Glitzernde »Anna Nicole« am Staatstheater Wiesbaden

Anna Nicole ~ Staatstheater Wiesbaden ~ Anna Nicole (Elissa Huber), Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Statisterie ~ Foto: Karl _Monika Forster

Detlev Glanert, Helmut Lachenmann, Olga Neuwirth, Matthias Pintscher, Wolfgang Rihm und Manfred Trojahn zählen zu den bekanntesten zeitgenössischen Komponisten neuer Musik. Zu ihnen gehört auch der Brite Mark-Anthony Turnage (* 1960). Seine musikalische Sprache ist nicht radikal neu, vielmehr hat er mit Elementen des Jazz und klassischen Stilen seinen eigenen gefunden. Dies zeigt sich besonders in seiner rasanten Farce Anna Nicole.
Die Musik hat moderne Anklänge, ist musikalisch aber traditionell gehalten und für ein breites Publikum angelegt. Das Libretto von Richard Thomas fußt auf wahren Begebenheiten, beinhaltet jedoch frei erfundene Texte und Situationen.
Der Revue-Oper liegt die reale Geschichte der US-Amerikanerin Anna Nicole Smith (1967 – 2007) zugrunde, deren schillernde Karriere als Fotomodel, Playmate und Schauspielerin (Die Nackte Kanone 33 ⅓) ein beliebtes Thema der Boulevardpresse war. Weltweite Aufmerksamkeit erzielte sie durch die Heirat mit dem 63 Jahre älteren Öl-Milliardär J. Howard Marshall, durch die langen Erbstreitigkeiten nach dessen Tod und nicht zuletzt durch ihren eigenen, mit nur 39 Jahren (verursacht durch eine Überdosis verschiedener Medikamente).
Als mediale Sensation wurde Anna Nicole 2011 im Royal Opera House London uraufgeführt (mit der Sopranistin Eva-Maria Westbroek in der Titelrolle).


Anna Nicole
Staatstheater Wiesbaden
Anna’s Notorious Showcrew (Jasper H. Hanebuth, Sofia Romano, Max Menendez-Vazquez, Anna Heldmaier, Soeren Niewelt, Sarah Steinemer) und Anna Nicole (Elissa Huber; Bildmitte), Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Statisterie
Foto: Karl _Monika Forster

Plakative Typen und knallige 1980er Fernsehstudioatmosphäre

Die Oper Dortmund zeigte im April 2013 das Werk erstmals in Deutschland. Diese Inszenierung war ab November 2018 auch am Staatstheater Nürnberg zu sehen. Das Hessische Staatstheater Wiesbaden ist das zweite Haus in Deutschland, das sich an eine Inszenierung von Anna Nicole heranwagt. Schon ein goldener Rüschenvorhang und eine seitlich davor platzierte Sitzecke wie aus einer Erotikbar, weist darauf hin, dass die Oper nicht in der Gosse spielen wird. Regisseur Bernd Mottl verlegte die Handlung in ein glitzerndes 1980er Fernsehstudio. Auf einer großen Tribüne sitzt das 40-köpfige Publikum und schaut gespannt, wie das Publikum im Saal, auf das Geschehen und reagiert mit dem Hochhalten verschiedener Plakate auf die jeweilige Situation. Das aus dem Chor und Statisten des Staatstheater Wiesbaden bestehende Bühnenpublikum bildet einen kunterbunten, repräsentativen Querschnitt der US-amerikanischen Gesellschaft ab. Jede(r) steht hier für einen bestimmten Typ, wie Geschäftsmann, Hausfrau, Hippi, Hochschulabsolvent, Inder, Kriegsveteran, Latino, Miss America, Muslime, Sportler u.v.m.

Benötigte Kulissen sind auf ein Minimum reduziert. Sie reichen, um wichtige Stationen aus Anna Nicole Smiths Leben zu verdeutlichen. Zu ihnen zählen u. a. ihre schwierige Zeit im Elternhaus im Kaff Mexia, Nachtcluberfahrungen, Besuch beim Schönheitschirurgen zur XXL-Brustvergrößerung und die darauf folgenden lebenslangen starken Rückenschmerzen und die Abhängigkeit von Schmerztabletten, Hochzeit mit dem greisen Milliardär und dessen Ableben, der Verlust des geliebten Sohns Daniel. Lediglich für eins der insgesamt 16 Bilder ändert sich die Szenerie. Dann zeigt die Rückseite der Tribüne einen schlichten Wohnraum, der auch ein Hotelzimmer sein könnte (Bühne, Kostüme: Friedrich Eggert). Die ohnehin schon kurzweilig angelegte Oper wird durch die tänzerischen Einlagen von „Annas Notorius Showcrew“ (Choreografie: Myriam Lifka) revuehaft aufgelockert. Vier heiße Lap Dancer sorgen für eine scharfe Einlage an Polestangen.

Bei aller oberflächlichen Effekthascherei im Werk (Annas erster und letzter Satz lautet „I want to blow you all… a kiss“) und in der Inszenierung, verfolgt Bernd Mottl eine Gesellschaftskritik durch maßlose Überzeichnung. Er zeigt eine sensationssüchtige Gesellschaft, die sich wegdreht, wenn Anna Hilfe sucht.


Anna Nicole
Staatstheater Wiesbaden
J. Howard Marshall (Uwe Eikötter), Anna Nicle (Elissa Huber), Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Statisterie
Foto: Karl _Monika Forster

Starke Elissa Huber

Der Baden-Württembergischen Sopranistin Elissa Huber gelingt es in der Titelrolle, ein packendes Porträt dieser schillernden wie ambivalenten Figur zu zeichnen. Ein Schicksal, das berührt, eine starke Frauenfigur, die sich danach sehnt, geliebt und begehrt zu sein, die ihrem Idol Marilyn Monroe nachzueifern versucht, etwas naiv ist, aber nie falsch. Der schauspielerische Anteil ist bei dieser Partie enorm. Elissa Huber packt ihn lässig und natürlich auf Highheels. Und kommt auch bei großen Koloraturen nicht ins Wackeln.
Als zwielichtiger Berater und Freund Stern zeigt Christopher Bolduc ein markantes Profil. Mezzosopranistin Margarete Joswig, bis 2014 mit Jonas Kaufmann verheiratet, gibt die verhärmte Mutter Virgie, die im zweiten Akt ein Großmaß an Emotionalität aufzeigt. Im Rollstuhl wahrt der J. Howard Marshall des Tenors Uwe Eikötter Klasse. Beim Annas Sohn Daniel denkt man zunächst, dies sei eine stumme Rolle, doch hat auch er was zu sagen. Bariton David Krahl zählt singend alle nur denkbaren Schmerz- und Betäubungsmittel auf.
Albert Horne hat nicht nur den Chor einstudiert, er leitet bei dieser Produktion auch das Hessische Staatsorchester Wiesbaden und lässt die vielseitigen Klangwelten Turnages prägnant erklingen. Für das Orchester gab es bei der Premiere einen Extraapplaus vom sichtbar hoch erfreuten Mark-Anthony Turnage, eine klasse Anerkennung und ein seltener Fall dazu.

Am Ende großer Jubel des Publikums für alle Beteiligte.

Markus Gründig, Februar 20


Anna Nicole ist nur bis zum 19. März 20 am Staatstheater Wiesbaden zu sehen!
Kommenden Samstag (22. Februar 20) überträgt 3sat Das Land des Lächelns mit Elissa Huber als Lisa.


Anna Nicole

Oper in zwei Akten

Von: Mark-Anthony Turnage
Libretto: Richard Thomas

Uraufführung: 17. Februar 2011 (London, Royal Opera House)
Deutsche Erstaufführung: 27. März 2013 (Dortmund, Oper Dortmund)
Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 15. Februar 20

Musikalische Leitung: Albert Horne
Inszenierung: Bernd Mottl
Bühne, Kostüme: Friedrich Eggert
Chor: Albert Horne
Choreografie: Myriam Lifka
Licht: Klaus Krauspenhaar
Dramaturgie: Daniel C. Schindler
Theaterpädagogik: Luisa Schumacher

Besetzung:

Anna Nicole: Elissa Huber
Stern: Christopher Bolduc
Virgie: Margarete Joswig
J. Howard Marshall: Uwe Eikötter
Shelley / Marshall Family: Lena Haselmann
Mayor of Mexia / Larry King: Christopher Diffey
Trucker / Doctor / Marshall Family: Ralf Rachbauer
Deputy Mayor / Patron / Runner: Frederic Mörth
Daddy Hogan / Marshall Family: Daniel Carison
Kay / Marshall Family: Annette Luig
Melissa / News Reporter: Fleuranne Brockway
Billy / News Reporter: Nathaniel Webster
Lap Dancer 1: Radoslava Vorgic
Lap Dancer 2: Karolina Liçi
Lap Dancer 3: Maike Menningen
Lap Dancer 4: Jessica Poppe
Teenage Daniel: David Krahl

Anna’s Notorious Showcrew: Sofia Romano, Anna Heldmaier, Sarah Steinemer, Jasper H. Hanebuth, Soeren Niewelt, Max Menendez-Vazquez, Nathalie Gehrmann

Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden


staatstheater-wiesbaden.de