Düster inszenierte Oper »Nabucco« am Staatstheater Mainz

Nabucco ~ Staatstheater Mainz ~ Ensemble ~ © Andreas Etter

Es ist eine Weile her, dass Giuseppe Verdis Frühwerk Nabucco in der Rhein-Main-Region aufgeführt wurde. Lothar Krause inszenierte die Oper 2011 am Staatstheater Darmstadt und Bettina Giese 2001 an der Oper Frankfurt. Der im argentinischen Córdoba geborene Regisseur (und ausgebildeter Konzertpianist) Marcos Darbyshire brachte sie jetzt am Staatstheater Mainz auf die Bühne des Großen Hauses. Dabei kann sich Mainz richtig gut fühlen. Nicht nur wegen der ambitionierten Inszenierung Darbyshires, sondern schon formal wegen der dort geltenden Corona-Schutzregeln. Wo in Hessen die Zuschauerzahl auf ein Maximum von 250 Personen begrenzt ist (unabhängig von der Größe des Hauses!), ist in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt eine volle Auslastung möglich (zudem gilt lediglich 2G und Maskenpflicht; allerdings gibt es keine Pausengastronomie).

Machtbesessener neubabylonischer König

Nabucco beruht auf der alttestamentarischen Erzählung (Kapitel 24 und 25 im 2. Buch der Könige) über den machtbesessenen neubabylonischen König Nebukadnezar II. Durch archäologische Schriften ist bestätigt, dass er 605 bis 562 v. Chr. lebte und zahlreiche Feldzüge geführt hat. Auch die Massendeportation der Hebräer und der Raub der Jerusalemer Tempelschätze gehen auf sein Konto.
Die 1842 an der Mailänder Scala uraufgeführte Oper hatte für die Italiener der damaligen Zeit große Bedeutung. Norditalien war von Österreich im Osten und von Napoleon III. im Westen besetzt. In der Geschichte der in Gefangenschaft geratenen Israelis konnten sich die Italiener in ihrer Sehnsucht nach nationaler Einheit wiederfinden und die große Chornummer „Va, pensiero“ wurde zur heimlichen Nationalhymne für ein freies Italien.

Nabucco
Staatstheater Mainz
Zaccaria (Simón Orfila), Ismaele (Vincenzo Costanzo), Fenena (Aya Wakizono), Chor
© Andreas Etter

Erweiterter Blick auf das Volk

Regisseur Marcos Darbyshire belässt es in seiner Umsetzung nicht beim klassischen Schwarz-Weiß-Bild, hier die guten Hebräer und dort die bösen Babylonier. Wie im wahren Leben gibt es nicht nur gute oder nur schlechte Menschen. In seiner Inszenierung ist insbesondere das Volk als überaus ambivalent und gewaltbereit gezeichnet. Es bleibt nicht treu auf einer Seite, immer wieder gibt es Überläufer zum gerade stärkeren Herrscher. Darbyshire erweitert nicht nur das szenische Spiel innerhalb der Oper, er setzt ihr einen Prolog vor. In diesem kommt es zu einem Kampf, an dessen Ende ein Mensch geopfert wird. So steht das Thema Gewalt von Beginn an im Raum. Abigaille sticht auf Nabucco ein. Am Ende wird sie nicht von Trümmern eines Götzenbildes getroffen, sondern ein kleiner, unschuldig wirkender Junge spielt erst mit einem Jo-Jo, um es dann als Tatwaffe gegen sie zu nutzen und ihr tödliche Verletzungen zuzuführen. Wenn selbst schon die jüngste Generation jegliche Hoffnung auf eine bessere, friedvolle Zukunft zunichtemacht, ist das eine sehr nihilistische Lesart.

Nabucco
Staatstheater Mainz
Ismaele (Vincenzo Costanzo), Zaccaria (Derrick Ballard), Fenena (Aya Wakizono), Nabucco (Brett Carter), Abigaille (Marta Torbidoni), Chor
© Andreas Etter

Finstere Atmosphäre

Darbyshires desillusionierender Blick auf die Menschheit spiegelt sich im finsteren Bühnenbild von Martin Hickmann. Anthrazitfarbene, blanke Wände zieren sowohl den Tempel in Jerusalem, wie den Palast in Babylon. Beide unterscheiden sich nur gering. Im Tempel gibt es einen goldenen Toraschrein, im Palast einen kleinen und spitzen goldenen Raum als Königsthron.
Seitlich ist ein Schacht als Feuerofen zu sehen, in dem Menschen geopfert oder schlicht getötet werden. Zeitlich wurde das Stück von 578 v Chr. in die 1960er Jahre verlegt. Dafür sprechen die Kostüme von Annemarie Bulla. Schlichte Alltagskleider für die Bevölkerung und etwas Chic für die Würdenträger. Die dabei wie ein TV-Moderator (Zaccaria) oder wie ein Multimillionär auf einer Luxusjacht (Nabucco) aussehen. Für Marcos Darbyshire beschränken sich Despoten nicht nur auf Politiker.

Nabucco
Staatstheater Mainz
Nabucco (Brett Carter), Abigaille (Marta Torbidoni)
© Andreas Etter

Starker Chor und überragende Marta Torbidoni als Abigaille

Dass Nabucco eine Choroper ist, wird am Staatstheater Mainz regelrecht gefeiert. Der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor und Extrachor des Staatstheaters Mainz sorgt für bewegende und klanggewaltige Eindrücke, wie man sie in den vergangenen zwei Jahren kaum gehört hat. Bis zu 50 Sänger:innen stehen dabei gleichzeitig auf der Bühne. Höhepunkt ist natürlich der Gefangenenchor („Va, pensiero“), der mit sanften Tönen beginnt und sich zu mehrstimmigen akkordischen Aufschwüngen steigert. Dass es sich bei Nabucco um ein Sturm- und Drangstück des jungen Verdi handelt, macht das Philharmonische Staatsorchester unter Daniel Montané mit Vehemenz hörbar.

Bei den Sänger:innen gab es zur Premiere einige neue Stimmen zu entdecken. Allen voran die der dramatischen Koloratursopranistin Marta Torbidoni in der Rolle der Abigaille (vermeintlich erstgeborene Tochter Nabuccos). Sie ist von der Regie auch darstellerisch stark gefordert, muss sich als Zeichen ihrer Radikalität nicht nur ihre langen Haare abschneiden, sie verletzt sich auch selbst im Gesicht, sodass sie anschließend mit einem Verband um den Kopf herumläuft und furchterregend ausschaut. Torbidoni verfügt über eine sehr abgerundete Stimme mit hoher Durchschlagskraft. Sie zählt seit der laufenden Spielzeit neu zum Ensemble.

Als stimmlich sehr kraftvoll zeigte sich auch Simón Orfila als Publicity suchender Hohepriester Zaccaria. Brett Carter verzichtet in der Titelrolle auf klassische Herrscherposen und nimmt mit einer warmen Baritonstimme sehr für sich ein. Tenor Vincenzo Costanzo gefällt als jugendlich wirkender Ismaele, wie auch Aya Wakizono als Fenena, Myungin Lee als Abdallo und Maren Schwier als Anna. Einen gewissenhaften Oberpriester des Baal gibt Stephan Bootz mit fundiertem Bass.

Am Ende starker und lang anhaltender Applaus für diesen düsteren Blick auf Verdis klanggewaltiges Polit-Melodram.

Markus Gründig, Januar 22


Nabucco

Oper in vier Akten
(Jerusalem / Der Frevler / Die Prophezeihung / Das zerbrochene Götzenbild)

Von: Giuseppe Verdi
Libretto: Temistocle Solera

Uraufführung: 9. März 1842 (Mailand, Teatro alla Scala)

Premiere am Staatstheater Mainz: 23. Januar 22 (Großes Haus)

Musikalische Leitung: Daniel Montané
Inszenierung: Marcos Darbyshire
Bühne: Martin Hickmann
Kostüme: Annemarie Bulla
Chor: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Sonja Westerbeck

Besetzung:

Nabucco: Brett Carter* / Ernesto Petti
Ismaele: Vincenzo Costanzo
Zaccaria: Simón Orfila* / Derrick Ballard
Abigaille: Marta Torbidoni* / Milla Mihova
Fenena: Aya Wakizono
Gran Sacerdote di Belo: Stephan Bootz
Abdallo: Myungin Lee
Anna: Maren Schwier

Chor und Extrachor des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

* Premierenbesetzung

Nächste Vorstellungstermine: 2. und 6. Februar, 20 und 29. März 22

staatstheater-mainz.de