es eher die Zeit der Uraufführung. Statt Schlafzimmer der Feldmarschallin, im Haus Faninal und in einem Gasthof, spielen die drei Akte im Bühnenbild von Christian Schmidt auf drei Etagen in einem großzügigen Haus, das sowohl Sanatorium wie Hotel ist. Ein Rekonvaleszenzort, der vom Wiener Café Sperl inspiriert ist.
Von zartem Humor ist in Claus Guths Inszenierung schon etwas zu spüren, das Leben ist nun einmal immer zugleich Komödie wie Tragödie. Gleichwohl nimmt diese Rosenkavalier-Inszenierung im Gesamtbild seiner nostalgischen Atmosphäre eine eher an die Romantik angelehnte Grundstimmung ein. So eröffnet eine Art Begräbnis die Oper. Die Feldmarschallin liegt regungslos auf dem Boden und Rosenblätter werden auf sie gestreut. Dann wacht sie auf, ist alles Folgende nur ein (Alp-) Traum? Während der Aufführung erscheinen immer wieder stumme Darsteller (quer durch die Alterspyramide). Menschen tanzen, doch brechen sie zusammen und sterben, liegen tot auf dem Boden oder werden tot umhergetragen. Das sind starke Bilder, die dem Werk (und dem Thema der Zeit) eine zusätzliche Dimension geben. Diesem Grundtenor schließt sich auch Frankfurts Generalmusikdirektor Sebastian Weigle an. Als Straussinterpret ist er ein Meister seines Fachs und lässt hier vom Frankfurter Opern- und Museumorchester einen sehr subtil ausgeleuchteten Strausston anklingen. Dabei geht es weniger um starke Effekte und leichtfüßige Walzerseligkeit. Die Walzermotive blühen kurz auf, weisen auf eine heitere Stimmung hin, die aber dann immer wieder fahl abfällt, wie eine Rose, die verblüht. Die musikalische Deutung korrespondiert hervorragend zur sorgsamen szenischen Umsetzung.
Als Feldmarschallin gibt hier Amanda Majeski ihr Debüt. Sie ist vielen noch u.a. als Gänsemagd (in Humperdincks „Königskinder“) und Rusalka (in Dvořáks „Rusalka“) in bester Erinnerung. Sie ist eine Frau im vollen Besitz ihrer Reize, die Grazie und eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlt. Paula Murrihy vom Ensemble der Oper Frankfurt gibt schauspielerisch und sängerisch als Octavian/Mariandl sehr viel. Ein Wiedersehen gibt es mit dem ehemaligen Ensemblemitglied Christiane Karg als junge und zarte Sophie. Drei stimmlich sehr unterschiedliche Damen, die aber insbesondere beim großen Schluss-Terzett zu einer grandiosen stimmlichen Einheit werden. Bei den Herren glänzen vor allem Bjarni Thor Kristinsson als gut gelaunter Baron Ochs auf Lerchenau und Dietrich Volle als virtuoser Herr von Faninal.
Großer Schlussapplaus für einen “Rosenkavalier” mit existenzieller Tiefe.
Markus Gründig, Mai 15
Die ägyptische Helena
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 1. Mai 15
Die schönste Frau auf Erden
Die schöne mystische Helena, Tochter des Gottvaters Zeus, verdrehte allen Männern den Kopf und gilt seitdem als Urbild sämtlicher „Femmes fatales“. Sie nahm sich den Mann, der ihr gerade gefiel, dachte konsequent nur an sich selbst und kannte keine Moral. So wundert es nicht, dass sie zahlreiche Künstler inspirierte, sei es im Bereich der Literatur (wie beispielsweise Christopher Marlowe oder Johann Wolfgang von Goethe) oder der bildenden Kunst (wie beispielsweise Jacques Louis David oder Ernst Ludwig Kirchner). Und natürlich inspirierte sie auch Komponisten. Wie Jacques Offenbach, dessen Opéra-bouffe „Die schöne Helena“ 1864 uraufgeführt wurde. Oder wie Richard Strauss, dessen „Die ägyptische Helena“, 1928 im Dresdner Opernhaus uraufgeführt wurde und nun als konzertante Aufführung ihre Frankfurter Erstaufführung feierte und damit quasi ein „Vorspiel“ zur kommenden „Rosenkavalier“-Produktion (Premiere: 24. Mai 15, Musikalische Leitung: Sebastian Weigle, Regie: Claus Guth) darstellt.
„Die ägyptische Helena“ war zwar heiter angedacht, im Ergebnis dann aber doch eher dramatisch als komisch, auch wenn es eine allwissende und sprechende Muschel gibt. Das Libretto aus der Hand von Hugo von Hofmannsthal basiert auf Euripides‘ Helena-Erzählung. Strauss interessierte sich dabei allerdings dann mehr für die Figur des betrogenen und verstörten Menelas, als die der Helena, der schönsten Frau auf Erden. Von der Zauberin Aithra erfährt Melenas, dass seine Frau gar nicht in Troja sei, sondern in Ägypten und damit ihm treu geblieben, es also keinen Grund gäbe, sie zu töten. Am Ende von diversen Zaubertränken besiegt die Liebe die dunklen Erinnerungen von Helenas Ehebruch mit dem Königssohn Paris (Günstling der Aphrodite) und die beiden sind wieder ein Paar.
Strauss konzipierte „Die ägyptische Helena“ als große Oper, dies nicht unbedingt von der Länge (zwei Akte mit jeweils rund 60 Minuten), sondern vor allem von der Orchesterbesetzung her. Groß ist das Aufgebot im bestens aufspielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das unter der Leitung von Stefan Soltesz einen schwelgerischen wie zarten Strausston hervorzaubert. Der von Tilman Michael einstudierte Opernchor singt vom hinteren Bühnenbereich, ebenso wie die Hermione der Louise Alder und die vier Elfen (Anna Ryberg, Katharina Ruckgaber, Nina Tarandek, Maria Pantiukhova). Wobei der Chor in dieser Oper nicht die Vehemenz der Solisten oder des Orchesters hat, zumal die Geschlechter nach Akten getrennt singen. Im ersten Akt besteht der Chor nur aus Damen, im Zweiten dann nur aus Herren.
Vor Beginn der Aufführung dankte Intendant Bernd Loebe insbesondere der Kammersängerin Ricarda Merbeth, die kurzfristig und ohne Teilnahme an der Hauptprobe (da sie zeitgleich die Senta in Wagners „Der fliegende Holländer“ an der Opera Marseille gab) die Titelrolle von der erkrankten US-Amerikanerin Tamara Wilson übernommen hatte.
Merbeth gab die Partie der Helena bereits 2009 bei einer szenischen Umsetzung an der Deutschen Oper Berlin (Musikalische Leitung: Andrew Litton, Regie: Marco Arturo Marelli). Dennoch ist es ein gewisser Sprung, von der Senta zurück zur Helena, zumal Strauss‘ Deklamationsstil eine andere Gesangstechnik verlangt. Ricarda Merbeth schaffte dies scheinbar mühelos: mit großen Tönen, doch stets gefasst und in sich ruhend bewältigte sie die schwierige Partie.
Die gebürtige US-Amerikanerin Brenda Rae, deren letztjährige Amina in Bellinis „La Sonnambula“ unvergessen bleibt, hat auch schon Strausserfahrung, sang sie doch in Frankfurt die Zerbinetta in „Ariadne auf Naxos“. Hier besticht sie nun als Zauberin Aithra mit guter deutscher Aussprache und bester Tonführung. Ein Wiedersehen gibt es mit dem Bariton Simon Neal, der die Rolle des Altair kraftvoll ausfüllt.
Erstmals in Frankfurt zu erleben ist die Mezzosopranistin Okka von der Damerau, die zum Ensemble der Bayerischen Staatsoper München zählt. Klangschön ihre alleswissende Muschel, wie auch das Frankfurter Ensemblemitglied Beau Gibson als Da-ud und mit kleinen Partien Karen Vuong und Maria Pantiukhova als erste bzw. zweite Dienerin der Aithra gefallen.
Relativ unscheinbar wirkt zunächst der gebürtige österreichische Heldentenor Andreas Schager. Doch er braucht nicht lange und singt alle an die Wand, übertönt selbst das groß besetzte Orchester mit seiner strahlenden, aber nie forciert wirkenden Stimme. Er macht diese Aufführung zu einer Sternstunde, schüttelt diese mörderische Tenorpartie, die die Grenzen des Singbaren auslotet, wie locker aus dem Handgelenk.
Lang anhaltender, tosender Applaus.
Eine weitere konzertante Aufführung gibt es am Montag, den 4. Mai 2015.
Markus Gründig, Mai 15
Die Meistersinger von Nürnberg
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 26. April 15 (Premiere)
Mainz hat zu Richard Wagner eine besondere Beziehung. Vom gegenüberliegenden Biebrich aus schrieb er das Vorspiel zu „Die Meistersinger aus Nürnberg“ und die mittelalterliche Meistersingertradition ist ein wichtiger Bestandteil der Mainzer Kulturgeschichte. Ganz aus dem eigenen Ensemble heraus stemmte jetzt das Haus am Gutenbergplatz Wagners Meistersinger-Oper in drei Aufzügen (Spieldauer knapp sechs Stunden, inklusive zwei Pausen a´ 30 Minuten). Inszeniert von Ronny Jakubaschk (Jahrgang 1979), der in Mainz im letzten Jahr seine Oldenburger Produktion von Rossinis Opera buffa „Il barbiere di Siviglia“ vorgestellt hat, seine erste Operninszenierung (nach zahlreichen Schauspielinszenierungen). Bunt wie im Barbier geht es auch bei den Meistersingern zu, allerdings nicht ganz so grell.
Die besondere Position des Außenseiters Stolzings, der zu dem erhabenen Kreis der Nürnberger Meistersinger stößt, nahm Jakubaschk als Grundlage seiner Inszenierung. Denn Stolzing bringt etwas Neues ein, das sich erst im Kopf von Eva und Hans Sachs und dann in den Köpfen der Anderen festsetzt. Und dieser Pflanzgedanke, der von Innen heraus die Gesellschaft verändert, ist im Bühnenbild und den Kostümen (Ausstattung: Matthias Koch) allgegenwärtig. Im ersten Aufzug, der im Inneren der Katharinenkirche spielt, zieren grüne Bahnen (wie Beete) den Boden und die Wände akkurat angeordnete riesige Pflanzenstiele (Sinnbild für die akribische Einhaltung der Meistersingerregeln sind sie auch als Notenlinien zu deuten). Grün ist die vorherrschende Lichtstimmung und die Lehrbuben sind putzfreudige Gärtner. Wenn der mit einer weinroten Weste und ebensolchen Haaren versehene Stolzing auftaucht, ändert sich die Welt auch optisch. Eine neue Farbe bringt Abwechslung und eine neue Stimmung (Licht: Alexander Dölling).
Im zweiten Aufzug ist die Welt schon ungeordneter, statt vorherrschender klarer Strukturen sind die Pflanzenstiele an den Wänden wie ein Mikado-Haufen drapiert. In der Bühnenmitte steht eine zweistöckige Konstruktion.
Im dritten Aufzug sind beide Teile miteinander verbunden, gewissermaßen trifft geordnete Struktur auf Chaos.
Die Chorszenen sind schon allein optisch hervorragend gelungen. Sei es gleich zu Beginn, wenn alle wohl geordnet in Reih und Glied stehen, oder am Ende, wenn sich feste Strukturen lösen und der Aufbruch ins Neue gefeiert wird. Dabei ist der von Sebastian Hernandez-Laverny geleitete Chor, unterstützt vom Extrachor auch vokal eine wahre Pracht. Das Finale gerät zum visuellen und akustischen Feuerwerk (mit Glitterregen wie bei einer TV-Show und einem weinrot gefärbten Baum).
Bei den Sängersolisten ist der auf alt getrimmte Derrick Ballard als Hans Sachs das Kraftzentrum dieser Inszenierung. Seine strapaziöse Rolle meistert er mit einer unglaublichen Leichtigkeit, bei gleichzeitiger voluminöser Stimmstärke, die er sehr wohl zu dosieren weiß. Am Ende erhält er verdientermaßen den meisten Applaus. Als stachelnder Sixtus Beckmesser gefällt, optisch nur schwer wiederzuerkennen, Heikki Kilpeläinen, auch wenn die Regie die Tiefe der Figur nicht sehr auslotet. Mit viel Elan und tenoralem Schmelz bringt sich Alexander Spemann als kraftstrotzender Walther von Stolzing ein. Ks. Hans-Otto Weiß stattet den Veit Pogner mit sonorer Fülle aus und Michael Pegher gibt vielversprechend den Lehrbuben David. Linda Sommerhage gibt der Magdalene eine treffende Leichtigkeit. Vida Mikneviciute schließlich besticht als moderne und selbstbewusste Eva, was sich auch in ihrer voluminösen Stimme ausdrückt.
Das Philharmonische Staatsorchester Mainz spielte unter der Leitung seines Generalmusikdirektors Hermann Bäumer sehr sängerfreundlich, mit Verve und Schmiß (gleichwohl teilweise mit Schwächen im Blech). Großer Jubelapplaus.
Markus Gründig, April 15
Simon Boccanegra
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 24. April 15
Es ist die vierte Wiederaufnahme von Christof Loys Inszenierung von Verdis Oper „Simon Boccanegra“, die jetzt an der Oper Frankfurt stürmisch gefeiert wurde. Wo bei der Premierenserie im Mai 2007 der damalige Frankfurter Generalmusikdirektor Paolo Carignani am Pult des Opern- und Museumsorchesters stand und Željko Lučić in der Titelfigur glänzte, zeigten sich jetzt, knapp acht Jahre später, keinerlei Ermüdungserscheinungen. Die zeitlos gehaltene Inszenierung Christof Loys im kargen Bühnenbild von Johannes Leiacker entfaltet noch immer große Wirkung (aber Achtung: Kenntnisse der Handlung sind von Nöten). Und auch für diese Wiederaufnahmeserie verpflichtete die Oper Frankfurt großartige Sänger und mit Carlo Montanaro einen international gefeierten Dirigenten, sodass ein Besuch einer der nachfolgenden Vorstellungen nur empfohlen werden kann (für die Vorstellung am 17. Mai 15 gilt zudem die Aktion „Oper für Familien“: Pro Erwachsenen-Kaufkarte gibt es maximal drei Tickets für Kinder und Jugendliche bis einschließlich 18 Jahre gratis).
Eingerahmt ist die Inszenierung in Momente der Stille. Zu Beginn länger, am Ende kürzer, steht der Chor regungslos frontal zum Publikum und schweigt (das Orchesterspiel hat noch nicht eingesetzt). Dieses Bild für die Vergänglichkeit, für den Lauf der Zeit und die Zeitsprünge in der Oper, irritiert heute noch wie in 2007 (wo damals „Anfangen!“ gerufen wurde, kommentierte bei der Wiederaufnahme eine Besucherin im 1. Rang die Minuten der absoluten Stimme mit einem lautstarken „Bravo!“).
Christof Loy zeigt die oftmals als politisch bezeichnete Oper unter dem Subkontext der Passionsgeschichte (Simon Boccanegra als tugendhafter Heiliger, Paolo als Judas und Fiesco als Gottvater), allerdings ohne irgendwelche äußeren Symbole dafür zu verwenden. Den einzigen Bezug zu einem Ort gibt es auf einem plakativ platzierten Prospekt mit einer düsteren Abendstimmung auf offener See (das Meer als Bild für ein friedliches Sterben). Ansonsten könnte die Handlung überall und nirgends spielen. Trotzdem entfaltet die Inszenierung eine starke Dramatik und Intensität. Am Ende lässt sich resümieren: Zwei zuvor verfeindete politische Gegner haben sich ausgesöhnt, eine verloren geglaubte Tochter und Enkelin wurde nach 25 Jahren wiedergefunden, ein Rebell wird zum Dogen ernannt und ein Liebespaar findet sein Glück.
Mit dem britischen Bariton Christopher Maltman, der vor vier Jahren hier einen großartigen Liederabend bot, ist die Titelrolle grandios besetzt und das, obwohl er hier sein Rollendebüt gibt. Bei dieser Stimme braucht Simon Boccanegra keine zusätzlichen Waffen, um seine Gegner zu besiegen. Maltmans geschmeidige Stimme entfaltet eine atemberaubende Stärke, besticht aber auch bei den intimen Momenten, wie etwa beim Ende. Auch schauspielerisch zeigt er sich bestens in Form. Im Juni wird Lucio Gallo die Rolle des Simon Boccanegra übernehmen.
Als sein Gegenspieler Jacopo Fiesco kehrt das ehemalige Ensemblemitglied Bálint Szabó nach Frankfurt zurück. Szabó verkörperte diese Rolle bereits bei der Premieren- und der 1. Wiederaufnahmeserie (derzeit ist er an der Oper Frankfurt auch als König in Carl Maria von Webers „Euryanthe“ zu erleben). Mit erhaben wirkendem Gestus gefällt seine nobel klingende Bassstimme sehr (alternierend in dieser Rolle: Ensemblemitglied Andreas Bauer). Was auch für Ensemblemitglied Magnús Baldvinsson in der Rolle des Pietro gilt.
Als Giftmischer Paolo Albiani gibt der italienische Bariton Gianfranco Montresor ebenfalls sein Debüt an der Oper Frankfurt, mit einer sehr souveränen Leistung (in weiteren Vorstellungen auch Ensemblemitglied Johannes Martin Kränzle).
Ein besonderes Augenmerk lag bei dieser Wiederaufnahmepremiere auf dem Liebespaar. Die gebürtige Chinesin Guanqun Yu in der einzigen Damenrolle dieser Oper, als Amelia Grimaldi und der gebürtige Koreaner Wookyung Kim als Gabriele Adorno. Wenn in der Künstlerbiografie von Yu geschrieben wird, sie sei eine der vielversprechendsten Sopranistinnen der jüngeren Generation muss festgestellt werden: jawohl, das stimmt. Ihre leicht dunkel gefärbte Sopranstimme besticht in allen Lagen. Der Tenor Kim glänzte als leidenschaftlicher und stürmischer Liebhaber Gabriele, gerne seine große heldische Stimme plakativ einsetzend. Was sich auch für den von Tilman Michael einstudierten Chor der Oper Frankfurt und das Orchesterspiel sagen lässt. Ein starker Abend (mit Optimierungspotential bei manchen Duetten) und sehr viel Applaus für Christopher Maltmann, Guanqun Yu und Wookyung Kim.
Markus Gründig, April 15
Euryanthe
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 10. April 15
Der Komponist, Musikschriftsteller und -organisator Carl Maria von Weber (1786 – 1826) ist in erster Linie durch seine Oper „Der Freischütz“ bekannt, die als deutsche Volksoper einen epochalen Gegenentwurf zu den damals vorherrschenden italienischen und französischen Opern bildete. An der Oper Frankfurt wurde sie seit 1945 insgesamt viermal inszeniert (zuletzt 1997), seine Oper „Oberon“ immerhin einmal (1995). Seine große heroisch-romantische Oper „Euryanthe“ hingegen erlebte erst jetzt ihre Frankfurter Erstaufführung, also nach 1945. Im Jahre 1935 war sie in einer Inszenierung von Walter Felsenstein im alten Opernhaus (der heutigen Alten Oper) gespielt worden (klassisch inszeniert, mit einer Ritterburg als Kulisse).
In jüngerer Zeit war „Euryanthe“ im Badischen Staatstheater Karlsruhe (in 2010, Regie: Roland Aeschlimanns) und in der Semperoper Dresden (in 2006, Regie: die Frankfurter Ring-Regisseurin Vera Nemirova) zu sehen. Das schwache Libretto der fantasiereichen Dichterin Helmina von Chézy gilt gemeinhin als Grund für die seltenen Aufführungen (und konzertante Aufführungen verbot sich Weber). Es basiert auf der altfranzösischen Erzählung von der „belle et vertueuse Euriant de Savoy“ („der schönen und tugendhaften Euryanthe“) und erfuhr unzählige Überarbeitungen durch Chézy und Weber.
Der Komponist Robert Schumann schrieb über diese Oper am 23. September 1847: „Geschwärmt haben wir wie lange nicht. Die Musik ist noch viel zu wenig erkannt und anerkannt… Eine Kette glänzender Juwelen vom Anfang bis zum Schluss. Alles höchst geistreich und meisterhaft…“. „Weber wagte mit der „Euryanthe“ einen Schritt Neuland, weg vom Singspiel hin zum Musikdrama Richard Wagners und dessen Nachfolgern.“ (Karl Laux).
Die Inszenierung von Johannes Erath, die jetzt in der Oper Frankfurt zu sehen ist, bricht eine Lanze für dieses Kunstwerk und bietet große Oper. Vom ursprünglichen Schloss zu Préméry und der Burg von Nevers (Region Burgund) ist hier zwar nichts zu sehen, ebenso wenig spielt die Handlung im Jahre 1110, sondern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in einer erfundenen Realität.
Die Bühne von Heike Scheele zeigt einen Prunksaal von einer Bar (möglicherweise in einem großzügigen Privathaus oder in einem Theater). Lange Theken und Rückwände aus dunklem Holz und schier endlose Flaschenreihen vermitteln eine luxuriöse Atmosphäre. Neun Eiskristallleuchter bringen zusätzlichen Glanz auf die Bühne. Die aber keinen abgeschlossenen Raum zeigt, sondern verschachtelte Räume, die mitunter surreal wirken. In der Mitte befindet sich eine Bühne, deren Ränder aus Mauerwerk besteht. Diese sehen aus wie Elemente einer Ruine, Pflanzen wachsen aus dem aufgebrochenen Mauerwerk hervor. Ein großer Riss teilt sie zudem in zwei Teile (als loser Bezug zum beendeten Krieg). Hinter ihrem glänzenden Vorhang tut sich profanes Mauerwerk auf, aber auch ein Steinpodest mit einem niedergefallenen Engel als Gruft. An den rückwärtigen Seiten sind Elemente moderner Bäder zu sehen.
Die Risse in der Realität werden so auch bildlich dargestellt, „es steht zusammen, was nicht zusammen gehört“ (Heike Scheele).
Ein wichtiges Element ist zudem ein Schachspiel, das hier die Wette zwischen Adolar und Lysiart verbildlicht. Es steht auf einem der Bistrotische, auch der Bühnenboden hat ein entsprechendes Schachbrettmuster und später wird ein Schachbrettmuster auf die Rückwand projiziert (einzig mit einem Reiter, der fällt). Auch die Kostüme der Hauptfiguren spiegeln das Schachspiel wider. Schwarze und weiße für das gute und das böse Paar (wobei sie zum Ende hin teilweise genau andersrum getragen werden). Ein Fest für die Augen sind vor allem die Kostüme der höfischen Edeldamen, mitsamt ihren ausgefallenen Frisuren und Kopfbedeckungen (Kostüme Gesine Völlm).
Gekürzt wurde diese Fassung nur wenig (die drei Akte jedoch zu zwei Akten umgestaltet). Dafür wurden Figuren aufgewertet. Adolars Schwester Emma (Katharina Ruckgaber) und ihren Liebhaber Uwe (Michael Porter) gibt es eigentlich nur in der Vorgeschichte. Hier sind sie als reale Geisterwesen zu erleben, die immer mal wieder auf der Bühne erscheinen (als zusätzliches Bild für die schwarze Romantik). Emma wurde zudem die Figur des Landmädchens Bertha zugewiesen, sodass sie nun das „Mailied“ singt (Ruckgaber macht dies mit einer reizenden Leichtigkeit). Zwischendurch erscheinen auch zahlreiche skurrile Fabelwesen.
Am gravierendsten ist das abweichende Ende. Wie Dirigent Roland Kluttig in der Gesprächsveranstaltung „Oper lieben“ sagte, sind Happy Ends per se schon fragwürdig, doch dieses sei ganz besonders fragwürdig. Und so gibt es kein „Sie lebt, sie lebt“ zu hören, die Auferstehung Euryanthes wird versagt, was der Erschütterung Adolars am Ende eine zusätzliche Tiefe verleiht.
Doch musikalisch bleibt genügend Hörgenuss dieser so „widerborstigen“ Musik (Kluttig) übrig. Diese ist für ihn, der Generalmusikdirektor am Landestheater Coburg ist, eine besondere Herausforderung und ein besonderes Vergnügen. Wo Wagner sich wie ein Wagen mit Automatik fahren lässt, sei Weber ein Wagen mit Gangschaltung, die man beherrschen muss. Die Oper ist durchkomponiert, beinhaltet aber stilistisch sehr heterogene Elemente, die oftmals abrupt wechseln. Dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester gelingt es unter Leitung Kluttigs hervorragend, Webers Klangkosmos eindrucksvoll aufzufächern.
Ob der seltenen Aufführung dieser Oper geben alle Sänger hier ihr Rollendebüt, Eric Cutler und James Rutherford zusätzlich ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Der gebürtige Amerikaner Eric Cutler ist mit der Sopranistin Julia Kleiter verheiratet (mit ihren beiden Kindern leben sie im nahen Limburg; der mit Kleiter geplante Liederabend an der Oper Frankfurt in dieser Saison wurde erst verschoben und musste dann krankheitsbedingt ausfallen). Cutler verleiht dem Grafen Adolar schon durch seine Statur großes Format, stimmlich untermauert er dieses durch tenorale Wohlklänge. Der britische Bariton James Rutherford überzeugt als bösartiger Lysiart mit schelmenhaftem Charme. Erika Sunnegardh verleiht der Titelfigur eine zauberhafte Intimität. Die beeindruckendste Sängerin bei dieser Aufführung ist Heidi Melton als böse Eglantine, die sich mit Wonne und Power, insbesondere in der Stimme, groß einbringt.
Der König ist in dieser Oper der schwächste in der ganzen Opernliteratur, doch stimmlich ist er mit dem Ensemblemitglied Kihwan Sim umso gewaltiger. Seinen profunden Bass bringt er beeindruckend, wie stets, ein (in weiteren Aufführungen wird diese Rolle zusätzlich von Bálint Szabó gegeben).
Nicht zuletzt ist „Euryanthe“ auch eine Choroper. Hier zeigt sich Chor und Extrachor der Oper Frankfurt von Tilman Michael bestens einstudiert und wieder einmal sehr spielfreudig. Am Ende sehr viel Applaus vom begeisterten Publikum.
Markus Gründig, April 15
Parsifal
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 15. März 15
Seit der herausragenden Neuinszenierung von „Der Ring des Nibelungen“ in der Regie von Vera Nemirova und der Musikalischen Leitung durch Sebastian Weigle an der Oper Frankfurt in den Jahren 2010 – 2012, wartet die Wagner-Fangemeinde auf eine Neuinszenierung einer Wagner-Oper. Doch bis es soweit ist, gibt es zumindest in jeder Spielzeit eine Wiederaufnahme. Wie jetzt die „Parsifal“-Inszenierung von Christof Nel aus dem Jahre 2006. Auch diese Inszenierung ist außergewöhnlich, ob ihres psychoanalytischen Blicks und der nüchternen szenischen Umsetzung im Bühnenbild von Jens Kilian. Obwohl nicht als Ausstattungsoper umgesetzt, hat dieses Bühnenweihfestspiel, wie Wagner die Oper bezeichnete, hier trotzdem eine imposante Größe. Die vielen hohen und zu einem scheinbar endlosen Zaun zusammengestellten Holzstelen, als Bild für die Gralsburg und Klingsors Zauberburg gleichermaßen, sind auf den beiden Drehbühnen fast ständig im Einsatz und ergeben vielfältige Optiken, zu denen auch die Uniformen der Rittergemeinschaft und die roten Kleider der Blumenmädchen beitragen.
Zur 2. und letzten Wiederaufnahmepremiere war die Oper Frankfurt nahezu ausverkauft und das, obwohl die Spieldauer mit Pausen über fünf Stunden beträgt (bei Carignani 2006 waren es sogar 5 3/4-Stunden). Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte unter der Leitung seines ersten Gastdirigenten, dem international gefeierten Bertrand de Billy. Er entlockte dem Orchester viele sphärische Stimmungen und lotete Wagners mystische Klangzaubereien subtil aus.
Neben dieser hervorragenden musikalischen Umsetzung ließ auch die sängerische keine Wünsche offen. Einen großartigen Eindruck hinterließ in erster Linie der Baß Franz-Josef Selig als Gurnemanz. Selig hatte in der vergangenen Spielzeit bereits einen Liederabend an der Oper Frankfurt gesungen, doch hier wirkte er fast wie ausgetauscht und viel mehr in seinem Element. Er begeisterte mit schier unendlicher Stimmkraft und markanter Präsenz, was ihm auch den stärksten Schlussapplaus einbrachte.
Ein besonderes Augenmerk lag auf Ensemblemitglied Claudia Mahnke, die hier ihr Rollendebüt als Kundry, der einzigen weiblichen Hauptrolle in diesem Spätwerk Wagners (dessen Frauenbild diametral von einem emanzipatorischen Frauenbild entfernt ist), gibt. Ihr Wagner-Talent konnte sie schon bei den Bayreuther Festspielen unter Beweis stellen. Im Ausdruck ist sie zwar nicht so verwegen wie Michaela Schuster bei der Premierenserie in 2006, doch treffend innerhalb des Regiekonzepts, als auch warmherzige Kundry.
Frank van Aken, ehemals Mitglied im Ensemble, verlieh dem Parsifal heroische Größe. Aus dem Ensemble bestachen zudem Magnús Baldvinsson als Titurel (er verkörperte diesen bereits bei der Premieren- und der 1. Wiederaufnahmeserie), Simon Bailey als szenisch und stimmlich agiler Klingsor und Johannes Martin Kränzle mit intensiver Darstellung als geschwächter Amfortas. Als Gralsritter gefielen Hans-Jürgen Lazar und Iurii Samoilov, als Blumenmädchen Louise Alder, Jenny Carlstedt, Judita Nagyová, Maria Pantiukhova (auch Stimme aus der Höhe), Elizabeth Reiter und Karen Vuong. Der von Tilman Michael einstudierte Chor brachte sich klangstark und mit großer Spielfreude ein (wie auch der von Markus Ehmann einstudierte Kinderchor). Ein besonderes Hörerlebnis ist, wenn die Damenstimmen des Chors aus dem Rang ertönen (dabei wird extra das Licht im Saal leicht erhellt) und sich so ungewohnte Klangräume öffnen.
Sehr viel Applaus.
Markus Gründig, März 15
Die Passagierin
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 8. März 15
„Wenn das Echo ihrer Stimmen verhallt, gehen wir zugrunde“
Tosca, Aida, Zauberflöte und in diesem Jahr Turandot, die Bregenzer Festspiele zeigen gerne populäre Opern. Zumindest auf der riesigen Seebühne, die gerne auch mal als Filmkulisse dient, wie für den James Bond Film „Ein Quantum Trost“ . Doch im Festspielhaus zeigen die Bregenzer Festspiele auch Raritäten. Wie 2010, als David Pountney „Die Passagierin“ des sowjetischen Komponisten Mieczysław Weinberg (mit polnischen Wurzeln) aus dem Dornröschenschlaf erweckte (als Koproduktion mit dem Wielki Teatr Warschau, der Englisch National Opera London und dem Teatro Real Madrid). Schließlich war die Oper schon 1968 entstanden. Nahezu unglaublich ist, dass sie erst 2006 in Moskau konzertant uraufgeführt wurde und die szenische Uraufführung eben durch die Bregenzer Festspiele erfolgte.
Das außergewöhnliche dieser Oper ist ihr Sujet. Zwar hat sich schon Hollywood mit dem Holocaust auseinandergesetzt, im Musiktheaterbereich und dazu auf großer Bühne, ist dies eher eine Ausnahme.
Die Oper Frankfurt zeigt „Die Passagierin“ nun nicht ohne Zufall in 2015: In diesem Jahr wird des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedacht.
Wer Vorbehalte gegen einen Besuch dieser Oper hat, dem sei vorneweg Entwarnung signalisiert. Weinbergs Musik ist zwar modern, aber dennoch sehr zugänglich. Zudem geht die Inszenierung von Anselm Weber, Intendant des Schauspielhauses Bochum, sehr behutsam mit der Holocaust-Thematik um. Weder gibt es NS-Symbole zu sehen (die Gefangenen tragen lediglich farbige Winkel), noch gibt es brutale Szenen (dagegen war der kürzlich im Ersten ausgestrahlte „Meine Tochter Anne Frank“-Film mit seinen Doku-Einspielungen der vielen Toten harter Tobak). Dennoch berührt das Stück und die Inszenierung immens. Das Libretto stammt von Alexander Medwedjew und beruht auf der gleichnamigen autobiographischen Novelle „Pasażerka“ von Zofia Posmysz, die wegen Verbreitung von Schriften des polnischen Widerstands u.a. nach Auschwitz geriet (wobei das Libretto in einigen Punkten von der Vorlage abweicht, wie beispielsweise Tadeusz kein Musiker war).
Erzählt wird in der, den Opfern von Auschwitz gewidmeten Oper, ein zufälliges Aufeinandertreffen einer ehemaligen Aufseherin und einer ehemaligen Gefangenen von Auschwitz auf einem Ozeandampfer in den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. In Rückblenden lebt dabei das Leben im Gefangenenlager wieder auf und insbesondere das zwiespältige Verhältnis zwischen der Aufseherin Lisa und der Gefangenen Marta. Die Oper klagt nicht direkt an und geht auch nicht mit erhobenem Zeigefinger vor. Dennoch berühren die Szenen im Lager, wenn die Frauen von ihren Träumen und Sehnsüchten erzählen oder einzelne Gefangene abgeführt werden, wohl wissend, dass das ihr letzter Gang sein wird.
Die Bühne von Katja Haß zeigt Ansichten eines Ozeandampfers aus der damaligen Zeit. Er gleicht einem großen Kubus und steht auf einer Drehbühne. Von zwei Seiten ist er offen bzw. zu öffnen. Innen sieht er aus wie eine Ansicht von einem leeren Frachtschiff (die für die damaligen Lagerbaracken üblichen Stockbetten gibt es hier nicht) und dient hauptsächlich für die Szenen im abstrakt dargestellten Lager, aber auch für den Tanzsaal des Schiffes. Dabei werden Zeit und Raum mehrfach aufgebrochen, wenn etwa Lisas Ehemann durch das Lager läuft. Eine starke Wirkung entfalten viele kahlgeschorene Köpfe der Insassen. Reizend allein die schlichten aber sehr eleganten Kleider für die ehemalige Wärterin Lisa auf der Kreuzfahrt (Kostüme: Bettina Walter). Anfang und Ende spielen an einem imaginären Fluss, an dem die Erzählerin ihrer ehemaligen Mitgefangenen gedenkt. Hier, wie auch zwischendurch, werden Schriftzüge in den Raum projiziert (wie „ich lebe, du lebst, sie lebt…“, was später dann auch im Sprachunterricht zwischen Bronka und Yvette vorkommt).
Mieczysław Weinbergs, oftmals eruptiv ausbrechende, Musik wird vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter dem Gastdirigenten Christoph Gedschold (der bei den ersten Vorstellungen für den erkrankten Leo Hussain eingesprungen ist und diese Oper schon bei der Deutschen Erstaufführung 2013 in Karlsruhe dirigiert hat) leidenschaftlich und nuancenreich gespielt und eine immense Sogkraft dieser bisweilen gigantischen Musik entfaltet. Der von Tilman Michael einstudierte Chor singt teilweise aus dem Off, stets aber mit starker vokaler Präsenz.
Trotz des ernsten Themas geht es aber auch um Gesang. Wo tiefe Empathie gezeigt wird, blüht freilich auch die Seele auf und mit ihr schönster Gesang. Also zumindest hier, trotz oder gerade wegen der großen Not der Protagonisten. Allen voran ist die emphatische Marta der Sara Jakubiak ein Erlebnis, aber auch die träumende Katja („Du Tal, du kleines Tal“) der Anna Ryberg.
Die großartige Tanja Ariane Baumgartner gibt der ehemaligen Aufseherin Lisa trotz manch nötiger äußerer Strenge viele Facetten. Sie ist eben nicht nur eine strenge und dienstbeflissene Aufseherin (mit ihren Locken dazu verführerisch kokett), sondern auch eine fast schon verzweifelnd um Anerkennung ringende Person. Ihren, ob der für seine Karriere vernichtenden Vergangenheit seiner Frau außer sich geratene, Diplomatenehemann Walter gibt überaus klangschön Peter Marsh. In diese vortreffliche Ensemblearbeit fügen sich auch Jenny Carlstedt (Vlasta), Judita Nagyová (Hannah), Barbara Zechmeister (Alte), Dietrich Volle (1. SS-Mann), Magnus Baldvinsson (2. SS-Mann), Hans-Jürgen Lazar (3. SS-Mann), Michael McCown (Steward) ein, sowie die Gäste Joanna Krasuska-Motulewicz als Bronka und der amerikanische Bariton Brian Mulligan, als Martas Verlobter Tadeusz. Das Opernstudio ist vertreten von Thomas Faulkner (noch etwas verhalten), Nora Friedrichs (Yvette) und Maria Pantiukhova (Krystina). In Sprechrollen zudem dabei Margit Neubauer (Oberaufseherin) und Friederike Schreiber (Kapo). Man sieht, ein großes Aufgebot, das noch von zahlreichen Statisten begleitet wird. Gesungen wird in der jeweiligen Sprache der Figuren, also viel in Deutsch und in Polnisch, aber auch in Russisch, Englisch und Jiddisch.
Dimitri Schostakowitsch hat den Grundtenor dieser Oper im Vorwort zum Klavierauszug treffend zusammengefasst: „..Ein in Form und Stil meisterhaft vollendetes Werk und dazu vom Thema her ein höchst aktuelles. Die moralisch-sittlichen Ideen, die der Oper zugrunde liegen, seine Geistigkeit und sein Humanismus können den Zuhörer nicht unbeeindruckt lassen…“
Sehr viel Applaus vom zahlreich erschienenen Publikum für dieses eindringliche Plädoyer wider das Vergessen.
Markus Gründig, März 15
Samson und Dalila
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 7. März 15 (Premiere)
„occupy your mind“
Schon lange währt der Streit zwischen den Hebräern und den Palästinensern, eine Lösung des Konflikts ist bis heute nicht in Sicht. Einen frühen Bericht dieses Konflikts, genauer gesagt eine alttestamentarische Geschichte aus dem Buch Richter (Kapitel 13-16), vertonte der französische Komponist, Organist und Pianist Camille Saint-Saëns (nach einem Text von Ferdinand Lemaire) für seine erfolgreichste Oper „Samson und Dalila“. Die Oper, die zunächst in deutscher Sprache 1877 in Weimar uraufgeführt wurde, feierte überall Triumphe. Nicht nur der ergreifenden Musik Saint-Saëns´wegen, sondern auch weil sie mit ihrem orientalischen Sujet die Möglichkeit für eine große Ausstattungsoper bietet.
Für die Neuinszenierung dieser Oper am Staatstheater Darmstadt entschied sich das Regieteam gegen eine Zurschaustellung tradierter Bilder. Dies stieß bei der Premierenvorstellung auf Zustimmung, aber auch auf einige Ablehnung im Publikum. So mancher Regie-Einfall wurde lautstark mit „Ei, ei, ei“ kommentiert. Schon zur Pause verließen einige Zuschauer das Haus. Beim Schlussapplaus gab es schon von Beginn an Buhrufe, erst recht dann, als sich das Regieteam zeigte.
Dabei beinhaltet die Umsetzung nichts, was für einen Skandal reicht, auch huscht noch nicht einmal ein Nackedei durch die Szenerie. Vielmehr ist es Intension, dem Werk einen heutigen Blick zu verleihen, das Heldentum zu hinterfragen und auf ökonomische Mechanismen hinzuweisen. Und das sogar mit einer humorvollen Note. Und Saint-Saëns´ betörende Musik ist zusätzlich ein nicht aus dem Weg zu schlagendes Argument für diese Oper, selbst in dieser Regietheaterfassung der gebürtigen Israelin Inga Levant, die mit dieser Arbeit ihr Debüt am Staatstheater Darmstadt gibt.
Das Staatsorchester Darmstadt spielte unter der Leitung des 34-jährigen Elias Grandy überaus zupackend. Ein Ohrenschmaus war allein die zehnminütige Ouvertüre (bei noch herabgelassenem Vorhang und nur leicht verdunkeltem Saal), die zunächst sehr kraftvoll angegangen wurde, dann aber sehr feinfühlig den Farbenreichtum und Melodienvielfalt Saint-Saëns´ zelebrierte. Grandy ist derzeit noch 1. Kapellmeister am Staatstheater Darmstadt und errang, gemeinsam mit dem Taiwanesen Tung-Cheih Chuang, vor wenigen Wochen den 2. Platz beim Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti in der Alten Oper Frankfurt (ein 1. Platz wurde nicht vergeben). Ab der nächsten Saison wird Grandy die Position des Generalmusikdirektors der Stadt Heidelberg übernehmen. Außergewöhnlich sind hier auch die großen Chornummern (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint), die insbesondere im ersten Akt einen starken Oratorien-Charakter haben (wofür das Werk ja ursprünglich konzipiert war).
Die Welt in Gaza ist im Bühnenbild von Charles Edwards eine Fabrik für Helden (Frankenstein lässt grüßen), deren Kurswert an einem imposanten Chart angezeigt wird, gesponsert von zahlreichen Kreditkartenfirmen, deren Logos nach Bedarf sichtbar werden. Auf der rechten Bühnenseite befindet sich eine Turmplattform, in deren Mitte sich ein runder Plexiglasfahrstuhl befindet, der in die Höhe und in die Tiefe führt. Hinter dem Chart auf der Rückwand verbirgt sich der Chor, als individualisierte Masse, mit schwarzen Mützen und Bärten. Dalilas Hütte im Tal Sorek ist der Unterbau der Helden-Fabrik. Die Unterbühne zeigt neben einem mit dem Fahrstuhl verbundenen Ofen vor allem viele bunt angemalte Rohrleitungen, im Hintergrund befindet sich ein Käfig, der auch nach oben gefahren werden kann. Der große Ofen entpuppt sich als das Kraftzentrum Samsons: Die Beschneidung von Kabelsträngen an der Frontseite des Ofens bewirken schließlich Samsons Fall (worauf dieser erst dann eine orangefarbene Haarperücke im Afrolook trägt und seinen Supermann-Anzug um einen Clownumhang erweitert hat; Kostüme: Petra Korink). Bis es dazu kommt, passiert viel, auch manch Klimbim bzw. an Kindertheater anmutende Umsetzungen. Beispielsweise, wenn etwa die beiden Philister (klangschön: Hyosang Isaac Le und Thomas Mehnert) in Tierkostümen (Löwe und Insekt) vom Kriegsboten im Pumuckl-Look (Minseok Kim) vorgeführt werden (vielleicht ist dies aber auch nur eine Andeutung auf Saint-Saëns´ „Karneval der Tiere“). Im Anzug, mit grauem Rauschebart und wallendem Haar wirkt Vadim Kravets als alter Hebräer noch am unauffälligsten. Bis Samson und Delila das erste Mal aufeinandertreffen, dauert. Lange Zeit verständigen sie sich nur über ein großes Teleskop.
Für die drei Hauptpartien hat das Staatstheater Darmstadt Gäste engagiert. Die Mezzosopranistin Stella Grigorian, ehemaliges Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und der Oper Frankfurt, gibt hier die Partie der Dalila. Erst als charmante Dame im weißen Kleid, blonden Haaren und mit vielen bunten Tatoos an Armen und Beinen, dann als Lack und Leder-Braut, ganz in schwarz. Die Femme fatale gibt sie mit immenser Spielfreude und angenehmer stimmlicher Gestaltung, gipfelnd im Hit „Mon coeur s’ouvre a ta voix“ im zweiten Akt. Der gebürtige Mexikaner Luis Chapa gibt dem Samson zunächst ein sehr prägnantes Profil, bis er von der Regie zum Clown gemacht wird. Stimmlich gewinnt er vor allem in der zweiten Hälfte durch mehr Souveränität und weniger Druck. Eine besondere Note bekommt die Inszenierung durch die Besetzung des Oberpriesters. Eigentlich eine Bassrolle. Das Programmheft nennt dafür eine Frau: Lucia Lucas. Auf der Bühne sieht man dann auch eine schöne Frau, die singt aber mit der Stimme eines Baritons. Verwirrung, zunächst. Hintergrund ist, dass Lucia Lucas, Ensemblemitglied am Staatstheater Karlsruhe, bis Sommer 2014 noch Lucas Harbour hieß und sich dann entschloss, als Frau zu leben. Ein Transgener in der Opernwelt, keine Selbstverständlichkeit, doch nach Conchita Wurst beim Eurovision Songcontest, ist auch dies möglich. Am Ende erhielt Lucia Lucas den stärksten Applaus.
Zusätzlich wurde das Werk um einen „Performer“ (Steffen Moddrow) bereichert, der als väterlich anmutender Erzähler kurze Zwischenkommentare und Weisheiten abgibt (die beim Premierenpublikum eher auf Unverständnis stießen). Tanzszenen gibt es leider keine. Am Ende fährt Samson, nun wieder ganz Mann und kein Clown mehr, raketenähnlich mit dem Aufzug gen Himmel.
Die Inszenierung ist zu keiner Zeit langweilig (so gibt es auch eine alternative Modenschau und eine Demonstration, mit Schildern wie „occupy your mind“ und die Unsicherheit unserer Zeit ausdrückenden „STOP / GO“), oftmals zum Nachdenken anregend, manchmal belustigend (wie auch mit Dalilas Natterschlangengeschenk an Samson etwa), immer aber berührend durch die Kraft der Musik und die Schönheit der Stimmen.
Markus Gründig, März 15
Tosca
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 1. März 15 (Premiere)
Sie sind eines der bekanntesten Liebespaare in der Opernliteratur. Die Sängerin Floria Tosca und der Maler Mario Cavaradossi. In der Sicht der jungen Regisseurin Julia Hölscher bleiben sie sich aber letztlich fremd. Hier träumt jeder seine eigene Wunschfantasie. Er ist abgöttisch in die Gräfin Attavanti verliebt, wälzt sich auf ihrem auf dem Boden befindlichen Abbild. Der Träumer ist stets barfüßig und in einem leichten unschuldig weißen Sommerdress gekleidet. Tosca ist nicht die romantisch und wild Liebende, sie scheint eher kühl und rational. Sie trägt ein ausgefallenes signalrotes Abendkleid (Kostüme: Amit Epstein), schon äußerlich passen die beiden nicht wirklich zusammen. Am deutlichsten wird es aber zum Schluss, wenn Cavaradossi im hinteren Bühnenbereich erschossen wird und sie nah am Bühnenrand steht, wo sie sich gerade geschminkt hat. Selbst im Tod kommen die beiden nicht zusammen. Sie läuft in die Bühnenmitte und sinkt einsam zu Boden. Mit der Spiegelung auf einer riesigen Scheibe ergibt sich optisch ein grandioses Schlussbild.
Für die Neuinszenierung von Puccinis „Tosca“ am Staatstheater Mainz wurde ein Geflecht aus grobgliedrigen Zaunelementen zu einem transparenten Bühnenprospekt geformt. Von diesen „Vorhängen“ gibt es im Bühnenbild von Thomas Rupert insgesamt drei Stück. Bei geringer Ausleuchtung entstehen so atmosphärisch dichte Optiken, die sowohl das Gefangensein, als auch einen gewissen kirchlichen Rahmen (in Anlehnung an manch Kirchenfenster) widerspiegeln (im Programmheft wird von „inneren und äußeren Kunstwelten“ gesprochen). Dazu kommt nicht nur eine dezente Akzente setzende Ausleuchtung (Licht: Stefan Bauer), sondern auch ein herabhängender, großer runder Spiegel zum Einsatz, der die ansonsten karge Szenerie überaus geschickt bereichert und ungewohnte Perspektiven ermöglicht (Bühne: Thomas Rupert).
Eine konkretere Verortung gibt es im zweiten Akt, für Scarpias Zimmer im oberen Stockwerk des Palazzo Farnese. Aus der Unterbühne fährt ein schmaler, dreigliedriger Raum im grellen Gelb hoch. Die (Folter-) Kammer Scarpias hat mit ihrem schwarzen Tisch und den sich auf diesen sich lustvoll räkelnden Wesen der Nacht einen leicht frivolen, ja nahezu einen Fetisch-Charakter. Wobei die beiden stummen Wesen in ihren knappen Lack-Outfits die Szenerie ungemein bereichern. Egal, ob sie sich nun dominant und/oder lasziv geben oder nur weinend in einer Ecke hocken.
Sehr gelungen ist auch die Einbindung der Kinderchöre (Kinder des Mainzer Domchors und Mädchenchor am Dom und St. Quintin (Einstudierung: Michael Kaltenbach) und der drei Hirten (Raphael Farhat/Simeon Göttle/Sebastian Kleinhaus).
Von musikalischer Seite war die Aufführung von hoher Qualität. Allen voran Nadja Stefanoff in der Titelrolle. Die Sopranistin wechselte zum Spielzeitbeginn vom Theater Bremen nach Mainz. Kraftvoll und mit facettenreiche Phrasierungen bestach sie nicht nur mit dem Hit „Vissi d’arte“. Gesanglich auf der Höhe präsentierte sich auch Eric Laporte als Mario Cavaradossi, von „Recondita Harmonia“ bis „Lucevan le stelle“, mit flexiblen und strahlkräftiger Tenorstimme. Obwohl von Intendant Markus Müller als leicht indisponiert angekündigt, verlieh Derrick Ballard dem Scarpia ein prägnantes Profil. Klangschön auch Florian Küppers (Cesare Angelotti), Stephan Bootz (Mesner), Michael Pegher (Spoletta) und Timon Führ (Sciarrone). Der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor präsentierte sich kraftvoll. Das Philharmonische Staatsorchester Mainz wurde vom jungen Kapellmeister Paul-Johannes Kirschner geleitet, der es zu einem vollen Puccini-Glanz stimulierte.
Der Premierenapplaus fiel groß aus. Für das Regieteam war er aber auch von einigen Buh-Rufen durchmengt. Dabei war die szenische Umsetzung längst nicht so radikal wie beispielsweise bei Tilman Knabes „Tristan und Isolde“ oder „Don Giovanni“. Vielleicht hatte sich der eine oder andere aber auch einfach nur ein größeres Liebesdrama gewünscht, als die nüchterne Betrachtung von Julia Hölscher. Die trug das Publikumsurteil mit Gelassenheit und zog sich ein T-Shirt mit „it’ s o.k.“ über, was sich auch über ihre Inszenierung sagen lässt.
Markus Gründig, März 15
L´ Orontea
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 6. Februar 15
Marc‘ Antonio Cestis erste Oper „L´Orontea“ war seinerzeit ein großer Erfolg. Sie ist eine typische Barockoper mit einer gewissen Länge, vielen Rezitativen und Arien und ist doch etwas ganz Besonderes. Dabei zählt sie noch nicht einmal zu Cestis populärsten Opern (wie seine Prunkopern „L’ Argia“ und „Il pomo d’oro“), die damals gleichberechtigt mit den Opern von Claudio Monteverdi und Francesco Cavalli gespielt wurden.
Eine witzige, mitunter leicht frivole Geschichte (die Uraufführung war zur Karnevalszeit) ist umrahmt von treffsicher gesetzten wunderschönen Melodien. Viele Arien sind kleine musikalische Perlen.
In Frankfurt kann man sich nun glücklich schätzen, dass dieses Werk erstmals auf den Spielplan gesetzt wurde. In Zusammenarbeit mit dem Label OehmsClassics wird es in einigen Monaten auch eine CD-Aufnahme dieser Produktion geben.
Die Inszenierung des gebürtigen Briten Walter Sutcliffe ist für ein breites Publikum gemacht. Sie verbindet kammerspielartige Intimität mit plakativen Effekten, stets mit einer gewissen boulevardesken Attitüde. Bewusst widersprüchlich angelegt sind die Bühnenoptiken und die Kostüme, für beides zeichnet Gideon Davey verantwortlich. Dabei gibt es keine eindeutige Verortung, weder in Raum noch Zeit.
Der die eigentliche Oper auslösende Disput zwischen Filosofia (mit Rauschebart: Katharina Magiera) und Amore (Juanita Lascarro) findet in luftiger und dunkler Höhe statt, das Spiel selbst in nüchternen rechteckigen Raumelementen in weißer und roter Farbe. Zu Beginn ist es erst ein Raumelement, später sind es zwei, dann drei. Im zweiten Teil erfahren sie auf der Drehbühne ständige Positionswechsel und zeigen neue Räume im Palast. Sie sind gefüllt mit Büsten, Kunstpalmen und modernen Lautsprechern (Bilder für heutige Sehnsuchtsorte). Dazu kommt anfangs noch eine sandige Dünenlandschaft, in der das Paar Silandra (klangschön, ob in heißen Strapsen oder züchtig gekleidet: Louise Alder) und Corindo (klangfarbenreich der Altus Matthias Rexroth) ein Liebesnest gefunden haben.
Zurück in alte Zeiten geht Gideon Davey vor allem bei den Kostümen, dies aber nur teilweise. So trägt die Königin Orontea ein prunkvolles blaues Reifkleid, allerdings mutet es nur historisch an, wie dies auch das etwas schlichtere, hoch geschlossene Kleid der Silandra (verstärkt mit einer Halskrause) tut. Ganz heutig und im heftigen Kontrast steht demgegenüber der Kampfanzug nebst Maschinengewehr für den Pagen Tibrino (Juanita Lascarro). Anzug oder Rollkragenpulli für Creonte und Gelone. Umrahmt wird das Geschehen von bis zu elf großen Engelputten, die anfangs durch die Lüfte schweben, ansonsten aber auch die Kulissen bewegen und das Geschehen von der Seite beobachten.
Regisseur Walter Sutcliffe ist kein Unbekannter in Frankfurt. Vor kurzem erst wurde seine „Owen Wingrave“-Inszenierung wiederaufgenommen. Hier zeigt er sich von einer anderen Seite. Er lässt jedem ausreichend Intimität, die jeweilige Liebesnot eindrucksvoll vorzutragen, mischt das Ganze aber mit allerhand Gags und flotten Sprüchen. Apropos Sprüche: Der Hofphilosoph Creonte ist hier mit kurzen schwarzen Locken und klarer Brille als Anspielung auf den Comedien Axel Schröder zu sehen. Bariton Sebastian Geyer, am Abend zuvor noch als Heger und Jäger bei der Wiederaufnahmepremiere von „Rusalka“ auf der Bühne (wie auch Katharina Magiera), gibt ihn mit entsprechend humorvoller Note. Getoppt wird er allerdings vom Bassbariton Simon Bailey, der als betrunkener Diener mehr als ein Loblied auf den Wein singt und für viele Lacher im Publikum sorgt. Dabei zeigt er ein breites Klangspektrum, bis hin zum Singen im Falsett. Auf gleicher Höhe der belgische Tenor Guy de Mey als aufgebrezelte und liebestolle Aristea, die vermeintliche Mutter Creontes. Liebe ist keine Frage des Alters und eine positive Grundhaltung wirkt auf die Umwelt wundersam.
Als hübschester Mann, dem alle gnadenlos verfallen und der sich selbst noch gar nicht so recht gefunden hat, ist die Figur des Alidoro angelegt. Der Countertenor Xavier Sabata gibt ihm bei seinem Debüt an der Oper Frankfurt ein markantes Profil. Über allen strahlt aber die Königin Orantea der Paula Murrihy, die mit Anmut und Witz (auch sie versucht das Herz Alidoros mit optischen Reizen zu gewinnen), vor allem aber mit betörendem Gesang, überzeugt, ja begeistert (wie mit der großen Arie „Intorno all’idol mio“).
Und last, but not least die ausgewählten Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters und das Monteverdi-Continuo Ensemble unter der Leitung des Barockspezialisten Ivor Bolton, die mit immenser Spielfreude und großer Leidenschaft die Musik Cestis und dessen Einfallsreichtum zum Leuchten bringen.
Für das heitere Spiel um die Macht der Liebe, bei dem es am Ende zwei Liebespaare gibt, gab es vom Publikum tosenden Applaus für Sänger und Orchester.
Markus Gründig, Februar 15
Rusalka
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 5. Februar 15 (Wiederaufnahme-Premiere)
Sie liebt ihren Prinzen über alles, gegen die Warnungen ihrer Umwelt, gegen die Vernunft und schließlich gegen ihr eigenes Leben: Die Nixe Rusalka. Für ihn verlässt sie die sichere und vertraute Wasserwelt, wird zum Menschen und scheitert schneller als gedacht.
Antonín Dvořák fand für diese berührende Geschichte eine Handvoll schöner Melodien, aus der er seine erfolgreiche Oper „Rusalka“ komponierte. Sie wurde jetzt an der Oper Frankfurt zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal wiederaufgenommen (in der sehenswerten Produktion der Opéra national de Lorraine aus Nancy; Regie und Bühnenbild: Jim Lucassen). Dabei wurden die meisten Rollen neu besetzt.
In der Titelfigur ist nun die junge russische Sopranistin Olesya Golovneva zu erleben, die hier ihr Rollendebüt als Rusalka gibt. Sie hat nicht die Fragilität von Amanda Majeski im Ausdruck, die die Rolle in 2013 gegeben hat. Gleichwohl gefällt ihre starke Interpretation, da sie besonders bei den Verzweiflungsszenen den Schmerz Rusalkas eindringlich verdeutlicht. Ihre kräftige Sopranstimme weiß sie sicher und fundiert zu führen. Als Prinz, in den sich Rusalka unsterblich verliebt, gibt der US-Amerikaner A.J. Glueckert hier sein Europadebüt. Ein vielversprechender junger Tenor, mit angenehmer Tiefe, balsamischen Klangfarben und Strahlkraft.
Die weiteren Sänger stammen alle aus dem Ensemble bzw. aus dem Opernstudio (Maria Pantiukhova als Küchenjunge und Katharina Ruckgaber als 1. Waldelfe). Für die Wiederaufnahmepremiere war kurzfristig Tanja Ariane Baumgartner für die erkrankte Claudia Mahnke eingesprungen. Die Rolle der Fremden Fürstin hatte sie bereits 2013 gegeben. Sie verkörperte die Figur mit großer Souveränität und bot schöne Klangfarben. Katharina Magiera verlieh der Hexe Ježibaba großes stimmliches Format.
Mit großer Spielfreude brachten sich auch der Bass Andreas Bauer als markanter und väterlicher Wassermann und der Bariton Sebastian Geyer als agiler Heger/Jäger ein. Sie boten, wie die beiden weiteren Waldelfen Elizabeth Reiter und Marta Herman eine ausgezeichnete und stimmige Leistung, was sich auch von dem von Tilman Michael einstudierten Chor sagen lässt (der als schadenfrohe Meute nur im 2. Akt in Aktion tritt).
Christian Arming sorgte am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester für einen zarten und sängerfreundlichen Klang (wobei es aus dem Orchestergraben auch etwas intensiver hätte aufleuchten dürfen). Sehr viel Applaus.
Markus Gründig, Februar 15
Perelà ~ Uomo di fumo
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 16. Januar 15 (Premiere)
Drei Trümpfe für das Staatstheater Mainz
Ein Mann aus Rauch verzaubert eine dekadente höfische Gesellschaft, er wird angehimmelt, nachgeahmt und schnell wieder verstoßen, um sich dann wieder dahin zu begeben, wo er die letzten 33 Jahre verbracht hat: in einen Kamin. Dies ist in Kurzform der Inhalt von Pascal Dusapins erster abendfüllender Oper „Perelà ~ Uomo di fumo“, die als Auftragswerk der Pariser Bastille-Oper und der Nationaloper Montpellier entstand und 2003 uraufgeführt wurde. Das Libretto schrieb der 1955 geborene französische Komponist selbst, unter Verwendung des Romans „Il codice di Perelà“ des Italieners Aldo Palazzeschi von 1911. Dramaturgisch notwendige Kürzungen vornehmend, kürzte Dusapin die Vorlage auf zehn unterschiedlich lange Kapitel und schuf durch Beibehaltung vieler Teile des Originaltextes eine moderne Literaturoper.
Das Staatstheater Mainz zeigt sie nun erstmals in Deutschland, in der Regie der US-Amerikanerin Lydia Katherine Steier, die in Mainz bereits Franz von Suppés Operette „Fatinitza“ inszenierte (Nov. 2012). Als Nächstes erarbeitet sie Neuinszenierungen von Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ am Stadttheater Bern (Premiere: 1. März 15) und von Georg Friedrich Händels „Giulio Cesare in Egitto“ an der Komischen Oper Berlin (Premiere: 31. Mai 15). Pascal Dusapins begleitete die Endproben und war auch zu Gast bei der Premiere.
Schon auf dem schwarzen Bühnenvorhang sind erste Rauchwolken zu erkennen. Während der Ouvertüre hebt sich der Vorhang und von oben schwebt ein großes Kaminrohr herab, in dem sich ein Mann materialisiert. Nackt entsteigt er dem Rohr und zieht sich rote Stiefel über. Dann beginnt er, die ihm neue Welt zu erkunden. Bislang hat er sie nur belauscht, die Gespräche außerhalb des Kamins, geführt von drei Hausbewohnerinnen Pena, Rete und Lama, aus deren Vornamen er sich einen eigenen bildet: Perelà. In steiniger Landschaft begegnet er einer alten Frau und gelangt in die Stadt des Königs. Hierzu ist zunächst nur eine Fassade eines mehrstöckigen Wohnhauses aus der Neorenaissance zu sehen. Neugierig wird Perelà aus zwei Fenstern beobachtet und schnell reißt sich die illustre Hofgesellschaft darum, sich mit ihm ablichten zu lassen und lädt ihn zu einer Teegesellschaft ein. Die Fassade steht auf der Drehbühne und ist Teil eines Ensembles aus einer großen weißen Treppenanlage (die, wie Regisseurin Lydia Steier im ausführlichen Programmheft ausführt, illusorisch in die Unendlichkeit weist, durch ihre Machart/Struktur aber auf die Fassadenhaftigkeit der Welt widerspiegelt) und kleinen Wohnräumen darin (Bühne: Flurin Borg Madsen). Das letzte Bild ähnelt dem ersten, Perelà flieht in den Gerichtskamin und löst sich wieder in Rauch auf.
Ein Trumpf der Inszenierung sind die ausgefallenen, farbenfrohen und opulenten Kostüme von Gianluca Falaschi für die exaltierte und illustre höfische Gesellschaft. Die Damen tragen bunte elegante Kleider (viele davon mit Reifröcken), Halskrausen und Hüte (bis hin zu einem Vogelkäfig, den die Königin auf ihren Haaren trägt), zudem sind sie grell geschminkt und tragen abnorme Nasen. Auch die bunten Gewänder der Männer sind aufwendig hergestellt. Der Gerichtspräsident (mit profunder Bassstimme: Stephan Bootz) erscheint als überdimensionale Hoheit (weshalb ihm ein Gerichtsdiener das Schonbrett für seine Schläge mit dem Gerichtshammer an einer Stange hochhalten muss).
Ein weiterer Trumpf ist das spielfreudige Ensemble, Solisten wie Chor. Besonders herausragend dabei Peter Tantsits, Marie Christine Haase und Geneviève King. Gastsänger Peter Tantsits gibt die Titelfigur einfühlsam und mit großer Intensität. Seine hohe Tenorstimme drückt Perelàs Sonderstellung und sein „Gesetz der Leichtigkeit“ symbolhaft aus. Marie Christine Haase betört zunächst als Königin, bietet dann als hysterische und rachsüchtige Tochter Alloros überaus eindringliche und grelle Koloraturen. Geneviève King berührt als unglücklich verheiratete Marquise Olivia di Bellonda (ihr Mann ist gesund und stark, trägt sie aber nicht im Herzen). Von der Regie hat sie eine kleine Tochter an die Seite gestellt bekommen. Das kleine Mädchen trägt zwar schon Kleider wie die Erwachsenen, hat sich seine Reinheit aber noch bewahrt und wird Perelà zu einer Art Verbündeten.
In weiteren Rollen u.a. dabei: Katja Ladentin als arme Alte, Ks. Hans-Otto Weiß als Diener, Peter Felix Bauer als Minister, Brett Carter als dem Perelà nachahmenden Alloro, Heikki Kilpeläinen als dekadenter Bankier Rodella, Georg Lickleder als Philosoph Pilone, Altus Alin-Ionut Deleanu als Erzbischof und Ks. Jürgen Rust als krächzender Papagei im Käfig. Und natürlich der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor, der sich mit vielen Stimmfarben einbringt.
Dritter Trumpf ist das akkurat aufspielende Philharmonische Staatsorchester Mainz unter der Leitung seines Chefdirigenten und Generalmusikdirektor Hermann Bäumer. Dusapins Stilmix, bestehend aus zarten Streicherpartien, schroffen Bläsereinsätzen und heftigem Getrommel und Getöse (inklusive wuchtigen Orgelklängen und kurzen Jazz-Anleihen), verleiht das Orchester zauberhafte wie bedrohliche Effekte.
Sehr viel Applaus (Bravo-Rufe schon zur Pause), auch uneingeschränkter Zuspruch für das Regieteam, für diese publikumsfreundliche Umsetzung eines modernen Musiktheaterwerkes.
Markus Gründig, Januar 15
Owen Wingrave
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 10. Januar 15 (Wiederaufnahme-Premiere)
„Ich bin nicht fähig dazu, das Leben eines Menschen zu zerstören,
weil in jedem Menschen der Geist Gottes anwesend ist.“ (Benjamin Britten)
„Owen Wingrave“ ist Brittens zweitletzte Oper, sie wurde zwischen 1968 und 1970 für das britische Fernsehen geschrieben und am 16. Mai 1971 erstmals ausgestrahlt. Also zu einer Zeit, in der nicht nur der Vietnamkrieg tobte, sondern auch der Kalte Krieg. Seiner ausgeprägte pazifistische Überzeugung hatte Britten schon Jahre vorher in seinem 1962 erschienenen „War Requiem“ markant Ausdruck verliehen.
„Owen Wingrave“ handelt von der Geschichte eines jungen Mannes, der nicht in die tradierten Fußstapfen seiner ehrwürdigen Vorfahren treten will und am Ende dafür mit seinem Leben bezahlt. Britten verwendete dafür die gleichnamige Erzählung von Henry James aus dem Jahr 1893. Und so spielt die Oper zum späten 19. Jahrhundert, einer Zeit, wo es noch kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gab und dieses Thema gesellschaftlich noch zu keiner Diskussion führte (immerhin war Großbritannien hier Vorreiter, ab 1914 gab es dort eine organisierte Verweigerungsbewegung).
Als Frankfurter Erstaufführung war das Werk zu Jahresbeginn 2010 als Produktion der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot zu sehen. Nun wurde diese Produktion wiederaufgenommen, was ein zweifaches Novum darstellt. Noch nie wurde bisher eine Produktion des Bockenheimer Depots wiederaufgenommen und schon gar nicht im Opernhaus (auf großer Bühne). Walter Sutcliffes Inszenierung von „Owen Wingrave“ erfuhr jetzt diese Ehre. Die szenische Neueinstudierung (die meisten Rollen wurden neu besetzt) übernahm Tobias Heyder.
Obwohl auf großer Bühne gespielt wird, werden stets nur kleine Ausschnitte der Handlungsorte London (Militärakademie und Wohnstuben) und Paramore (Familiensitz der Wingraves) gezeigt. Die akzentuiert gesetzten Ausschnitte von historisch anmutenden Räumen und Fluren sind von schwarzen Wänden umgeben, die seitlich verschiebbar sind. So entstehen ständig neue Blickweisen, denn mal öffnet sich ein Raum zur rechten, mal zur linken Seite und auch in der Mitte (wie zum großen Familien-Dinner). Die Bühne von Kaspar Glarner greift damit effektvoll die Technik von Kamerablenden auf. Glarner zeichnet auch für die Kostüme verantwortlich, die besonders bei den Damen mit ihren aufwendig gestalteten, hochgeschlossenen historischen Kleidern gefallen.
Ganz außergewöhnlich ist das Spiel des reduziert aufspielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Yuval Zorn, dem ehemaligen Kapellmeister der Oper Frankfurt, zu nennen. Zorn hatte „Owen Wingrave“ bereits 2010 bei der Premierenserie im Bockenheimer Depot dirigiert. Er entlockt dem Orchester eine große Bandbreite an Klangfarben, liebliche wie heftig derbe. Denn an Krieg und Militär anmutende Klänge sind bei dieser Oper viele vorhanden. Zorn lässt sie, in Anlehnung an die szenische Umsetzung, sehr differenziert und deutlich spielen: ein wunderbares Klangerlebnis.
In der Titelrolle ist der seit der Saison 2013/2014 zum Ensemble gehörende Bariton Björn Bürger in seiner bislang größten Rolle zu erleben (später im Jahr wird er noch sein Debüt als Don Giovanni an der Norwegischen Oper Oslo geben). Wie für die meisten anderen Sänger auch, ist dies für ihn gleichzeitig ein Rollendebüt. Er verleiht dem vermeintlichen Schwächling Owen Wingrave großes Format und aristokratische Würde. Was nicht zuletzt durch seine kräftige und noble Stimme unterstützt wird, wie es vor allem bei dem blendend gelungenen Plädoyer für Frieden im zweiten Akt deutlich wird.
In seiner jungen Verlobten Kate (eindringlich: Nina Tarandek) hat Owen eher eine Feindin als eine Freundin. Ohne Aussicht auf ein Erbe ist er für sie schon gestorben, noch bevor er das Spukzimmer betritt. Weshalb sie schnurstracks mit seinem Studienkollegen Lechmere (sich angenehm steigernd: Simon Bode) anbändelt. Auch von seiner Tante (Miss Wingrave, vehement: Britta Stallmeister) erhält Owen keinerlei Unterstützung. Einzig das Paar Coyle versucht, seine Entscheidung nachzuvollziehen. Dietrich Volle (Spencer Coyle) und Barbara Zechmeister (Mrs. Coyle) sangen diese Partien bereits 2010.
Optisch kaum zu erkennen, da auf alt getrimmt, sind Karen Voung als Mrs. Julian (die sich nachhaltig darum kümmert, ihre eigene Existenz durch eine lukrative Heirat ihrer Tochter zu sichern) und Michael McCown als unerbittlicher General Sir Philip Wingrave (der seinen einzigen Enkel ob seiner Friedensliebe enterbt).
Berührend ertönen die eingespielten Gesänge des Kinderchor der Oper Frankfurt, die vom Balladensänger (Beau Gibson) umrahmt werden.
Sehr viel Applaus für diese empfehlenswerte Wiederaufnahme.
Markus Gründig, Januar 15
L’incoronazione di Poppea
(Die Krönung der Poppea)
Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot
Besuchte Vorstellung: 21. Dezember 14
Liebe als Triebfeder für unmoralische Handlung
Nach „L’Orfeo“ (2005), „Combattimento“ (2006) und „Il ritorno d’Ulisse in patria“ (2007) schließt die Oper Frankfurt jetzt mit „L´incoronazione di Poppea“ ihren zeitlich lose gehaltenen Monteverdi-Zyklus in der Spielstätte Bockenheimer Depot.
Monteverdi gilt nicht nur als bedeutendster italienischer Komponist des 17. Jahrhunderts, sondern generell als überragender Meister. Als Erster stellte er die menschlichen Affekte, Emotionen und Leidenschaft auch musikalisch dar. Dadurch wurde der Musik insgesamt eine ganz neue Rolle zugewiesen. Für den Dramaturgen Zsolt Horpácsy stellt Monteverdis letzte Oper „L´incoronazione di Poppea“ zweifelsohne ein Meisterwerk dar.
Erstmals in der Opernliteratur werden hier reale Menschen zu Figuren, gibt es ein historisches Sujet. Sie sind nicht als überhöhte Götter gezeichnet, sondern als ganz „normale“ Menschen, ohne Überhebung oder Stilisierung. Im Gegenteil: Rachgier, Machtstreben und sexuelle Obsessionen treffen zusammen. Die Frivolität des Geschehens verwundert, bedenkt man, dass die Oper im Jahr 1642 uraufgeführt wurde.
Monteverdi (und andere, wie Cavalli und Francesco Sacrati) haben das Libretto von Giovanni Francesco Busenello vielfältig und farbenreich umgesetzt. Regisseurin Rosamund Gilmore spricht bei dieser Oper von „Eine Arena für die Götter, ein Versuchslaboratorium für das Publikum“ (sie inszenierte das Stück 2000 im Frankfurter Opernhaus). Norbert Abels nennt die Oper „Szenen einer Ehe“, in der die „Macht des Eros gilt“. Denn keiner nimmt hier groß ein Blatt vor den Mund. Sei es Poppea, die, egal wie, an die Macht will, oder Nerone, der ungestüme Liebhaber und Imperator. Auch das Personal ist nicht tugendhafter und gerät in die Sogkraft des Begehrens. Selbst der stoische Philosoph Seneca kommt nicht wirklich gut weg.
Die Handlung spielt an einem einzigen Tag. In der Inszenierung von Ute M. Engelhardt dauert das Stück 3 ¾ Stunden, was einerseits schon eine gewisse Herausforderung werden könnte. Doch Ute M. Engelhardt hat sich sehr viele Gedanken für die szenische Umsetzung gemacht und so wird das Geschehen als bunte und lebhafte Parabel über das Leben gezeigt. Dabei folgt sie Monteverdis Sicht, die Dinge so zu zeigen, wie sie sind. Es wird also nicht moralisiert oder Partei für eine Figur ergriffen.
Die Grundform der Bühne nimmt lose Bezug zum Opernbau zur Zeit Monteverdis: eine Hufeisenform. Im Bockenheimer Depot allerdings rechteckig, mit unterteiltem Mittelteil. Dieser hat in der Mitte drei variable Schächte, die mit jeweils zwei großen Podien geschlossen werden können. In diesen gibt es allerhand Löcher und Klappen, aus denen Personen auftauchen oder in sie verschwinden. Die Blöcke dienen auch dazu, einzelne Bühnenelemente hineinzubringen. Wie eine besonders lange Couch oder wie eine technische Apparatur auf einem Wagen für den Wissenschaftler Seneca, die mit großen Trichtern Gehörtes einfängt und das Ergebnis als einen langen Textstreifen auswirft.
Im Hintergrund ist eine Konstruktion aus schmalen Planken und Leitern aufgebaut, die wie ein Netz ausschaut. Als Spinnennetz der Götter, in das sich die Menschen hilflos verfangen können, oder als Netz Nerones, der in seinem „Neropolis-Staat“ die Untertanen im Zaum halten will (Bühnenbild: Julia Müer). Hier beginnt auch die Oper, denn die drei Göttinnen (Amore: Elizabeth Reiter, Fortuna: Nora Friedrichs, Virtù: Jessica Strong) geben in dieser Konstruktion den Prolog. Der Kleidungsstil spielt mit den Zeiten, reicht von historisch scheinenden Gewändern, über karnevalistisch und clownesk anmutenden (die Uraufführung fand während des Karnevals in Venedig statt) bis hin zu einem modernen Lack und Lederoutfit für Poppea (Kostüme: Katharina Tasch). Videoprojektionen werden glücklicherweise nur dezent eingesetzt, etwa als Mirakel für Seneca (Video: Bibi Abel).
Auch wenn sich heute bestimmte Stimmfächer auf bestimmte Figuren beziehen, Monteverdi selber hatte dies gar nicht so detailliert festgelegt und eher Raum für eine lebendige Aufführungspraxis gelassen. Dies nutzt auch diese Produktion. Nerone, ursprünglich für einen Soprankastraten geschrieben, wird hier von einer Frau gegeben. Gaëlle Arquez, brillierte bereits an gleicher Stelle im Mai 2013 als Medea in Händels „Teseo“. Sie gibt den verheirateten römischen Imperator, der verrückt nach der Poppea ist und nebenbei aber auch die Lippen und den Körper des Lucano (Francisco Brito) begehrt. Sie besticht, kraftvoll in Stimme und Bewegung. Als machtbesessenes Luder präsentiert die irische Mezzosopranistin Naomi O’Connell die Poppea mit hohem Verführungsfaktor, ohne vulgär zu wirken. Bei aller Machtbessessenheit verzaubert sie aber nicht zuletzt mit ihrer gut geführten Stimme. Mit viel Elan bringt sich Tenor Hans-Jürgen Lazar als Poppeas Zofe Arnalta ein, bei der von Skrupel keine Spur herrscht, an Poppeas Seite geht der Weg endlich nach oben (Lazar hatte diese Rolle bereits in der Gilmore Inszenierung 2000 und bei der Wiederaufnahme 2005 im Frankfurter Opernhaus inne). Ottavias Zofe Nutrice ist dem gegenüber besonnener, Countertenor Martin Wölfel gibt sie einfühlsam (wie auch die Famigliare). Die Rolle des zuvorkommenden Ottone, dem früheren Gatten Poppeas, singt eigentlich eine Sopranistin oder Altistin, hier ist es Counter-Tenor William Towers. Er tut dies mit geschmeidiger Stimmführung. Ein Erlebnis ist auch Claudia Mahnke als Ottavia, die Verstoßene, die zugleich auch ihre Krallen ausfährt und ihre Intrige spinnt. Mit seiner überaus kraftvollen Stimme hebt sich der Bass Alfred Reiter (Seneca) schon vokal von allen anderen ab. Dazu bei dieser Produktion dabei: Anna Ryberg (Drusilla), Aljoscha Lennert (Soldat und Console),Julian Habermann (Soldat 2 und Famigliare 2) und Iurii Samoilov (Mercurio / Famigliare 3 / Tribuno).
Sein Debüt am Pult des mit Gästen verstärkten Frankfurter Opern- und Museumsorchester gibt bei dieser Produktion der Solorepetitor Simone Di Felice mit großer Hingabe. Zur Zeit der Uraufführung gab es noch gar kein klassisches Opernorchester, meist wurde nur mit Minimalbesetzung gespielt. Demgegenüber sind die achtzehn aufspielenden Musiker hier Luxus. Gespielt wird teilweise auf historischen Instrumenten. Die musikalische Einrichtung erfolgte neu durch Andreas Küppers, der bei den Aufführungen auch am Cembalo, Orgel und Percussions sitzt.
Säuselnder Liebesschmerz und bittere Rachegelüste wechseln sich lustvoll ab. Am Ende, wenn unter Anspielung auf das brennende Rom Nerone und Poppea ihr hinreißendes Liebesduett singen, erscheinen unter Poppeas imposanten Schleier auch die Köpfe der auf diesem Weg hin getöteten.
Tosender Applaus vom Publikum (mit Händen und Füßen).
Markus Gründig, Dezember 14
Ariadne auf Naxos
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 7. Dezember 14 (Wiederaufnahme-Premiere)
Richard Strauss´ Oeuvre ist sehr vielseitig, denkt man nur an seine frühen Werke „Elektra“ oder „Salome“ einerseits und „Der Rosenkavalier“ auf der anderen Seite. Seine „Ariadne auf Naxos“ entstand nach diesen Werken, (kein Komma) 1912, eine überarbeitete Fassung wurde 1916 uraufgeführt. Die Oper ist zwar gewissermaßen eine Rückbesinnung zum Klassizismus, allerdings muss dies differenzierter gesehen werden, denn die musikalische Ausgestaltung trägt dennoch viele Züge des 20. Jahrhunderts.
Im Oktober 2013 feierte eine Neuinszenierung von Strauss´ „Ariadne“ an der Oper Frankfurt Premiere, die von der Mezzosopranistin und ehemaligen Intendantin des Tiroler Landestheater Innsbruck, Brigitte Fassbaender, inszeniert wurde. Vierzehn Monate darauf fand jetzt die erste Wiederaufnahme dieser außergewöhnlichen Inszenierung statt, im bekannten Bühnenbild und den farbenfrohen Kostümen von Johannes Leiacker. Die Bühne zeigt zunächst eine luxuriöse Fluranlage für das sogenannte Vorspiel (vor der Pause), ein edles Ambiente im Hause des ominösen reichsten Herrn von Wien. Für die Aufführung der beiden Stücke im Hauptteil (nach der Pause) ist die Perspektive surreal deformiert. Einerseits mit Verkleinerung zur linken Seite, andererseits mit einer riesigen Tür und einem riesigen Stuhl zur rechten Seite. Dazu steht der Gang im Palais des reichsten Wiener Bürgers aus dem Vorspiel schwebend auf dem Kopf. „Ariadnes Faden“ zieht sich als rote Strichmarkierung vom Bühnenvorhang durch beide Bilder, wie auch die drei Nymphen immer wieder einen roten Wollknäuel auf- und zusammenrollen und so nebenbei auf die Ariadnethematik anspielen (der Sage nach übergab Ariadne ein Wollknäuel an Theseus, damit dieser nach Überwindung des Minotaurus wieder aus dem Labyrinth finden konnte).
Bei dieser ersten Wiederaufnahme gibt es viele Neubesetzungen und Rollendebüts. An erster Stelle ist hier die Zerbinetta der Sofia Fomina zu nennen. Sie hatte keine leichte Aufgabe, denn in der Premierenserie gestaltete Brenda Rae diese Figur. Bei der Wiederaufnahmepremiere war Sofia Fomina von Anbeginn an, also bereits im Vorspiel, sehr präsent. Sie kokettierte frech mit ihren vielen Verehrern, bestach aber dann ganz besonders im zweiten Teil mit „Großmächtige Prinzessin“, die herausfordernden Koloraturen wunderbar mit lebhaftem Spiel verbindend. Einen derart großen Spielraum bietet die Figur der Primadonna bzw. der Ariadne nicht. Sara Jakubiak gestaltete sie mit nobler Zurückhaltung und innigem Ausdruck. Wie Jakubiak gab auch Jenny Karlstedt hier ihr Debüt, allerdings als der Komponist (Hosenrolle), ein überaus gelungenes. Schön ihr „Nein, Herr, so kommt es nicht!“. Der Tenor Michael König gab bereits in der Premierenserie einen stimmlich fundierten Tenor/Bachus, so auch bei dieser Wiederaufnahme (von einem kleinen Wackler beim Schlussduett mit Ariadne abgesehen). Seine komödiantische Seite zeigte vergnügt Björn Bürger als Harlekin und gefiel ganz besonders mit seinem schön vorgetragenen „Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen“.
Klangschön und betörend das „Töne, töne, schöne Stimme“-Terzett der drei vorsichtig agierenden Nymphen Najade (Kateryna Kasper ), Dryade (Katharina Magiera ) und Echo (Maren Favela). Die stimmige Ensembleleistung wurde von zahlreichen weiteren Mitgliedern bereichert: Michael McCown als Scaramuccio, Vuyani Mlinde als Truffaldin, Michael Porter als Brighella, lebhaft der Tanzmeister im Jogginganzug des Peter Marsh, ausdrucksstark der Musiklehrer des Dietrich Volle, Thomas Faulkner als Perückenmacher (er ist neues Mitglied des Opernstudios und gab hier zugleich sein Debüt an der Oper Frankfurt und sein Rollendebüt), Franz Mayer als Lakai, Ricardo Iturra als Offizier, sowie William Relton als überzeugender Haushofmeister (Sprechrolle).
Gastdirigent Patrick Lange fand einen sehr schön nuancierten und ausbalancierten Ton für das weitestgehend kammermusikalisch aufspielende und reduzierte Frankfurter Opern- und Museumsorchester (nur manchmal die Sänger übertönend, wie im Vorspiel mitunter den Komponisten).
Starker Applaus für diese hervorragende und spielfreudige Ensembleleistung, insbesondere für die vielen jungen Sänger und Sängerinnen, in der ernsten wie heiteren Inszenierung von Brigitte Fassbaender.
Gelegenheit, diese zarte Strauss Oper zu erleben, gibt es noch am 12., 17., 21 und 27. Dezember, sowie am 18., 24. und 31. Januar 15 (zum Teil in anderer Besetzung). Dazu kann man sich die Premierenbesetzung auch zu Hause auf CD anhören. Inzwischen liegt eine Live-Aufnahme vom Oktober 2013 vor, die bei Oehms Classic erschienen ist (# OC947, oehmsclassics.de). Die Doppel-CD kann während der Vorstellungen im Foyer, an der Vorverkaufskasse der Oper sowie im Handel erworben werden. Das der CD beiliegende Booklet beinhaltet neben weitergehenden Informationen zur Oper, dem Regieteam und den Sängern auch das Libretto, Bilder der Inszenierung. Die Doppel-CD ist auch ein schönes Geschenk für das bevorstehende Weihnachtsfest.
Markus Gründig, Dezember 14
La sonnambula
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 3. Dezember 14
Wo in Rossinis 1817 uraufgeführten „La gazza ladra“ eine junge Frau zu Unrecht des Diebstahls beschuldigt wird, lautet in Bellinis 1831 uraufgeführten „La sonnambula“ der Vorwurf an eine junge Frau, sie sei untreu. Kommt es in beiden Opern auch zu einem Happy End, konnte sich Bellinis „La sonnambula“ etwas stärker im Opernrepertoire durchsetzen. Insbesondere unter Koloratursängerinnen ist die Figur der Amina aus „La sonnambula“ sehr beliebt, für viele ist es gar eine Traumrolle. Bietet sie doch mit vielen ausdrucksstarken und betörenden Arien viele Möglichkeiten, sich und seine Stimme groß in Szene zu setzen. Maria Callas tat dies früher, heute tun es Größen wie Cecila Bartoli, Diana Damrau oder Ana Durlovski (die für ihre Rolleninterpretation der Amina an der Oper Stuttgart 2012 mit dem deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet wurde).
„La sonnambula“ wird jetzt, 183 Jahre nach seiner Uraufführung, erstmals in Frankfurt gespielt. Scheinbar hat es so lange gebraucht, die richtige Sängerin für die anspruchsvolle Partie der Amina zu finden. Brenda Rae gibt hier zugleich ihr Rollendebüt als Amina. Die gebürtige Amerikanerin gehört seit der Saison 2008/2009 zum Ensemble der Oper Frankfurt, war in der Vergangenheit aber auch schon u.a. an der Wiener Staatsoper und beim Glyndebourne Festival zu hören. Neben ihrem Engagement an der Oper Frankfurt wird sie im kommenden Jahr zusätzlich an der Berliner Staatsoper (als Zerbinetta in Strauss´ „Ariadne aus Naxos“), an der Hamburgischen Staatsoper (als Konstanze in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“, erneut an der Bayerischen Staatsoper in München (Giulietta in Hoffmanns Erzählungen“, Konstanze in Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ und als Aminta in Strauss´“Die schweigsame Frau“) und an der Seattle Opera (Titelrolle in Händels „Semele“) zu erleben sein. Doch jetzt ist sie erst einmal als Amina in Frankfurt zu bewundern. Und diese Rolle ist nicht nur ein Höhepunkt für Ihre Karriere, sondern auch für das Publikum. Zart, beseelt, hingebungsvoll, modern und nuanciert präsentiert sie diese Figur, die, in der Sicht von Regisseurin Tina Lanik, am Ende ihren eigenen Weg geht und kein naives Mädchen ist, das vorbehaltlos in die Ehe mit Elvino rennt. Rae gibt der sich wandelnden Amina großes Format (obwohl sie nur in einem Negligé auf der Bühne steht). Nicht mit plakativen Gesten, sondern sehr innig, mit starker emotionaler Einlassung in die Figur der hoffnungslos in Elvino Verliebten (für die eine Ehe mit ihm nicht zuletzt auch ein finanzieller Vorteil wäre). Bellinis Stil, Klangsinnlichkeit mit elegischem Ausdruck zu verbinden, setzt sie grandios um, genießt die lang gezogenen Kantilenen (Verdi nannte diesen Stil Bellinis: „melodie lunghe lunghe lunghe“) wie kaum eine andere und selbst die anspruchsvollen Koloraturen singt sie noch mit einer unglaublichen Leichtigkeit.
Als mit ihr um die Liebe Elvinos kämpfende Gastwirtin Lisa war bei der besuchten Vorstellung die gebürtige Armenierin Nina Minasyan zu erleben, ein weiterer Glücksfall! Sie sprang kurzfristig für die erkrankte Luise Alder ein und gab bei dieser Vorstellung ihr Deutschlanddebüt (derzeit gibt sie an der Deutschen Oper Berlin die Königin der Nacht in Mozarts „Die Zauberflöte“). Dabei bestach auch sie mit wunderbaren Koloraturen und überzeugendem, charmantem wie kokettem Spiel. Souverän auch die weiteren Sänger, allen voran der Bassbariton Kihwan Sim mit seiner starken, aber nie forcierten, Stimme als edler Rodolfo, Gastsänger Stefan Pop mit hellem Timbre und strahlkräftig als reicher Bauer Elvino (ganz wunderbar im Duett mit Rae), Fredrika Brillenbourg als sich schützend vor Amina stellende Ziehmutter Teresa, Vuyani Mlinde als der in Lisa verliebte Alessio und Simon Bode als Notar.
Wie bei nur wenigen Opern hat der Chor hier einen besonders großen Anteil. Der Frankfurter Opernchor wurde subtil von Tilman Michael (er ist seit dieser Spielzeit Chordirektor der Oper Frankfurt) einstudiert und bringt sich als eng verbundene Dorfgemeinschaft ein, die kommentiert und hinterfragt. Elegant spielt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung der jungen Koreanerin Eun Sun Kim auf. Bellinis romantische Verklärtheit wird sängerfreundlich und spannungsreich vermittelt.
Die bisher als Theaterregisseurin tätige Tina Lanik gibt mit dieser Produktion ihr Opernregiedebüt. Die Figur der Amina zeichnet sie bewusst mehrdeutig. Das wird schon zum Beginn deutlich, wenn Amina alleine auf der Bühne steht und der Chor im Bühnenhintergrund singt. Denn eigentlich ist die Eröffnungsszene eine große Ensemblenummer, bei der dem beliebten Dorfmädchen Amina gehuldigt wird. Hier jedoch wird ihre Außenseiterrolle stark hervorgehoben. Auch am Ende, wenn sie ihr Liebesglück besingt, steht sie wieder alleine, fern von ihrem Bräutigam, während sich der vermeindliche Liebhaber Rodolfo abwendet.
Der lieblichen Musik des jung verstorbenen Bellini (er wurde nur 34 Jahre alt), setzt Bühnenbilder Herbert Murauer (der hier zuletzt die Bühnenbilder für Puccinis „La fanciulla del West“, „Giulio Cesare in Egitto“, „Arabella“ und „Cosi fan tutte“ entwarf) eine abstrakte Alpenwelt entgegen. Die Seitenwände zeigen Steinstrukturen, im Hintergrund ist hinter einem aufgespannten Gazevorhang ein Schneehügel zu sehen, auf den es zweimal herabschneit. Bühnenbeherrschend ist eine große Fläche, die gesenkt und gehoben wird und so für die verschiedenen Orte im Bergdorf steht. In die Schräge angehoben, bietet sie einen kühlen Raum für Rodolfos Zimmer in der Wirtsstube, fast wie ein realer Atombunker in den Schweizer Alpen. Mit warmen Erdtönen hingegen sind die Dorfbewohner gekleidet. Mit ihren dick wattierten Jacken und Mänteln untermauern sie die kühle Atmosphäre in diesem imaginären Bergdorf (Kostüme: Stefan Hageneier), wo alles Träumen letztlich eine Projektion für Sehnsüchte ist. Der Romantiker Bellini hatte keine so große Ader für das Humoristische wie seine Kollegen Rossini und Donizetti. So liegt der Humor hier eher im Verborgenem, wenn etwa der arme Tropf Elvino ernüchternd feststellen muss, dass scheinbar alle Frauen ihn hintergehen.
Am Ende tosender Applaus für den herausragenden und klangschönen Ausflug in einen Höhepunkt des Belcanto.
Markus Gründig, Dezember 14
Simplicius Simplicissimus
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 30. Oktober 14
„Darum wollen wir wachsam sein“
Zwischen Purcells „The Fairy Queen“ und Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ feierte Karl Amadeus Hartmanns Antikriegsoper „Simplicius Simplicissimus“ (frühe Fassung) Premiere im Kleinen Haus des Staatstheater Mainz, nicht zuletzt im Gedenken an den Ausbruch des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren. Dies ist in gewisser Weise sicher ein Kontrastprogramm. Doch gerade das zeichnet ja auch die wunderbare Musiktheaterwelt aus. Und Musiktheater im wahrsten Sinne des Wortes bietet „Simplicius Simplicissimus“, die bereits 1934 entstandene, doch erstmals 1948 konzertant uraufgeführte Kammeroper von Karl Amadeus Hartmann, seine einzige Oper überhaupt (bekannt ist er auch für seine Sinfonien). Sie besteht aus Lied, Choral und Sprechtheater und behandelt drei Szenen aus Simplicius Simplicissimus´ Jugend, in Mitteldeutschland zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (nach der Vorlage von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen von 1668/69: „Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch“).
Elisabeth Stöppler, seit dieser Saison Hausregisseurin am Staatstheater Mainz (für die Oper Frankfurt inszenierte sie im Jahr 2011 den Abend „Neunzehnhundert – Ein ewiges Lied“ im Bockenheimer Depot), geht es in ihrer Inszenierung hauptsächlich um die Aus- und Nachwirkungen von Krieg, um „die Idee der Gewaltherrschaft“. Kriegstraumata sind nicht nur Relikte vergangener Tage, sondern angesichts der Kriege unserer Zeit aktueller denn je. Viele traumatisierte Bundeswehrheimkehrer aus Afghanistan wissen ein Lied davon zu singen. Und wenn in den Medien Berichte auftauchen, wonach die Terrorgruppe IS sogar Chemiewaffen aus alten Lagern der Iraker besitzen soll, lenkt das auch auf den Blick Stöpplers, wonach die heutige Rüstungsindustrie mit Schuld an den Problemen dieser Welt trägt. Dadurch spannt Stöppler einen bewegenden Bogen von der mittelalterlichen Vorlage bis zur Gegenwart.
Die Bühne von Annika Haller ist abstrakt gehalten. Hartmanns Vorgaben „Wiese mit Baum“, „Wald, hinten ein Kreuz“ und „Bankett beim Gouverneur“ werden mittels großer brauner Pappkartons angedeutet. Als eine große Wand, als zusammengewürfelter Haufen und als große Umrahmung. Zunächst tragen die Kartons Ziffern, die für bedeutende Kriegsjahre gelten, später die Abbildung von Maschinengewehren, für den Exportkönig Deutschland (leider auch im Rüstungswesen).
Die Kostüme von Frank Lichtenberg entsprechen heutiger Alltagskleidung. Der Titelheld präsentiert sich im weiten Sweatshirt und in Leggins. Wobei es sich hierbei um eine Hosenrolle handelt. Das gibt der Figur eine besondere Tiefe, besonders durch die großartige Marie-Christine Haase, die die Rolle mit viel Hingabe ausfüllt, sie eindringlich und intensiv gestaltet. Ihr heller Sopran ist durchschlagsstark, gleichzeitig präsentiert sie auch herrlich innige Momente. Schockierend und modern wirkt ihr Simplicius Simplicissimus zu Beginn des dritten Teils („Bankett beim Governeur“), im Kostüm für eine vulgäre Frau, mit dem die lustgeilen Herren ein nur zu leichtes Spiel mit haben.
Letztere sterben in der Oper alle, sei es der Bauer des Ks. Hans-Otto Weiß, der Landsknecht des Heikki Kilpeläinen, der Einsiedel des Alexander Spemann, der Gouverneur des Ks. Jürgen Rust oder der Hauptmann des Stephan Bootz. Sie bieten eine hervorragende Ensembleleistung. Der Chor hat ebenso Sprechpassagen zu bewältigen wie die Sänger (Chor-Einstudierung: Sebastian Hernandez-Laverny).
Ein besonders guter Einfall der Regisseurin Stöppler ist es, die Figur des Erzählers an einen Trommler des Philharmonischen Staatsorchester Mainz zu geben. Alexander Maczewski füllt diese mit Autorität und Vehemenz aus, auf der Bühne und im Saal. Dabei wirkt sein Trommeln stets latent bedrohlich. Dies setzt Hartmanns musikalische Idee von Bekenntnismusik sehr schön um.
Das stark reduziert aufspielende Philharmonische Staatsorchester Mainz hebt unter der Leitung von Hermann Bäumer die Vielseitigkeit und den Spannungsreichtum von Hartmanns Musik fein akzentuiert und plastisch hervor.
Nach pausenlosen 90 Minuten sehr viel Applaus für Hartmanns eindringliches Lehrstück in der fesselnden Inszenierung von Elisabeth Stöppler und mit der Sopranistin Marie-Christine Haase in der Titelrolle.
Markus Gründig, Oktober 14
Der Barbier von Sevilla
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 26. Oktober 14 (Premiere)
Gioachino Rossinis 1816 uraufgeführte Oper „Der Barbier von Sevilla“ gilt als unbestrittenes Meisterwerk auf dem Gebiet der Opera buffa, sprüht sie doch nur so vor bekannten Melodien. Dazu zählen die Kavatinen „Ecco, ridente in cielo“ (Almaviva), „Largo al factotum“ (Figaro) oder „Una voce poco fa“ (Rosina). Die Handlung ist zudem nicht komplex und für das Liebespaar gibt es ein Happy End.
Der junge Regisseur Ronny Jakubaschk inszenierte im Oktober 2009 Patrick Barlows „Der Messias“ am Schauspiel Frankfurt. Den „Barbier“ stellte er im März 2013 am Oldenburgischen Staatstheater auf die Bühne. Der von dort nach Mainz gewechselte Intendant Markus Müller hat diese Inszenierung für das Mainzer Publikum quasi im Schlepptau mitgebracht.
Sie ist keine gewöhnliche Inszenierung, versetzt sie die Handlung doch vom Sevilla zur Mitte des 18. Jahrhunderts in eine märchenhafte Zauberwelt auf dem Meeresgrund. Die Figuren tragen fischähnliche Kostüme, gleichen zum Teil Kraken und anderen Meereswesen. Drei große Quallen illuminieren prächtig die farbenfrohe Szenerie (Ausstattung: Matthias Koch), die schon stark an Kindertheater erinnert, aber dennoch beim überwiegenden Teil des Publikums sehr gut ankommt. Der Märchencharakter wird zu Beginn und am Ende etwas aufgebrochen. Anfangs sitzt Graf Almaviva wie ein normaler Zuschauer im Saal, besteigt dann noch während der Ouvertüre die Bühne, da er dort hoch oben seine Rosina erblickt hat. Erst „unter Wasser“ wird er zum Meeresbewohner. Am Ende ist es Rosina, die seinem Traum entflieht, indem sie die Unterwasserwelt verläßt…
Von musikalischer Seite wird viel geboten. In erster Linie ist dabei das Philharmonische Staatsorchester Mainz zu nennen, dass unter der Leitung von Paul-Johannes Kirschner insbesondere im ersten Akt, einen lebhaften und schwungvollen Rossini-Ton präsentierte. Der gebürtige Australier Brett Carter überzeugte in seinem zweifarbigen Fischkostüm als ein sehr dynamischer Figaro und glänzte mit souveräner Stimmführung und sattem Klang. Der Bariton Peter Felix Bauer gefiel als ein überaus vitaler Doktor Bartolo, auch wegen seiner kräftigen Stimme, auch wenn er wie der Don Basilio des Bass Georg Lickleder unter der Maske nicht zu erkennen ist. Die dunkel gefärbte Stimme der Mezzosopranistin Geneviève King verlieh der kecken Rosina eine besondere Note. Ihre Hauptarie („Una voce poco fa“) hatte sie, wie auch Brett Carter, ja bereits bei der Operngala im September 14 betörend dargeboten, zudem hatte sie diese Rolle auch schon in Oldenburg inne. Ziad Nehme in der Rolle des Grafen Almaviva (Lindoro) benötigte etwas Zeit, um stimmlich zu überzeugen. Schauspielerisch war er vom ersten Moment an intensiv dabei, bei seiner Antrittsarie flackerte die Stimme wohl vor Aufregung dann doch, obwohl er diese Rolle schon in Oldenburg gegeben hat (alternierend werden diese Rolle auch Michael Pegher und Youn-Seong Shim geben). Alexandra Samouilidou vom Jungen Ensemble gefiel als Berta mit ihrer Arie „Il vecchiotto cerca moglie“. In weiteren Rollen beteiligt: Stefan Keylwerth (Fiorello), Till Toth (Ambrogio) und Ion Dimieru (Un ufficiale). Der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor hat bei diesem Werk überwiegend dekorativen Charakter.
Am Ende viel Applaus für diese humoristische und märchenhafte Umsetzung.
Markus Gründig, Oktober 14
Hänsel und Gretel
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 19. Oktober 14
In der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins steht Humperdincks „Hänsel und Gretel“ in den obersten Reihen. Nach Mozarts „Zauberflöte“ ist sie die meistgespielte Oper in Deutschland, mit jährlicher Kontinuität. An der Oper Frankfurt ist jetzt eine Neuinszenierung zu erleben. Es ist erst die dritte nach 1945 (in 1954 inszenierte Ernst Poettgen, die musikalische Leitung hatte Wolfgang Rennert; in 1999 inszenierte Andreas Homoki, die musikalische Leitung hatte Guido Johannes Rumstadt). Dass diese Opernklassiker nun erneut in das Programm genommen wurde, ist vor allem dem Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle zu verdanken, denn ihm war es eine Herzensangelegenheit, dass diese Oper wieder gespielt wird. So steht er auch selber am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Bei der besuchten Vorstellung übertrug sich seine passionierte Leidenschaft auf die Musiker in ganz hervorragender Weise. Sie brachten Humperdincks bekannte Oper beherzt, glutvoll und voller Poesie zum Leuchten und zu einer Musik, die auf einer emotionalen Ebene die Sinne zu verführen wusste.
Die Inszenierung des Briten Keith Warner ist komplex und bietet großen und kleinen Zuschauern sehr viel. Er geht dabei mit dem Märchen, das ja letztlich eine grauenvolle Geschichte ist, sehr ambitioniert, besonnen und zeitlos um. Warner, der gefeierte Regisseur inszenierte in der vergangenen Saison Verdis „Falstaff“ an der Oper Frankfurt, erzählt die Geschichte als traumatisches Erlebnis des Erwachsenwerdens. Zum Vorspiel gibt es die Geschichte im Schnelldurchlauf als Puppenspiel in einem Kasperletheater (Puppenspieler: Thomas Korte, Christof Fleischer, Hans Bolz). Dieses steht im Folgenden an der Seite, bleibt aber dennoch integraler Bestandteil, steht es doch für eine frohe und unbeschwerte Kindheit (die mit den Interessen der Erwachsenen kollidiert).
Hänsel und Gretel leben hier in einem Heim, teilen ihr großes holzgetäfeltes Dachzimmer mit vier anderen Jugendlichen. Sie schlafen auf einfachen Metallbetten, eine Treppe führt im hinteren Bereich hinunter. Von oben dringt etwas Tageslicht in diese Stube, vor allem fällt von einer runden Öffnung Licht auf eine Standuhr, die mit ihrem teilweise schnellen Zeigerdrehen im dritten Bild den schnellen Zeitverlauf betont und quasi Geschehenes erneut hervorbringt, wie eben das Erlebnis mit der Hexe. Bühnenzauber gibt es im zweiten und dritten Bild reichlich zu erleben. Für die Waldszene fährt drei viertel der Stube nach hinten (vorne bleibt quasi ein Rahmen, mit den Betten von Hänsel und Gretel, wobei auch diese immer wieder raus und reingeschoben werden). Die Szenerie verwandelt sich in eine surreale Traumsequenz. Hinter einem überdimensionalen Schlüsselloch erscheinen verschiedene Märchenfiguren. Rotkäppchen und der Wolf (wobei Rotkäppchen den Wolf mit einem Messer den Bauch aufschlitzt und die Großmutter befreit), Hase und Jäger (hier erschießt der Hase den Jäger), aber auch eine Schar Walkürenkinder mitsamt Richard Wagner im Gefolge (Humperdinck war ja ein glühender Verehrer Wagners und assistierte ihm in Bayreuth beim „Parsifal“). Auf Texttafeln ist in Auszügen die Geschichte von Hänsel und Gretel in großen Lettern zu lesen, wie auch Hänsel öfter zu einem Buch greift, das ihre Geschichte als Titel trägt. Im dritten Bild gibt es dann ein Knusperhäuschen, aber ein anderes, als man es vielleicht erwartet hat. Zunächst ist nur eine Teilansicht von außen zu sehen, wie ein Reihenhaus zur Weihnachtszeit, einladend geschmückt mit bunten Lichterketten und einem Reittier als Wippe im Garten. Doch im Inneren herrscht das Grauen. In der Küche der Hexe hängen Puppen, die an die von ihr ermordeten Kinder erinnern. Hänsel wird nicht in einen Käfig, sondern zeitgemäß in eine Tiefkühltruhe gesteckt, wobei der Ofen mit lodernden Flammen schon eher traditionell wirkt. Zum Schluss erscheint wieder die große Wohnstube, die sich jetzt in ein noch freundlicheres Ambiente verwandelt hat, mit vielen bunten Symbolen an den Wänden und einem Schwarzweiß-Fernseher. Die Bühne von Jason Southgate beeindruckt nicht zuletzt ob ihrer vielfältigen, nahtlosen Wechsel. John Bishop sorgte für eine Ausleuchtung, die insbesondere im zweiten Bild das Zwielichtige treffend untermalte. Die Kostüme von Julia Müer nehmen Bezug auf die Entstehungszeit der Oper.
Die Textverständlichkeit war bei der besuchten Aufführung unterschiedlich. Insbesondere am Anfang fiel dies bei Hänsel (einnehmend in der Hosenrolle, die Altistin Katharina Magiera), Gretel (mit funkelndem und stets die notwendige Leichtigkeit bewahrenden Sopran: Louise Alder) und Mutter (kraftvoll: Heidi Melton) auf, da die Übertitel erst nach 20 Minuten eingeblendet wurden und man so zu einem ganz besonders intensiven Zuhören veranlasst war. Deutlich war die Textverständlichkeit vor allem beim Vater, dem Besenbinder Peter (mit kraftvoller, strahlender Stimme: Alejandro Marco-Buhrmester). Wunderschön und beinahe zu Tränen rührend wurde der Abendsegen („Abends will ich schlafen gehn“ ) von Alder und Magiera gesungen. Sehr schön auch das Sandmännchen der Elizabeth Reiter und das Taumännchen der Nora Friedrichs. Eine in Erinnerung bleibende Figur ist zweifelsohne die der Hexe, die grandios von Peter Marsh gespielt und gesungen wurde. Angelegt als elterliche Überfigur, ist er mal als Mann und mal als Frau gekleidet, am Ende karikiert er die Szenerie mit Glatze im finster bösen schwarzen Lackdress. Wie ja generell gerade bei dieser Oper schauspielerisches Talent gefragt ist, was hier von allen gut umgesetzt wird, seien es die tanzenden und herumtollenden Kinder (Kinderchor: Markus Ehmann), oder die Mutter, die sich betroffen auf den Boden setzt oder eben die tollkühne Knusperhexe.
Am Ende gab es begeisterten Beifall. Schon allein wegen des geheimnisumwobenen und vielschichtigen Bühnengeschehens lohnt sich ein zweiter Besuch, für Erwachsene wie für Kinder, denn es gibt viel zu entdecken.
Markus Gründig, Oktober 14
La Bohème
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 10. Oktober 14 (Premiere)
Der Tod eines Mythos
Die „La Bohème“-Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson, dem Hausregisseur des Staatstheater Wiesbaden, ist ungewöhnlich, und bei der Premiere gab es auch einige Buhrufe für die Regie. Zu Grabe getragen wird Puccinis Meisteroper hier aber ganz und gar nicht. Der gebürtige Isländer Arnarsson inszenierte vor einem Jahr Shakespeares Drama „Romeo und Julia“ eindrucksvoll und sehr vital am benachbarten Staatstheater Mainz. Seine „Bohème“ hatte im Januar 2013 Premiere am Theater Augsburg. Für Wiesbaden wurde diese Inszenierung nun neu erarbeitet, im bestehenden Bühnenbild von Jósef Halldórsson (der auch bei der Mainzer „Romeo und Julia“-Inszenierung für die Bühne verantwortlich zeichnete).
Arnarsson sieht die Figur der todkranken Mimi nicht nur als tragisches Element des Stücks. Ihr Tod, der Tod einer schönen Frau, steht vielmehr als poetisches Thema im Fokus seiner Inszenierung. Dabei spielt er mit den Erwartungen des Publikums an diesen Klassiker, bietet zunächst vertraut anmutende Bilder, doch bricht er diese auf. Da Mimi für Rudolfo letztlich nur eine Wunschprojektion ist, ist auch die Bühne, trotzt überbordender Fülle, nur allegorisch zu sehen.
Statt Dachmansarde wohnen die jungen Künstler vor einer fensterlosen hohen, etwas herabgekommenen Wand (mit den Konterfeis von Lenin und Steve Jobs als der Studenten Identifikationsfiguren), die lediglich als kleinen Nebenraum eine Art Studio ausweist. Die Straßenszene im Quartier Latin ist auf den ersten Blick nostalgisch angelegt, mit einem sich drehendem historistischen Karussell mit acht Pferden, vor einer großen Hinterhausansicht mit zahlreichen Metalltreppen und noch mehr bunten Lichterketten (inklusive Discokugel). Zusammen mit den vielen unterschiedlichen Kostümen (Filíppia Elísdóttir) wird eine Feier-, Karnevals-, Variete- wie winterliche Weihnachtsstimmung vermittelt. Durch den Einsatz der Drehbühne erfolgen die Übergänge sehr fließend, die klassische Bilderzuordnung ist teilweise aufgehoben (wie es auch kein eigene Szenerie für das dritte Bild gibt, das vierte Bild spielt sowohl in der Mansarde, wie auch außerhalb).
Wenn Musetta stolz besingt, wie sie beim Laufen durch die Pariser Straßen wegen ihrer Schönheit wahrgenommen wird, bläst das Volk gewissermaßen kommentierend Seifenblasen herab, das Leben als jederzeit Zerbrechliches. Wie eng leben und sterben beieinander liegen, wird am Ende vom 2. Bild deutlich. Während Mimi und Rodolfo das bevorstehende Sterben Mimis realisieren, treiben es im Hintergrund Musetta und Marcello miteinander.
Mimi erscheint nicht wie vorgesehen mit einer erloschenen Kerze. Sie ist von Anfang an präsent, als Statue Marcellos, der hier nicht nur Maler, sondern auch Bildhauer ist. Rodolfo verliebt sich in dieses Bild einer Frau, die daraufhin zum Leben erweckt wird. Doch was kann aus einem so einseitigen Blick an Beziehungsglück wachsen? Nicht viel. Es dauert seine Zeit, bis sich die beiden zart die Hand reichen und dieses wird auch am Ende ihrer kurzen Beziehung passieren. Dann zieht sich Mimi zurück, in die Kunstwelt des Jahrmarkts. Rodolfo hält nur noch ihren Schleier, während er ihren Verlust beklagt. Ein berührendes, starkes Schlussbild. Was bleibt von dem Mensch, den wir geglaubt haben zu lieben?
Neben dem großen Einsatz von Chor, Extrachor, Jugendchor (Choreinstudierung: Albert Horne, Jugendchoir: Dagmar Howe) und Statisterie, sind neben acht „Milchfrauen“ (als Todeseskorte Mimis) auch zwei Akrobaten beteiligt. Es gibt einen Stelzenläufer und eine Bedienung, die einen einarmigen Handstand ausführt.
Wenn auch die Inszenierung beim Premierenpublikum nur verhalten gewürdigt wurde, die musikalische und sängerische Qualität wurde begeistert als hervorragend eingestuft.
Sophia Christine Brommer gab bereits bei den Augsburger Aufführungen die Mimi. Sie vermittelt die Figur mit großer Anmut und berührender Intensität. Ihren warm gefärbten Sopran bringt sie bezaubernd zum Leuchten. Marco Jentzsch steigert sich als Rodolfo von Bild zu Bild. Er bleibt zwar szenisch etwas verhalten, dafür gefällt seine tenorale Strahlkraft und seine feinfühligen Nuancierungen. Die Schau stiehlt ihm allerdings Marcello, der trotz beklagter klirrende Kälte seine gestalterischen Tätigkeiten mit Perücke und oberkörperfrei ausführt. Der gebürtige junge Amerikaner Christopher Bolduc gibt sich mit seinem knackigen und dezent trainierten Körper ganz im Stil der heutigen jungen Erwachsenen: Mit einem großen Tattoo am linken Arm, das bis zur Brust und Schulter reicht. Wobei diese Äußerlichkeiten zwar nicht zählen, aber dennoch nett anzuschauen sind. Zumal er nicht nur auch ein sehr großes schauspielerisches Talent hat (überzeugt als treuer Kumpel wie als feuriger Liebhaber). Zu alledem singt der Bariton mit unbändiger Kraft. Ein vielversprechendes junges Talent.
Auch die weiteren Freunde stehen diesbezüglich nicht nach: Young Doo Park als Philosoph Collin und Benjamin Russell als Musiker Schaunard (im Clownskostüm). Jos Hendrix gibt würdevoll Musettas Lebensabschnittsgefährten Alcindoro und Monte Jaffe den Vermieter Benoît (hier als Parkinsonkranker im Rollstuhl). Hervorragend, schauspielerisch und sängerisch, auch die Musetta der jungen Heather Engebretson. Die kleine Frau trumpft mit ihrer kernigen Sopranstimme gehörig auf.
Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden spielt unter der erfahrenen Leitung des Generalmusikdirektors Zsolt Hamar farbenreich und sängerfreundlich.
Markus Gründig, Oktober 14
The Fairy Queen
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 2. Oktober 14 (Premiere)
„Die Liebe soll alle Sorgen vertreiben“
Wenn über die Anfänge der englischen Opernkunst gesprochen wird, kommt man an Henry Purcell (1659-1695) nicht vorbei. Er hat zwar nur eine einzige durchkomponierte Oper geschrieben („Dido und Aeneas“), dafür allerdings viele Semi-Opern (Schauspielmusiken, meist nach Werken von Shakespeare, wie „König Arthur“ oder „The Tempest“), sowie viele Instrumental- und Kirchenmusikwerke. Nicht ohne Grund wird er als „Orpheus Britannicus“ bezeichnet und gilt als der repräsentative Vertreter der Barockzeit in England. Vorgänger der englischen Oper war die sogenannte Masque, eine theatralische Form, bei der sich Dichtung, Musik, Pantomime und Tanz mit großen Bühneneffekten verbanden (gesprochene Dialoge und Musik aber noch getrennt waren). Diese Form ist auch bei den Semi-Opern integriert. Zu ihnen zählt „The Fairy Queen“, für die Purcell auf Shakespeares „A Midsummer Night`s Dream“ („Ein Sommernachtstraum“) zurückgriff.
Markus Müller, der neue Intendant des Staatstheater Mainz, wählte dieses Stück bewusst als Saison-Eröffnungsstück, um damit auch die Besonderheiten und die Stärke des Dreispartenhauses unter Beweis stellen zu können: Musiktheater, Schauspiel und Tanz. Herausgekommen ist eine fulminante Ensemble-Produktion, die sich an ein breites Publikum wendet und somit vielen Mainzern Bürgern das vielseitige Angebot des Hauses schmackhaft macht (das Stück wurde zudem auf kommode 2,5 Stunden inklusive Pause gekürzt).
Die Bühne von Stephan Østensen ist dabei noch nicht einmal überbordend gefüllt. Für das Spiel im und um den attischen Wald wurden lediglich eine Handvoll Säulenfragmente und Bänke aufgestellt. Dass die Bühnenoptik dennoch stark wirkt, liegt an den Kostümen von Bregje van Balen. Einfache Kleider in Weiß für die Feen, in Schwarz für die Geister der Nacht und in verschiedenen Farben für die Hauptprotagonisten. Dazu tragen fast alle schön gelocktes Engelhaar.
Von der ersten bis zur letzten Szene vermitteln alle Beteiligten, wozu auch der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor des Staatstheater Mainz gehört, eine schier unbändige Spielwut. Dabei ist zweifelsohne die Einbindung von insgesamt zwölf Mitgliedern des Tanzensembles (von tanzmainz: Alessandra Corti, Ada Daniele, Gili Goverman, Amy Josh, Bojana Mitrovic, Maasa Sakano, Giulia Torri, Ruben Albelda Giner, Marin Lemic, Cornelius Mickel, Thomas van Praet und Mattia de Salve) ein ganz besonderes Highlight der Inszenierung. Sie agieren nicht als eingefügter Fremdkörper, sondern als fest in das Geschehen integrierter Bestandteil, mit stets fließenden Übergängen. Dabei beteiligen sich auch die Schauspieler und Sänger tänzerisch (Regie und Choreografie: Jo Strømgren). Immer wieder entstehen, auch durch die treffliche Ausleuchtung von Stefan Bauer, wunderschöne Optiken, mystische Welten mit zunächst einem Einhorn, zum finalen Liebesglück sind es dann zwei.
Trotz antik anmutendem Äußeren geben sich die Figuren sehr zeitgemäß, von ihren Körperbewegungen und -haltungen und von ihren teils vulgären Ausdrücken her. Auch das Humoristische kommt nicht zu kurz, wenn etwa Zettel (Clemens Dönicke, gibt auch den Egeus) ob des sexuellen Übergriffs Titanias (kraftvoll: Andrea Quirbach, gibt auch die Hippolyta) Zähne ausspuckt, oder die Sänger wie Statuen quer hereingetragen werden.
Hermia (energetisch aufgeladen: Lilith Hässle) kämpft leidenschaftlich um ihren Lysander (einnehmend: der Altus Alin-Ionut Deleanu), Theseus (Klaus Köhler, gibt auch den Oberon) scheint etwas zu viel Wein genossen zu haben, so torkelt er belustigt herum. Demetrius gibt sich dem gegenüber zurückhaltender (besonnen: David Schellenberg).
Nahezu stumme Rollen sind der Indische Knabe (Ruben Albelda Giner im Fakirstil) und der tierische Kobold Puck (artistisch auftretend und sehr flink: der Tänzer Mattia De Salve). Wobei insbesondere Puck ob seines muskulösen Äußeren bei gleichzeitiger Geschmeidigkeit und Leichtigkeit in seinen ausgefallenen Bewegungen, wie ein Tier hüpfend und kriechend, in Erinnerung bleiben wird. Dies trifft auch auf die weiteren Sänger zu. Allen voran die wunderbare Vida Mikneviciute als Helena und die bezaubernde Alexandra Samouilidou als Sopran. Diesen Figuren hat Purcell berührende Arien komponiert, da kommen die Herren (Tenor: Michael Pegher und Bass: Georg Lickleder) leider etwas zu kurz.
Eingerahmt ist die gebotene große stilistische Vielfalt durch die kunstvolle und fantastische Musik Purcells. Für die Leitung des Philharmonischen Staatsorchester Mainz wurde der Alte-Musik-Spezialist Andreas Spering verpflichtet. Die besänftigt klingende Musik Purcells ist ein angenehmer Gegenpol zum eifrigen Treiben auf der Bühne (mitsamt Disco- und von innen leuchtender Weltenkugel).
Zum Schluss: Kaum enden wollender Applaus für dieses prall gefüllte theatrale Potpourri aus zauberhafter Poesie und frivoler Slapstick, für eine gelungene, spartenübergreifende Auftaktinszenierung, für einen betörenden Ausflug in eine imaginäre Feenwelt.
Markus Gründig, Oktober 14
Sirenen – Bilder des Begehrens und des Vernichtens
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 18. September 14
Von der Macht der Musik
Der Komponist
Frankfurt ist seit vielen Jahren die Heimat des Komponisten Rolf Riehm, der hier u.a. von 1974 bis 2000 als Professor für Komposition und Tonsatz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main tätig war. Von 1976 bis 1981 war er Mitglied des legendären “Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters” Frankfurt.
Der 1937 in Saarbrücken geborene Riehm versteht sich auch als ein politischer Mensch, was sich indirekt auch in seinen Arbeiten widerspiegelt. „Riehm bringt die Bruchstücke zertrümmerter Visionen eines besseren Lebens zusammen mit den Machtinteressen der Zertrümmerer; selbst den archaischen Figuren der frühen Dichtung lauscht er Wünsche, Listen, Hoffnungen, Niedertracht, Enttäuschung, Liebe, Hass, Verrat, Gelüste, Sehnsucht, Trauer und Glück ab, spiegelt deren Auswirkungen in den Umständen der Antike und bricht deren Werte im Prisma der Gegenwart“, heißt es auf seiner Webseite. Seine Musik ist gestisch gestaltet und von einem großen Stilpluralismus geprägt, mitunter auch visuell erweitert. Sie ist nicht unbedingt leicht zugänglich, stets an einen denkenden Hörer gerichtet.
Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema der Sirenen, jenen mystischen Wesen, die nach Überlieferung von Homer oder Ovid die Menschen mit Ihren Gesängen verzaubern (ähnlich der Loreley). Insbesondere mit Kafkas „Das Schweigen der Sirenen“ setzte er sich auseinander. 1987 entstand dazu zunächst ein Werk für Sopran, Tenor und Orchester, 1994 dann die Oper „Das Schweigen der Sirenen“, sowie ein Orchesterstück („Odysseus hörte aber ihr Schweigen nicht“). Jetzt, 20 Jahre später, hat er das Thema als Auftragsproduktion der Oper Frankfurt erneut bearbeitet. Dabei entstand die Komposition während des dreijährigen Entstehungsprozesses in enger Abstimmung mit dem Inszenierungsteam (Regisseur, Dramaturgie und Dirigent), was keine Selbstverständlichkeit ist.
Die Oper
Uraufführungen haben in der Oper Frankfurt eine große Tradition. Seit 1900 wurden hier über 30 Werke uraufgeführt, darunter Franz Schrekers „Der ferne Klang“ und „Der Schatzgräber“, Carl Orffs „Carmina Burana“ oder zuletzt Detlev Glanerts „Caligula“ und Péter Eötvös´ „Der Goldene Drache“ im Bockenheimer Depot
Riehms „Sirenen – Bilder des Begehrens und Vernichten“ ist die erste Neuproduktion der neuen Saison, ein außergewöhnlicher Auftakt, der die herausragende Stellung der Oper Frankfurt hinsichtlich ihrer Programmgestaltung deutlich macht.
Wie der Titel schon sagt, handelt die Oper von den Sirenen, aber auch von uns Menschen, die wir begehren und vernichten. Kirke wünscht sich Odysseus zurück, trauert ihm hinterher und hofft, ihn zumindest im Land, in dem Tote zu den Lebenden reden, zu treffen. Dafür gibt sie ihm Tipps, wie er mit seiner Mannschaft an den gefährlichen Sirenen vorbeischiffen kann. Zusätzlich eingebunden wurde die, von Homer nicht überlieferte, Geschichte Telegonos, dem gemeinsamen jüngsten Sohn der beiden, der unwissend seinen Vater tötet (was hier gleich zu Beginn geschieht).
Eine Beziehung zwischen Kirke und Odysseus gibt es trotz großer Gefühle seitens Kirke nicht, sie kommen in dieser Oper nicht mehr zusammen.
Dabei ist das antike Sujet nur als Folie zu sehen. Das hoch emotionale Lamentieren der tief gekränkten Kirke (bravourös: Tanja Ariane Baumgartner) kann genauso auf heutige Verhältnisse übertragen werden, wie auch die singenden Sirenen, die nie aktiv in ein Geschehen eingreifen (Riehm assoziiert sie mit dem tatenlosen Zusehen beim Flüchtlingsdrama vor dem italienischen Lampedusa, bei dem im Jahr 2011 über 250 Flüchtlinge ertranken) oder Odysseus´ Streben nach Wissen (Wissen und Datenerfassung ist ja erst recht im Internet-Zeitalter von immenser Bedeutung). Gleichwohl sind aktuelle Bezüge nie offensichtlich erkennbar, auch wenn die Figuren heutige Kleider tragen (Kostüme: Verena Polkowski). Für das Heutige sorgt in erster Linie die Musik, die mit vielen schroffen Sequenzen und vielen eigentümlichen Tönen die Ohren überrascht.
Die Oper ist in drei Teile gegliedert, mit insgesamt acht heterogenen Kapiteln, die nahtlos ineinander übergehen. Eine lineare Handlung gibt es nicht.
Riehms Basis sind sogenannte Samples (Stichproben, Muster), die sich um „thematische Komplexe“ gruppieren. Er verwendete Textquellen aus verschiedenen Zeitepochen, etwa Verse aus Homers „Odyssee“ oder von Sappho, aber auch eigene Texte und solche der Dichterin Karoline von Günderrode.
Die Rolle des Odysseus ist zweigeteilt. Einmal als Schauspieler, den mit eindringlicher Intensität Michael Mende großartig gibt. Und einmal als Sänger, den der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo verkörpert. Zazzo nutzt die ihm von Riehm gegebene Interpretationsfreiheit exzessiv aus und zaubert ein breites Spektrum an Tönen hervor, durchaus auch liebliche.
Zum Einsatz kommen neben den klassischen Orchesterinstrumenten auch ungewöhnliche Gegenstände und seltene Instrumente, wie eine Gießkanne, Holzbohlen und eine singende Säge (Fuchsschwanz, der mit einem Violinbogen gespielt wird). Dazu gibt es Zuspielungen aus Lautsprechern und Videoprojektionen. Letztere spiegeln die Gefühlswelt und die Träume der Protagonisten wieder. Schön deutlich wird das bei Kirke, für die Odysseus in der visualisierten Erinnerung nicht nur jünger, sondern auch greifbar wird (Video: Christina Becker). Riehm geht es auch um eine ständige Transformation zwischen musikalischer und szenischer Struktur.
Die Inszenierung
Für diese ständige Transformation zwischen musikalischer und szenischer Struktur zeichnen Dirigent Martyn Brabbins und Regisseur Tobias Heyder verantwortlich. Sie haben diese komplexe Aufgabe publikumsfreundlich gelöst. Trotz Handlungsarmut wird es für den Zuschauer nie langweilig, weder szenisch und schon gar nicht musikalisch.
Die Bühne von Tilo Steffens zeigt zunächst nur einen kleinen Ausschnitt. Der Raum ist dunkel, Licht fällt durch eine Türöffnung, in der Odysseus mit einer Flasche Schampus steht. Er hört etwas, läuft vor und wird von seinem eigenen Sohn mit einem Speer durchbohrt. Dann erst setzt Musik ein. Der Raum vergrößert sich zu einem rechteckigen Format. Die Steinwände sind blau und weisen so auf eine maritime Nähe hin. Einen direkten Zugang (Tür) gibt es nicht. Dies wird zum Ende deutlich, wenn die gealterten Sirenen nicht fliehen können und eindrucksvoll an den Wänden stehen (nachdem sie sich zuvor heutige Kleidern reiferer Damen angezogen und ihre Haare zusammengebunden haben).
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester ist stark gefordert, die Musik zeichnet sich durch harte und heftige Orchestereinsätze aus, die aber auch schnell zu zarten Pianotönen wechselt. Das ist kein die Antike süßlich umgarnender Sound, sondern heftige Klänge aus der heutigen Zeit. Die Gesänge der acht Sirenen (Annette Schönmüller, Sarah Maria Sun, Frauke Burg, Britta Stallmeister, Barbara Zechmeister, Maria Pantiukhova, Jessica Strong, Nina Tarandek) klingen nach Verzweiflung und Not, zeugen aber auch von einer gewissen Stärke. Die Sirenen tragen weiße, weit und locker liegende Kleider, ihr langes Haar ist offen und chargiert zwischen blond, grau und weiß. Sie wirken sehr attraktiv und anziehend, gleichsam aber auch etwas bedrohlich und unheimlich. Sie sitzen auf einer schwarzen Treppenanlage (von der ein Pardon auf den Kopf gestellt im Bühnenhimmel hängt), die als Brandungsfelsen aber auch als ein Schiffsbug aufgefasst werden kann.
Kirke dagegen ist ganz häuslich angesiedelt, mit einer Esstischgruppe als Wohnbereich (Bühne von Tilo Steffens). Drei Frauentorsos hängen an der rechten Wand, quasi als stille Beobachterinnen. Ein besonderes Highlight ist die Einbindung einer „Vogelfrau“ (für die Odysseus die Sirenen am Ende hält) als Sehnsuchtsprojektion. Die Strapatenartistin Nina Tarandek sorgt für atemberaubende Momente, da sie viele waghalsige Positionen am Tuch schwerelos lange halten kann und die Schwerkraft scheinbar auszuhebeln weiß. Die Rolle des eingefügten Sohns Telegonos (Dominic Betz) ist als Schauspielrolle angelegt. Am Ende ist er der menschlichste. Über das, was passiert ist, ist er entsetzt und sprachlos. Eine Nähe zur Mutter ist ebenso unmöglich wie zum toten Vater. So zieht er sich aus und steht im Adamskostüm beschämt am Acheron, an der Grenze zum Hades (der Totenwelt).
„Sirenen – Bilder des Begehrens und des Vernichtens“ sind zweifelsohne ein außergewöhnliches Erlebnis in musikalischer und szenischer Hinsicht und eine große Bereicherung für das Musiktheater.
Markus Gründig, September 14
Operngala
Staatstheater Mainz, 13. September 14
Vom Barock bis zur Moderne spannt sich der Opern-Spielplan der neuen Saison am Staatstheater Mainz, die eine ganz besondere ist. Denn wie auch in den Staatstheatern in Darmstadt (mit Karsten Wiegand) und in Wiesbaden (mit Uwe Eric Laufenberg), steht das Haus am Gutenbergplatz unter neuer Leitung. Auf Intendant Matthias Fontheim folgte nun Markus Müller, der vom Oldenburgischen Staatstheater nach Mainz wechselte. Seit über einem Jahr hat er mit seinem Team am ersten Spielplan gearbeitet, um möglichst vielen Mainzer Bürgern Lust auf eine lebhafte und facettenreiche Spielzeit zu machen.
Nach einem großen Theaterfest im und vor dem Staatstheater Mainz am ersten September-Wochenende, stand nun mit einer Operngala ein erster Höhepunkt im Großen Haus auf dem Programm. Gewissermaßen war es gar ein multipler Höhepunkt, denn bei dieser Gala wurden Highlights aus den bevorstehenden Opern-Produktionen vorgestellt. Moderiert wurde der Abend vom Intendanten Markus Müller höchstpersönlich, der zu diesem Abend im Anzug per Fahrrad zum Staatstheater geradelt kam und vor Beginn und in der Pause noch Radiointerviews gab. Mit viel Charme führte er eloquent und mit ansteckender Begeisterung für sein neues Haus und sein neues Team durch das vielseitige Programm. Das Philharmonische Staatsorchester Mainz hatte für diesen Anlass auf der Großen Bühne Platz genommen, die, wie auch sonst bei den Sinfoniekonzerten, mit einer hellen Holzvertäfelung umgrenzt war und zusammen mit einem großen Blumenbouquet einen festlichen Rahmen bot. Geleitet wurde das Orchester an diesem Abend von gleich vier Dirigenten: vom Chefdirigenten und Generalmusikdirektor Hermann Bäumer (dessen Vertrag kürzlich bis zum Ende der Spielzeit 2020/21 verlängert wurde) vom Chordirektor und Kapellmeister Sebastian Hernandez-Laverny und von den beiden Kapellmeistern Samuel Hogarth und Paul-Johannes Kirchner.
Die erste Hälfte des Programms bestimmte eine faszinierende Gegenüberstellung der beiden ersten Oper-Neuproduktionen: Henry Purcells „The Fairy Queen“ (Premiere 2. Oktober 14) und Karl Amadeus Hartmanns Kammeroper „Simplicius Simplicissimus“ (Premiere am 18. Oktober 14 im Kleines Haus). Hierbei wirkten die Sänger Alin-Ionut Deleanu (Altus, vom Jungen Ensemble), Marie-Christine Haase, Georg Lickleder, Michael Pegher, Alexander Spemann und der Chor mit. Als Einstimmung für die Wiederaufnahmepremiere am folgenden Tag präsentierten einnehmend Vida Mikneviciute und Eric Laporte das Duett „Parigi, o cara“ und Heikki Kipeläinen die Arie „Di Provenza il mar, il suol“ aus Verdis „La Traviata“. Der gebürtige Kanadier Laporte ist neu im Opernensemble. Er begeisterte mit seinem wohl dosierten kräftigen tenoralen Klang (bei der „Tosca“-Neuproduktion wird er die Rolle des Malers Mario Cavaradossi übernehmen). Vor der Pause spielte das Philharmonische Staatsorchester Mainz das Vorspiel zum 1. Aufzug aus Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ (Premiere am 26. April 2015).
Der zweite Teil der festlichen Operngala wurde mit einem schönen Ohrwurm aus Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ eröffnet. Diese Oper wird sicher ein Publikumsrenner werden (Premiere am, 26. Oktober). Die beiden hieraus vorgestellten Arien erhielten den stärksten Applaus. Der nunmehr auf der „richtigen Mainseite“ beheimatete Brett Carter präsentierte mit großer Leidenschaft „Largo al factotum“, die Cavatine des Figaro. Geneviève King bot meisterhaft die Bravourarie der Rosina: „Una voce poco fa“.
Einen Exkurs bildete die sinfonisch vorgetragene „Star Wars Suite“ von John Williams. Sie stellte eine Einladung an die neue Reihe „Querbeet“ dar, die die Grenzen zwischen unterhaltsamer und ernster Musik aufheben will.
Im Januar präsentiert das Staatstheater Mainz die deutsche Erstaufführung von Pascal Dusapins Oper „Perelà“ (Premiere: 16. Januar 2015), aus dieser boten Peter Felix Bauer und Kammersänger Hans-Otto Weiß die Szene der Wachen, gefolgt von der innig vorgetragenen Arie der Médée (aus der geichnamigen Cherubini-Oper, Premiere am 13. Juni 2015) durch Nadja Stefanoff. Den Abend beschloss Derrick Ballard und der Chor mit der Arie des Scarpia („Va, Tosca“) aus Puccinis „Tosca“ (Premiere am 1. März 2015).
Das Trinklied („Brindisi“) aus Verdis „La Traviata“ war als Zugabe ein würdiger Abschluss, für den sich alle Beteiligten für ein eindrucksvolles Schlussbild auf der Bühne versammelten (sowie mit den bisher nicht beteiligten Sängern Linda Sommerhage, Ks. Jürgen Rust und Stephan Bootz, Intendant Markus Müller überreichte jedem eine Gladiole). So kann das anregende wie unterhaltsame Opern-Programm der Saison nun in die Stadt und die Region herausgetragen werden.
Markus Gründig, September 14
La Bohéme
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 5. September 14 (100. Vorstellung, Wiederaufnahme-Premiere)
Die Oper Frankfurt steht bestens dar. In künstlerischer Hinsicht ganz hervorragend, in finanzieller Hinsicht auch (obgleich angesichts möglicher städtischer Sparmaßnahmen bei einem solchen Kulturbetrieb immer Achtsamkeit und Spannung angesagt sind). Doch diese Lage war nicht immer so. Beispielsweise in den Jahren vor der letzten Jahrtausendwende. 1997 verließ der künstlerische Leiter und Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling wegen eines breit ausgefochtenen Disputs über Sparmaßnahmen seitens der Stadt Frankfurt die Oper vorzeitig, obwohl unter seiner Leitung das Haus erstmals als „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet worden war (1995). Bis 1999 dann Paolo Carignani Generalmusikdirektor wurde, führte Klauspeter Seibel als Chefdirigent das Museumsorchester Frankfurt und war kommissarisch als Interimsintendant der Oper Frankfurt tätig. In diese Zeit fällt die Inszenierung von Puccinis „La Bohème“, die am 17. Januar 1998 Premiere feierte (unter der musikalischen Leitung von Klauspeter Seibel und der Regie von Alfred Kirchner). Die Presse schrieb über diese Inszenierung „Lebenszeichen aus dem Opernhaus“ und „Beifall wie einst bei Cambreling“ (FR), sowie „Ehrenwert inszeniert“ (FAZ). Jetzt, 16 1/2 Jahre später, steht genau diese Inszenierung noch immer auf dem Spielplan der Oper Frankfurt und feierte gar ihre 100. Vorstellung. Ein Ende ist nicht in Sicht, warum auch. Kirchners Inszenierung ist voller Poesie und zeitlos gehalten.
Mit einem trefflich jungen und leidenschaftlichen Ensemble eröffnete die Oper Frankfurt jetzt die neue Saison und zeigte gleich zu Beginn ihre aktuelle Stärke. Alle Rollen sind hervorragend besetzt. Dabei gab es mehrere Rollen- und ein Hausdebüt. Letzteres feiert mit dieser Produktion der gebürtige guatemaltekische Tenor Mario Chang, der seit dieser Saison zum Ensemble der Oper Frankfurt gehört. Ende August gewann er in Los Angeles den ersten Preis beim von Placido Domingo initiierten Operalia-Wettbewerb und zusätzlich den Don Placido Domingo Zarzuela Preis (Publikumspreis). Intendant Bernd Loebe wurde in New York auf ihn aufmerksam und stellte damit erneut seine hervorragende Spürnase für Talente unter Beweis. Chang kann mit der Rolle des Dichters Rodolfo seine kraftvolle Tenorstimme ganz besonders bei den expressiven Ausbrüchen publikumswirksam zum Glänzen bringen und wird mit seinem Schmelz und seiner großen Strahlkraft auch künftig sicher das Publikum mit tenoralen Höhepunkten beglücken.
Voller Innigkeit und feinen Nuancen überzeugte Karen Vuong als zarte Mimi im engelhaft weißen Kleid. Sofia Fomina bot eine lebensfreudige Musetta und sorgte mit ihrem „Quando me’n vo“ für einen strahlenden Höhepunkt im zweiten Akt. Stark präsentierten sich auch Rodolfos Freunde, wie Sebastian Geyer als Musiker Schaunard und Andreas Bauer als Philosoph Colline. Franz Mayer ist mit der Rolle des trinkfreudigen Hausherrn Benoît seit Langem vertraut, von Ermüdungserscheinungen in seiner Rolleninterpretation aber keine Spur.
Überraschung des Abends war der gebürtige Ukrainer Iurii Samoilov in der Rolle des Malers Marcello. In der letzten Saison war er noch Mitglied des Opernstudios und jetzt hat er, quasi zum Mann gereift, hier seine erste große Rolle. Er gestaltet sie mit großem schauspielerischen Talent und stimmlicher Präzission, als hätte er sie schon immer gespielt. Nicht ohne Grund erhielt er den stärksten Applaus.
Der von Tilman Michael einstudierte Chor fügte sich in das Spiel der Bohèmes während seines auf den zweiten Akt beschränkten Anteils aus dem hinteren Bühnenbereich ein, ebenso der von Markus Ehrmann einstudierte Kinderchor.
Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester sorgte Kapellmeister Karsten Januschke für eine klangsensible, wie auch pulsierende und sängerfreundliche Umsetzung (den Posten des Ersten Kapellmeisters der Oper Frankfurt hatte Anfang der 70-iger Jahre übrigens der bereits oben erwähnte Klauspeter Seibel inne, der spätere Generalmusikdirektor der Städte Kiel und Freiburg und Chefdirigent der Nürnberger Symphoniker und des Louisiana Philharmonic Orchestra New Orleans).
Neben reichlich Zwischenapplaus gab es auch einen starken Schlussapplaus bei dieser gelungenen Jubiläums-Bohéme.
Markus Gründig, September 2014