Spielzeiteröffnung am Schauspiel Frankfurt mit Upton Sinclairs »Öl!«

Öl! ~ Schauspiel Frankfurt ~ Bunny (Torsten Flassig), J. Arnold Ross (Wolfram Koch) ~ Foto: Thomas Aurin
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Ein die Menschheit vernichtendes Inferno steht bevor und nur durch einen radikalen Wandel kann es überhaupt weitergehen. Angesichts von immer verheerenderen Folgen des Klimawandels, der ökologischen Belastung der Böden, Meere und Wälder, ist das vielen Menschen durchaus klar, aber was kann man schon dagegen tun? Regisseur Jan-Christoph Gockel (inszenierte Küppers sklaven leben und Aischylos´ Orestie am Schauspiel Frankfurt) hält mit der Inszenierung von Öl! dem Publikum einen Spiegel vors Gesicht: Jeder, der im Saal sitzt, ist Teil des Systems, ist Mitläufer und Mitverantwortlicher für die Probleme unserer Welt, die Ausbeutung der Natur und die Auswüchse des megalomanen Kapitalismus.

Essenzen aus einem dicken Schinken

Öl! basiert auf dem 715-Seiten-Roman von Upton Sinclair aus dem Jahr 1926, ein wahrlich dicker Schinken. Er handelt von J. Arnold Ross junior, genannt Bunny, einem jungen Mann, der in einem ständigen Konflikt zwischen der Loyalität zu seinem Vater, einem Öl-Milliardär, und seiner eigenen sozialistischen Weltanschauung steht. Der Leser erfährt mit nahezu universaler Faktenfülle, wie der junge Mann mit seinem Vater zu den Top Five der Ölmagnaten aufsteigen, unter welchem Aufwand und Problemen Bohrlöcher entstehen und betrieben werden und wie Gewerkschafter von bestochenen Politikern in Haft gesetzt werden.

Ein wenig Hollywood-Glanz gibt es auch, denn der junge Mann angelt sich eine junge Filmdiva. Handlungsort ist größtenteils der amerikanische Westen zur Zeit der Roaring Twenties (1920er-Jahre). Am Ende kommt sogar die Stadt Frankfurt/M in dem Roman vor, der alte Ross legt hier mit seiner neuen Frau einen kurzen Zwischenstopp ein. Die Bühnenfassung von Jan-Christoph Gockel, unter Beteiligung von Dramaturgin Katrin Spira und dem Ensemble, zeigt im Parforceritt Schlüsselszenen des Romans, ohne ihn chronologisch nachzuerzählen. Dabei legt er Bunnys Geschichte als einen von „Ross Film“ produzierten Film an, mitsamt dessen Premiere, ironischer (Unter-) Brechungen und sich wechselnder Perspektiven.

Ein Oldtimer als Hauptfigur

Öl!
Schauspiel Frankfurt
Ruth (Lotte Schubert), Eli (Andreas Vögler), Bunny (Torsten Flassig), J. Arnold Ross (Wolfram Koch), Vee (Caroline Dietrich, ), Paul (André Meyer)
Foto: Thomas Aurin

Von einer „Bühnenfassung“ zu sprechen ist in diesem Fall irritierend, denn nicht wenige Szenen spielen vor dem Haus auf dem Willy-Brandt-Platz, im Foyer und in der Panoramabar. Mit exzellenter Videotechnik werden von dort Livebilder in den Saal übertragen (Videokonzept und Bildgestaltung: Eike Zuleeg, Live-Kamera: Benjamin Lüdtke, Eike Zuleeg).

Beginn und Ende ist in der Gegenwart. Die Frankfurter Hochhäuser stehen als Synonym für das Meer aus Bohrtürmen im Dorf Paradise, dessen Untergang durch einen Großbrand schon am Anfang verkündet wird. Für die weiten Landschaften in Kalifornien wird die Bühne in voller Breite genutzt, eine zauberhafte Traumlandschaft gibt es aber nicht zu sehen. Das die Menschen auch in ihren Köpfen beherrschende Öl ist allgegenwärtig. Der Boden schwarz mit einem großen Bohrloch in der Mitte. Seitlich steht ein silberfarbiger Vintage Trailer. Dunkelheit herrscht. Große, mobile Buchstabentransparente werden zu unterschiedlich Wörtern arrangiert. Wichtigster Akteur ist ein Oldtimer, mit dem Vater und Sohn durch das Land fahren, um nach neuen Grundstücken, in denen es Öl geben könnte, Ausschau zu halten (Bühne: Julia Kurzweg)

Koch & Flassig im Zentrum

Öl!
Schauspiel Frankfurt
Bunny (Torsten Flassig)
Foto: Thomas Aurin

Zwei großartige Schauspieler stehen im Zentrum der knapp dreistündigen Aufführung (inklusive einer Pause). Als erfolgsorientierter Vater und Selfmade-Öl-Millionär J. Arnold Ross, der es vom Maultiertreiber zum Ölbaron geschafft hat, ist Wolfram Koch in Jeans, Cowboystiefeln und Cowboyhut ganz in seinem Element. Den im Dauerkonflikt zwischen Treue zum Vater und seinen eigenen sozialistischen Ansichten stehenden Sohn Bunny gibt Torsten Flassig mit außerordentlicher Intensität (bei seinen vielen Berührungspunkten mit Wasser kann man ihm nur wünschen, dass er sich dabei nicht erkältet).

Andreas Vögler verkörpert den janusköpfigen und wundertätigen Sektengründer Eli Watkins (passend eingekleidet: vorne in Weiß, hinten in Schwarz; Kostüme: Amit Epstein) und André Meyer den grundanständigen, kommunistischen Außenseiter Paul Watkins.

Die beiden Frauen haben mehr dekorativen und deklamatorischen Charakter. Als Figuren kommen sie nicht so prägnant zum Spiel, dafür tragen sie mit Fremdtext angereicherte Ermahnungen vor und lockern mit Liedern auf: Caroline Dietrich als Bunnys sich wandelbar zeigende Freundin und Hollywood-Diva Vee Tracey, Lotte Schubert als zurückhaltende, ihrem Bruder Paul treu ergebene kluge Ruth Watkins.
Weitere Figuren, wie Pauls Schwester Bertie, seine spätere Ehefrau Rachel Menzies oder der gierige Geschäftsmann Vernon Roscoe, kommen in dieser Bühnenfassung nicht vor.

Trotz aller Streichungen hat Gockel sehr viel in diese Fassung von Öl! hineingepackt, um eine Gesellschaft am Rande des Abgrunds zu zeigen. Dies gelingt ihm mit einer Stummfilmsequenz selbst ohne Worte. Der Streik der Ölarbeiter wird hier zum Streik im Theater ausgedehnt („und das nach der monatelangen Spielpause“).
Am Ende sehr viel Applaus (und drei „Vorhänge“ für das Regieteam) bei diesem vielschichtigen Spielzeitauftakt am Schauspiel Frankfurt.

Markus Gründig, September 21


Öl!

(Oil!)

Nach dem Roman von: Upton Sinclair (1926)
Für die Bühne bearbeitet von: Jan-Christoph Gockel (sowie von Katrin Spira und dem Ensemble)

Premiere/Uraufführung am Schauspiel Frankfurt: 16. September 21 (Schauspielhaus)

Regie: Jan-Christoph Gockel
Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Amit Epstein
Musik und Hörspiel: Matthias Grübel
Videokonzept und Bildgestaltung: Eike Zuleeg
Dramaturgie: Katrin Spira
Licht: Marcel Heyde

Besetzung:

Bunny: Torsten Flassig
J. Arnold Ross, Bunnys Vater: Wolfram Koch
Vee Tracey: Caroline Dietrich
Ruth Watkins: Lotte Schubert
Eli Watkins: Andreas Vögler
Paul Watkins: André Meyer

Live-Kamera: Benjamin Lüdtke, Eike Zuleeg

schauspielfrankfurt.de