
Der Traum vom ewigen Leben und jugendlichem Aussehen durchzieht die Menschheitsgeschichte seit jeher. Erfolge in der Medizin und gute Lebensgewohnheiten helfen, die durchschnittliche Lebenserwartung zu erhöhen. Die Angebote der Pharma- und der Schönheitsindustrie mindern die biologischen Verfallprozesse. Hinzu kommen Möglichkeiten für ästhetische und operative Eingriffe (die trotz hoher Kosten und Risiken angesagt sind wie nie, auch bei jungen Menschen). Nichtsdestotrotz gilt: Der körperliche Verfall ist allgegenwärtig, wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen.
Als Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt hat der österreichische Autor Ferdinand Schmalz sich jetzt mit dem Thema Altern und Schönheitswahn auf satirische Weise auseinandergesetzt. Dem Schönheits- und Optimierungsstreben begegnet er mit schwarzem Humor, begleitet von musikalischen Nummern. Dabei kann einem bei so manchem Text durchaus ein Kloß im Hals stecken bleiben. Hintergründig geht es um eine selbstsüchtige und verblendete Gesellschaft, die die wirklichen Probleme unserer Zeit verdrängt.
Forschung mit Nacktmullen
Mit Sanatorium zur Gänsehaut. Eine Entfaltung eröffnete jetzt das Schauspiel Frankfurt die neue Spielzeit. In der heutigen Umbruchzeit samt ihrem scheinbar chaotischen »Jetzt« stellt das Haus als Spielzeitmotto die Frage »Woher, wohin?« .

Schauspiel Frankfurt
Hannelore Krautwurm-Bouillon (Anna Kubin), Dr. Klotz (Wolfram Koch)
Foto. Thomas Aurin
Das Stück erzählt vordergründig die Geschichte der flapsigen Investigativreporterin Lio Laksch (engagiert: Lotte Schubert). Sie begibt sich auf Recherche in ein in idyllischer Bergwelt gelegenes Sanatorium, ein Medical Spa par excellence. Dort angekommen, trifft sie auf eine Schar seltsamer Personen.
Wie die Inhaberin, einen Arzt, einen Mitarbeiter und vor allem auf deren Gäste. Im Luxusidyll ist natürlich nicht alles in Ordnung. Im für die Gäste nicht zugänglichen Laboratorium im Keller geschehen geheimnisvolle Dinge. Hier forscht Dr. Klotz (schräg überzogen: Wolfram Koch) mit Hilfe von Nacktmullen nach Möglichkeiten, den Alterungsprozess zu verlangsamen („Longevity“). Die im nördlichen Afrika beheimateten nahezu blinden kleinen Erdbewohner sehen zwar alles andere als niedlich aus (felllos, mit Tasthaaren und langen Schneidezähnen), sie dienen aber auch in der Realität vielen Krebs- und Altersforschern als Studienobjekte (sie können, anders als andere Nagetiere, bis zu 30 Jahre leben und bekommen keinen Krebs).
Schwimmen und Abtauchen
Am Schauspiel Frankfurt ist Das Sanatorium zur Gänsehaut. Eine Entfaltung das dritte Stück von Ferdinand Schmalz (nach Jedermann (stirbt) und Mein Lieblingstier heißt Winter). Jan Bosse hat es detailverliebt, bunt und lebhaft in Szene gesetzt. Zusätzlich hat er für einige Songs die Texte beigesteuert (Musik: Carolina Bigge, auch auf der Bühne, und Arno Kraehahn).

Schauspiel Frankfurt
Jonathan Mark (Torsten Flassig)
Foto: Thomas Aurin
Die Bühne im Schauspielhaus zeigt das Sanatorium und chargiert dabei offen zwischen Innen- und Außenbereich. Mondäne Sitzgruppen in Wurmform sind von einem Halbrund umgeben, das als große Konzertmuschel oder auch als beobachtendes Auge gesehen werden kann. Das an einem idyllischen Bergsee gelegene Sanatorium befindet sich inmitten von Wasser, in dem teilweise sogar geschwommen und abgetaucht werden kann (Bühne: Moritz Müller). Farbenfroh und ins Auge stechend sind die Kostüme von Kathrin Plath.
Schräge Typen, die in Erinnerung bleiben
Die Figuren sind stark überzogen gezeichnet und bleiben als schräge Typen in Erinnerung. Klinikleiterin Emma Tiefenbach (mondän: Melanie Straub) lässt gerne mal in überdimensional großen Lotusblüten ihre Haut reinigen. Die neu angekommene Lio übt eine besondere Anziehung auf sie aus. Die ehemalige Pharmaunternehmerin Hannelore Krautwurm-Bouillon (in schrägen Posen und überbetonter Mimik: Anna Kubin) hält sich mit korrekten moralischen Ansichten stark zurück. Wenn viele Drogensüchtige die Suchtmittel mit ihren Medikamenten strecken, ist das ja schließlich nicht ihr Problem.

Schauspiel Frankfurt
Emma Tiefenbach (Melanie Straub), Lio Laksch (Lotte Schubert)
Foto: Thomas Aurin
Nach einer Krise schwört die erfolgreiche Beauty-Influenzerin Leslie Mark (erhaben: Anabel Möbius) dem Schönheitswahn ab. Damit ist sie die einzige, die ihr Verhalten reflektiert. Derart „normal“ will ihr Mann Jonathan (wasserafin: Torsten Flassig), der nach einem Schockerlebnis seine Gesangsstimme verloren hat, allerdings nichts mehr mit ihr zu tun haben. Der geflissentliche Dienstbote Herr Anton (agil und wortgewandt: Christoph Pütthoff mit Karl-Lauterbach-Frisur) passt sich jeder Situation an, bleibt dabei ominös.
Schuss nach hinten
Gespielt wird innerhalb von zwei Stunden ohne Pause. Dabei nehmen das Tempo und der Drive langsam ab, was etwas schade ist. Am Ende wird klar, dass die Reporterin tiefer in die Forschungsarbeit hineingezogen wurde, als sie wollte. Das den Abend über vorhandene Thema der Hautfalten zeigt sich dann in einer ganz neuen Art. Ein Neugeborenes „Christkind“ ist alles andere als faltenfrei, die Implikation eines Nacktmullengens entpuppt sich als ein Schuss nach hinten. Da hat die Forschung noch Nachholbedarf.
Viel freundlicher Applaus.
Markus Gründig, September 25
Sanatorium zur Gänsehaut. Eine Entfaltung
Von: Ferdinand Schmalz
Uraufführung: Freitag, 12. September 25 (Schauspielhaus)
Regie: Jan Bosse
Bühne: Moritz Müller
Kostüme: Kathrin Plath
Video: Meika Dresenkamp
Musik: Carolina Bigge, Arno Kraehahn
Dramaturgie: Katrin Spira
Besetzung:
Emma Tiefenbach: Melanie Straub
Herr Anton: Christoph Pütthoff
Dr. Klotz: Wolfram Koch
Hannelore Krautwurm-Bouillon: Anna Kubin
Leslie Mark: Anabel Möbius
Jonathan Mark: Torsten Flassig
Lio Laksch: Lotte Schubert
Live-Musik: Carolina Bigge, Ralf Göbel
Die nächsten Vorstellungen: 14./19./22./24./27. September, 2./3. Oktober
