Eine glanzvolle Premiere mit nicht enden wollenden Schlussapplaus hatte jetzt das Stephen Sondheim Musical Follies am Staatstheater Wiesbaden.
In der Regie von Tom Gerber und der Musikalischen Leitung von Albert Horne stehen zum einen aufwendig erstellte und prachtvolle Kostüme, und zum anderen ein famoses Ensemble mit Musical-Legende Pia Douwes im Mittelpunkt. Das Musical selbst zählt zwar nicht zu den größten Hits des Genres. Doch am Staatstheater Wiesbaden wird prachtvoll und mit sehr viel Elan das maximal Mögliche aus ihm herausgeholt.
Vom Altern und dem Verfall
Dass die Wahl auf dieses Musical fiel, hängt mit der letzten Spielzeit von Intendant Uwe Eric Laufenberg am Haus zusammen. Diese hat ihren Schwerpunkt auf letzte Worte und letzte Werke. Sondheim schrieb zu Beginn seiner Karriere (1957) die Liedtexte zu Leonard Bernsteins West Side Story und nach Follies in 1971 folgten noch große Musicals wie Sweeney Todd (1979) und Into the Woods (1987). Follies entstand also mitten in seiner Schaffensphase. Dass es dennoch zum Spielzeit-Schwerpunkt passt, hängt mit seinem Inhalt zusammen.
Das Concept Musical handelt von einer Abschiedsshow im Weismann Theater, das abgerissen und künftig als Parkhaus genutzt werden soll. Über dreißig Jahre war hier die Tanzrevue Follies zu sehen. Zur Show kommen noch einmal die Weismann-Girls aus früheren Tagen zusammen. Begleitet von ihren Ehemännern erinnern sie sich während dieses Abends nicht nur an die gute alte Zeit, sondern erzählen auch von ihren aktuellen Lebenssituationen. Diese sind insbesondere beim Paar Sally/Buddy und Phyllis/Ben von großen Partnerschaftsproblemen gezeichnet. Andere betreiben inzwischen erfolgreich eine Tanzschule, sind durch mehrfache Ehen zu Vermögen gekommen, sind im Fernsehen präsent, haben junge Liebhaber oder sind einfach, auch ohne Reichtum, glücklich (nicht zuletzt dank ihrer vielen schwulen Freunde). Dabei kann der Abriss des Theaters auch als Bild für das Altern und des Verfalls verstanden werden.
Opulente Kostüme
Gesungen und gesprochen wird komplett in deutscher Sprache. Dabei wird die Fassung von Martin G. Berger verwendet, die 2019 an der Dresdner Staatsoperette in der Außenspielstätte Kraftwerk Mitte erstmals gespielt wurde. Den Paaren Sally/Buddy und Phyllis/Ben werden ihre jeweiligen Figuren von vor 30 Jahren, also ihrer Jugend und des sich Kennenlernens, zur Seite gestellt (wie auch . Ein siebenköpfiges Tanzensemble bereichert mit viel Energie das Geschehen (Choreografie: Myriam Lifka). Die Musik ist typisch Sondheim und zitiert und verarbeitet die Musik der großen Broadwayrevuen. So spiegelt die Musik in weiten Teilen auch einen vergessen geglaubten Stil wider. Unter der Musikalischen Leitung von Albert Horne spielt das Hessische Staatsorchester Wiesbaden ohne Pathos und mit viel Schmiss. Horne leitet dazu nicht nur auch noch den Chor (der auch von den Proszeniumslogen aus singt), sondern ist auch als alter und gebrechlicher Theaterimpressario Weismann sehr präsent.
Das, an was sich die meisten Besucher sicher am meisten erinnern werden, sind vermutlich die opulenten und ausgefallenen Kostüme von Jannik Kurz. Die weißen Kleider der Follies haben ausgefallene Schnitte, Applikationen und pikante Ausschnitte. Dazu tragen sie großartigen Kopfschmuck. Mit viel Glitzer und Mut zu Farben stellen auch die weiteren Kostüme eine Hommage an die alten Broadwayrevuen dar. Bettina Neuhaus´ Bühne zeigt auf mehreren Ebenen Fragmente des Weismann Theaters, mitsamt Bar, einer dreiköpfigen Band, Schminktisch und Stage Door.
Glanzvolle Damen
Regisseur Tom Gerber, der am Staatstheater Wiesbaden u. a. auch das John Kander Musical Cabaret inszenierte, gibt jeden der Hauptfiguren viel Raum und erzählt diesen besonderen Abend sehr abwechslungsreich.
Die Figur der Sally, die mit Buddy verheiratet ist, aber eigentlich seit 30 Jahren Ben liebt, ist mit Musical-Legende Pia Douwes groß besetzt (alternierend: Frederike Haas, die diese Partie bereits 2019 in Dresden gab). Ihr gehört der bekannteste Song des Musicals: „Ich verliere meinen Verstand“ („I’m loosing my mind“), den sie intensiv und verinnerlicht darbietet. Die Phyllis der Jacqueline Macaulay gefällt mit ihrem nüchteren Blick auf die Realität, insbesondere was ihren Mann Ben anbelangt. Apropos Männer. Diese kommen hier nicht so glanzvoll davon, wie die Ladys. Ben (sympathisch aber distanziert: Thomas Maria Peters) weiß auch mit über 50 Jahren noch nicht, was er eigentlich will. Buddy sehnt sich nach Häuslichkeit und Nähe, die ihm seine Sally nicht geben kann. Obwohl er sie liebt, geht er fremd (herzlich: Dirk Weiler). Herausragend auch die agile und stylische Carlotta der April Hailer. Die Geschichten der Nebenfiguren werden im Interviewstil groß projiziert (Video: Eduardo Mayorga).
Das Ende ist nüchtern und hat einen Hauch von Hoffnung: Die Paare beschließen trotz ihrer Krisen zusammenzubleiben, ist schließlich der einfachste Weg.
Follies ist an ausgewählten Terminen bis zum Spielzeitende im Großen Haus zu sehen.
Markus Gründig, Oktober 23
Follies
Musik und Gesangstexte: Stephen Sondheim
Buch von: James Goldman
Deutsche Fassung von: Michael Kunze
Alternative deutsche Fassung von: Martin G. Berger (2019)
Broadway-Originalproduktion von: Harold Prince
Orchestration von: Jonathan Tunick
In Übereinkunft mit: Cameron Mackintosh
Uraufführung: 4. April 1971 (New York, Winter Garden Theatre)
Deutsche Erstaufführung: 27. September 1991 (Berlin, Theater des Westens)
Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 21. Oktober 23 (Großes Haus)
Deutsche Fassung von Martin G. Berger
Musikalische Leitung: Albert Horne
Inszenierung: Tom Gerber
Bühne: Bettina Neuhaus
Kostüme: Jannik Kurz
Choreografie: Myriam Lifka
Dance Captain: Jasper H. Hanebuth
Video: Eduardo Mayorga
Licht: Oliver Porst
Dramaturgie: Florian Delvo
Besetzung:
Sally: Pia Douwes, Frederike Haas
Phyllis: Jacqueline Macaulay
Buddy: Dirk Weiler
Ben: Thomas Maria Peters
Junge Sally: Kelly Panier
Junge Phyllis: Larissa Hartmann
Junger Buddy: Niklas Roling
Junger Ben: Johannes Summer
Carlotta: April Hailer
Solange: Annette Luig
Hattie / Stella: Andrea Baker
Heidi Schiller: Sharon Kempton
Junge Heidi: Elisa Birkenheier
Weismann / Roscoe: Albert Horne
Emily Whitman: Ines Behrendt
Theodore Whitman: John Holyoke
Kevin: Jasper H. Hanebuth
Margie Karikatur: Nicoletta Luna Iparraguirre De las Casas
Sally Karikatur: Josefine Rau
Chor & Chorsolist:innen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden