Strawinskys Oper »The Rake’s Progress« ästhetisch am Staatstheater Mainz

The Rakes Progress ~ Staatstheater Mainz ~ Anne Trulove (Alexandra Samouilidou), Trulove (Stephan Bootz), Tom Rakewell (Daniel Jenz), Nick Shadow (Peter Felix Bauer) ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Ein Mann träumt von Reichtum, erliegt vielversprechenden Verlockungen, verdrängt die Liebe einer aufrichtigen Frau und landet schließlich in einer Irrenanstalt. Dies ist zusammengefasst der Inhalt von Igor Strawinskys Oper The Rake’s Progress. Sie beruht auf der gleichnamigen Kupferstichserie des englischen Malers und Kupferstechers William Hogarth. 1951 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführt (mit Elisabeth Schwarzkopf in der Rolle der Anne), hatte es die Oper zunächst schwer, sich in den Spielplänen zu etablieren. Am Staatstheater Mainz ist jetzt zu sehen, welches Potenzial die Oper bietet.

The Rakes Progress
Staatstheater Mainz
Trulove (Stephan Bootz), Anne Trulove (Alexandra Samouilidou), Tom Rakewell (Daniel Jenz), Nick Shadow (Peter Felix Bauer)
© Andreas Etter

Strenge Schwarz-weiß-Ästhetik

Dabei unterscheidet sich die Inszenierung von Immo Karaman deutlich von der Axel Weidauers, die 2012 an der Oper Frankfurt Premiere hatte).
Weidauers ausgesprochen farbenfrohe Inszenierung verband Barockes mit Modernem. Bei Karaman ist eine abstrakte, strenge Schwarz-weiß-Ästhetik vorherrschend. Diese ergibt sich schon aus der Geschichte. Mit der Figur des Nick Shadow (agil: Bariton Peter Felix Bauer) ist der Hauptfigur Tom Rakewell ein Alter Ego, ein Spiegelbild, ein Schatten gegenübergestellt. Karaman zeigt deutlich, dass beide Figuren eine Einheit bilden. Anfangs tritt Shadow gestisch wie der Schatten von Rakewell auf, komplett in schwarz gekleidet, mit schwarz geschminktem Gesicht und mit schwarzer Sturmhaube. Am Ende wird es umgekehrt sein, dann trägt Shadow Rakewells Kleidung und Rakewell ist nur noch ein schwarzer Schatten. Ähnlich verwandelt sich die immer wieder per Bühnenprospekt heruntergelassene Fassade von Toms Haus, dass zunehmend verschmutzter und dunkler wird. Anfangs sitzt Rakewell an einem Tisch. Stuhl und Tisch nehmen im Laufe der Geschehnisse immer größere Dimensionen an. So wie Rakewells Gier keine Grenzen kennt. Mit seinem Absturz verkleinern sich dann auch Stuhl und Tisch auf ein Kinderformat (Bühne: Rifail Ajdarpasic).

The Rakes Progress
Staatstheater Mainz
Nick Shadow (Peter Felix Bauer), Baba (Verena Tönjes)
© Andreas Etter

Dominierender Pepitastil

Prägend für den Abend sind die im Pepitastil gehaltenen extravaganten Kostüme von Fabian Posca. Nicht nur Tom Rakewell trägt einen Anzug mit klein kariertem Schwarz-weiß-Muster, sondern auch die Dirnen, Burschen, Bürger und die Irren (alle verstärkt mit schwarzen Haartollen, überzeichneten schwarzen Lippen und schwarzen Schnurrbärten). Prägnant gezeichnet sind Mother Goose (lustvoll: Katja Ladentin) und die sich von einer heruntergekommenen Trinkerin zur Dame wandelnde Baba the Turk (gewitzt und sich behauptend: Verena Tönjes). Anne Trulove (bezaubernd und mit feiner Noblesse: Alexandra Samouilidou) wandelt ihre Kleidung und ihre Haarfarbe in mehreren Stufen. Anfangs ist sie, wie auch ihr Vater Trulove (erhaben: Stephan Bootz), in einem komplett reinen Weißton zu sehen. Mit der Zeit kommt dezent Farbe dazu, ihre Kleider werden dabei nicht nur immer farbintensiver, das letzte hat dann sogar froh anmutende Kreise und ihre Haare sind kupferrot gefärbt.

The Rakes Progress
Staatstheater Mainz
Sellem (Michael Pegher), Chor des Staatstheaters Mainz
© Andreas Etter

Daniel Jenz als stimmstarker Tom Rakewell

Regisseur Immo Karaman hebt bei den Ensembleszenen die burlesken und grotesk anmutenden Momente plakativ hervor und verstärkt damit bildreich die Abgründe und Absurditäten. Im Mittelpunkt steht die Figur des narzisstischen Tom Rakewell. Tenor Daniel Jenz meistert die große Partie mit großer darstellerischer Präsenz, starker Stimmer und großem körperlichen Einsatz hervorragend. Der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor des Staatstheater Mainz bringt sich lebhaft ein. Unter Daniel Montané spielt das Philharmonisches Staatsorchester Mainz Strawinskys Musik kraftvoll und mit allen Ecken und Kanten.

Markus Gründig, Juli 22

The Rake’s Progress wird am 25. September 22 am Staatstheater Mainz wiederaufgenommen.


The Rake’s Progress

Fabel in drei Akten

Von: Igor Strawinsky (1882-1971)
Libretto: W. H. Auden und Chester Kallman
Uraufführung: 11. September 1951 (Venedig, Teatro La Fenice)

Premiere am Staatstheater Mainz: 9. Juli 22 (Großes Haus)
Besuchte Vorstellung: 17. Juli 22

Musikalische Leitung: Daniel Montané
Inszenierung: Immo Karaman
Bühne: Rifail Ajdarpasic
Kostüme & Choreografie: Fabian Posca
Licht: Frederik Wollek
Projektionsdesign: Philipp Contag-Lada
Chor: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Sonja Westerbeck

Besetzung:

Anne Trulove: Dorin Rahardja / Alexandra Samouilidou
Mother Goose: Katja Ladentin
Baba: Verena Tönjes / Belinda Williams
Tom Rakewell: Daniel Jenz / Vassily Solodkyy
Sellem: Alexander Spemann/ Michael Pegher
Nick Shadow: Peter Felix Bauer
Trulove: Stephan Bootz
Wärter: Seok-Gill Choi

Statisterie des Staatstheater Mainz
Chor des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

staatstheater-mainz.com