Ken Wilbers emotionales »Mut und Gnade« am Schauspiel Frankfurt

Mut und Gnade ~ Schauspiel Frankfurt ~ Andreas Vögler, Katharina Bach (Foto: Robert Schittko)
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Ob Film, Musical, Oper, Tanz oder Theater, gestorben wird immer, schließlich ist das der natürliche Kreislauf des Lebens. So gibt es auf den Bühnen eine Vielzahl an Sterbenden, sei es an Gift, Schwindsucht oder einen banalen Dolch. Das Sterben als solches zu thematisieren ist schon seltener. In den 1970er Jahren sorgte Erich Segals Kinomelodram Lovestory (mit Ali MacGraw als Jennifer und Ryan O’Neal als Oliver), nicht zuletzt wegen der Musik von Francis Lai, für einen Megaerfolg. In den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt hatte am Vorabend des Ewigkeitssonntages 2006 Jan Neumanns Liebesruh (mit Leslie Malton als Regine und Felix von Manteuffel als Karl) Premiere, ein Stück, bei dem auch ein Paar von einander Abschied nehmen muss. Dies erfuhr auch das Paar Treya und Ken Wilber (zwei reale Personen), wenn auch aufgrund einer anderen Erkrankung. Einen Monat vor der Hochzeit wurde bei Treya an der rechten Brust ein kleiner Knoten festgestellt, der sich als aggressiver Krebs erwies. Anhand der Tagebuchaufzeichnungen von beiden entstand Ken Wilbers emotionales Buch Mut und Gnade, bei dem die Stationen ihrer gemeinsamen Zeit, vom Kennenlernen 1983, bis zu ihrem Tod im Jahr 1989, festgehalten wurden (angereichert mit einer Einführung in die philosophia perennis, die „immerwährende Philosophie“; der auf die transpersonale Psychologie spezialisierte Wilber ist Gründer des Integrale Institut, einer interdisziplinären Denkfabrik).

Die Chefdramaturgin und stellvertretende Intendantin des Schauspiel Frankfurt, Marion Tiedtke, hat die wahre Geschichte der beiden jetzt gemeinsam mit dem belgischen Regisseur Luk Perceval für die Bühne erarbeitet. Die Premiere war am Samstag zwischen Totensonntag und dem 1. Advent, also in einer ganz besonderen Zeit des Jahres, wo Vergangenem gedacht wird, aber auch schon ein Hauch an Hoffnung und Vorfreude die Menschen beschäftigt.

Mut und Gnade
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Robert Schittko

Gespielt wird im Bockenheimer Depot, das mit seiner kirchenschiffähnlichen Architektur einem sakralen Raum gar nicht so unähnlich ist. Und auch die Verwendung von sehr viel Wasser kann durchaus vielseitig interpretiert werden (religiös und/oder spirituell). Im Bühnenbild von Philip Bußmann ist es in einem großen Bassin zusammengehalten, indem die Darsteller knöchelhoch im Wasser stehen (als einzige Requisiten hängen vorne acht Mikrofone an langen Kabeln herab).

Die Bühnenfassung fokussiert die Krebserkrankung und gleicht, wenn beispielsweise Fakten zur Brustkrebserkrankung vermittelt werden, dabei stellenweise einer reinen Krebsdokumentation. Nicht nur, dass sich auf das Paar Treya und Ken beschränkt wird, selbst diese beiden werden ganz auf die Krankengeschichte reduziert. Das einzige, was man über Treya außerhalb ihrer Erkrankung erfährt ist, dass sie Eltern und eine Schwester hat (die sie im Krankenhaus besuchen).
Die außergewöhnliche intensive Liebesbeziehung zwischen Treya und Ken wird hauptsächlich performativ gezeigt. Diese choreografische Arbeit (Choreografie: Ted Stoffer) macht den Abend anders und überaus faszinierend. Bedrücke Momente gibt es aber auch, beispielsweise wenn einer der beiden röchelnd oder schwer atmend an einem der Mikrofone hängt, oder einfach nur eine gespenstische Stille herrscht.

Mut und Gnade
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Robert Schittko

Um eine gewisseDistanz zu den beiden zu halten, werden ihre Figuren von jeweils vier Darstellern verkörpert (Treya: Katharina Bach, Claude De Demo, Luana Velis und Patrycia Ziolkowska; Ken: Sebastian Kuschmann, Rainer Süßmilch, Andreas Vögler und Uwe Zerwer). Dabei dient das Wasserbassin unter Luc Percevals Regie als große Spielfläche. Anfangs wird vom hinteren Rand herzhaft gelacht und dann mitrauschhaften Sprüngen in die Fluten das Leben und das Liebesglück gefeiert. Doch das Wasser ist viel mehr. Es hilft beim Abbau von Aggressionen, wenn es einem Ventil gleich wild aufgepeitscht wird. Kommt es zur Ruhe, stellt die Oberfläche eine spiegelnde Fläche dar und wirkt kalt und bedrohlich.

In 150 fordernden und pausenlosen Minuten wird die große Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen nacherzählt, also die Krankengeschichte von Treya. Ken kommt deutlich weniger zu Wort. Vom Besuch bei der Vorsorgeuntersuchung, über die Hochzeit und die Flitterwochen im Krankenhaus, von den zunehmenden Rückschlägen, den Schwierigkeiten, sich für oder gegen einzelne Maßnahmen (wie Chemotherapie, Teilresektion mit Entfernen aller Lymphknoten) entscheiden zu müssen, dem ständigen „weiter,weiter“ Kampf, mit Ängsten, Fragen und Zweifeln fertig zu werden, bis hin zur Akzeptanz des Schicksals und dem dann schnellen Ende, weil der Krebs auch die Lunge und das Hirn erfasst hat.

Da an Krebs zu erkranken jeden treffen kann, ist das Stück für die Darsteller wie das Publikum etwas ganz Besonderes. Die acht Darsteller sind hochkonzentriert und mit vollem Körpereinsatz sehr präsent, sprechen solistisch und chorisch (Dialoge gibt es kaum).
Nach einem Moment der Stille intensiver Beifall für diese bildstarke, intensive und zugleich poetische Umsetzung der Geschichte von Treya und Ken.

Markus Gründig, Dezember 18

Begleitend zur Inszenierung gibt es nicht nur im Foyer einen Infotisch von Pink Ribbon Deutschland, einer Organisation, die auf das Thema Brustkrebs aufmerksam macht, am 8.Dezember wird zudem eine Infoveranstaltung unter dem Titel Krebs -Vorbeugung, Vorsorge, Diagnose und Therapie angeboten (18.00 Uhr, auch im B-Depot). Moderiert von Marion Tiedtke werden die Gäste Dr.med. Claas Drefahl (Oberarzt, Psychosomatik und Psychoonkologie) und Dr. med. Christiane Schieferstein-Knauer (Oberärztin, Onkologie undHämatologie) vom Hospital zum heiligen Geist (FFM) erwartet. Und nicht übersehen: Vorsorgeuntersuchungen sind für beiderlei Geschlechter angeraten!

Mut und Gnade (Grace and Grit)
Eine wahre Geschichte über Liebe und Tod
Von: Ken Wilber
Deutsch von: Jochen Lehner
Bühnenfassung von: Marion Tiedtke und Luk Perceval

Premiere am Schauspiel Frankfurt/Uraufführung: 1. Dezember 2018 (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 4. Dezember 18

Regie: Luk Perceval
Bühne: Philip Bußmann
Kostümbild: Ilse Vandenbussche
Choreografie: Ted Stoffer
Dramaturgie: MarionTiedtke

Mit:
Katharina Bach, Claude De Demo, Sebastian Kuschmann, Rainer Süßmilch, Luana Velis, Andreas Vögler, Uwe Zerwer, Patrycia Ziolkowska.


www.schauspielfrankfurt.de