Der 1892 in Apatin (Ungarn) geborene und 1960 in Hamburg gestorbene Komponist Paul Abraham hatte ein bewegtes Leben, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Mit Operetten wie Viktoria und ihr Husar, Die Blume von Hawaii und Ball im Savoy feierte er Anfang der 1930er große Erfolge (zudem komponierte er Musicals, Filmmusiken, Orchesterstücke, Konzerte, Kammermusik und ein Requiem). Auch seine 1934 in Wien uraufgeführte Lustspieloperette Märchen im Grand-Hotel war erfolgreich, bis die politischen Umstände weitere Aufführungen nicht mehr zuließen und dann das ganze Genre an Popularität verlor. Dass diese Operette jedoch bisher in Deutschland noch nie szenisch aufgeführt wurde, verwundert schon. Denn mit einer abwechslungsreichen Musik, die klassische Elemente mit (Soft-) Jazz mixt, die Walzerlieder mit ungarischem Kolorit und Tänze wie Foxtrott und Tango beinhaltet, geht sie gut in die Ohren und hat schon fast schlagermäßige Hits zubieten.
Zusätzlich wartet Paul Abraham, der auch mitunter als „der deutsche Gershwin“ bezeichnet wird, mit zeitgenössischen Experimenten, insbesondere in der Instrumentation, auf. Dies ist auch stark in der spartenübergreifenden Produktion des Staatstheater Mainz unter der musikalischen Leitung von Samuel Hogarth zu hören, die jetzt Premiere hatte und gleichzeitig die deutsche szenische Erstaufführung darstellt. Wie im Film werden hier szenische Ereignisse vom Orchester mit lautmalerischen Tönen untermauert. Das kann etwas plump wirken, kommt aber gut an. Samuel Hogarth, der immer wieder zwischen Dirigentenpult und Klavier auf derBühne und im Graben wechselt (wie er auch immer wieder vom Kameramann angesprochen wird), sorgt mit dem um ein Jazztrio verstärkten Philharmonischen Staatsorchester Mainz für einen schmissigen und vielseitigen Klangeindruck.
Die Rolle des Gesangsquartetts (Agustin Sánchez Arellano, Reiner Weimerich, Dennis Sörös und Dogus Güney), dass eigentlich nur ein wenig vom Graben aus zu singen hat, wurde ob seiner gesanglichen Brillanz (im Stil derComedian Harmonists) deutlich aufgewertet. Die vier Sänger sind in vielen Szenen auf einer Treppenanlage mit kurzen Gesangseinlagen vertreten.
Unter der Regie von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann (Pension Schöller, Im Weißen Rössl) laufen die Schauspieler und Sänger zur Hochform auf und wirbeln, mit Pause, nahezu dreieinhalb Stunden über die Bühne. Das Regieduo hat allerhand Ideen, die Paul Abrahams Gedankenwelt folgen, eingebaut, inklusive einiger derber Sprüche. Die Story ist einfacher, als die Vielzahl an beteiligten Personen es zunächst vermuten lässt. Eine spanische Infantin befindet sich mit ihrer Entourage in einem Luxushotel an der Côte d’Azur im Exil, pleite ist sie auch noch und ausgerechnet ein tollpatschiger, einfacher Zimmerkellner macht ihr den Hof. Die Liebesgeschichte wird von einer weiteren Handlungsebene umrahmt. Ein Hollywoodregisseur sucht dringend ein Thema für seinen nächsten Blockbuster. Seine Tochter entdeckt für ihn in der Klatschpresse ein Foto einer Infantin und will deren Geschichte groß herausbringen (und so ihren Kopf aus der Schlinge einer Zwangsheirat, aus taktischem Kalkül heraus, abwenden). So macht sie sich sogleich ans Filmen (während der Vorspann des fertigen Films bereits zur Ouvertüre gezeigt wird). Am Ende gibt es beim Happy End sogar zwei glückliche Paare.
Die Bühne von Christoph Schubiger zeigt geschickt mit einfachen eingeschobenen Stilelementen beide Handlungsorte. Ein Filmstudio in Hollywood und die Atmosphäre eines Grand Hotels aus der Zeit der Uraufführung. Im Hintergrund dient eine eingerahmte Leinwand als Projektionsfläche für die jeweiligen Handlungsorte, wie ein Ausblick auf Palmen und im Hintergrund die Hollywood Hills, sowie für das Grand Hotel an der französischen Riviera, eine prachtvolle Lobby mit Treppen- und Aufzugsanlage. Auf der Leinwand werden zusätzlich live Bilder und aufwändig vorgefertigte Filme gezeigt, die das Bühnengeschehen untermauern oder karikieren. Wird zum Beispiel vom älter werdenden Publikum gesprochen, ist kurz ein Zuschauer als Skelett zu sehen. Wird vom Galeerendienst gesungen, erscheinen die Sänger als Ruderer auf einem Boot, eingebettet in Szenen aus dem Klassiker Ben Hur (Video: Stefan Bischoff). Auch die aufwendigen Kostüme von Barbara Aigner spielen auf vergangene Zeiten an. Prachtvoll sind die eleganten Kleider der Hofgesellschaft und die knapperen Glitzerkleider der Damen aus der Hollywoodsociety.
In der Rolle der spanischen Infantin Isabella ist Sopranistin Jennifer Panara, die ab dieser Spielzeit neu zum Ensemble des Staatstheater Mainz zählt, zu erleben. Ob im Duett mit ihrem Kellner, in der Badewanne oder beim melancholisch angehauchten Titelsong („Märchen im Grand Hotel“), sie zeigt eine starke Präsenz und ihre durchschlagsstarke Stimme. Sehr klangschön das Timbre von Bariton Michael Dahmen als heftig verliebter Kellner Albert (u. a. mit den hitverdächtigen Liedern „Die schönsten Rosen“ und „Träum´ heut Nacht von der Liebe“; er gehört ebenfalls seit dieser Spielzeit zum Mainzer Ensemble). Die Rolle der Hollywoodproduzententochter Marylou ist mit der Musicalsängerin Nini Stadlmann hervorragend besetzt, sie bringt sich auch tänzerisch groß ein (mit energiegeladenen Steppnummern; Choreografie: Bridget Petzold) und strahlt von der furiosen Eröffnungsnummer („Jedes kleine Mädel möchte einmal glücklichsein“) an, egal ob in Hollywood oder in Cannes.
Tenor JohannesMayer gibt einen feurigen Verlobten mit Wiener Dialekt. In Mehrfachrollen: Daniel Friedl (Hoteldirektor Matard / Barry), Lorenz Klee (Großfürst Paul / Dr. Dryser), Henner Momann (Baron Don Lossas / Ein Groom / Zofe) und Murat Yeginer (cholerischer Sam Makintosh und souveräner Präsident Chamoix).
Manches wirkt ein wenig überzogen, insgesamt erweist sich diese Ausgrabung aber als ein toller Fund. Am Ende einhelliger lautstarker und lang anhaltender Beifall für einen spritzigen und turbulenten liebestollen Ausflug in die Welt der Operette.
Markus Gründig, November 18
Märchen im Grand-Hotel
Lustspieloperette von: PaulAbraham
Premiere und szenische deutsche Erstaufführung am Staatstheater Mainz: 25. November 18
Besuchte Vorstellung: 25. Novermber 18
Musikalische Leitung: Samuel Hogarth, Michael Millard (05.05., 21.05., 28.05.,06.06.)
Inszenierung: Peter Jordan, Leonhard Koppelmann
Choreografie: Bridget Petzold
Bühne: Christoph Schubiger
Kostüme: Barbara Aigner
Licht: Peter Meier
Video:Stefan Bischoff
Dramaturgie: Ina Karr, Boris C.Motzki
Besetzung:
Infantin Isabella: Jennifer Panara
Albert, Zimmerkellner: Michael Dahmen
Marylou: Nini Stadlmann
Prinz Andreas Stephan: Johannes Mayer
Gräfin Pepita Inez de Ramirez / Mabel: AnikaBaumann
Baron Don Lossas / ein Groom / Zofe: Henner Momann
Präsident Chamoix / Sam Makintosh: Murat Yeginer
Großfürst Paul / Dr. Dryser: Lorenz Klee
Matard, Hoteldirektor / Barry: Daniel Friedl
Gesangsquartett: Agustin Sánchez Arellano, Reiner Weimerich, Dennis Sörös, Dogus Güney
Jazztrio: Samuel Hogarth (Klavier); Tamás Gábor Frank / Roger Scholz (Kontrabass); Burkhard Möller / Gerald Stütz (Schlagzeug)
Philharmonisches Staatsorchester Mainz
www.staatstheater-mainz.de