

Endlich zu sich selbst gekommen, Gefühlen ausgegrenzt zu sein hinter sich gelassen haben, davon zeugt die junge Ellia Wangel. Sie ist die „Frau vom Meer“ in Henrik Ibsens gleichnamigen Drama aus dem Jahr 1888. Es ist sein erstes psychoanalytisch-symbolistisches Alterswerk.
Aus praktischen Gründen ist Ellia eine Ehe mit dem wesentlich älteren Witwer Doktor Wangel eingegangen, der Vater zweier nahezu erwachsener Mädchen ist. Der Gedanke an einen fremden Mann (ihrem ehemaligen Verlobten) treibt sie um und von ihrem Ehemann fort. Erst als dieser ihr die Freiheit schenkt, ihr also die Entscheidung zwischen ihm und dem Fremden überlässt, kann sie innerlich loslassen und die Angst vor der Freiheit überwinden.
Mit einer gehörigen Portion Humor
Regisseurin Barbara Bürk zeigt das fünfaktige Stück in einer kompakten Fassung (100 Minuten ohne Pause) in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt. Und wie bereits bei ihren anderen Inszenierungen (wie Life is But a Dream) mit einer gehörigen Portion Humor. Für einen zeitgemäßeren Zugang verwendete sie Fremdtexte, gleichwohl ist die Inszenierung keine Überschreibung der Vorlage.

Schauspiel Frankfurt
Lyngstrand (Christoph Pütthoff), Hilde (Viktoria Miknevich)
Foto: Jessica Schäfer
Der Untertitel zum Stück, „Finden sich Rudimente einer Ur-Fischart im menschlichen Gemüt?“, stammt von Ibsen selbst. Allerdings fügte er diese Frage nicht selbst als Untertitel hinzu, sondern verwendete ihn in seinen Arbeitsnotizen. Die nicht an einem Fjord, sondern am Meer aufgewachsene Ellia steht damit für die Sehnsucht nach Meer, nach dem Fremden, für all das, was man nicht hat und meint, haben zu müssen.
Die Bühne ist mit den nötigsten Requisiten ausgestattet
Von Norwegens atemberaubender Natur und einem Fjordstädtchen im nördlichen Norwegen ist auf der Bühne von Anke Grot (auch verantwortlich für die an die Entstehungszeit angelehnten Kostüme) nicht wirklich etwas zu sehen. Sie ist weit geöffnet und abstrakt gehalten. Wenige Requisiten, wie ein faltbarer Gartenpavillon, ein großer Holzstamm, Gesteinsbrocken und ein Schlauchboot, deuten die Szenerie an (wie auch ein Transparent mit einer trostlosen Gesteinslandschaft an einem Gebirge für den Ausflug auf den Berg). Im linken Hintergrund ist der Musiker Markus Reschtnefki mitsamt Instrumenten platziert. Er ist zudem auch schauspielerisch als Ballested beteiligt.
Starke Melanie Straub
In der Titelrolle bringt sich Melanie Straub stark ein. Die Zerrissenheit und die Unfähigkeit, mit ihren Gefühlen klar zu kommen, vermittelt sie mit einer schönen Mischung aus Dramatik und Humor (zu Beginn liegt sie kurz zusammengekauert wie eine Kaulquappe auf dem Boden).

Schauspiel Frankfurt
Arnholm (Wolfgang Vogler), Bolette (Christina Geiße)
Foto: Jessica Schäfer
Umgeben ist sie von einer eigentümlichen Schar: vom väterlichen Bezirksarzt Doktor Wangel (vornehm: Uwe Zerwer), von dem unter irrtümlichen Voraussetzungen angereisten ehemaligen Hauslehrer Arnholm (unverdrossen und witzig: Wolfgang Vogler) und von dem Bildhauer und Touristen Lyngstrand (mit sonnigem Gemüt: Christoph Pütthoff), sowie von den Stieftöchtern Bolette (trotz Beherrschung neuem Glück aufgeschlossen: Christina Geiße) und Hilde (ungestüm: Viktoria Miknevich). Und dann gibt es noch den aus den Zuschauerreihen hervortretenden Fremden (wild aussehend, aber freundlich lächelnd: Kiyanoush Batebi).
Viel Applaus.
Markus Gründig, Mai 25
Die Frau vom Meer – oder: Finden sich Rudimente einer Ur-Fischart im menschlichen Gemüt?
(Fruen fra havet)
Nach: Henrik Ibsen
Premiere: 16. Mai 25 (Kammerspiele)
Regie: Barbara Bürk
Bühne & Kostüme: Anke Grot
Musik: Markus Reschtnefki
Bewegungscoach / GaGa-Class: Etay Axelroad
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Besetzung:
Doktor Wangel, Bezirksarzt: Uwe Zerwer
Ellida Wangel, seine zweite Frau: Melanie Straub
Bolette, Wangels Tochter aus erster Ehe: Christina Geiße
Hilde, Wangels Tochter aus erster Ehe: Viktoria Miknevich
Arnholm, Oberlehrer: Wolfgang Vogler
Lyngstrand: Christoph Pütthoff
Live-Musik / Ballested: Markus Reschtnefki
Statisterie: Kiyanoush Batebi/Christian Raab