»4.48 Psychose« zum Abschluss der Sarah Kane Werkreihe bei den Landungsbrücken Frankfurt

4.48 Psychose ~ Landungsbrücken Frankfurt / Mareike Buchmann / Fiel Impuks ~ Foto: De-Da Productions
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Sucht man im Internet unter den Stichworten Depression und Stars, ist es betrüblich festzustellen, wie viele Promis damit zu kämpfen hatten oder haben. Auch die britische Dramatikerin Sarah Kane kämpfte lange mit dieser Krankheit. Sie schaffte es nicht, sie zu besiegen und starb im Alter von 28 Jahren. Nach ihrem Freitod 1999 fand man ein weiteres Stück von ihr: 4.48 Psychose. Es wurde im Juni 2000 in London uraufgeführt. Seitdem ist es regelmäßig auf den Spielplänen zu finden. Philip Venables komponierte darüber sogar 2016 eine Oper, die 2019 an der Semperoper Dresden uraufgeführt wurde (Spielstätte Semper Zwei).

Abschluss der Werkreihe 20.21 KANE innen

Bei den Landungsbrücken Frankfurt ist 4.48 Psychose nun in einer Inszenierung des Ensembles Mareike Buchmann/Fiel Impuks zu sehen. Die Inszenierung bildet zugleich den Abschluss einer von den Landungsbrücken Frankfurt und fünf weiteren freien Theatergruppen auf die Beine gestellte Sarah Kane Werkreihe (20.21 KANE innen). Alle Produktionen (neben 4.48 Psychose sind dies In Her Face oder Die Autorin ist tot, Zerbombt, Phaidras Liebe, Gesäubert und Gier) stehen weiterhin auf dem Spielplan, im Februar 2022 wird es zudem ein kleines Sarah Kane Festival geben.

Wenn die Klarheit vorbeischaut

Sarah Kane litt unter psychotischen Zuständen. 4.48 Uhr war der „Glücksmoment, wenn die Klarheit vorbeischaut“. Glücksmoment ist dabei ironisch gemeint. Denn wenn um diese Zeit die Wirkung der Antidepressiva nachgelassen hatten, bedeutete dies auch einen Moment der größten Verzweiflung. In 4.48 Psychose berichtet sie in Form von Gedankenfetzen, Gesprächsverläufen, Erinnerungen, Körperzuständen, Krankenblatteinträgen und vielen mehr. Dies in freier Form. Es gibt weder eine Handlung noch konkrete Figuren. So geht sie hier weiter als in ihrem vorletzten Stück Gier, wo es immerhin noch die Figuren C, M, B, A gibt.

Körperliche Umsetzungen des psychischen Zustands

Das Stück wird ob der freien Form sehr unterschiedlich szenisch umgesetzt. Das Ensemble Mareike Buchmann/Fiel Impuk entschied sich für eine narrative und performative Darbietung. So wie bei Kane der Text getrennt von ihrem Körper zu lesen ist, macht die Inszenierung dies ähnlich. Es gibt den kompletten Text zu hören. Allerdings nicht nur unmittelbar von einen der DarstellerInnen, sondern auch eingespielt vom Band. In diesen Momenten vermitteln die drei „Körper“ (Constantin Orth, Jessica Pfrengle und Lisa Schaar) ganz besonders intensive körperliche Umsetzungen des psychischen Zustands, die Wirkung der Medikamente, ihre Nebenwirkungen und die Gefühlszustände beim und nach Absetzen der Tabletten (Regie und Choreografie: Mareike Buchmann).

Jeder von ihnen hat einen eigenen Bereich, ein eigenes Krankenzimmer in Form von kargen weißen Möbeln auf einem quadratischen Teppich (Bühne: Theresa Lawrenz). Gekleidet sind sie einheitlich mit glitzernden Oberteilen und karierten Hosen (beide Teile nur jeweils in unterschiedlichen Längen; Kostüm: Julia Graf). Der Raum ist in ein mystisch anmutendes grünes Licht gehüllt. Grün kann beruhigend und natürlich wirken. Es wird mit der Natur, Zufriedenheit und Hoffnung in Verbindung gebracht. Hier ist es aber eher ein giftgrüner Farbton, intensiver, als er von medizinischen Masken bekannt ist, blasser als das Grün von OP-Kleidung. Als Ausleuchtung für eine Krankenheilanstalt, wo Hoffnungen und Ängste nah beieinander liegen, passt es sehr gut (Licht: Mareike Buchmann & Robert Krajnik).

Die Sache mit den grünen Tischtennisbällen

Zwischendurch flitzt ein kleiner ferngesteuerter Jeep zu jedem Performer, macht kurz halt und gibt Gelegenheit, nach dem im Jeep befindlichen grünen Tischtennisball zu greifen. Ein Bild für die Medikamentenübergabe. Zwar entfaltet diese Fahrt keine größere Wirkung auf das weitere Geschehen, allerdings löst sie eine Frage, die sich bei allen in dieser Werkschau gezeigten Stücke gestellt hat: Was hat es mit diesen grünen Tischtennisbällen auf sich? Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Stücke. Mal sind sie mit in die Handlung eingebunden, mal liegen sie nur herum. Jetzt weisen sie rückblickend auf die Autorin und ihr Leiden hin.
Musik trägt auch zu einer zusätzlichen emotionalen Ebene bei. Ein Gitarrenspiel erinnert an Metallicas „Nothing Else Matters“, einem Song, über Widrigkeiten und Enttäuschungen (Sound: Mirko Danihel).

Am Ende der besuchten Vorstellung zunächst minutenlange Stille ob des unvorbereiteten Endes („bitte öffnet den Vorhang“) und dem Verharren der DarstellerInnen in ihrer Schlusspose. Dann viel Applaus.

Markus Gründig, September 21


4.48 Psychose

Uraufführung: 23. Juni 2000 (London, Royal Court Jerwood Theatre)
Deutschsprachige Erstaufführung: 7. November 200 (München, Münchner Kammerspiele)

Premiere bei den Landungsbrücken Frankfurt: 15. September 21
Besuchte Vorstellung: 19. September 21

Eine Produktion von Mareike Buchmann/Fiel Impuks im Rahmen von 20.21 KANE innen

Regie und Choreografie: Mareike Buchmann
Dramaturgie: Robert Krajnik
Sound: Mirko Danihel
Kostüm: Julia Graf
Bühne: Theresa Lawrenz
Fotos: De-Da Productions
Licht: Mareike Buchmann & Robert Krajnik

Mit: Constantin Orth, Jessica Pfrengle, Lisa Schaar


landungsbruecken.org / 2021kane-innen.de / mareikebuchmann.de