Plädoyer für freies Denken: »Der Club der toten Dichter« begeistert bei den Burgfestspielen Bad Vilbel

Der Club der toten Dichter ~ Burgfestspiele Bad Vilbel ~ Ensemble ~ © Eugen Sommer
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Gut eine Generation ist es her, dass Tom Schulmans Film Der Club der toten Dichter in der Regie von Peter Weir erschien. Dieser spielt in der Welton Academy, einem konservativen Internat für Jungen im US-Bundesstaat Vermont im Jahr 1959. Eine konservative Schulleitung wird mit nach Individualität strebenden Jungen konfrontiert. So werden die Leitwerte „Tradition, Ehre, Disziplin und Leistung“ von den Jungen kurzerhand zu „Travestie, Ekel, Dekadenz und Lethargie“ umgewandelt. Entscheidend für ihren Drang nach Freiheit und Individualität ist ein neuer Englischlehrer. Er macht sie mit der Kraft der Poesie sensibel für das Thema Mitläufertum und jeden Tag zu nutzen (getreu dem horazischen Motto „Carpe diem“).

Eine Theaterfassung von Joern Hinkel und Tilman Raabke wurde im Sommer 2021 bei den Bad Hersfelder Festspielen uraufgeführt. Diese Fassung eröffnete jetzt auch die Abendspielreihe der Burgfestspiele Bad Vilbel auf der großen Bühne. Umgesetzt wurde sie von der Regisseurin Milena Paulovics. Es ist ihre sechste Arbeit auf der Wasserburg (nach Wie im Himmel, Die Nibelungen, Shakespeare in Love, Was ihr wollt und zuletzt Viel Lärm um nichts).

Der Club der toten Dichter
Burgfestspiele Bad Vilbel
Ensemble
© Eugen Sommer

Schöner nostalgischer Rückblick auf die Geschichte

Auf Neuerungen oder aktuelle Bezüge verzichtet die Inszenierung. So ist der Abend ein schöner nostalgischer Rückblick auf die Geschichte. Der Eifer, die jugendliche ungestüme Energie, wie auch die teilweise Verschlossenheit und Unbeholfenheit der Jungen, kommt intensiv beim Publikum an.

Ein auf einem drehbaren Podest stehender Klassenraum bildet hierfür den Mittelpunkt der Einheitsbühne. Hochwertig wirken die holzvertäfelten Seiten- und Rückwände mitsamt ihren Treppen. Ein Doppelstockbett deutet eines der Schlafzimmer der Jungen an. Für die Szenen in der Höhle wird die seitliche Burgmauer genutzt. Die Schüler tragen uniformierte Schulkleidung (Ausstattung: Pascale Arndtz).

Ob man nun will oder nicht. Wohl bei jedem dürften allein beim Anblick des Klassenzimmers und dem Ertönen der Schulglocke eigene Erinnerungen aus der Schulzeit in den Sinn kommen. Von einer wie im Jahr 1959 herrschenden Disziplin in den Schulen dürfen heutige Lehrer:innen nur träumen. Gerade an Grundschulen sind Schüler:innen heute kaum noch zu bändigen. Der historisch anmutende Rückblick macht aber auch deutlich, dass eine derartige Hörigkeit, sei es gegen Lehrer oder Eltern, auch sehr dekonstruktiv sein kann (wie sich ja nicht zuletzt bei der Figur des Neil Perry zeigt).

Der Englischlehrer John Keating des Ralph Hönicke stellt sich seiner neuen Klasse fröhlich zwitschernd vor. Hönicke verkörpert die Figur des grundsympathischen Erziehers mit Gelassenheit und Idealismus. Die sechs Schüler sind erfahrene Theaterdarsteller. So wie Steffen Weixler als im Umgang mit Frauen erfahrener Aufreißer Charlie Dalton oder Sebastian Zumpe als vom uneinsichtigen Vater (Mr. Thomas Perry: Martin Bringmann) in die Enge getriebener Neil Perry.
Neben diesen beiden war bereits auch Friedemann Eckert (ängstlicher Todd Anderson) schon in Bad Vilbel zu erleben. Erstmal dabei sind Max Böttcher (als verunsicherter Richard Cameron), Steven Meeks (als technikaffiner Poki Wong) und Jonah Winkler (als unsterblich verliebter Knox Overstreet).

Die Vertreter der engstirnigen Erwachsenenwelt verkörpern Peter Albers (als strenger Schulleiter Gale Nolan) und Tobias Gondolf (als George McAllister und Chet Danburry). In kleinen Rollen beteiligt und sehr präsent geben Fee Zweipfennig (Chris Noel/Tina) und Alice von Lindenau (Mrs. Anderson/Gloria) die Damenrollen.

Ist das Ende auch nicht euphorisch, bleibt in Erinnerung, täglich das „Mark des Lebens aufzusaugen“ und den eigenen Weg nie aus den Augen zu verlieren.

Am Ende der besuchten zweiten Vorstellung gab es viel Applaus und vereinzelt Standing Ovations.

Markus Gründig, Juni 23


Club der toten Dichter

(Dead Poets Society)

Film von: Tom Schulman (1989)
Theaterfassung von: Joern Hinkel und Tilman Raabke unter Mitarbeit von Tom Schulman
Uraufführung: 1. Juli 2021 (Bad Hersfeld, Bad Hersfelder Festspiele)

Premiere bei den Burgfestspielen Bad Vilbel: 2. Juni 23
Besuchte Vorstellung: 3. Juni 23

Regie: Milena Paulovics
Ausstattung: Pascale Arndtz
Produktionsdramaturgie: Angelika Zwack
Regieassistenz: Luise Walter

Besetzung:

John Keating: Ralph Hönicke
Neil Perry: Sebastian Zumpe
Todd Anderson: Friedemann Eckert
Charlie Dalton: Steffen Weixler
Knox Overstreet: Jonah Winkler
Steven Meeks: Poki Wong
Richard Cameron: Max Böttcher
Gale Nolan: Peter Albers
George McAllister/Chet Danburry: Tobias Gondolf
Chris Noel/Tina: Fee Zweipfennig
Mrs. Anderson/Gloria/Tom: Alice von Lindenau
Mr. Thomas Perry: Martin Bringmann

Weitere Vorstellungen an ausgewählten Tagen bis zum 3. September 23.

Ab dem 3. Juni 23 findet zu den Vorstellungen ein Einführungsgespräch statt (im Kulturzentrum Alte Mühle, Lohstraße 13, Bad Vilbel, Beginn: 19.00 Uhr, sonntags: 17.00 Uhr).

kultur-bad-vilbel.de