Wajdi Mouawads »Im Herzen tickt eine Bombe« als letzte Premiere der Spielzeit 2021/22 am Schauspiel Frankfurt

Im Herzen tickt eine Bombe ~ Schauspiel Frankfurt ~ Wahab (Abdul Aziz Al Khayat) ~ Foto: Robert Schittko
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Ursprünglich sollte Wajdi Mouawads Im Herzen tickt eine Bombe bereits im Januar 22 Premiere am Schauspiel Frankfurt feiern (mit Abdul Aziz Al Khayat und Marie Julie Bretschneider). Eine Erkrankung sorgte aber für eine Verschiebung in den Sommer. Kurz vor Ende der Spielzeit 2021/22 feierte es jetzt als Solostück Premiere vor der Box des Schauspiel Frankfurt.

Der 1968 im Libanon geborene Wajdi Mouawad wuchs in Frankreich auf, wo er auch heute noch lebt und arbeitet (dazu in Kanada). Er kann auf ein umfangreiches dramatisches Werk zurückblicken. Seine Stücke werden viel gespielt, darunter Verbrennungen (Daria Bukvic inszenierte es 2017 in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt) und Vögel. Das Staatstheater Mainz zeigte im Jahr 2011 als deutschsprachige Erstaufführung Küste in der Regie von André Rößler.

Im Herzen tickt eine Bombe
Schauspiel Frankfurt
Wahab (Abdul Aziz Al Khayat)
Foto: Robert Schittko

Im Herzen tickt eine Bombe wurde schon vor knapp zwanzig Jahren in Frankreich uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung fand erst 2020 am Theater Bremen statt. Mouawads einstündiger Monolog erzählt vom 19-jährigen Wahab, der von seinem Zwillingsbruder ins Krankenhaus gerufen wird, weil dort die Mutter im Sterben liegt. Es ist Winter, spät abends. Er muss einen Bus nehmen, um zum Krankenhaus zu kommen, doch ihm fehlen ein paar Cents für eine Fahrkarte, so gerät er gleich in Streit mit dem Busfahrer und flucht dann von der hintersten Sitzbank. Während der Fahrt versucht er das Chaos in seinem Kopf zu ordnen. Dabei wird er immer wieder von ihn belastenden, lange zurückliegenden Erinnerungen eingeholt. Wie von dem Bürgerkrieg, den er als Kind erleben musste. Die Explosion eines Busses ist fest in ihn eingebrannt. Doch es geht auch ums Erwachsenwerden, den Wunsch geliebt zu werden und die Unfähigkeit, Gefühle zuzulassen und auszusprechen. Am Ende ist es für ihn eine karthagische Reise und nebenbei ein Plädoyer für die Kraft der Kunst.

Im Herzen tickt eine Bombe
Schauspiel Frankfurt
Wahab (Abdul Aziz Al Khayat)
Foto: Robert Schittko

Denn Regisseurin Martha Kottwitz präsentiert den Monolog als eine Art Kunstperformance. Wahab erinnert sich vor einer weißen (Winter-) Wand, vor die er mehrere Farbeimer stellt. Mit bloßen Händen schleudert er die Farbe gegen die Wand. Zum Verteilen der Farbe nutzt er auch Rolle und Pinsel (Bühne: Olga Gromova). Zentral positionierte gelbe und blaue Flächen spielen plakativ auf den Ukraine-Krieg an. Auf die Wand werden zusätzliche Bilder und Skizzen projiziert. Nervöse, spannungsgeladene Situationen werden durch Soundeinspielungen und Beats verstärkt (Musik: Alex Matwijuck, Max Mahlert).

Abdul Aziz Al Khayat, Mitglied des Studiojahres Schauspiel, erzählt Wahabs Geschichte wie seine eigene, mit viel Leidenschaft, verinnerlicht und expressiv (er selbst wurde in Damaskus geboren und verließ Syrien aufgrund des Krieges 2012 mit nur zwei Familienmitgliedern). Dabei trägt er normale Alltagskleidung: Jeans, Sweatshirt und gelegentlich eine Mütze, es ist ja Winter (Kostüme: Anna Sünkel). Am Ende der Premiere gab es intensiven und langen Applaus für den ergreifend dargebotenen, knapp einstündigen, Monolog.

Markus Gründig, Juli 22

Die nächste Vorstellung ist erst wieder am 1. November 22 (Vorverkaufsstart: 10. September 22).


Im Herzen tickt eine Bombe

(Un obus dans le cœur)

Von: Wajdi Mouawad

Deutsche Übersetzung: Uli Menke
Uraufführung: 24. Februar 2003 (Sartrouville, Théâtre de Sartrouville)
Deutschsprachige Erstaufführung: 3. Oktober 2020 (Bremen, Theater Bremen

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 16. Juli 22 (Box)

Regie: Martha Kottwitz
Bühne: Olga Gromova
Kostüme: Anna Sünkel
Musik: Alex Matwijuck, Max Mahlert
Dramaturgie: Katja Herlemann

Mit: Abdul Aziz Al Khayat

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