Plakative »Dreigroschenoper« am Staatstheater Mainz

Die Dreigroschenoper ~ Staatstheater Mainz ~ Macheath (Henner Momann (vorn-kniend) und Ensemble ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

In drei Jahren jährt sich das 100-jährige Jubiläum von Bertolt Brechts Dreigroschenoper mit der zündenden Musik von Kurt Weill. 2028 wird das frechfröhliche Theaterstück vermutlich dann in vielen Spielplänen zu finden sein. Das Staatstheater Mainz zeigt bereits jetzt im Großen Haus eine Neuinszenierung dieses Klassikers.

Unter der Regie von Jan Neumann entstand ein zeitgemäßer Theaterspaß für ein breites Publikum, der plakative Überzeichnungen nicht scheut, sie gar in den Mittelpunkt stellt. Neumann ist ein erfahrener Theatermann. Er ist nicht nur Regisseur, sondern auch Autor und Schauspieler (von 2001 bis 2006 war er Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt). Seit 2013/14 ist er Hausregisseur am Deutschen Nationaltheater Weimar. Am Staatstheater Mainz hat er u. a. die Stückentwicklungen Sensemann & Söhne und kurz&nackig auf die Bühne gebracht.

Im U-Bahnhof

Die bei Brecht im viktorianischen Zeitalter spielende Handlung verlegte Neumann in die Gegenwart. Bühnenbildner Cary Gayler schuf als Bild für den Jahrmarkt von Soho einen imposanten U-Bahnhof, an dessen Wänden zeitgemäße Werbeposter hängen (wie Anspielungen auf ein schwedisches Möbelhaus, die Bundeswehr oder eine Kreuzfahrtreederei mit Kussmundflotte). Es ist ein Ort, an dem die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten unfreiwillig aufeinandertreffen. Im hinteren Bereich wird immer wieder ein „Brecht-Vorhang“ (Halbvorhang auf einem Stahlseil) aufgezogen, womit auf Brechts epischen Theaterstil der Verfremdung verwiesen wird.

Die Dreigroschenoper
Staatstheater Mainz
Polly Peachum, (Maren Schwier) und Ensemble; Samuel Hogarth und das Philharmonische Staatsorchester
© Andreas Etter

Gleich zu Beginn ist der Moritatensänger (Anika Baumann) ein Wohnsitzloser mit langen Haaren und Bart, so wie man ihn auch in jeder Stadt Deutschlands auf den Straßen vorfindet und wo viele vermutlich eher einen Bogen um ihn machen würden. Divers gemischt ist die Gruppe Bettler, Huren und Passanten.

Stilmittel Überzeichnung

Prägendes Stilmittel Neumanns ist die Überzeichnung. Stellenweise fühlt man sich bei dem überzogenen Spiel wie im Kindertheater oder wie bei einer Fastnachtsposse. Das hat den Vorteil, dass auch ein Publikum Gefallen finden kann, das dem Theaterbetrieb sonst eher distanzierter gegenübersteht. Bei der Premiere waren gar einige Kinder und viele Jugendliche anwesend. Ein bitterböser Biss wird allenfalls angedeutet.

Die spartenübergreifende Produktion umfasst Ensemblemitglieder aus Oper und Schauspiel, wobei natürlich der Schauspieler:innen Anteil überwiegt. Einige Darsteller, wie Polizeichef Tiger Brown (Dennis Larisch) oder die Spelunkenjenny (Verona Tönjes), sind auch optisch überzeichnet. Das Maskenbild nimmt Anleihen aus der Pop-Art auf (Roy Lichtenstein lässt grüßen). Auch die Kostüme von Nini von Selzam spielen mit Elementen der Pop-Art.

Beim Chargieren zwischen Belehrung und Unterhaltung liegt der Schwerpunkt auf der Unterhaltung. Spöttisch-satirische Kritik an der Gegenwart wird nur gelegentlich deutlich. So wenn Handplakate mit den Aufschriften „Lügen“, „Rücksichtslosigkeit“ und „Habgier“ den positiv konnotiert Begriffen „Liebe“, „Offenheit“ und „Mitgefühl“ gegenübergestellt werden.

Elanvolles Spiel

Gespielt wird vom ganzen Ensemble mit viel Elan. Holger Kraft ist ein gewissenloser Armengeschäftetreiber Peachum, Stephanie Kämmer seine energetische und selbstbewusste Frau. Deren beider Tochter Polly gibt Maren Schwier als forsche Straßengöre. Der Macheath (Mackie Messer) des Henner Momann ist weniger ein derber Rohling, als ein attraktiver Frauenverführer.

Die Dreigroschenoper
Staatstheater Mainz
Brown (Denis Larisch), Peachum (Holger Kraft)
© Andreas Etter

Ein Trumpf der Inszenierung ist das Spiel des klein besetzten Philharmonischen Staatsorchesters Mainz unter seinem Kapellmeister Samuel Hogarth. Seine Erfahrung als Komponist und Jazzpianist kommt hier besonders zugute.

Als Special Drink der Theatergastronomie gibt es bei dieser Produktion im Foyer den „Moon of Soho“ (Maracujasirup mit Sekt oder Wasser), dazu finden sich schokoladige Euromünzen in kleinen Hüten

Markus Gründig, September 25.


Die Dreigroschenoper

Vorspiel und drei Akte
Von: Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann
Nach: John Gay’s Beggar’s Opera (1728)

Uraufführung: 31. August 1928 (Berlin, Theater am Schiffbauerdamm/Berliner Ensembles)

Premiere am Staatstheater Mainz: 27. September 25 (Großes Haus)

Inszenierung: Jan Neumann
Musikalische Leitung: Samuel Hogarth / Andri Joël Harison
Bühne: Cary Gayler
Kostüme: Nini von Selzam
Licht: Ulrich Schneider
Dramaturgie: Jörg Vorhaben, Sonja Westerbeck

Besetzung:

Jonathan Jeremiah Peachum: Holger Kraft
Frau Peachum: Stephanie Kämmer
Polly Peachum, ihre Tochter: Maren Schwier
Macheath: Henner Momann
Brown, Polizeichef von London: Denis Larisch
Lucy, seine Tochter: Liudmila Maytak
Moritatensängerin: Anika Baumann
Trauerweidenwalter: Georg Schießl
Hakenfingerjakob: David T. Meyer
Münzmatthias: Anika Baumann
Sägerobert, Betty: Pina Scheidegger
Jimmy II, Dolly: Joshua Grölz
Filch: David T. Meyer
Spelunkenjenny: Verena Tönjes
Smith, erster Konstabler: Anika Baumann
Huren: Anika Baumann, Joshua Grölz, Pina Scheidegger, Georg Schießl

Statisterie des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz


staatstheater-mainz.de