kulturfreak.de Besprechungsarchiv Musical und Show, Teil 5

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Elisabeth

Stuttgart, Apollo-Theater

Die Geschichte des Musicals „Elisabeth“ gleicht einer europäischen Musik-Theater Erfolgsgeschichte ohne gleichen. Von der Presse nach der Uraufführung 1992 überwiegend abgelehnt, eroberte Elisabeth dennoch schnell die Herzen, nicht nur die der Wiener. Elisabeth lief bereits in Essen, Japan, Ungarn, Schweden, Holland, und Italien.

Nach einer zweijährigen Pause ist es nun auch wieder in Deutschland zu sehen, diesmal im Stuttgarter Apollo-Theater, wo schon 42nd Street, Tanz der Vampire und Miss Saigon zu sehen waren.
Angestaubt ist es dabei in keinster Weise. Die Melodien Sylvester Levay´s begeistern nach wie vor und die Stuttgarter Inszenierung zeigt ein ausgereiftes, bewährtes Produkt. Nach Harry Kupfer bei der Wiener Uraufführung und Eddy Habbema bei der deutschen Erstaufführung in Essen, führt nun der erfahrene Theatermann Dennis Callahan die Regie und auch wieder die Choreographie.
Überraschendes gibt es daher nicht, in kleinen Punkten wird der Elisabethkenner lediglich marginale Veränderungen feststellen.

Die Besetzung greift mit Maike Boerdam, Carsten Lepper und Nico Gaik auch auf ein Elisabeth erfahrenes Darsteller zurück. Allen voran die Holländerin Maike Boerdam, die auch schon in Essen mit dabei war. Im aktuellen Prospekt wird auf dem Titel zwar noch der „Ur-Elisabeth“ Pia Douwes Tribut gezollt, doch mit Maike Boerdam ist eine würdige Nachfolgerin dabei.
Stimmlich hervorragend schafft sie die Höhen bei „Ich gehör nur mir“ mit einem kräftigen Klang, zeigt insbesondere als alternde Elisabeth viel Einfühlungsvermögen und wirkt durch Ihre erfrischende jugendliche Ausstrahlung immer wieder sehr gewinnend und glaubwürdig.

Carsten Lepper war der Überraschungsdarsteller bei der Essener Produktion und er spielt den Luccheni weiterhin mit großer Leidenschaft und souveränen Gesang.

Neu bei Elisabeth ist der gebürtige Ukrainer Olegg Vynyk, der zuletzt als „Jean Valjean“ bei „Les Miserables“ in Berlin zu sehen war. Auch bei Elisabeth begeistert er durch seine kraftvolle Stimme und gibt dem Tod die nötige Kraft.

Ein Musicalhit, eine runde und  perfekte Inszenierung, wo einfach alles stimmt. Also hingehen und genießen!

Markus Gründig, März 05


Tommy – Das Musical

Eine Besprechung der Niederländischen Tournee-Produktion

Nach langer Zeit, zuletzt im österreichischen Amstetten, ist auf einer europäischen Bühne wieder das Musical Tommy in einer professionellen Inszenierung zu sehen und zu hören.
Am 26. Januar startete in Breda (NL) das von Pete Townshend und Des Mcanuff geschriebene Rock-Musical.
Das Bühnenbild ist einfach gehalten. Eine große rote Wand mit „See me, Feel me, Heal me“ Schriftzeichen zieht sich über die gesamte Bühnenbreite. Je nach Szene teilt sich die Wand in der Mitte und gibt eine Öffnung frei, aus der die Akteure hervorkommen. Hinter der besagten Wand befindet sich eine durch 8 Säulen gestützte Bühne, auf der das 9-köpfige Orchester untergebracht ist.
Der Cast des Musicals kommt überwiegend aus Amerika und ist hier relativ unbekannt. Die Rolle des Tommy wird von John Conver gespielt. Stimmlich überzeugt er voll und ganz und sein Vorbild, der Ur-Tommy aller Tommys, Michael Cerveris, ( für andere mag es Roger Daltrey sein ) wäre sicherlich voll zufrieden mit ihm. Schauspielerisch könnte er noch etwas zulegen, was aber mit Sicherheit im laufe der Tour noch kommen wird.
Jessica Rohlfing ist mit der Rolle „Mrs. Walker“ bestens vertraut. Sie spielte ihre Mutterrolle, so Michael Boersma, Executive Producer der Theatrical Management Group (TMG), schon in der Broadway-Aufführung. Gesanglich kann sie sich zwar an einigen Stellen gegenüber dem mächtigen Orchester nicht durchsetzen, was aber auch etwas an der Technik liegt. Hier fehlt es noch etwas an der perfekten Abmischung. Zusammen mit Michael J. Vergoth (Captain Walker) bildet sie ein gutes Team. Auch er ist in dieser Rolle kein unbekannter. Er spielte diese Rolle schon auf der Tournee in Brasilien und New Mexico. Vergoth überzeugt stimmlich und schauspielerisch. Besonders gut war das Zusammenspiel beider in „I Believe My Own Eyes“.
Eine besondere Überraschung war Erin Childs. Sie spielt den kleinen 4- und 10-jährigen Tommy. Den 4-jährigen Tommy nimmt man ihr im Gegensatz zum 10-jährigen Tommy nicht ab. Völlig überrascht dürfte der Zuschauer aber sein, wenn er erfährt, dass Erin bereits 21 Jahre jung ist.

Brian G. Gallagher ist ein echt fieser Cousin Kevin, der seiner Rolle voll gerecht wird. In „Pinball Wizard“ brilliert er mit seinen Pinball-Lads. Diese Szene ist Daniel Stewart (Choreographie) gegenüber vielen anderen Tommy-Choreographen bestens gelungen. Diese Szene, ein absoluter Höhepunkt am Ende des ersten Aktes wird nur von der Offenbacher Broadway-Version getoppt. Selbst Kim Duddy (Tommy Amstetten), eine ansonsten sehr gute Choreographin, hatte hier ihre Schwierigkeiten. So brillant der „Pinball Wizard“ ist, umso weniger gefällig sind die Szenen bei der „Acid Queen“. Allen ist bestens bekannt, dass die Acid Queen kein braves Mädchen war und es, sozusagen böse trieb – besonders wenn man sich an den Film erinnert. Das rechtfertigt aber meiner Meinung nach nicht, auf der Bühne Ausschnitte aus dem Buch der Lüste, von Vatsyayanas Kamasutra darzustellen. Männlein und Weiblein oder auch Männlein und Männlein verlustieren sich hier frei auf der Bühne. Das hat mit Tommy nichts zu tun und ist hier eindeutig fehl am Platz !! Des weiteren ist der Zuschauer durch die Akteure derart vom eigentlichen Geschehen abgelenkt, dass die „arme“ Acid Queen, hier gespielt von Val Moranto, völlig in den Hintergrund gerückt wird. Auch wenn sie nicht an ihre Vorgängerinnen heran kommt, erkennt man ihre wahren Talente erst bei einem zweiten Besuch, wenn man sich nur auf sie konzentriert.

Die Show, welche sich nach der Broadway-Inszenierung orientiert, bietet auch interessante Erweiterungen. Bevor sich z.B. die Chorus Line im Weihnachtslied „Christmas“ wiederholen kann, kommen zwei körperlich Behinderte Personen im Rollstuhl und auf Krücken auf die Bühne. Diese werden von einer Heilspredigerin von ihren Handicaps geheilt. Bei Tommy funktioniert die Wunderheilung nicht. Hier darf und muss sich „Christmas“ zum Gospelsong steigern, was das Ensemble auch mit Freude ausspielt.

Das musikalische Neu-Arragement bei der Szene im Jugendclub „Sensation“ kommt gut an. Der härtere Beat zum Ende des Liedes fällt positiv auf.

Uncle Ernie, gespielt von Chris van Vleet, spielt seine Rolle gut. Allerdings wird in der Solorolle vor „Miracle Cure“ nicht eindeutig an wen er eigentlich sein Bild des „befreiten“ Tommy Walker verkaufen möchte. Hier hätte Daniel Stewart die Szene etwas besser ausfeilen müssen. Den Newcomern, die Tommy nicht kennt, wird diese Szene Rätsel aufgeben.

Hervorragend gelungen ist die Szene im Krankenhaus. Durch 4 rollende wandähnliche Abtrennungen werden Ärzte und Krankenschwestern verdeckt auf die Bühne gebracht die sich um Tommy kümmern – und wieder entfernt. Durch ein ständiges kommen und gehen werden Szenen sehr schnell verändert. Durch fortlaufend neu entstehende Bilder ist sehr viel Schwung im Geschehen und kommt sehr gut an.

Szenen- und Kostüm-Design sind durchgängig gut gelungen. Nur an zwei Stellen hat man sich etwas vertan, was aber den meisten Musicalbesuchern nicht so auffallen dürfte. Als „historischer Stilbruch“ kann man die weiße E-Gitarre ansehen, die Tommy in der Weihnachtsszene (1951) geschenkt wird. Der Durchbruch von E-Gitarren kam erst eine Dekade später. Auch die Hippies die in „Welcome – Come to my house“ waren etwas zu früh angesiedelt.

Ein extra Lob verdient die Technik in Zusammenhang mit der Choreografie und Lichtdesign. Hier wird großes geleistet. Egal was es zu unterstützen gilt, ob einfache Lichtprojektionen oder aufwendige Bilder, die Stimmungen, die historischen Akzente oder die Scheinwelt des kranken Tommy, es passt hervorragend.

Genau so hervorragen passt der Soundteppich der Band. Solistisch und als Orchester ist alles makellos. Es ist ein Genuss der Band zu lauschen. Nur die eingeschworenen THE WHO Fans werden die freien Improvisationen vermissen.

Ein besonderes Lob gebührt dem 1. Gitarristen Peter Autschbach. Sein Gitarrenspiel ist genial. Allerdings muss man hierzu auch anmerken, dass er in rund 400 Shows bei der Offenbacher Broadway-Version von Tommy der Lead Gitarrist war und somit schon einen enormen Vorsprung vor seinen Bandkollegen hat.

Das Finale um „Listening to you“ wurde umgebaut. Tommy steht nach „We’re not gonna take it“ alleine, einsam und verlassen auf der Bühne. Mit „See me, feel me…” stimmt er das große Finale an. Langsam öffnet sich die große Wand und gibt den ganz in weiß gekleidet Cast frei. Dieser schreitet langsam nach vorne und stimmt in die Schlussakkorde mit ein „…Listening to you I get the music, gazing at you, I get the heat…“

Auf das letzte Schlussbild, in welchem die unterschiedlich großen Tommys auf der Bühne alleine stehen, welches man von der Broadway-Show her kennt, wird verzichtet.

Die Tour-Version der Niederländischen Tommy-Inszenierung von TMG ist ein Genuss und durchaus sehens- und empfehlenswert. Der Tommy-Fan wird es genießen, andere werden es genießen lernen.

Heinz Haberzettl und Siegfried Fröhlich, Januar 05


La Cage aux Folles

Staatstheater Wiesbaden, Januar 05
 

Ich lebe,
und will mich nicht dafür genieren,
lebe und will keinen Augenblick verlieren.
Es hat keinen Sinn, wenn man nicht sagt:
Hey, Welt, ich bin, was ich bin.

(Jerry Herman)

Vor 21 Jahren wurde die Musicalversion von La Cage aux Folles am Broadway uraufgeführt, seit Dezember 04 läuft dort eine Neuinszenierung dieses zum Musicalklassiker avancierten Stückes.
Auch dass Staatstheater Wiesbaden hat sich erneut in das St.Tropez der fünfziger Jahre begeben, in den Nachtclub von Albin und George.
Im Großen Haus tanzen die „Cagelles“, jene aufgedrehte Wesen wo der Zuschauer nie so genau weiss, ob sich ein Mann oder eine Frau dahinter verbirgt.

La Cage aux Folles
Staatstheater Wiesbaden
Georges (Ansgar Schäfer) und Albin/Zaza (Urs Affolter)
Foto: Martin Kaufhold

Die Wiesbadener Inszenierung bietet ein buntes, fröhliches und äußerst unterhaltsames Spiel, mit einigen berührenden ernsten Momenten, von Iris Gerath-Prein und Iris Limbarth mit viel Fingerspitzengefühl bezaubernd in Szene gesetzt.

Gerath-Prein und Limbarth haben sich streng an die Vorlage gehalten. Nur in wenigen Texten wird ein aktueller Bezug hergestellt. Etwa wenn gefragt wird, ob zuviel Jelinek gelesen wurde oder wenn von den „warmen“ Thermen der Stadt Wiesbaden gesprochen wird.

Die Frühstücksszene in der Albin eine Lektion in männlicher Haltung verordnet bekommt, wird klasse eingeleitet: was der Ort an „Sahneschnitten“ zu bieten hat, läuft knapp bekleidet am Strand ein, da verblassen selbst die hübschesten Frauen.

Doch nicht schockieren will das Musical, noch eine falsche Welt darstellen, sondern am Beispiel des schwulen Paares Albin und George eine Gesellschaftsform zeigen, in der die Beteiligten genauso wie alle anderen auch ihre Alltagssorgen haben und dennoch immer wieder weiter machen. Mit ihrem Club schaffen sie es noch zusätzlich die Heterosexuellen Besucher für ein paar Stunden alle Sorgen vergessen lassen zu können.
Bei alledem wird nicht nur Spaß vermittelt, sondern auch das Plädoyer den Anderen so zu akzeptieren wie er ist (und sich selbst natürlich auch).

Das dies hervorragend gelungen ist, liegt vor allem an Urs Affolter als Albin/Zaza und Ansgar Schäfer in der Rolle des Georges.
Affolter gibt Albin/Zaza mit viel Würde, Herzenswärme und Gefühlen, die betroffen machen, wobei seine Tuntigkeit sehr gemäßigt ist, längst nicht so übertrieben wie etwa bei einem Bully Herbig.
Es sind vor allem die innigen, leidenschaftliche Momente in denen er Mitleiden und Mitgefühle hervorruft (z.B. wenn er alleine auf der großen Bühne steht, unmittelbar vor „Ich bin was ich bin“ und Tränen überströmt an Fassungslosigkeit fast zu zerbrechen droht).
Ansgar Schäfer gibt den Georges stark und männlich, mit viel Sympathie und Natürlichkeit.
Butler/Zofe ist hier nicht wie sonst meist üblich ein farbiger Darsteller. Erik Biegel mit roter Stöckelschuhe und ausgefallenen Kleidern versehen braucht etwas um in Fahrt zu kommen, ist dann aber nicht mehr zu stoppen.
Die „Cagelles“ (u.a. Thomas Peters (Mercedes), Marcelo Marinho (Phaedra), Martin Hirner (Hanna) und
Frank Wöhrmann (Chantal ) wurden genauso wie Zaza von José-Manuel Vazquez ausgefallen bekleidet. Meist in Taff und Tüll, doch auch mit Krötenkopf und Lederdress versehen. Kostüme die in Erinnerung bleiben.
Die anderen Darsteller blieben bedingt durch die Rolle etwas blass. Tobias Bode als Sohn Jean-Michel spielt beispielsweise mit großem Einsatz, doch wurde er leider in ein recht eintöniges Äußere gesteckt. Ehepaar Dindon (Wolfgang Vater und Evelyn M. Faber) haben wenig zu sagen, ebenso die Tochter (Myriam Lifka).

Die vier auf der Drehbühne stehenden Bühnenbilder von Christian Floren zeigen das großzügige, in klassisch weiss gehaltene Wohnzimmer (natürlich mit ein paar „eindeutigen“ Utensilien versehen), die riesige Showbühne des „La Cage aux Folles“ mit dazugehöriger Treppe, den Backstagebereich (an den Wänden unter anderem ein Plakat der original Broadwayproduktion von 1983 und ein Plakat von Gaines Hall als Chantal) sowie eine Straßenschlucht in St.Tropez (mit hellblauen Hintergrund, ohne Meerblick). Dazu gibt es aber auch ein mehrstöckiges, mit farbig leuchtendem Hintergrund versehenes Gerüst, auf denen die Cagelles ganz besonders zur Geltung kommen.
Die Bühnenwechsel erfolgen angenehm schnell, im gleichen Tempo führt auch Uwe Sochaczewsky das Hessische Staatsorchester Wiesbaden durch den Abend.

Das überwiegend konservative Wiesbadener Premierenpublikum zeigte sich an dem Abend äußerst Musicalbegeistert: ständiger Zwischenapplaus zeigten schnell, das Stück kommt bestens an. Langanhaltenden Schlussapplaus gab es dann natürlich auch.

Eine fröhliche, schöne Abendunterhaltung, nicht nur zur Faschingszeit.

Markus Gründig, Januar 05


Die Schöne und das Biest

(Alte Oper, Frankfurt, Januar 05)

Erfolgreiche Musicalproduktionen regen zum Nachahmen an und so kommt es immer wieder vor, das zeitgleich zu Esuite -Produktionen auch Tourneeversionen eines Musicals durch die Lande ziehen. Das diese Musicals jeweils verschiedene Komponisten und Texter haben, fällt dabei vielen Besuchern gar nicht auf.
Die bekannte Disney-Produktion von „Die Schöne und das Biest“ läuft schon seit einigen Jahren nicht mehr in Stuttgart (aber seit 1994 ununterbrochen am Broadway), doch der Titel zieht noch immer und so macht die aktualisierte Produktion der La Belle Musical Produktions GmbH von „Die Schöne und das Biest“ nach München derzeit in Frankfurts guter Stubb, der Alten Oper, Station.

Wer denkt, hier erwartet ihn ein billiges Plagiat wird schnell eines besseren belehrt. Ein für eine Tourneeproduktion eindruckvolles Bühnenbild, ausgefallene und aufwendige Kostüme, tolle Sänger und Darsteller, unterstützt von einem Live-Orchester, lassen den Besuch zu einem zauberhaften emotionalen Musicalerlebnis werden.

Die Schöne und das Biest wurde von Alexander Goebel nach der Idee und dem Konzept von Andrea Friedrichs und Hans Holzbecher flott inszeniert. Große Ensemblenummern (Choreographie Musicalstar Paul Kribbe) wechseln mit stimmungsvollen Balladen, die nahtlos ineinander übergehen. Dazu gibt es sogar noch einen schönen Pas de Deux zu sehen.

Schon bei der Eröffnungsnummer „Das Dorf am Rand der Stadt “ steckt die Fröhlichkeit und Energie der Dorfbewohner an und schraubt die Erwartungen höher: sie werden nicht enttäuscht. Sabine Neibersch gibt die Bella mit viel Wärme, Großmut und Natürlichkeit, liebreizend wie einst Romy Schneider. Stimmlich liegt sie immer richtig, verliert dabei niemals an Strahlkraft und Intensität, wunderbar ihr „Irgendwann“.

Hans Holzbecher hat rollenbedingt als Biest eine grauenvolle Fratze. Mit kraftvollem, warm tönenden Timbre ersingt er sich die Zuneigung aller und sorgt bei „Warum ich“ für eine Gänsehaut.

Anja Kruse als Fee spielt und singt mit großer Präsenz und Magie. Wobei diese Produktion außer bei ihr nicht auf die ganz großen Namen im Musicalbusiness setzt, dies aber auch gar nicht nötig hat, so sehr überzeugen die Hauptdarsteller und auch all die Anderen. Erwähnt seien als lustig schräges Clownpaar die bösen Schwestern Ilse (Marny Bergerhoff) und Grete (Michaela Kaiser), David Morell als der Vater (trotz Erkältung) und Dirk Witthuhn als bravouröser, naiver aber umso elanvoller Herzensbrecher Gustav. Wobei Witthuhn längst kein Unbekannter in der Musicalszene mehr ist, sein größter Erfolg bislang: die Inszenierung der Uraufführung von „Das Mädchen Rosemarie“ im Club des Düsseldorfer Capitol-Theaters (Frühjahr 2004 ).

Rundherum eine schöne Herzschmerzschmachtgeschichte, das richtige für einen trüben Winterabend.
Nach Frankfurt ist das Stück noch in Saarbrücken, Mannheim, Bregenz, Baden Baden und Bremen zu Gast.

Markus Gründig, Januar 05


Victor / Victoria

(Theater Pforzheim, Dezember 04)

Um Mary, Lilo Wanders oder Oivia Jones ist es zwar etwas ruhiger geworden, doch das Thema Rollentausch der Geschlechter ist zeitlos und kehrt auch im Theater über immer wieder auf die Bühne. Frauen in Männerrollen, in Opern in den so genannten Hosenrollen fest etabliert, sind im Musicalbereich eher seltener.
Die Geschichte einer Frau, die es nur in der Rolle als Mann zum Erfolg schafft, wurde als Victor/Victoria mehrfach verfilmt (z.B. Deutschland 1933 und 1957, USA 1982 mit Julie Andrews). Die Musicalversion nach dem Film von Blake Edwards feierte erst im Jahre 1995 ihre Premiere am Broadway.

Die aktuelle Inszenierung des Musicals vom Theater Pforzheim zeigt nicht nur das Spiel im Spiel, sondern ist vor allem ein Plädoyer für die Akzeptanz von Schwulen als normaler Bestandteil einer Gesellschaft. Das Theater Pforzheim steht diesbezüglich der Bundeshauptstadt nicht nach, und das ist natürlich gut so. Störend allein die überzeichnete und längst überholte Darstellung der Tuntentruppe, wohl ein Tribut an alte Klischeevorstellungen.

Davon abgesehen, ist dem Regisseur und Choreographen Gerhard Platiel eine unterhaltsame und dennoch sensible Inszenierung geglückt. Platiel erzählt die Geschichte feinfühlig mit schnellem Tempo und kann sich dabei auf großartige Darsteller verlassen.

Da ist als erstes die zarte kleine Lilian Huynen als Victoria Grant, die nicht nur Richard einen gehörigen Boxhieb zu versetzen weiss, sondern auch den Spagat zwischen den Geschlechterwelten schafft und den Zuschauer an Ihrer Zerrissenheit und Sehnsucht teilhaben lässt. Sie beeindruckt auch beim Gesang, gleich zu Beginn mit „Wäre ich ein Mann“. So bekommt sie am Ende dann auch berechtigt den meisten Applaus.

Souverän und in sich ruhend ist Klaus Geber in der Rolle des schwulen Carroll Todd. Er spielt diese Rolle nicht, er lebt sie und zeigt wie normal er trotz seines Schwulseins ist: Anfangs noch etwas steif wirkend, spielt er sich in die Herzen der Zuschauer, ganz im Stile eines Albin aus La Cage Aux Folles.

Jon Geoffrey Goldsworthy als Geschäftsmann King Marchan bleibt etwas steif in seinem Anzug gefangen, bei “ King’s Dilemma“ schafft er es aber, seine Dilemma ob er sich nun in eine Frau oder in einen Mann verliebt hat, Gefühlsvoll rüber zu bringen.

Überdreht, herzhaft und überaus schwungvoll: Frauke Nehrig als Norma Cassidy. Sie stiehlt fast allen die Show mit der bravourösen Darbietung des durchgeknallten, naiven Blondchens. Sie zeigt immensen körperlichen Einsatz, sei es, wenn sie auf allen Vieren lang kriecht oder mehrfach aus dem Bett fällt. Dabei ist es vollkommen egal ob sie im Nachthemd oder Kleid da steht.

Auch die weiteren Rollen überzeugen, sei es nun Spencer Mason als Squash oder Kings Geschäftspartner Sal & Clam (Lothar Helm & Frank Traub), im naiven Blues-Brother Stil.

Die Texte werden in Deutsch vorgetragen, die Lieder überwiegend in Englisch, was für denjenigen Besucher, der den Text nicht versteht, leider einen Bruch im Handlungsfaden bedeutet (z.B. bei „Crazy World“). Für Zusatzlacher sorgen zeitgemäße Sprüche im Stil von „ruf   –  mich   –   an…“.

Die Kostüme sind allesamt brav, das weibliche Tanzensemble zeigt lediglich in der Chicago-Szene mit seien Stars&Stripes Kostümen seine schönen Beine. Um die Inszenierung abzurunden und passend zur Karnevalszeit hätte hier ruhig etwas frivoler, mutiger, mehr Haut gezeigt werden können und passend zum Stück, hätten es auch ein paar männliche Tänzer sein dürfen.
Gleichwohl sind die Tanznummern großartig in Szene gesetzt (z.B. bei „Le Jazz Hot!“), dabei wird Pantomimenartig mit Armen und Beinen gearbeitet.

Klassisch schön und mit brillantem Glitzervorhang, ist das Bühnenbild (Ausstattung. Walter Perdacher).
Das Orchester unter der Leitung von Dieter Klug spielt mit kräftigem, klaren Klang.

Das wenige Lieder im Ohr hängen bleiben, liegt allein an der musikalischen Vorlage, die trotz großer Namen keine Hits bietet.
Das Musical ist eine Komödie mit Musiknummern, die Inszenierung des Theater Pforzheim macht daraus nicht nur einen Appell an Toleranz und die Liebe, sondern hat das ganze hervorragend mit viel Freude für einen schönen Theaterabend in Szene gesetzt.

Markus Gründig, Dezember 04
(Besprochen wurde die öffentliche, ausverkaufte Generalprobe vom 30. Dezember 04)


Porgy and Bess

Alte Oper Frankfurt, Dezember 04

Der in Brooklyn geborene George Gershwin schrieb über 20 Musicals, die meisten in der Zeit zwischen 1919 und 1933. Doch nebenher arbeitete er auch an der so genannter „ernster Musik“, seine „Rhapsody in Blue“ wurde bereits 1924 in New York uraufgeführt, Gershwin war zu dem Zeitpunkt 25 Jahre alt.
Zwei Jahre vor seinem zu frühen Tod wurde „Porgy and Bess“ in New York uraufgeführt. Nahezu alle Rollen waren von Schwarzen besetzt, ein Novum. Zudem hatten die wenigsten Bühnenerfahrung.

Gershwin selber bezeichnete „Porgy and Bess“ als eine Volksoper. Es ist jedoch ein Mix verschiedene Stile und wird deshalb auch gerne als Musical bezeichnet. Wer hierbei jedoch ein modernes Showspektakel mit großen Tanzszenen erwartet, wird schnell eines andern belehrt, trotz Gospels und symphonischen Jazzanlehnungen steht der opernhafte Gesamteindruck im Vordergrund.

Die noch bis Jahresende in der Alten Oper Frankfurt zu sehende knapp dreistündige Inszenierung des Harlem Theaters New York (in Zusammenarbeit mit Michael Brenner/BB-Promotion & Birk Events, Regie: Baayork Lee) orientiert sich dabei stark am Original und verzichtet auf eine zeitgemäße neue Interpretation. Für Liebhaber klassischen Musiktheaters eine Offenbarung. Denn keinerlei abstrakte Regie- oder Bühnenbildgestaltung liegt hier zugrunde.

Ein herunter gekommenes aber liebreizendes Südstaatenhäuserensemble in nostalgischer Verklärtheit mit dem Hafen im Hintergrund ist auf der kleinen Bühne in der Alten Oper zu sehen. Durch einfaches Drehen wechselt die Hausansicht der Catfish Row zu Serena’s Zimmer (Bühne: Michael Scott). Das Orchester wurde im kleinen Graben vor der Bühne platziert. Unter der Leitung von William Barkhymer schafft es hervorragend, Gershwins außergewöhnlichen Klang in das Herz der Zuschauer zu transportieren (mit sehr dezenter Unterstützung durch Lautsprecher).

Was den Abend zu einem Hörgenuss allererster Güte werden lässt, ist die großartige Besetzung mit Marquita Lister als Bess und (erneut) Alvy Powell als Porgy. Lister gibt die Bess mit warmem, getöntem Sopran, die sowohl gesanglich wie darstellerisch überzeugt. Powell ist zwar aufgrund der Rolle eingeschränkter, seinem Spiel tut das aber keinen Abbruch. Mit viel Energie wirbelt er auf seinem Gefährt hin und her und singt dabei mit kraftvollem, balsamischen Timbre („I Got Plenty of Nuttin“).

Auch die anderen Rollen sind hervorragend besetzt, allen voran Monique McDonald als Serena mit ihrem innigen Vortrag von „My Man’s Gone No“. Stark wirken auch die Chorgesänge, wie bei Leavin‘ for de Promis‘ Land” (mit Bess/Marquita Lister) und „It Ain’t Necessarily So“ (mit Sportin‘ Life/ Larry Marshall).

Musiktheater wie viele es sich immer wünschen, mit erstklassigen Sängern traditionell schön inszeniert.

Markus Gründig, Dezember 04


POE Pech und Schwefel

Saarländisches Staatstheater
Besuchte Vorstellung: 3. November 2004

Vor nahezu dreißig Jahren erschien die erste LP von Alan Parsons Project mit dem Titel „Tales Of Mystery And Imagination”, die sich thematisch Werken des Autors Edgar Allan Poe widmete und zu einem Rockklassiker avancierte.

„POE Pech und Schwefel“, das als Auftragswerk des Saarländischen Staatstheaters geschaffene neue Musical von Frank Nimsgern und Heinz Rudolf Kunze hat zwar Edgar Allen Poe als Figur auf der Bühne, doch thematisiert es eine eigene Geschichte, greift Poes Werke in einzelnen Bildern auf (Inhaltsangabe siehe POE Infoseite). Ob es zu einem Musicalklassiker avancieren wird, kann man heute noch nicht sagen. Denn das Musical ist trotz aller Gefälligkeiten, optischer Opulenz und Stefan Raab mäßiger energetischer Showpräsentation („Lasst ihn frei, sperrt ihn weg“) mit harten wie verrückten Beats, keine gefällige Musicalstandware für ein Publikum jeden Alters.

Nimsgern Musik erschließt sich einem beim ersten Mal hören nicht sofort, wie auch die anspruchsvolleren Texte von Heinz Rudolf Kunze (die leider auch nicht im CD-Booklet abgedruckt sind), im großen Showspektakel nicht die Würdigung bekommen, die sie verdienten.
Nimsgern verzichtete auf ein, wie sonst oft bei Musicals üblich, sich ständig wiederholendes musikalische Thema. Dennoch kann der Besucher mit einigen Takten swingend nach Hause gehen. Die Refrains der Songs „Schlag ein“, „Wie tief, wie weit“ oder „Poemanie“ gehen sofort ins Ohr.
Andere Songs sind schöne Rocksongs mit einem Mix von Gospel bis Funk, die von der Frank Nimsgern Group mit Unterstützung durch den Opernchor des Saarländischen Staatstheaters und des Saarländischen Staatsorchester elektronisch und orchestral breit aufgetragen werden.

Mystische Sounds, die eine Verbindung zu Poes Gruselgeschichten herstellen könnten, klingen nur selten an (nur beim „Prolog“ und in „Poes Fuge“), dafür überwiegen großartige Ensemblenummern mit einer unermüdlichen zwölfköpfigen Tanzkompanie unter Marvin A. Smith´s Choreographie. Für alle Tanzfreude ein großer Genuss.

Der Handel Poes mit Pilatus ist der einzig durchgehende Handlungsstrang. Poe wird Pilatus nicht mehr los, er bleibt wie “Pech und Schwefel“ an ihm hängen.
Die sieben Bilder des Musicals könnten daher auch fast autark stehen. Großzügig wurden sie von Detlev Beaujean gestaltet, gefallen tun vor allem die sieben Zimmer und der große Rabenkopf, als Anlehnung an Poes Werk, ebenso die Psyche Zenobia, die ihren Kopf auf den Armen neben sich trägt.

Henrik Wager gibt den Poe als jungen Autor, der sich auf den Handel mit dem Teufel einlässt und dann zunehmend in Schwierigkeiten gerät, bis er schließlich vermeintlich siegend, stirbt. Er bleibt stets das Opfer Pilatus, die Puppe, die geführt wird.
Wesentlich stärker ist Pilatus in seinen Rollen als Irrenarzt, Drogendealer, Verteidiger, Staatsanwalt, Satanius, Gameshow-Moderaor, Sektenführer und Club-Geschäftsführer. Darius Merstein-MacLeod spielt den Pilatus mit sichtlicher Freude, großartiger Mimik und mit kraftvoller Stimme. Sein zwielichtiger Blick sorgt für das diabolische Element.

Peti van der Velde (Rent´s Mimi) im schicken schwarzen Kostüm stirbt rollenbedingt leider viel zu früh, ihr „Gierig“ vermittelt sie schick und cool.

Braver bleibt Aino Laos als Virginia Usher (natürlich im weißen Kleid), ihr steht die wunderbare Ballade „Auf den Flügeln der Nacht“ und das liebliche Duett „Mehr als ein Spiel“ zu. Sie sorgt damit für ein ruhiges Gegengewicht, in dem dynamischen Musical.

Was Traum und was Wirklichkeit ist, wird am Anfang gefragt. Wie das Stück vermittelt, sind die Grenzen scheinbar fließend.

Markus Gründig, November 04