Die lustige Witwe
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 18. Mai 18
Zunächst mutet es eigentümlich an: Im anspruchsvollen Premierenprogramm der Oper Frankfurt bringt diese zwischen Leoš Janáceks Aus einem Totenhaus und Vincenzo Bellinis Norma Franz Lehárs heiteren Operettenklassiker Die lustige Witwe auf die Bühne. Dazu inszeniert von einem Regisseur, der hier bisher mit ernsten Opern (Daphne, Pelléas et Mélisande, Der Rosenkavalier, Il trittico und Un ballo in maschera) für Aufsehen gesorgt hat: Claus Guth. Doch auch mit diesem Ausflug in die Welt der Operette ist ihm erneut ein großer Coup gelungen. Er überzeugt damit selbst diejenigen, die dem Genre Operette eher kritisch gegenüberstehen (zudem gab es ein einheitlich positives, nahezu euphorisches, Presseecho auf die Premierenvorstellung).
Statt die Operette in klassischer Manier als buntes Potpourri eingängiger Melodien zu präsentieren, zeigt Guth sie, ohne Verzicht auf ihre großen Hits, komischen Momente und schwungvollen Tanz-/Ensembleszenen, mit einer ergreifenden, weiteren Ebene. Kernthema ist, dass in einem heutigen Filmstudio, mit einer modernen Filmkamera nebst Steadicam, die Operette Die lustige Witwe nah an ihrer Entstehungszeit gedreht wird. Dabei sind die eleganten, an die Pariser Mode angelehnten Kleider und Kostüme der Sänger und Tänzer eine Augenweide und die detailverliebten folkloristischen Trachten für das Heimatfest bei der Witwe herrlich bunt.
Als Operette in der Operette werden so die meisten musikalischen Nummern gegeben. Doch hinter den Kulissen sieht die Welt anders aus und Claus Guth interessiert sich besonders intensiv für die Gefühle der Figuren, insbesondere für die der beiden Hauptprotagonisten. Diese können die Zuschauer in ihren Künstlergarderoben oder zwischen den Kulissenelementen erleben, wo sie nicht Danilo und Hanna (Rollennamen) sind, sondern Iurii und Marlis (ihre realen Vornamen; sie spielen hier jeweils Doppelrollen). Indem Guth einen intensiven Blick auf die Vorgeschichte der Operette richtet und zeigt, dass da mal was sehr Intensives zwischen Danilo und Hanna gelaufen sein muss, verleiht er der Inszenierung einen zarten Hauch von Melancholie und wunderschöne poetische Momente (nicht zuletzt, wenn die Zeit still zu stehen scheint). So ist seine Inszenierung zugleich eine Hommage an die Welt des Musiktheaters, zeigt er doch, dass die Stars auf der Bühne im privaten auch nur Menschen sind, bei denen auch nicht immer alles glatt läuft.
Schon der Beginn ist außergewöhnlich. Die millionenschwere Witwe ist zunächst alles andere als lustig. Einsam sitzt sie in ihrer Garderobe an einem Klavier und macht einfache Gesangsübungen. Doch während sie zu verschiedenen Tönen ein „u“ summt, schweifen ihre Gedanken ab, sie scheint sich an etwas zu erinnern und verharrt schließlich, während eine Ankleiderin ihr ein prachtvolles schwarzes Kleid bringt (ihr Mann ist ja schließlich erst kürzlich verstorben). Dann setzt die Ouvertüre an und die Szenerie wechselt, durch Einsatz der Drehbühne, in den Salon des pontevedrinischen Gesandtschaftspalais in Paris. Dieser große und mit schlichter Eleganz ausgestattete Raum ist später zugleich der Ballsaal im Schloss von Hanna Glawari (dann mit einem Podest und einem geänderten Hintergrundprospekt/Vorhang). Bühnenbild wie Kostüme stammen vom mehrfach als Bühnen- bzw. Kostümbilder des Jahres ausgezeichneten Christian Schmidt, der seit vielen Jahren eng mit Claus Guth zusammenarbeitet.
Dass das alles so gut funktioniert, ist bei Weitem nicht nur Verdienst der Regie, sondern dem Können und dem hervorragenden Zusammenspiel aller Beteiligter zu verdanken: den großartigen Sängern, Tänzern, Statisten und Musikern, die alle mit sehr viel Engagement und Spielfreude diese Witwe zu einem ganz besonderen Erlebnis machen. Sopranistin Marlis Petersen in der Titelrolle hat nicht nur die einmalige Gelegenheit, sich auf der Bühne vor Publikum einsingen zu können, sie erhält dafür auch noch Applaus. „Wem dies passiert, der hat es definitiv geschafft“ (Chordirektor Tilman Michael gegenüber Marlis Petersen, zitiert beim sich der besuchten Vorstellung anschließenden Foyergespräch in der Reihe Oper lieben). Das Doppelspiel zwischen der mit ihren Gefühlen hadernden Marlis und der triumphal auftretenden Film-Hanna gelingt ihr glaubhaft und mit Leichtigkeit, nicht nur bei ihrem großen Lied „Es lebt eine Vilja“ (das sie teilweise außerhalb ihres Schlosses singt und bei dem der Gesang des von Tilman Michael schmissig einstudierten Chores durch eine offene Tür dringt). Wie sich ihr die Männer ob ihrer geerbten Millionen andienen, zeigt Choreograf Ramses Sigl mit dem Tanzensemble in großartigen Optiken. Und die zahlreichen weiteren Tanzszenen (wie beim „Vilja-Lied“, „Ja, wir sind es, die Grisetten“ und „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“) sprühen nur so vor Lebensfreude.
Von dieser ist der Graf Danilo Danilowitsch des Bariton Iurii Samoilov weit entfernt. Auch er gibt seine Doppelrolle, zwischen sich für die Staatsfinanzen einsetzenden Danilo und einer verlorenen Chance nachtrauernden Iurii, grandios und mit kernigem und markanten Profil. Wenn er trunken auf seiner Couch in der Künstlergarderobe abhängt und das Vaterland besingt („O Vaterland“), drückt sich auch sein Seelenschmerz aus. Vor einigen Jahren war er noch Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt, hatte in der Vergangenheit aber u. a. auch schon Engagement in Moskau, Madrid, Amsterdam und bei den Salzburger Festspielen.
Ungemein lebhaft und virtuos ist die Valencienne der Sopranistin Kateryna Kasper, die als anständige Frau des Baron Mirko Zeta (erhaben: Barnaby Rea) dem Locken des vor Charme nur so sprühenden Camille de Rosillon des Tenors Martin Mitterrutzner kaum widerstehen kann (bei der Premierenvorstellung sprang Elizabeth Reiter für die erkrankte Kateryna Kasper ein). Ein Höhepunkt ihr Duett „Mein Freund, Vernunft / Wie eine Rosenknospe“ (bei dem von einem Mitarbeiter des Filmsets Rosenblätter von einem Balkon gestreut werden). Martin Mitterrutzner wird zwar leider nach sieben Spielzeiten das Ensemble der Oper Frankfurt verlassen (um mehr Zeit für seine in Tirol lebende Familie haben zu können), wird aber künftig als Gast zurückkehren (im Mai 19 als Grimoaldo in Händels Rodelinda, einer Koproduktion der Oper Frankfurt mit dem Teatro Real, Madrid, der Opéra de Lyon und dem Gran Teatre del Liceu, Barcelona). Neben zahlreichen Ensemblemitgliedern ist der Schauspieler Klaus Haderer, in Doppelrolle als kritischer Regisseur (mit Wiener Schmäh), der in die Grisette Lolo verliebt ist und hinkender Njegus (Kanzlist der pontevedrinischen Gesandtschaft) als Gast dabei.
Shootingstar Joana Mallwitz (verpartnert mit dem Tenor Simon Bode) leitet erstmals eine Neuproduktion an der Oper Frankfurt. Die junge Dirigentin beendet mit dieser Spielzeit ihr vierjähriges Engagement als Generalmusikdirektorin am Theater Erfurt und wird in gleicher Position zu Jens-Daniel Herzog an das Staatstheater Nürnberg wechseln. In einem eleganten schwarzen Jumpsuit lotet sie gemeinsam mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchesters die Feinheiten der Regie aus und unterstreicht musikalisch das Gesamtkunstwerk dieser Witwe. Joana Mallwitz arbeitete zunächst als Korrepetitorin (am Theater Heidelberg), wie viele Dirigenten dies zunächst taten. Korrepetitoren verrichten ihre unverzichtbare Aufgabe, die Sänger mit ihren Rollen vertraut zu machen, stets im Hintergrund, vielen ist dieser Beruf gar unbekannt. Hier kommt zumindest einer groß raus, denn er hilft Marlis die Rolle der Hanna zu erarbeiten und ist dabei sogleich ein großer Fan von ihr. Der junge polnische Pianist Mariusz Kłubczuk, der seit dieser Spielzeit Solorepetitor an der Oper Frankfurt ist, überzeugte schon bei den Proben so stark, dass er zusätzliche Auftritte als schüchterner Verliebter und Rosenüberreicher erhielt.
Das Happy End zwischen Danilo und Hanna gibt es nur für die Filmszene. Zu den Schlusstakten sitzt Marlis wieder einsam an ihrem Klavier in der Garderobe und blickt gedankenversunken drein.
Am Ende sehr viel Applaus und selbst bei langjährigen Mitarbeitern des Hauses einzelne Tränen der Rührung. Diese Witwe rückt die Frage nach dem Sinn des Lebens auf subtile wie unterhaltsame Art in den Vordergrund und wartet zusätzlich mit so vielen wunderbaren kleinen Ideen (wie den Tönen eines sich bewegenden Metronoms als Hinweis auf die ablaufende Lebensuhr) auf, dass man sie gerne mehrfach sehen möchte.
Markus Gründig, Mai 18
Im Weißen Rössl
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 26. November 16 (Premiere)
Nicht nur der Titelsong „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee“, sondern auch Lieder wie „Es muss was Wunderbares sein“, „Die ganze Welt ist Himmelblau“ und „Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“ haben das Singspiel Im Weißen Rössl unsterblich gemacht. Ist es auch in die Jahre gekommen, vergessen ist es noch lange nicht. Das Staatstheater Mainz hat es jetzt als große spartenübergreifende Produktion mit viel Aufwand auf die Bühne des Großen Hauses gestemmt. Allein, was die Anzahl der auf der Bühne beteiligten Personen anbelangt, gilt, hier wird geklotzt und nicht gekleckert. Der Orchestergraben wurde gewissermaßen kurzerhand zum idyllischen Wolfgangsee im Salzkammergut umfunktioniert. Die Bühne zeigt einen Anlegesteg und eine klassische Ansicht des legendären Wirtshauses auf der linken Seite, sowie eine Bergwelt im Hintergrund (Bühne: Christoph Schubiger). Zeitlich angelegt ist die Inszenierung an die Wirtschaftswunder- und Kalte Krieg Zeit der 1950er und 60er Jahre.
Alle Klischees, für die das Singspiel steht, werden vom Regieduo Peter Jordan und Leonhard Koppelmann ausgiebig bedient. Da ist kein Witz zu platt, um nicht doch gebracht zu werden. Und auch die Slapstickeinlagen der Darsteller zeigen, dass das Stück einen hohen Unterhaltungswert für ein breites Publikum hat.
Doch hinter der offensichtlichen Kulisse und manch Absurdität, jenseits der eigentlichen Geschichte um den unglücklich verliebten Zahlkellner Leopold, lauern Abgründe. Das Regieduo Jordan/Koppelmann hat eine weitere Ebene, ja eine weitere Geschichte integriert, die mit der Operettenseligkeit bricht, ja konträr ist: Eine kleine Agentenstory. So steigt eine sowjetische Balletttruppe, die von einer KGB-Offizierin und ihrer Trillerpfeife in Schach gehalten wird, im Rössl ab. Dann gibt es eine mysteriöse Tür, hinter der sich ein Eingang zu einem Bunker befindet. Dieser fährt schließlich aus dem Bühnenuntergrund hoch und zeigt eine Art Überwachungszentrale zu Zeiten des Kalten Kriegs. Ein ominöser Koffer taucht auch immer wieder auf, wie auch reichlich Fremdmelodien eingefügt wurden. Diese reichen von Filmmotiven (James Bond, Mission Impossible und Star Wars), über die „Der 3. Mann“-Zithermelodie bis hin zu „Draußen vor der Laterne“, welches von der Postbotin Zenzi (nicht nur im Jodeln und Schuhplattlern stark: Sopranistin Miriam Gadatsch vom Jungen Ensemble) gesungen wird.
Die Inszenierung beruht auf der rekonstruierten Urfassung und bietet auch ausladende Tanznummern (Choreografie: Harald Kratochwil). Beteiligt ist das Tanzensemble der Musical Arts Academy Mainz, das sich vielseitig einbringt. Nicht zuletzt durch die vielen Ergänzungen beträgt die Aufführungsdauer mehr als drei Stunden (mit einer Pause). Aber es sind natürlich sehr kurzweilige, weil es sehr viel zu hören, zu sehen und zu lachen gibt. Schon die Eröffnung durch den Jungkellner Piccolo (mit absichtlich extrem überzogenen Posen: Julian von Hansemann, Studierender in der HTA-Praxiszeit) lässt die Zuschauer in Urlaubsstimmung verfallen. Die vielen großen Ensembleszenen sind hervorragend in Szene gesetzt worden, wie beispielsweise die Szene im Kuhstall (mit acht Mägden, die hier eifrig am Melken sind) und auch die farbenfrohen Kostüme von Barbara Aigner sorgen für Aufsehen.
Darsteller des Opern- und des Schauspielensembles wurden gleichermaßen auf die Rollen verteilt. Dies ist gut geglückt, denn es gibt keine Brüche wenn gesungen wird (auch wenn sich die Opernsänger hier natürlich zurücknehmen müssen). Rüdiger Hauffe verleiht dem Zahlkellner Leopold Brandmeyer ein eigenes starkes Profil, ist diese Rolle doch durch die Verfilmung mit Peter Alexander vorbelastet. Anika Baumann gibt eine hübsche und resolute Bilderbuchwirtin, deren Charme stets durchstrahlt (und sie rollt schön das „r“, wobei hier leider weitestgehend ohne Dialekt gesprochen wird). Dafür verkörpert Clemens Dönicke im ausstaffierten Anzug einen herrlich berlinerischen Unternehmer Giesecke, der babbelt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Als dessen aufgeweckte Tochter Ottilie gefällt die Sopranistin Dorin Rahardja (die hier zuletzt als Musetta in Puccinis La Bohème auffiel). Tenor Alexander Spemann zeigt wunderbar spielfreudig einen vor Energie strotzenden Dr. Erich Siedler. Für zahlreiche Lacher sorgt Daniel Friedl als von sich so überzeugter Sigismund Sülzheimer. Kein Wunder, dass Klärchen (Koloratursopranistin Alexandra Samouilidou) ihm verfällt und auch deren Vater, Prof. Dr. Hinzelmann, (Erik Raskopf) schließlich glücklich ist. Kammersänger Hans-Otto Weiß bleibt als Kaiser nichts erspart, aber das ist dieser ja gewohnt (mit Sanftmut gesungen: „S´ ist einmal im Leben so“).
Neben dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz (für einen prickelnden Ton mit viel Schmiss sorgt als Musikalischer Leiter Paul-Johannes Kirschner), dem mit immenser Spielfreude aufwartenden Chor des Staatstheater Mainz (Einstudierung: Sebastian Hernandez-Laverny) ist auch eine Blaskapelle mit von der Partie (Schüler der Bläserklassen des Willigis- und Frauenlob-Gymnasiums Mainz).
Am Ende steht wieder das Glück vor der Tür, haben sich drei Paare glücklich gefunden. Riesiger Applaus und eine schöne Potpourrizugabe.
Markus Gründig, November 16
Paul Bunyan
Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 14. Oktober 16
Dank der nachhaltigen Beschäftigung mit dem Œuvre von Benjamin Britten durch die Oper Frankfurt, ist dieser dem Publikum inzwischen schon vertraut. Unter der Intendanz von Bernd Loebe wurden bereits sechs Opern und eine Kirchenparabel von ihm gezeigt. Und jetzt gibt es sogar eine Operette von ihm zu erleben, die in der Spielstätte Bockenheimer Depot gezeigt wird. Hierbei handelt es sich um sein erstes größeres musikdramatisches Werk (Text von W. H. Auden). Wie Norbert Abels in seiner Biografie über Britten anmerkt, „ein Ausflug in ein fremdes Genre, den er bald bereut“. Nun, das Frankfurter Opernpublikum muss einen Vorstellungsbesuch mitnichten bereuen. Ist diese „Choroperette“ doch ein schillernder Ausflug mit hohem Unterhaltungswert und einem faszinierend breiten musikalischen Spektrum, auch wenn der damalige Traum von der Bezwingung der Natur im postindustriellen Zeitalter in Zeiten immer knapper werdender Ressourcen freilich längst überholt ist.
Die Oper Frankfurt hat keine Kosten und Mühen gescheut, dieses Werk groß herauszubringen. Keine geringere als Brigitte Fassbaender wurde für die Regie verpflichtet.
Zunächst verwundert es, dass das Orchester im linken Seitenflügel platziert ist und nicht, wie meist sonst, direkt vor dem Publikum. Aber der US-amerikanische Folk-Mythos um den Baumfäller und Riesen Paul Bunyan verlangt eine besonders weite Bühnenoptik. Schon vor Beginn führt ein überdimensionaler Baumstamm die Besucher zur Welt des Riesen Paul Bunyan hin (über diese Figur gibt es u. a. auch Bearbeitungen von Disney und den Simpsons). Später zeigt die Bühne von Johannes Leiacker dann ein Ensemble aus acht unterschiedlich großen Suppendosen der Marke Campbell´s. Diese Dosen sind teils weit offen, teils ganz leer, teil stehen sie aufrecht oder liegen quer. Teilweise ist die Suppe auch aus den Dosen ausgelaufen, als feste Masse liegt sie vor dem Dosenarrangement. Hinten und seitlich ergänzen einige Tannenbäume (auch in unterschiedlicher Größe) die Waldarbeitercampszenerie (im Camp gibt es, und das ist der Bezug, immer nur Bohnen und Suppe zu essen). Auch die Kostüme von Bettina Munzer sorgen für schöne Optiken. Die Bewohner des Camps tragen Hosen mit Rindenmuster, dazu weiße Hemden (mit Schulterpolstern zur Verdeutlichung, dass es sich hier um echte Mannsbilder handelt) und blaue Schleifen. Zuvor gefällt schon der gemischte Chor der alten Bäume, bei dem die SängerInnen moosartige Bärte tragen und im 2. Akt stimmen die Frauen der Holzfäller in ihren grünen Kleidern frohgemut.
Als Hinweis zu Brittens Beziehung zu Peter Pears kann die kurze Szene mit zwei Waldarbeitern gesehen werden, die oberkörperfrei kurz miteinander schmusen.
Wer lieber Mozart und Puccini als Benjamin Britten hört und Vorbehalte hat, das sei zu moderne Musik, kann diese Vorbehalte getrost vergessen. Die Musik ist tonal und breit gefächert. Schließlich wollte sich Britten damit dem US-amerikanischen Publikum vorstellen. Viele, meist sehr junge, Sänger sind beteiligt, mitunter sind rund 35 von ihnen auf der Bühne. Unter der Choreografie von Marie Stockhausen gelingen die tänzerischen Momente stets sehr fließend und stimmig. Der von Ines Kaun einstudierte Chor besteht aus Studierenden und Absolventen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt, sowie Studierenden der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim. Die Titelfigur gibt es eigentlich nur als Stimme aus dem Off. Bei dieser Produktion wird auf einem weit oben hängenden Rest des Vorhangs von der Eröffnungsszene, der Mund von Nathaniel Webster (ehemaliges Ensemblemitglied der Oper Frankfurt) per Livevideobild projiziert (Video: Bibi Abel).
Es handelt sich um ein Ensemblestück, bei dem es viele kleine liebenswerte Rollen gibt. Alle Sänger sind mit großem Engagement und Spielfreude dabei, seien sie vom Opernensemble oder aus dem Opernstudio. Herausragend sind dennoch Michael McCown (als Buchhalter Johnny Inkslinger) und Sebastian Geyer (als Vorarbeiter Hel Helson). Mit starker Präsenz auch Elizabeth Sutphen (mit mondäner Haartracht), die als Bunyans Tochter Tiny sich in den jungen Hot Biscuit Slim (strahlend: Michael Porter) verliebt. Bezaubernd das Tiertrio, bestehend aus Sydney Mancasola (Hund Fido), Julia Dawson (Katze Moppet, auch Wildgans) und Cecilia Hall (Katze Poppet, auch Wildgans). Ludwig Mittelhammer kann als Western Union Boy in Form eines Wohlstand-Supermanns (d. h. mit Bäuchlein) die Telegramme überbringen.
Eine besondere Rolle hat der Singer-Songwriter Biber Herrmann als Erzähler inne. Wenn er zu Countrymusik singt, wobei er sich selbst an der Gitarre begleitet, fühlt man sich stets in Amerika angekommen (dagegen klingt selbst das Englisch der aus den USA stammenden Sänger sehr britisch).
Am Ende verdientermaßen sehr viel Applaus. Das obligatorische Fußgestampfe galt dabei dem unter der Leitung von Nikolai Petersen aufspielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester.
Markus Gründig, Oktober 16
Die Fledermaus
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 16. September 16 (Premiere)
Da liegt er nun, der arme Tropf von Dr. Falke. Inmitten der Wiesbadener Grünanlagen Warmer Damm. Die Sonne hat ihn nach durchzechter Nacht geweckt, eine Flasche Schnaps hält er noch in den Händen und sein Schädel brummt gehörig. Und die Leute sehen so komisch aus, lauter verzerrte Gesichter. Und was sie ihn anstarren. Manche machen sogar schnell ein Foto mit dem Handy. Oh mein Gott, er ist wirklich fertig. Und dann noch dieser aufdringliche und so ekelhaft gut gelaunte Reporter Lutz van der Horst im Linienbus. Boah, und einen Durst hat er. Was ein Glück hat er es bis zum Wasserbecken im Bowling Green geschafft. Doch bevor er einen Schluck Wasser zu sich nehmen kann, plumpst er rückwärts in das Bassin. Der arme Tropf Dr. Falke…
Diese Geschichte läuft als Videofilm während der Ouvertüre von Die Fledermaus auf einem großen Bildschirm ab und verdeutlicht Dr. Falkes Demütigung, im noch betrunkenen Zustand und im Fledermauskostüm durch die Öffentlichkeit gehen zu müssen und zum Gespött der Leute zu werden, vorbildlich. Und für diese bildliche Umsetzung der Vorgeschichte gab es vom Premierenpublikum sogar einen Zwischenapplaus.
Den Operettenklassiker über Dr. Falkes ausgeklügelte Rache an Gabriel von Eisenstein, der ihn da so schändlich hat liegen lassen, hat Regisseurin Gabriele Rech für die Neuinszenierung am Staatstheater Wiesbaden, turbulent und mit viel Schwung in die Gegenwart geführt. Plüschige wienerische Atmosphäre ade (allenfalls in blassen Tapetenmustern in der Eisensteinschen Wohnung). Das großzügige und moderne Wohnzimmer der Eisensteins befindet sich in einem etwas seltsamen Gebäude. Die Rückwand hat viele quadratische Fenster auf mehreren Ebenen, wie aus altbackenen Hochhaussiedlungen bekannt, keine zeitgemäße Architektur mit bodentiefen oder großflächigen Fenstern. Das Palais des Prinzen Orlofsky besticht durch einen Kronleuchter aus umgestülpten Sektgläsern, die auf sechs konisch zulaufenden Ringen aufgereiht sind. Und auch der an einen Club orientierte Saal ist kreisförmig gestaltet und dreht sich passend zur Musik. Für das Amtszimmer von Direktor Frank im 3. Akt dient wieder das Bild aus dem 1. Akt, nur ist jetzt alles ramponiert und mitgenommen, was vor allem auch für die überall herum und aufeinander liegenden Figuren gilt (Bühne: Dieter Richter).
Ist die Welt heute auch nicht besser aufgestellt, als zur Zeit der Uraufführung, drohen auch heute Wirtschaftsprobleme mit weitreichenden internationalen Folgen den Wohlstand zu gefährden (Brexit), wirklich wichtig ist doch nur das kleine bisschen Glück, das sich jeder in seiner eigenen kleinen Welt schafft. So wie die nach Höherem strebende „Hygienemanagerin“ Adele (darstellerisch und mimisch am stärksten, mit viel Feuer im Hintern und nicht zuletzt mit einer verführerischen Stimme und glänzenden Koloraturen: Gloria Rehm). Oder die verheiratete Rosalinde, die noch immer ihrer großen Liebe Alfred verfallen ist (bodenständig und mit geschmeidiger Stimme: Netta Or). Mit ihrem auffallend unspektakulären Kleid, Blumenhaarkranz und Augenmaske, schafft sie besonders durch ihre Präsenz, Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Ausgefallen ist der hier androgyn gezeichnete Prinz Orlofsky, den Mezzosopranistin Romina Boscolo mit immenser Spielfreude zwischen verführerischem Vamp und Domina gibt. Wie auch das Barpersonal in knappen Outfits und mit viel Lack und Leder im zweiten Akt nicht mit optischen Reizen geizt (Kostüme: Susanne Füller).
Die Herren der Schöpfung sind beim Thema Doppelmoral nicht besser als die Damen. Allen voran natürlich Gabriel von Eisenstein mit seiner „i-Watch“, der hier von Peter Bording mit großer Präsenz, Spielfreude und kräftiger Baritonstimme gegeben wird, die seine Männlichkeit unterstreicht (Intendant Uwe Eric Laufenberg hat diese Rolle 2007 im Potsdamer Hans-Otto-Theater gegeben).
Der Tenor Alfred, der Rosalinde zunächst im Fernsehen dann am hohen Fenster erscheint, gibt als feuriger Lover im pinkfarbenen Anzug nebst Cowboystiefeln galant Aaron Cawley.
Als Gefängnisdirektor Frank/Chevalier Chagrin auch sehr präsent und köstlich komisch: Stephanos Tsirakoglou. Besonnen und genau beobachtend, der Dr. Falke des Benjamin Russell (mit klangschönem „Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein“).
Als Barmann (im 2. Akt), kritischer Begleiter und kleiner Kapitalismusgegner Komiker Lutz van der Horst (bekannt aus der ZDF Heute-Show) dabei, auch schauspielerisch eingebunden. Sein Solo im dritten Akt über Grünkohl-Smoothie und andere angesagte Themen dürfte gerne etwas mehr Schmackes haben. Der von Albert Horne einstudierte Chor ist als Partyvolk in bester Feierlaune, fast so wie man es oftmals auf der anderen Rheinseite in Mainz sieht. Für die Champagner-Szene („Im Feuerstrom der Reben“) begibt er sich in den Publikumsaal, zudem wird hier dem Publikum etwas Sekt ausgeschenkt.
Viel Spaß gibt es bei dieser Inszenierung nicht nur auf der Bühne, sondern auch davor. Unter der musikalischen Leitung von Gastdirigent Michael Helmrath spielt das Hessische Staatsorchester Wiesbaden mit viel Elan die populären Melodien von Johann Strauß.
Markus Gründig, September 16
Der Graf von Luxemburg
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 1. Januar 16
Wie vor einem Jahr mit Kálmans Die Csárdárfürstin präsentierte die Oper Frankfurt auch zum Jahreswechsel 2015/2016 konzertante Aufführungen einer Operette: Lehárs Der Graf von Luxemburg (als Frankfurter Erstaufführung). Von dieser Operette konnte man sich bereits im Herbst vergangenen Jahres am Staatstheater Wiesbaden überzeugen, wo sie in einer szenischen Darstellung in der Regie von Robert Lehmeier und mit den Geschwistern Pfister zu sehen war. Dagegen ist eine konzertante Aufführung natürlich von der äußeren Form her nüchterner. Wobei die Oper Frankfurt, wie auch schon bei der Csárdárfürstin, den konzertanten Charakter durch Dialoge und eine szenische Einrichtung auflockerte (für beides zeichnet erneut Dorothea Kirschbaum verantwortlich).
Zu Beginn standen allerhand Notenpulte vor dem Orchester am Bühnenrand, doch dienten diese nicht als Ablage für Noten der Sänger, sondern dafür, dass sie ihre Rollen finden bzw. wählen konnten. Gesungen wurde dann frei (also ohne ausliegende Noten) und mit guter Textverständlichkeit (dies, obwohl alle Sänger ihr Rollendebüt gaben). Zusätzlich wurde das szenische Geschehen mit kurzen Sätzen erläutert und die Sänger erklärten kurz ihre Rollen. Anfangs wirkte dies ungewohnt und vermittelte einen etwas brüchigen Eindruck, doch schon bald hatte man sich daran gewöhnt und war in die turbulente Geschichte eingetaucht.
Ein Teil des hinter dem Orchester bunt durcheinander platzierten Opernchores (Einstudierung Tilman Michael) trug, als Elferrat tituliert, bunte Fastnachtskappen. Das Motto der Französischen Revolution „Égalité , Liberté und Fraternité“ schwebte mit den jeweiligen Anfangsbuchstaben während der Aufführung auf Ballons über den Köpfen des Chores, gleichwohl erfuhren diese Wörter in der hier spielenden fünften Jahreszeit, mit der Außerkraftsetzung gesellschaftlicher Konventionen, eine ganz eigene Bedeutung.
Rote Nasen gab es vom Fastnachtsgrafen (in fürstlicher Robe) für seine Untertanen, ansonsten herrschten klassische Outfits vor, also farbenfrohe und schöne Ballkleider für die Damen und schwarze Anzüge für die Herren. Die Gräfin Stasa Kokozow der Margit Neubauer zeigte ihre selbstbewusste, freie Art, indem sie eine Hose trug und sich so von den anderen abhob. Anders als ursprünglich vorgesehen, erschien sie schon vor ihrem eigentlichen Auftritt im dritten Akt immer wieder auf die Bühne und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge und verhalf somit dem Zuschauer, sich im aufgehobenen Aktgefüge zurechtzufinden (die Pause fand inmitten des 2. Aktes statt).
Dirigentin Eun Sun Kim bewies schon bei der Csárdárfürstin ein gutes Gespür für ein angemessenes Maß an Operettenseligkeit. Für den Grafen entfachte sie mit flotten Tempi beim Frankfurter Opern- und Museumsorchester eine große Leidenschaft und ließ auch den klassischen Karnevalstusch kurz anspielen.
In der Titelrolle wagte Daniel Behle, der hier im Dezember 15 als Erik in Wagners Der fliegende Holländer zu erleben war, sehr viel und gewann mit seiner klaren und schön strahlenden Tenorstimme sehr viel. Stets sehr gelöst, heiter und schwungvoll, wie beispielsweise bei „Mein Ahnherr ist der Herr Luxemburg“.
Die Sopranistin Camilla Nylund hat zwar ihren Schwerpunkt im Dramatischen, als Sängerin Angèle Didier der großen Oper Paris zeigte sie sich aber ganz von ihrer lyrischen Seite, mit erhabener Größe und der Aura einer Grande Dame. Ihre kraftvolle Stimme, durch so manche dramatische Rolle bei Strauss, Verdi oder Wagner geschärft, unterstrich den Starcharakter, den die Rolle fordert und von ihr mit scheinbarer Lässigkeit gemeistert wurde. Das Knistern zwischen den beiden zeigte sich schon schön bei „Frau Gräfin, Sie erlauben wohl … Sie geht rechts, er geht links“ im Finale des ersten Akts.
Ensemblemitglied Sebastian Geyer als auf alt getrimmter Fürst Basil Basilowitsch hatte zwar einen Stock als Stütze und die Frauen setzten ihm auch körperlich zu, doch strotzte er nur so vor Agilität und Vitalität. Dabei zeigte der Bariton ein immenses Maß an schauspielerischen Qualitäten, seine gesanglichen stehen allemal außer Frage (Ende März 2016 gibt er einen Liederabend im Holzfoyer). In seinen Sprechstellen betonte er mit wunderbar rollendem „r“, den russischen Charakter seiner Figur mit viel unterschwelligem Humor.
Mit vornehmer Eleganz und Liebreiz sang und spielte sich Louise Alder in der Rolle der heiratswilligen Juliette Vermont in die Herzen, nicht nur in das vom Freigeist und mittellosen Maler Armand Brissard. Diesen gab mit seiner betörenden und reinen Tenorstimme Simon Bode. Herrlich deren beider Duett „Ein Stübchen so klein“.
Das Opernstudio der Oper Frankfurt besteht seit dieser Saison aus der stolzen Zahl von acht Mitgliedern. Vier davon sind seit der Saison 2014/15 dabei (Gurgen Baveyan, Thomas Faulkner, Katharina Ruckgaber und Jessica Strong), vier seit dieser Saison (Julia Dawson, Ingyu Hwang, Danae Kontora und Ludwig Mittelhammer). Drei Mitglieder des Opernstudios hatten hier nun die Möglichkeit, sich dem Publikum zu präsentieren: Bariton Gurgen Baveyan (als städtischer Beamter Pélégrin), Tenor Ingyu Hwang (als russischer Botschaftsrat Pawel von Pawlowitsch) und Bariton Ludwig Mittelhammer (als Notar Sergej Mentschikoff). Alle drei fügten sich charmant und souverän in den Kreis der Profis ein.
Bereits während der Aufführung gab es reichlich Applaus, am Ende dann ebensolchen, für einen gelungenen, kurzweiligen und unterhaltsamen Ausflug in den Pariser Karneval.
Markus Gründig, Januar 16
Der Graf von Luxemburg
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 17. Oktober 15 (Premiere)
Sie gehören zum kulturellen Erbe dazu, auch wenn sie uns heute oftmals fremd vorkommen: Operetten. In Wiesbaden wurde jetzt Franz Lehárs walzerselige „Der Graf von Luxemburg“ neu inszeniert. Das Programmheft zitiert hierzu Camille Saint-Saens „Die Operette ist eine auf Abwege geratene Tochter der Oper – Aber nicht, dass auf Abwege geratene Töchter weniger charmant sind…“
Regisseur Robert Lehmeier verzichtete bei seiner Umsetzung auf eine grundlegende Neudeutung, zeigt sie als liebevolle Hommage an die vergangene gute Zeit. Die Einheitsbühne von Markus Meyer besteht dabei aus einem großen Hotelflur von heute (mit modernen Deckenlampen, Fluchtwegbeleuchtung, aufgestellte Feuerlöscher und Zimmertüren, die mit einer Scheckkarte elektrisch geöffnet werden). Letztlich ist er aber zeitlos gehalten und man kann sich auch gut das Jahr der Entstehung (1909) vorstellen. Der Schauplatz Paris wird lediglich mit einem Bild des Eiffelturms im Hintergrund angedeutet. Fastnachtskostüme im ersten Akt beschränken sich auf Ganzkörpertieranzüge, womit man in Wiesbaden am Puls der Zeit ist: In der aktuellen Big Brother Staffel tragen seit kurzem zwei Teilnehmer (Lusy und Thomas) jeweils Ganzkörpertieranzüge. Der von Albert Horne einstudierte Chor erscheint großenteils als Hotelpersonal, im schwarz-weißen Frack oder als elegante reife Damenriege, gerne auch mit Gehhilfe. Für Aufheiterung sorgen drei fesche Tänzer im Tütü (Kostüme: auch Markus Meyer,; choreografische Mitarbeit: Myriam Lifka). Allen gemein ist eine sehr große Spielfreude.
Natürlich geht es auch bei „Der Graf von Luxemburg“ um das ewige Thema Geld und Liebe. Beides ist hier eng miteinander verwoben. Am Ende gibt es drei glückliche Liebespaare, Herz, was willst du mehr. Doch bis es dazu kommt, gilt es einige Hindernisse zu überwinden, entwickeln sich die Dinge zunächst anders, als von den Beteiligten erhofft.
Regisseur Robert Lehmeier lässt gerne nah der Rampe singen, was natürlich zu den auf Publikumswirksamkeit hin komponierten Arien passt. Insbesondere Thomas Blondelle in der Titelrolle stellt hier seine geschmeidige Tenorstimme mit Verve heraus, aber auch die Sopranistin Siphiwe McKenzie glänzt als graziöse Opernsängerin Angele Didier (in einem ausgefallenen Kleid).
Ein Highlight der Inszenierung ist die Beteiligung der Musikkabarettisten Geschwister Pfister. So ist Tobias Bonn („Toni Pfister“) als Fotograf Armand Brissard zu erleben, der auf der Suche nach einer ultimativen Venus ist und sich schließlich doch für seine Freundin Juliette (als Soubrette großartig: Katharina Konradi) entscheidet. Christoph Marti („Ursli Pfister“) gibt den alten Fürsten Basil Basilowitsch, dabei liefert er durch seine Schauspielkunst im dritten Akt ein Comedy-Lehrstück par excellence ab. Andreja Schneider („Fräulein Schneider“) gibt, ganz auf alte Grande Dame getrimmt, die energiegeladene und sich ihr Eherecht einfordernde Gräfin Stasa Kokozow.
Am Pult des hessischen Staatsorchester Wiesbaden sorgt Daniela Musca mit viel Fingerspitzengefühl für die musikalische Leitung.
Von einem Buhrufer abgesehen, viel Applaus.
Markus Gründig, Oktober 15
Die Csárdásfürstin
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 1. Januar 15
Das ambitionierte Jahresprogramm der Oper Frankfurt weist neben Klassikern, wie von Humperdinck, Monteverdi und Strauss, auch Raritäten, wie von Martinů, Riehm und Weinberg auf. Eine Sonderstellung im Programm nimmt allerdings zweifelsohne Emmerich Kálmáns erfolgreichste Operette „Die Csárdásfürstin“ ein (nicht ganz so bekanntere Operetten Kálmáns sind „Gräfin Mariza“, „Die Herzogin von Chicago“ und „Die Zirkusprinzessin“).
„Die Csárdásfürstin“ feierte am Silvesterabend 2014 in einer konzertanten Aufführung Premiere und wird, anders als sonst bei den konzertanten Aufführungen, ob seiner Popularität insgesamt vier statt zwei Mal gegeben. Obwohl das Werk mitten im 1. Weltkrieg uraufgeführt wurde, bietet es Operette pur: Hinreißende und leichtgängige Melodien, die zwischen sehnsuchtsvollen Liebesliedern und schwunghaften Walzern chargieren, gepaart mit einer leicht verständlichen Handlung und einem glücklichen Ende.
Die Oper Frankfurt zeigt „Die Csárdásfürstin“ zwar, anders als das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen und das Linzer Landestheater, wo die Operette jeweils kurz vor Weihnachten szenisch inszeniert wurde, als konzertante Aufführung, jedoch mit dezentem szenischen Habitus. Die Sänger stehen nicht wie sonst bei konzertanten Aufführungen fest an Stuhl und Notenpodest, sondern bewegen sich lebhaft vor dem auf der Bühne platzierten Orchester. Und singen, anders als es jetzt aus der Dresdner Semperoper mit Starbesetzung im Fernsehen zu sehen war und sonst auch meist üblich ist, nicht vom Blatt! Dies allein wertet die Frankfurter „Csárdásfürstin“ schon auf, wird dadurch das Gesungene doch wesentlich gefühlvoller und leidenschaftlicher vermittelt. Denn es geht immerhin um das größte Thema der Operettenwelt: die Liebe.
Dazu gibt es weitere kleine Auflockerungen. Wenn Feri von Kerekes beispielsweise ein Telegramm ankündigt, wedeln die Musiker mit einem kleinen Zettel. Anhand einer eingeblendeten Grafik wird zudem die Personenkonstellation des Liebeswirrwarrs verdeutlicht. Bei Stasis und Edwins Duett „Machen wir´s den Schwalben nach“ schunkeln die Chorsänger sanft, bei Sylva und Edwins Duett „Tausend kleine Engel singen“ schwenken sie an Feuerzeuge anmutende Minilampen, mitunter kommentieren sie auch kurz das turbulente Geschehen.
Neben dem Gesungenen, mit Hits wie „Machen wir’s den Schwalben nach“, „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“ oder „Tausend kleine Englein“ gibt es auch viele, wenn auch nicht alle, Dialoge zu hören. Hier gefällt vor allem Peter Edelmann, der als Feri von Kerekes und als Chansonnier charmant und gewitzt von Szene zu Szene überleitet. Seine angenehme wohltönende Baritonstimme kommt dabei gut an.
Großes Geschick bewies die Oper Frankfurt bei der Besetzung. Allen voran bei der Titelfigur, der Varieté-Sängerin Sylva Varescu. Sie wird als starke und selbstbewusste Frau glänzend und keck von Vida Mikneviciute gegeben, die hiermit ihr Debüt an der Oper Frankfurt gibt. Die gebürtige Lettin ist seit 2011 Ensemblemitglied am Staatstheater Mainz, und war dort zuletzt in „The Fairy Queen“ und in „La Traviata“ zu erleben. Ihrer Sylva haftet nichts Verruchtes an, sie fühlt und liebt tief. Und Mikneviciute verfügt über eine große kraftvolle Stimme, deren Akzent auch zum ungarischen Idiom passt. Die hohen Spitzentöne bewältigte sie souverän und mit expressivem Ausdruck.
Als Sylvas Liebhaber Edwin Ronald von und zu Lippert-Weylersheim bestach mit tenoraler Strahlkraft und großem Stimmvolumen Peter Sonn. Er macht auch schön die Zerrissenheit der Figur deutlich.
Bei der Premiere und bei der besuchten Vorstellung musste Ensemblemitglied Peter Marsh leider krankheitsbedingt absagen. Für ihn sprang kurzfristig Gideon Poppe, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, ein. Ein Glück im Unglück sozusagen, denn er gab Edwins Freund, den Grafen Boni, mit jugendlich leichtem, lebhaftem und herzhaftem Spiel. Kateryna Kasper bezauberte als Komtesse Stasi (in ihrer liebenswürdigen Ausstrahlung wäre sie sicher auch eine treffliche Sissi), ergänzend fügten sich Franz Mayer und Margit Neubauer als Edwins Eltern trefflich ein.
Was man auch über den von Tilmann Michael einstudierten Chor der Oper Frankfurt sagen kann. Schön zudem die Idee, ihn am Ende von der Seite auf die Bühne treten zu lassen und somit den Ensemblecharakter der überaus gelungenen Aufführung zu unterstreichen.
Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester sorgte Gastdirigentin Eun Sun Kim, die jüngst hier bereits Bellinis „La Sonnambula“ dirigierte, für einen prickelnden Kálman-Klang. Vom Publikum gab es reichlich Zwischenapplaus und einen starken Schlussapplaus.
Wer eine der ersten beiden Aufführungen versäumt hat, kann „ Die Csárdásfürstin“ noch am 4. oder 9. Januar 15 in der Oper Frankfurt erleben (alternativ auch beim Gastspiel der Oper Frankfurt in der Kölner Philharmonie am 5. Januar 2015).
Markus Gründig, Januar 15
Im Weißen Rössl
Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: 13. Juli 13
“…’s ist einmal im Leben so, grad der allerschönste Traum, bleibt nur Schaum…”
Es ist ein Klassiker und eines der erfolgreichsten Stücke des musikalischen Unterhaltungstheaters: Ralph Benatzkys 1930 uraufgeführte Singspiel „Im Weißen Rössl“. In Bad Vilbel war es zuletzt 1998 und 1999 in einer erquickenden Produktion des Frankfurter Theaters Willy Praml in der Alten Mühle zu sehen, mit leicht grotesken Umsetzungen, um die im Stück vorhandene Glückseligkeitssehnsucht als fatal bloß zu stellen. Die Inszenierung der 27. Burgfestspiele Bad Vilbel verzichtet auf moderne Regietheaterbezüge und belässt das Stück an seinem vorgesehenen Handlungsort, dem zauberhaften St. Wolfgang im österreichischen Salzkammergut, zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Schon die Bühne von Pia Oertel stimmt das Publikum auf die am Fuße des Schafberges gelegene Marktgemeinde St. Wolfgang ein. Rechts steht das Hauptgebäude des legendären Hotels „Der Weiße Rössel“ (mit einem ebensolchen an der Wand hängendem Emblem), mit einer mit Blumen versehenen grünen Girlande um die Eingangstür. Natürlich fehlt auch ein Balkon für das „Kaiserzimmer“ Nummer 4 nicht. Im Hintergrund ist eine zu begehbare Bergkulisse aufgebaut. Auf der linken Seite befindet sich vorne der Außenbereich der zum Hotelbetrieb gehörenden Gaststätte und hinten ein Stall, aus dem zur Freude der Zuschauer zwei Kuhköpfe schauen. Mit liebevollen Details wurde hier, bei aller notwenigen Einfachheit ob des ständigen Stückewechsels während der Festspiele, eine zauberhafte Atmosphäre geschaffen. Dazu zählen auch die dezent vom Band eingespielten typischen Landgeräusche, wie das Krähen eines Hahnes, das Muhen von Kühen und das Klingen ihrer Glocken. Auf den Wolfgangsee, an dem das Hotel ja liegt, wurde nicht ganz verzichtet, der Bühnenrand zum Publikum ist quasi das Ufer, hier strecken der Oberkellner Leopold und der Jungkellner Piccolo ihre Füße ins Wasser.
Lokalkolorit zeigen auch die Musiker in feschen Lederhosen, die allerdings verdeckt spielen müssen. Die legendären Schlagermelodien ertönen unter der Leitung von Stephan Ohm lebhaft und nicht platt. Des Kaisers Lied („’s ist einmal im Leben so“) wird gar von einer (elektronischen) Zither ummalt.
Der von Benedikt Bach einstudierte große Chor der Bad Vilbeler Burgfestspiele ist mit großer Spielfreude dabei, als wenig Zeit habende Touristengruppe, als Einwohner von St. Wolfgang, die ihrem Kaiser Franz Joseph I von Österreich (souverän: Ulrich Cyran, auch Reiseleiter der Touristengruppe) ein Morgenständchen singen und gar als Kuhherde (mit entsprechenden Masken).
Regisseur Benedikt Borrmann, der für die Burgfestspiele Bad Vilbel in den letzten Jahren vor allem die Schlagerrevuen schwungvoll inszenierte, zeigt auch hier wieder sein Können und eine für die Verhältnisse des Spielorts sehr subtile Personenführung, bei der alle Seiten für Auftritte genutzt werden. Dabei gibt es auch kleine Tanznummer (Choreographie: Stephan Brauer) und eine possierliche „Marionetten“-Szene (zu „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“).
Stark ist das Ensemble, allen voran mit Wolfram Boelzle als hoffnungslos verliebter Zahlkellner Leopold und Angelika Bartsch als energische „Rössl“-Wirtin Josepha Vogelhuber. Ihrem facettenreichen Spiel zuzuschauen ist eine Freude, vielleicht gerade auch deshalb, weil hier keiner ein Blatt vor dem Mund nimmt und sagt was er denkt und das führt zu vielen humorvollen Momenten.
Doch auch die weiteren Rollen sind hervorragend besetzt. Der gebürtige Kölner Axel Kraus gibt einen herrlichen Urgestein, den Berliner Unternehmer Wilhelm Giesecke. Jennifer-Julia Carons Ottilie ist eine Energie geladene und stets gut gelaunte junge Frau, Timo Ben Schöfer ist alles andere als ein nüchterner, trockneter Rechtsanwalt, sein Dr. Siedler besticht durch Verve. Dem steht konträr Rollen bedingt der Professor Hinzelmann des Kai Möller gegenüber, der nicht nur ruhig seine Urlaubsmomente genießt, sondern auch seine Sparsamkeit anzupreisen weiß. Als der schöne Sigismund betört Martin Brücker das Klärchen. Dieses gibt mit anrührender Zurückhaltung Regina Speiseder, die gleichzeitig als heißes Stubenmädchen Zenzi begeistert. Einnehmend bei „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?“, hier zeigen sie sich in traditionellen Badekleidern (Kostüme: Anja Müller). Stephanie Marin, dem Publikum bereits u.a. aus „Anatevka“ und „Kiss me, Kate“ bekannt, gefällt nicht nur als Briefträgerin Kathi Weghalter, sondern auch als Stubenmädchen und Schmusi von Piccolo. Diesen gibt Tino Leo, zwar ohne eigenes, dennoch spielt er sich mit seiner charmanten Art in den Vordergrund.
Gesprochen wird mit leichtem Dialekt, was die Urlaubsstimmung zusätzlich aufblühen läßt.
Zum Ende finden sich zwar alle Liebespaare dann doch recht schnell, eine gewisse Ernüchterung bleibt, schließlich “…’s ist einmal im Leben so, grad der allerschönste Traum, bleibt nur Schaum…“.
Super Stimmung, das Publikum klatscht bei einzelnen Liedern begeistert mit und spendete hinterher viel Beifall.
Markus Gründig, Juli 13
Die Fledermaus
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 9. Februar 13 (2. Wiederaufnahme-Premiere)
Johann Strauß´ „Fledermaus“ begründete den Weltruhm der klassischen Wiener Operette. Sein Opus magnum ist angefüllt mit walzerseligen Melodien. Die berauschende Musik berührt das Innerste und führt in eine Welt der Glückseligkeit, fern jeder Realität. Sie löst Gefühle von Unbeschwertheit, von Lebensfreude und Lebenslust aus und der Alltag ist bei diesen Melodien schnell vergessen. Ein Publikumsmagnet, der mit seiner ansteckenden Feierlaune gerne zu Silvester oder, wie jetzt, zu Fasching auf den Spielplänen steht. Die „Fledermaus-“ Inszenierung von Christof Loys hatte vor zwei Jahren ihre Premiere an der Oper Frankfurt, nun fand die zweite Wiederaufnahme statt. Loys ungewöhnliche Umsetzung zeigt, dass ein Operettenklassiker auch mit Niveau und Anspruch zu inszenieren ist und dennoch auch den Publikumsgeschmack trifft. Der starke und uneingeschränkte Applaus bei der Wiederaufnahme zeugt davon, dass Loys Inszenierung beim Publikum angekommen ist (zudem gab es viel Zwischenapplaus und viele herzhafte Lacher im Publikum) auch wenn sie nach der Premiere in 2011 zunächst kein uneingeschränktes Lob erfahren hat. Denn Loy hat hier vieles anders gemacht, als mancher Operettenfreund es von der „Fledermaus“ gewohnt ist. Aus den drei Akten hat Loy eine zweiteilige Fassung erstellt, bei der die Reihenfolge der Nummern neu arrangiert wurde. Nach der Ouvertüre beginnt die Operette bereits auf dem Ball und dann gibt es gerade im ersten Teil immer wieder Wechsel zwischen Szenen, die vor und während des Balls spielen. Manches Handlungsmotiv erfährt so mehr Plausibilität. Gewohnte, übliche Klischees nicht zu erfüllen, bietet einen neuen Blick auf ein bekanntes Werk. In diesem Fall vor allem auf die Personen, die bei Loy Individuen und keine Karikaturen sind. Ihre Beweggründe und ihr Charakter wurden deutlich herausgearbeitet. Dennoch muss man nicht auf anzügliche, glanzvolle und temperamentvolle Szenen verzichten.
Das Einheitsbühnenbild von Herbert Murauer (auch Kostüme) zeigt einen eleganten und großzügigen Wohnraum, der gleichzeitig als Wohnort Eisensteins wie als Palais des Prinzen Orlofsky dient (und später auch als Amtsstube des Gefängnisdirektors). Ortswechsel werden lediglich durch die unterschiedliche Ausleuchtung bemerkbar (Licht: Olaf Winter). Der von Matthias Köhler einstudierte Chor singt mit Verve aus dem Orchestergraben, während die neun Sänger und ein Musiker auf der Bühne (am Akkordeon französische Liebesstimmung verbreitend: Vassily Dück) von zehn Damen und Herren, den so genannten „Ballettratten“, unterstützt werden. Sie kommen vor allem bei den Ballszenen zum Einsatz und sorgen mit ihren lasziven Bewegungen für aufreizende Momente.
Bei den Sängern gab es bei dieser Wiederaufnahme eine bewerkenswerte Neubesetzung. (Noch) Ensemblemitglied Christiane Karg, die erst kürzlich als Mellisande triumphierte, gab ihr Rollendebüt als Adele und überzeugte dabei in ganzer Linie. Sängerisch bestach sie von ihrem ersten Lied an mit ihrer geschmeidigen und glanzvollen Stimme, brillierte aber vor allem auch darstellerisch als charmante wie feierwillige Balldebütantin (in weiteren Vorstellungen wird alternierend auch wieder Britta Stallmeister die Adele geben). Nicht neu dabei, aber dennoch die herausragendste Rolle mit viel trockenem Witz erfüllend: der Countertenor Martin Wölfel. Wobei er sogar gleich zwei Rollen inne hat. Den gelangweilten Prinz Orlofsky und die des trinkfreudigen Gefängniswärters Frosch. Gesanglich überaus souverän („Ich lade gern mir Gäste ein“), fallen seine im Falsett gesprochenen Textpassagen auf, wirkt er zunächst sprachlich wie ein altes Mütterchen. Seine Sonderrolle wird gleichwohl dabei deutlich gesteigert. Bei der besuchten Wiederaufnahmepremiere erhielt er den stärksten Schlussapplaus.
Daniel Schmutzhard gab einen jugendlich wirkenden Eisenstein par excellence, mit Schmiss und Leidenschaft zeigte er einen stürmischen Draufgänger. Kammersängerin Barbara Zechmeisters gefiel außerordentlich als liebestolle und temperamentvolle Rosalinde. Auch die weiteren Rollenbesetzung zeugten von hohem Niveau: Thorsten Grümbel als irritierter Gefängnisdirektor Frank, Stephan Rügamer als Gesangslehrer und Galan Alfred, Sebastian Geyer als Freund und Notar Dr. Falke, Hans-Jürgen Lazar als pointierter Advokat Dr. Blind und Andrea M. Dewell als Adeles beratende Schwester Ida. Das von Roland Böer geleitete Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte mit großer Hingabe die walzerseligen Champagnermelodien.
Die Fledermaus an der Oper Frankfurt: Eine Wohlfühlmedizin, ganz ohne Rezept!
Markus Gründig, Februar 13
Fatinitza
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 23. November 12
Nach zuletzt „Die Fledermaus“ (Jan. 2009), „Blaubert“ (Nov. 2009) und „Eva“ (Nov. 2011) wurde am Staatstheater Mainz für die Saison 2012/13 eine besondere Operetten-Rarität ausgegraben: Franz von Suppés „Fatinitza“. Der gebürtige Belgier, eigentlich Francesco Ezechiele Ermenegildo Cavaliere Suppè Demelli heißend, gilt als Begründer der Wiener Operette, dem später Größen wie Johann Strauß und Carl Millökker folgten. Zu seiner Zeit war Suppé sehr bekannt und populär. Durch seine Aufenthalte in Italien, mit Eindrücken von Donizetti und Rossini, zeichnen seine im Goldenen Zeitalter der Wiener Operette entstandenen Werke die Verbindung von italienischer Melodik und tänzerischer Eleganz und Leichtigkeit aus.
Am Staatstheater Mainz wurde „Fatinitza“ jetzt von der gebürtigen Amerikanerin Lydia Steier mit viel Aufwand und großem Ensemble inszeniert. Manches ist dabei sehr plakativ und stark überzeichnet. Aber Lachen ist gesund und wenn nicht im Theater, wo dann? Und wo gibt es derart viele Freiräume mit Klischees und Vorurteilen zu spielen und sie ad absurdum zu führen, wenn nicht auf der großen Bühne? So gibt es nicht nur ein wildes Huhn namens Olga an der Seite von Sergeant Steipann (kraftvoll: Ks. Jürgen Rust), sondern auch allerhand liebestolles Volk aller Klassen.
Dazu zwei groß gewachsene, schwarz gekleidete bauchfreie Leibwächter des Generals Kantschukoff (mit seinem Bass betörend: Ks. Hans-Otto Weiß), ein sechzehn Damen umfassender Harem, der von einem divenhaften Aufpasser (Mustapha: Florian Gierlichs) in Schach gehalten wird und einem vor Lokalpatriotismus und sportlicher Attitüde strotzenden „Reformtürken“ (mit tenoraler Verführung im schwarzen Jogginganzug mit goldenen Lettern: Alexander Spemann) gehört.
Gesanglich und szenisch im Mittelpunkt stehen zwei Frauen: Patricia Roach (als Fatinitza alias Wladimir Samoiloff) und Vida Mikneviciute (als Lydia). Insbesondere Patricia Roach gefällt mit ihrem lustvollen Spiel als vermeidliche Fatinitza (mit stark behaarter Brust und Beinen und einem Gemächt im XXL-Format). In Moskowiter Tracht (Goldstiefel, kurzen Lederrock; knappes Top; Kostüme: Ursula Kudrna) gibt sich Mikneviciute stark, auch stimmlich. Wobei die Aufführung eine sehr gute, geschlossen wirkende Ensembleleistung darstellt, bei der jedes Einzelnen großer Spaß an dieser Produktion auffällt.
Gesanglich hervorzuheben sind daher die mehrstimmigen Lieder, wie das Quartett „Eine Zuflucht winket Dir“ (Kantschukoff/Lydia/Vladimir/Julian), das Glocken-Sextett „Silberglöckchen rufen helle“ (Nursidah/Julian/Izzet/Diona/Zuleika/Besika) und die starke, auch schauspielerische, Leistung des von Sebastian Hernandez Laverny einstudierten Chores. Auch das Philharmonische Staatsorchester Mainz zeigt großen Enthusiasmus. An dessen Pult vermittelt Florian Csizmadia, der für einen noch volleren Klang nicht nur neue Bläserstimmen geschrieben hat, eine große musikalische Farbigkeit (die besonders in der schönen Ouvertüre und den Zwischenspielen auffällt).
Wobei Regisseurin Lydia Steier dem humorvollen Treiben dezent einen ernsten Rahmen gegeben hat. Die Verwechslungskomödie ist eingebettet in eine Berichterstattung eines rasenden Reporters. Den gibt es zwar auch schon in der Vorlage, nur wurde seine Rolle hier aufgewertet. Stets nach seiner Assistentin rufend, nutzt er das handlungsarme Geschehen, um Filmmaterial für eine neunteilige Dokumentation zu sammeln. Wie auch nicht nur eine Filmsequenz in Stummfilmmanier gedreht und eingeblendet wird, auch Kriegsbilder konterkarieren das bunte Treiben auf der Bühne (die Handlung spielte ursprünglich zu Zeiten des Krimkriegs). Das Spiel mit Geschlechterkonventionen, Vorurteilen und der Wahrheit erfährt somit eine weitere Ebene.
Auf die Bühne wurde von Katharina Schlipf neben einem Krämerwagen ein wandlungsfähiges Raumensemble gestellt. Der erste Akt spielt vor einem in die Jahre gekommenen bzw. inzwischen geschlossenen Armeegebäude mit Imbiss („Pizza“ und „Krapfen“ verkünden abgeblätterte Werbetafeln auf Russisch). Im zweiten Akt wird das Gebäudefragment gedreht und zeigt nun das herrschaftliche, vor Gold nur so glänzende Innere im Palast des Paschas. Für den finalen dritten Akt wird es in ein Realtainment Studio für die Julian von Golzs Show „Trau Dich!“ umgewandelt. Wobei die Handlung ursprünglich in der Türkei und Bulgarien, im Jahre 1877 spielt. Doch auch schon andere Produktionen haben die Handlung vorverlegt, in die Zeit des zwischen Russland und der Türkei stattfindenden Krimkriegs (1853-1856).
Ein großes, farbenfrohes Schlussbild entlässt den Zuschauer erheitert in die Nacht. Beim Verlassen des Mainzer Staatstheater summt es im Kopf noch weiter: „Wie schade, wie schade“… Musik die beim ersten Hören im Ohr bleibt, spricht für sich. Und diese humorvoll und mit so viel Leidenschaft dargebotene Farce hilft hervorragend gegen die trübe Stimmung von grauen Herbst- und Wintertagen.
Markus Gründig, November 12
L’ Étoile (Der Stern)
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 7. Oktober 11
Die Operette hat es im modernen Musiktheater nicht leicht. Abgesehen von einer handvoll Stücke, die regelmäßig auf den Spielplänen auftauchen (allen voran die Fledermaus), fristet sie ein Schattendasein, ist ihre Blütezeit schon lange vorbei. Und dennoch sorgt sie für volle Häuser und erreicht ihr Publikum. Der Oper Frankfurt, mit ihrem anspruchsvollen Programm zwischen Traditionspflege und Neuentdeckungen chargierend, wurde immer wieder angetragen, doch auch Operetten zu spielen. Abgesehen von der letztjährigen „Fledermaus“ ist es jetzt so weit. Zwischen kämpfenden Amazonen („Penthesilea“) und einem Liebe erfahrenen Drachentöter („Siegfried“) steht Emmanuel Chabriers Opéra-bouffe „L’Étoile“ (Der Stern) auf dem Spielplan. Zeit, sich gemütlich in den Opernsessel fallen zu lassen und an der turbulenten Geschichte des König Ouf I teilzuhaben, zumal die Operette erstmals in Frankfurt aufgeführt wird. Die Potpourri-Ouvertüre erfüllt die Erwartungen an eine heitere musikalische Form. Doch die einzelnen Arien sind anspruchsvolle, schöne Nummern, alles andere als platte Gassenhauer. Emmanuel Chabrier, ein Zeitgenosse und Anhänger Wagners, erweist sich hier nicht als Epigone, lediglich die Verwendung von musikalischen Motiven zeigt die Nähe zu Wagner auf.
Mit David Alden als Regisseur und Christophe Mortagne in der Hauptrolle des Königs Ouf I ist der Oper Frankfurt mit „L’ Ètoile“ ein überraschender Hit gelungen, auch für diejenigen, die sich dem Musiktheater eher mit vorsichtigen Schritten nähern möchten. Über versteckte Regietheatersymbole muss man hier nicht nachdenken und kann sich dennoch über anspruchsvolle Musik, grandiose Sänger und eine hochwertige Bühnenästethik erfreuen.
König Ouf I springt dem Tod von der Schippe, zumindest vorläufig. Wie es dazu überhaupt gekommen ist, wie er es schaffte und dabei sich auch noch ein Liebespaar fand, davon erzählt die dreiaktige Opéra-bouffe (französische Bezeichnung für eine heitere Oper), die an der Oper Frankfurt im französischen Original gegeben wird (mit deutschen Übertiteln). Regisseur David Alden ist in Frankfurt kein Unbekannter, hier inszenierte er vor neun Jahren bereits Franz Schrekers „Schatzgräber“. Zusammen mit Bühnenbildner Gideon Davey (auch verantwortlich für die bunten Kostüme) verlieh er der 1877 in Paris uraufgeführten Operette eine moderne wie überaus komische Szenerie (jedoch ohne das vorgesehene morgenländische Kolorit). Der erste Akt spielt in der Wartehalle eines Flughafens, in der Wartende die französische Tageszeitung „Le Monde“ lesen, inklusive Gepäcklaufband der „Etoile Air“, Reinigungskräften und Sicherheitsleuten. Ein idealer Platz für Ankommende und Abreisende. Für König Oufs Macht über sein Volk steht eine Überwachungskamera, die in der Mitte hängt. Der Astrologe Siroco fährt über einen engen Aufzug aus dem Bühnenboden hoch. Mit seinem Rauschebart, fettem Bauch und überdimensionierten Füßen könnte er auch einem Planeten aus Star Wars entstammen. An Atemnot leidend hängt er sich immer wieder an die Sauerstoffflasche, was akustisch verstärkt, mit abnormen, schrägen Geräuschen verbunden ist. Hinter dieser skurrilen Figur versteckt sich Simon Bailey, der hier vor allem schauspielerisch gefordert ist. Wie auch die Figur des König Ouf I. Diese gibt überaus spielfreudig der Franzose Christophe Mortagne, sei es als resoluter Herrscher auf dem Thron oder als sich als Müllmann unters Volk mischende. Seine Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Unbekümmertheit wirkt ansteckend, in seiner Furcht vor dem Tod leidet man gerne mit ihm. Dabei gefällt Mortagne auch vokal mit schönem tenoralem Schmelz.
Der zweite Akt spielt im Inneren von Oufs Palast, der hier als moderne Loftwohnung samt verspiegeltem Bad (für seine Selbstverliebtheit) gezeigt wird. Gesanglich im Mittelpunkt steht die Figur des Lazuli. Diesen gibt als Hosenrolle die irische Sopranistin Paula Murrihy, Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Farbenreich, innig und mit großem Gespür die Gefühlswärme Chabriers umsetzend. Als attraktive Damen bezaubern stimmschön Juanita Lascarro (Prinzessin Laoula) und Sharon Carty (Aloès). Den Fürst Hérisson de Porc-Epic (Stachelschwein) gibt mit erhabener Ironie Michael McCown. In weiteren Rollen sind dabei: Julian Prégardien (Tapioca), Hans-Jürgen Lazar (Patacha) und Sebastian Geyer (Zalzal).
Spiel- und sangesfreudig zeigt sich auch der von Michael Clark einstudierte Chor. Sechs Tänzer sorgen als Hofdamen in Oufs Harem für optische Freuden, die bis hin zu einem angedeuteten Can Can reichen (Choreografie: Beate Vollack). Nach einer plakativ gespielten Ouvertüre zeigte Henrik Nánási, designierter Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin, am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters feines Gespür für die rhythmische Faktur. Dabei geht die Musik nicht in Wagnerische Tiefe, erfreut aber, korrespondierend zum Bühnengeschehen, mit viel musikalischem Witz. Der immer näher rückende Tod wird mittels schwarzer Sterne angedeutet. Doch der Drang nach Lebenslust und Freuden siegt und so finden sich am Ende alle glücklich beisammen. Beschwingter, kräftiger Applaus für einen heiteren musiktheatralischen Ausflug.
Markus Gründig, Oktober 11
Blaubart
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 7. November 09 (Premiere)
Noch sind es vier Tage, bis die „fünfte Jahreszeit“ beginnt. Doch spätestens beim euphorischen Premierenschlussapplaus mit Cancan tanzendem Ensemble und Regieteam ist klar, das dieses Jahr in Mainz die neue Fastnachtskampagne früher als üblich eröffnet wurde. Das Publikum ist kaum zu halten und klatscht begeistert und einhellig im 2/4-Takt mit, nicht ein einziger Buhruf wird hörbar.
Dabei ist die Geschichte vom Ritter Blaubart alles andere als lustig. Schließlich ist die Hauptfigur ein liebesgieriger Potentat, der bereits fünf Frauen hat umbringen lassen und weitere umbringen will. Verantwortlich für diesen Coup zeichnet der junge Regisseur Søren Schuhmacher (der von Regiegrößen wie Andreas Homoki, Willy Decker und Christof Loy ausgebildet wurde), ein gebürtiger Hamburger und derzeitiger Wahl-Berliner. Wie schaffte er es als kühles „Nordlicht“ eine solch ausgelassene Stimmung auf die Bühne des Staatstheaters Mainz zu bringen, wo kein Ensemble sondern eine große Familie zu erleben ist? Hat ihm seine Studienzeit in Köln die rheinische Frohnatur nahe gebracht? Wie er im Vorfeld der Premiere berichtete, begeisterte ihn die außergewöhnliche Energie, die Spielfreude und die gute Zusammenarbeit am Staatstheater Mainz von Anfang an.
Schuhmacher verlegte die Handlung von der Bretagne nach Italien und zeigt das Stück als Mafiosikrimi der 20er-Jahre. Das erste Bild ist örtlich noch nicht geografisch festgelegt. Der Dorfplatz zeigt eine Fläche in der freien Natur, mit Schneeberg als angedeutetes Gebirge und ein WC-Häuschen als Hütte Saphirs. Ein Blumenbeet mit dunkelblauen Blumen, erfrorene Palmen und dunkle aufziehende Wolken im Hintergrund machen deutlich, dass es nicht bei den anfänglichen fröhlichen Liebesspielen mit roten Rosen bleiben wird. Der Ahnensaal im Palast des Königs beschränkt sich auf ein wechselndes Ahnenbild, im Garten lockt ein kleiner Pool und die Höflinge des Königs führen ihre Devotions-Übungen mit freiem Oberkörper und einem Handtuch um die Lenden durch.
Finster wirkt der Keller des Alchimisten, ein imposantes Labor im Stile Frankensteins, mit sechs Leichenkammern, einer Statuengalerie und im Hintergrund drohend vorbei schwimmenden Rochen. Mit großem Getöse werden die fünf gefangen gehaltenen Frauen aus ihrem gläsernen Kabinenversteck befreit. Demgegenüber fällt das letzte Bild etwas ab. Der Ballsaal im Palais des Königs Bobèche hat immerhin einen großen Kronleuchter, ansonsten aber nur einen golden schimmernden Bühnenprospekt und ein eingeblendetes Großbild eines feudalen Saales im Hintergrund (Bühne: Norbert Bellen). Doch zu diesem Zeitpunkt bedarf es keiner großen visuellen Ablenkungen, die Regie hat das Geschehen fest im Griff und lockt mit ständig neuen Highlights, dabei das ganze Geschehen auf die Schippe nehmend. So geben die Gefolgsleute Blaubarts ein „Maschinenpistolen-Ballett“ und laufen große und kleine Mäuse über die Szenerie, was das Publikum immer wieder zu Lacher und Zwischenapplaus motiviert.
Mit starker vokaler Präsenz gibt Alexander Spemann einen von dämonischen Zügen befreiten, leichtfüßigen Blaubart. Patricia Roach singt und spielt sich als resolute, lebens- und liebeslustige Boulotte im Reifkleid (Kostüme: Carola Volles) in den Vordergrund, während Kammersänger Jürgen Rust als König Bobèche vor allem sein komödiantisches Talent ausspielen kann. In den weiteren Rollen gefällt Patrick Probeschin als Alchemist Popani, genauso Axel Herrig (bekannt als „Falko“), der kurzfristig die Rolle des Graf Oscar übernahm, Alexander Kröner als jugendlicher Prinz Saphir, Inga-Britt Adersson als seine auserwählte Fleurette und Katherine Marriott als deren Mutter (Königin Clementine). In das bunte, karnevalistisch angehauchte Treiben, fügt sich der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor mit großer Spielfreude ein. Thomas Dorsch leitet das Philharmonische Staatsorchester Mainz mit starkem Verve, bringt Offenbachs schwarzen Humor zum funkelnden Glühen und zweischneidige Musik
Zum großen Schlussbild fallen kleine Glitzersterne vom Bühnenhimmel und eine Sprechblase verkündet „… to be continued“. Dermaßen aufs Feiern eingestimmt, kann die Meenzer Fassenacht 2010 kommen und lässt sich die Wartezeit auf eine Fortsetzung leichter überbrücken.
Markus Gründig, November 09
Die Fledermaus
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 25. Oktober 08 (Premiere)
In Frankfurt haben Operetten Seltenheitswert. Allenfalls in der Alten Oper oder der Jahrhunderthalle ist ab und an eine Gastspielproduktion auf großer Bühne zu sehen. Da hat es das Publikum etwa in Mainz oder Wiesbaden schon leichter, hier stehen Operetten regelmäßig auf den Spielplänen der Großen Häuser, allen Unkenrufen zum Trotz. Neben einer meist leicht zu verstehenden Geschichte bieten Operetten nach wie vor beste Unterhaltung mit leichter, oftmals ins Ohr gehender Musik.
Einen Beweis für die Aktualität von Operetten bietet jetzt ausgerechnet das schauspielfrankfurt, mit Karin Neuhäusers avantgardistischer Interpretation des Operettenstücks par Excellence: Johann Strauss´ Fledermaus.
“Trinke Liebchen, trinke schnell“, „Ich lade gern mir Gäste ein“ und „Mein Herr Marquis“ sind nur einige der Fledermaus-Hits, die ab sofort lustvoll das Frankfurter Publikum verführen wollen und den Traum von einem leichteren Leben ohne Alltagssorgen schüren. Dabei kommt die Inszenierung ohne ausgewiesene Sänger aus, es ist das Ensemble vom schauspielfrankfurt, dass sich hier famos in das Herz der Zuschauer singt und spielt.
Neuhäuser hat das Stück gekürzt, bloßgelegt und dezent mit weiteren aktuellen Musikstücken ergänzt (wie Katie Meluas „Lilac Wine“), um die Strausssche Gefühlswelt ins Heute zu übertragen.
Mit vielen humoristischen und parodistischen Einfällen bewegt sie sich allerdings auch knapp an der Grenze zur Klamotte.
Das auch in Erwachsenen noch Kinder stecken können, zeigen die Kostüme (Franz Lehr). Die illustre Festgesellschaft präsentiert sich als Vertreter der Comic-Generation (mit Kermit, Miss Piggy, Panzerknacker, Asterix und Obelix). Mit spitzen Witzen geben Statler und Waldorf, die vom Balkon aus kommentierenden älteren Herren aus der Muppets-Show, ihr Bestes. Als Hilfe für die Zuschauer gibt es Übertitel für die Liedtexte und die Vorgeschichte von Dr. Falkes Erniedrigung wird als Video eingeblendet.
So bunt wie die Gäste, ist auch die an einen Kindergeburtstag erinnernde Bühne (auch Franz Lehr). Auf der Drehbühne wurde für jeden der drei Akte ein nahezu leerer Raum geschaffen, mit plakativen Luftballontapeten (und einem Meer von Luftballon im Chambre séparée der Orlofskyschen Villa).
Neuhäusers Trumpf ist die Homogenität des Ensembles, bei dem sich Stefko Hanushevsky mal wieder selbst übertrifft. Als androgyner, glatzköpfiger Prinz Orlowsky im schwarzen Leder und Tutu, glänzt er sängerisch, die ganze Bandbreite seiner Stimme auslotend und mit mimischen Feinspiel. Herrlich schrullig die Ordnung bewahrend, gibt Mechthild Grossmann den Gerichtsdiener Frosch.
Ein kleines Musikensemble unter der Leitung von Matthias Flake sorgt für eine spritzige Begleitung.
Markus Gründig, Oktober 08
Der Vetter aus Dingsda
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 31. März 07 (Premiere)
Ein breites Spektrum musikalischer Werke bietet das Staatstheater Mainz in dieser Saison, der ersten von Intendant Matthias Fontheim. Nach Oberon, Kein Ort Nirgends, Die Zauberflöte und Pelléas et Mélisande feierte nun der beliebte Operettenklassiker „Der Vetter aus Dingsda“ Premiere im Großen Haus, ein wunderbarer Dessert, wie ein Herr beim Herausgehen anmerkte. Ein wunderbares Dessert ist etwas, was man sich zwischen Zunge und Gaumen zergehen lassen kann, wo goutierend Glücksgefühle freigesetzt werden.
Dem stimmungsvollen Schlussapplaus im Takt folgend, hat das Publikum im Staatstheater Mainz in der Tat diesen Abend goutiert.
Eingängig sind die Melodien mit Ohrwurmqualität von Eduard Künneke, die vor allem bei den reiferen Besuchern noch wohl bekannt sind („Strahlender Mond“, „Ich bin nur ein armer Wandergesell“). Aber gerade wegen Ihrer Eingängigkeit, gefällt diese mitreißende Musik auch unmittelbar demjenigen, der diese Operette dass erste Mal hört.
Das Inszenierungsteam von Philip Tiedemann macht aus der Unnatürlichkeit des Komödienhaften Stoffes keinen Hehl und zeigt das Stück recht traditionell, als großes Puppentheater. Dieses steht in Form eines klassizistischen Hauses nach hinten versetzt auf der Bühne. Der große Wohnraum verbirgt sich zunächst noch hinter einem dunkelroten Vorhang, so dass die Szenerie an den Anfang einer jeden Folge der Augsburger Puppenstube erinnert. Die Darsteller sind hier aber nicht an Fäden aufgezogen sondern haben allesamt einen zweiten Unterleib: in verkleinerter Form bei gleicher Ausstattung. Wenn Sie diesen über den Rand des Wohnraums hängen, ergeben sich stets komische optische Eindrücke. Auf Tänze wird verzichtet, dafür bewegen sich diese Halbpuppen umso mehr und auch das Haus gerät im Laufe der Handlung immer mehr ins wanken. Lokalstar Franz Pohl sorgt als Bühnenhausmeister nicht nur für das Auf- und Zuziehen des Vorhangs, er betreibt auch das Donnerblech und die Windmaschine, vor allem aber bewegt er durch Drehen an der Kurbel dafür, dass am vorderen Bühnenrand die unterschiedlichsten Requisiten (neben Wein, Gläsern auch ein Boot) entlangfahren. Das Haus öffnet sich mitunter nach hinten und gibt den Blick frei auf eine zauberhafte Waldlandschaft oder einen Sternenhimmel, bei stimmungsvollster Ausleuchtung.
Das unter der Leitung von Sebastian Hernandez-Laverny spielende Philharmonische Staatsorchester Mainz hatte hörbar Spaß an dem Mix aus gefühlsvollen Liedern und flotten Schlagern. Überzeugt haben auch die sängerische und schauspielerischen Darbietungen (hier mit englischen, französischen und italienischen Einschlag). Kerrie Sheppard als Julia de Weert und Alexander Spemann (mit schönem Schmelz) als August bildeten das Hauptpaar. Ihr Glück fanden auch Hannchen (temperamentvoll: Evelyn Czesla) und Roderich (jugendlich: Martin Erhard), in alter Verbundenheit blieben Josse (komödiantisch stark: Ks. Jürgen Rust) und Wimpel (Edith Fuhr). Dazu mit gleicher guten Laune dabei: Egon von Wildenhagen (Patrick Pobeschin) als ungeschickter Verehrer (der am Ende einen Phallus-Kaktus als Geschenk präsentiert) und die Diener Hans (Lothar Berberich) und Karl (Reiner Weimerich).
Der Traum vom Glück, hier kann er geträumt werden und goutiert, eben wie ein leckeres Dessert.
Markus Gründig, April 07
Die verwandelte Katze
(La Chatte Métamorphosée en femme)
Die andere Seite der Oper Frankfurt
Der Abend beginnt nicht um 19.30h oder 20.00 Uhr, nein es ist 22.15h als die Musiker mit der Ouvertüre beginnen. Das Publikum sitzt auch nicht schön brav in Reih und Glied im großen Saal der Oper, sondern bequem an kleinen Bistrotischen mit weißer Tischdecke, Wein und Kanapees in entspannte Atmosphäre vor einer kleinen Bühne.
Bereits in der Saison 2003/04 präsentierte die Oper Frankfurt erfolgreich die Reihe „Offenbachiade“ zu später Stunde. Jetzt folgte als Nachzügler der Operetten-Einakter „Die Verwandelte Katze“ von Jacques Offenbach in der Inszenierung von Spielleiter James McNamara.
Vor dem noch geschlossenen roten Vorhang steht ein kleines Körbchen und mittendrin irgendetwas kleines Schwarzes, das sich ab und an zaghaft bewegt. Beim Einsetzen der Musik fängt es an sich richtig zu räkeln und plötzlich erkennt man auch einen Kopf, Pfoten und dass es sich um ein kleines Kätzchen handelt. Schleck, schleck, die Pfötchen müssen sauber sein. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei in eine kleine Stube mit türkiser Tapete und zwei Geweihen an den Wänden. Schon stolziert Kammerzofe Marianne in Hausschuhen (herrlich: Birgit Schmickler) in die kleine leere Stube ein, nimmt das Kätzchen liebevoll auf den Arm und erzählt von ihrem Herrn Junggesellen Guido (Michael McCown, schön komisch), der kurz drauf erscheint, ebenso wie der Magier Dig-Dig (Zoltán Winkler). Schnell hat Dig-Dig seinen Zauberring an Guido verkauft, womit dieser die Verwandlung der geliebten Katze in eine attraktive Frau vollzieht und sich ein Haufen neuer Probleme auftun…
Dabei ist die Sopranistin Juanita Lascarro in der Rolle der verwandelten Katze Minette der Star dieses Quartetts. Sie schleckt weil’s einfach in ihr steckt, nicht nur reichlich Sahne, wälzt sich auf dem Boden und faucht gehörig herum, sie weiss auch Guido ihre Krallen zu zeigen.
Im Publikum immer wieder reichlich lautstarke Lacher, schließlich war die Operette einst als zeitsatirische und gesellschaftskritische Form des Musiktheaters entstanden.
Bei dieser lustigen Unterhaltung zu später Stunde wird aber auch anspruchsvoll gesungen und unter der Leitung von Hartmut Keil spielt das fünfköpfige Instrumentalensemble mit viel Schwung. Die Spielfreude der Darsteller wie der Musiker schwappt vom ersten Takt an auf das Publikum über.
Leider ist die einaktige Operette viel zu schnell vorüber, hier würde man gerne die ganze Nacht sitzen und dem lustig fröhlichen Treiben zuschauen.
Auch wenn die Oper Frankfurt nicht ihre Stärke im Operettenbereich sieht, hier ist sie besser als sie denkt. „Die verwandelte Katze“ zeigt dass auch die leichte Muße durchaus ihren Platz am Main haben kann, ohne in die Trivialität zu verfallen. Das Potential Ihres Ensembles ist groß genug, auch dieser Herausforderung zu begegnen.
Markus Gründig, September 05