Zwischen Traum und Wirklichkeit: »Der Traumgörge« an der Oper Frankfurt

Der Traumgörge ~ Oper Frankfurt ~ Görge (AJ Glueckert) und Gertraud (Zuzana Marková) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Berlin, Bremen, Hannover und Münster sind der Oper Frankfurt zuvor gekommen. Wie auch Nürnberg, wo Alexander Zemlinskys Oper Der Traumgörge 1980 (!) uraufgeführt wurde.
Ursprünglich für November 2020 geplant und vorbereitet, musste die szenische Frankfurter Erstaufführung wegen der Corona-Pandemie zunächst abgesagt werden. Aber aufgeschoben ist zum Glück ja nicht aufgehoben. Am letzten Februarsonntag 2024 feierte die Inszenierung von Tilmann Köhler unter der Musikalischen Leitung von Markus Poschner Premiere an der Oper Frankfurt.

Anfang des 20. Jahrhunderts komponiert, ist Der Traumgörge stark von der damaligen Zeit geprägt. Die Oper bietet nicht nur einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Entstehungszeit, sondern auch zu Zemlinsky (autobiografische Bezüge). Der Einfluss Wagners und Strauss´ ist unverkennbar (auch im mitunter nicht umgangssprachlichen Text von Leo Feld). Doch Alexander Zemlinsky entwickelte einen eigenen musikalischen Sprachstil. Davon zeugte an der Oper Frankfurt bereits 2007 der Doppelabend mit seinen Einaktern Eine florentinische Tragödie und Der Zwerg).

»Lebendig müssen die Märchen werden, lebendig und wirklich, und atmen und walten!«
Görge, I. Akt

Die Oper handelt vom Dorfbursche Görge. Frohsinn und Heiterkeit sind ihm fern. Er ist ein sehr in sich gefangener Mann. Ein Träumer, der sich in Märchen flüchtet und sich wünscht, dass diese real werden. Die geplante Verlobung mit der Cousine kommt nicht zustande. Dafür findet er in einer Außenseiterin eine Seelenverwandte und wird an ihrer Seite glücklich.
Regisseur Tilmann Köhler lässt in seiner geradlinigen und zeitlosen Inszenierung viele Fragen offen. Frei nach Heinrich von Kleist „Ein Traum, was sonst?“ ist das Publikum gefordert, seine Sicht auf das vielschichtige Werk zu interpretieren.

Der Traumgörge
Oper Frankfurt
Auf dem Tisch in der Bildmitte v.l.n.r. Grete (Magdalena Hinterdobler), Görge (AJ Glueckert; liegend), Hans (Liviu Holender; stehend) und Eine Traumstimme (Tiina Lönnmark; kniend) sowie Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Schlichter, aber einnehmender Bühnenraum

Als Vorhang dient eine große Wand aus Holzpaneelen. Auf dessen linken Seite sind die Umrisse einer Katze herausgeschnitten (gleich zu Beginn verscheucht Grete singend eine Katze). Die abstrakt gehaltene Bühne ist an sich ein klassischer Guckkasten mit Holzpaneelwänden. Interieur ist so gut wie gar nicht vorhanden, lediglich ein Tisch (1. Akt) und zahlreiche Bänke (2. Akt). Im ersten Akt deuten aus der Rückwand herausgeschnittene Silhouetten schlanke Häuser an. Es sind sieben an der Zahl, sieben als Symbol der Märchenwelt für Ganzheit und Vollkommenheit. Doch ihre Asynchronität zeigt, dass die Welt aus den Fugen geraten ist. Mit ihrem schwarzen Hintergrund wirken sie zudem bedrohlich, düster und geheimnisvoll. Die Silhouette im zweiten Akt ist dann zwar groß und wirkt mit ihrem Bogen heimelig, doch auch sie ist asynchron. Im Hintergrund tummeln sich zuweilen die Dorfbewohner mit Fackeln oder die Prinzessin nähert sich dezent. Insgesamt entstehen vielfältige und einnehmende Bilder (Bühnenbild: Karoly Risz). Dafür sorgt auch die kunstvolle Ausleuchtung (Licht: Jan Hartmann), inklusive imposanter Schattenspiele.

Zum stimmigen Gesamteindruck tragen auch die Kostüme von Susanne Uhl bei. Die Dorfbevölkerung trägt im ersten Akt überwiegend Schlichtes in Schwarz. Hier ragt mit seinem grünen Mantel allein Görge farblich hervor. Im zweiten Akt (anderes Dorf) geht es dann lebhafter und bunter zu. Im großen Epilog vermitteln die weißen Kleider der Damen Reinheit und Eleganz.

Der Traumgörge
Oper Frankfurt
Görge (AJ Glueckert) und Gertraud (Zuzana Marková) sowie Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Starke sängerische Leistungen, vor allem von AJ Gluckert

Die Gesangsleistungen sind wieder einmal rundherum hervorragend. Sehr anspruchsvoll ist die umfangreiche Titelrolle. Der US-amerikanische Tenor AJ Gluckert bietet mit der intensiv gestalteten Figur des introvertierten und abseits der Gesellschaft stehenden Görge eine Glanzleisung. Seine wohltönende, volle Stimme kommt dabei sehr schön zur Geltung (trotz groß aufgefahrenem Orchesterapparat). Die in Prag geborene Sopranistin Zuzana Marková ist zunächst eine erhaben wirkende Prinzessin, später eine sehr sensibel auf ihre aggressive, feindliche Umgebung reagierende Gertraud. Die pragmatisch denkende und lebenslustige Grete verkörpert hinreißend die Sopranistin Magdalena Hinterdobler. Bariton Liviu Holender gibt den Hans mit viel Verve. Gleiches tut der gebürtige Kanadier Iain MacNeil in der Figur des Großknecht Kaspar. Neben vielen anderen sind zudem Juanita Lascarro ( Marei), Magnús Baldvinsson (Müller), Alfred Reiter (Pastor), Michael Porter (Züngl), Mikołaj Trąbka (Mathes) und Barbara Zechmeister (Wirtin) zu erleben.

Ein Erlebnis ist der Chor der Oper Frankfurt, nicht nur mit seinen vehement vorgetragenen „Hans“ oder „Die Hex“ (Chor: Tilman Michael, Kinderchor: Álvaro Corral Matute). Expressiv und dann aber auch äußerst filigran, spielt das Frankfurter Opern und Museumsorchester unter dem Dirigat von Markus Poschner.

Im Epilog verschmelzen die Figuren Gertraud und Prinzessin gewissermaßen. Das Schlussbild mit Gertraud auf einer Schaukel nimmt Bezug zu einer der Bezüge von Librettist Leo Feld (Richard von Volkmann-Leanders Märchen Vom unsichtbaren Königreiche). Dazu sitzt Görge inmitten einer Schar Kinder und spielt. Die reale Welt hat er hinter sich gelassen, ist glücklich in seinem Traum.

Es ist ein komplexer und intensiver Abend. Gleichsam ein Plädoyer auf Menschen, die auf den ersten Blick hin anders und fremd erscheinen.
Im März gibt es noch sechs weitere Vorstellungen. Von der sängerischen und musikalischen Leistung dieser Produktion kann man sich demnächst dann überall überzeugen. Die besuchte Vorstellung wurde für eine CD-Produktion der Firma NAXOS aufgezeichnet.

Markus Gründig, März 24


Der Traumgörge

Oper in zwei Akten und einem Nachspiel

Von: Alexander Zemlinsky 1871–1942

Text: Leo Feld

Entstanden: um 1906
Uraufführung: 11. Oktober 1980 (Nürnberg, Opernhaus Nürnberg)

Premiere/szenische Erstaufführung an der Oper Frankfurt: 25. Februar 24
Besuchte Vorstellung: 29. Februar 24

Musikalische Leitung: Markus Poschner
Inszenierung: Tilmann Köhler
Bühnenbild: Karoly Risz
Kostüme: Susanne Uhl
Choreografie: Gal Fefferman
Licht: Jan Hartmann
Chor: Tilman Michael
Kinderchor: Álvaro Corral Matute
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy

Besetzung:

Görge: AJ Glueckert
Prinzessin / Gertraud: Zuzana Marková
Grete: Magdalena Hinterdobler
Hans: Liviu Holender
Marei: Juanita Lascarro
Müller: Magnús Baldvinsson
Pastor: Alfred Reiter
Züngl: Michael Porter
Kaspar: Iain MacNeil
Mathes: Mikołaj Trąbka
Wirtin: Barbara Zechmeister
Wirt: Andrew Bidlack
Ein Bauer: Thomas Schobert
Ein älterer Bauer: Lars Rößler
Erster Bursche: Alexey Egorov
Zweiter Bursche: Yongchul Lim
Eine Traumstimme: Tiina Lönnmark

Statisterie der Oper Frankfurt
Chor und Kinderchor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de