Vor kurzem feierte am Staatstheater Mainz die selten gespielte Opéra-bouffe Die schöne Helena von Jacques Offenbach Premiere. Auch am Staatstheater Wiesbaden ist jetzt Werk von Offenbach zu erleben: Die Opéra-comique Fantasio. Es ist ein lange Zeit in Vergessenheit geratenes Werk, das erst in den letzten Jahren wieder ab und an aufgeführt wird. Wie in Mainz, ist auch in Wiesbaden ein mehrheitlich aus Frauen bestehendes Inszenierungsteam für die szenische Umsetzung verantwortlich.
Eigene Textfassung
Die Handlung spielt in einem märchenhaften München. Dabei geht es um eine königliche Residenz und um freiheitlich gesinnte Studenten der Universität. In Wiesbaden verzichtete man nicht nur auf jegliche bajuwarische Bezüge, Regisseurin Anna Weber und Dramaturgin Hanna Kneißler erstellten eine eigene Textfassung. Diese verortet die Geschichte kurzerhand in ein fiktives Theater der Gegenwart, dem der Abriss durch einen Investor droht. Widerstand gegen den Ausverkauf der künstlerischen Freiheit ist vorprogrammiert. Mitunter wirkt die Geschichte etwas arg bemüht. Auf die Unterschiede zum Original wird im Programmheft mit Fußnoten hingewiesen.
Theater ums Theater
Regisseurin Anna Webers Umsetzung ist voller Schwung und Witz, das Publikum folgt dem überzogen dargestellten Treiben gebannt (160 Minuten inklusive einer Pause nach 90 Minuten). Gespielt wird nicht nur auf der Bühne, sondern auch aus den Proszeniumslogen und dem Publikumssaal. Auf der Bühne ist zunächst lange Zeit eine Art Eiserner Vorhang zu sehen, eine verspiegelte Abtrennung zwischen der normalen Welt und dem Theaterinneren. Die übrige Kulisse besteht überwiegend aus herabgelassenen Prospekten (Garten/Schloss/Hochzeitskulisse), die mit kunterbunten Farben an das Barocktheater anspielen. Ernst wird die Situation, wenn die Bautruppe des Investors mit schweren Schweißgeräten und Betonmischer dem Theater den Garaus machen wollen. Die Inszenierung weist auf die aktuelle Bedrohung der Kultur hin, denn der Rotstift bedroht aktuell vielerorts die Kunst (nicht nur in Berlin, besonders auch die Freie Szene bundesweit).
Beim Wechsel zwischen realer und Theaterwelt wechseln die Figuren ihre Kostüme. Im Theater gleichen sie Fantasie- oder Tierwesen. Mitunter ist man ob der Vielfalt irritiert und man fragt sich, ob man hier vielleicht schon in der Weihnachtsvorstellung gelandet ist, weil manches gar arg kindgerecht anmutet. Wie auch die Figuren sehr überzeichnet agieren. Zwischendurch gibt es schöne poetisch anmutende Bilder. Etwa die Szene mit den schwebenden Mädchenballons (Sina Manthey).
Nicht kleckern sondern klotzen schien das Motto für die ausgefallen bunten und karnevalesk angehauchten kunterbunten Kostüme von Laura Kirst gewesen zu sein. Selbst die zu versteigernden Sachen aus dem Theaterkosmos sind ideenreich in Szene gesetzt. Hier gibt es für das Auge sehr viel zu entdecken.
Harmonie unter Frauen
Bezüglich der Titelrolle Fantasio gibt es hinsichtlich der Besetzung eine Besonderheit. In der Urfassung war sie für den Tenor Victor Capoul geschrieben. Bei der Uraufführung sang sie eine Mezzosopranistin und bei der „Wiener-Fassung“ eine Sopranistin. In Wiesbaden ist Fantasio eine Anführerin einer studentischen Gruppe. Die Partie ist mit den Mezzosopranistinnen Fleuranne Brockway und Camille Sherman doppelt besetzt. Ursprünglich sollte die gebürtige Australierin Brockway Fantasio bei der Premiere geben, fiel dann aber krankheitsbedingt aus. So oblag es der gebürtigen US-Amerikanerin Sherman, die Titelfigur vorzustellen. Dies tut sie klangschön, gewitzt und engagiert.
Eine starke Frau ist auch die Prinzessin Theres, die sich tapfer gegen eine Zwangsehe auflehnt. Hier ist Therese die Tochter des Intendanten. Auch diese Partie ist mit den Sopranistinnen Josefine Mindus und Galina Benevich doppelt besetzt. Mit ihren Koloraturen und lyrischen Qualitäten nimmt die gebürtige Schwedin Mindus für sich ein. Zusammen bildet sie mit Sherman am Ende ein tolles harmonisches Gespann.
Vor allem den männlichen Partien fallen die komischen Momente zu. Und von diesen gibt es in dieser Operette viele. Noch vor dem eigentlichen Beginn sorgt eine Ausverkaufsauktion für so manchen Schmunzler, wenn sich Türen öffnen und sich die Ausverkaufsstücke (wie Mond oder die Komödie) zeigen. Als Auktionator Rutten mit überdimensionalem Auktionshammeroutfit führt Schauspieler Michael Birnbaum die ungewöhnlichen Exponate pathetisch vor.
Preziös ist der Intendant des Fabian-Jakob Balkhausen (alternierend: Jonathan Macker). Ein gar komisches Gespann geben der Großinvestor (hemmungslos: Jack Lee) und sein Getreuer Marinoni (vergnügt: Sascha Zarrabi) ab. Punktuelle Akzente setzen die leuchtende Kerze Flamel (Inna Fedorii) und Theatermann Sparck (James Young).
Der von Albert Horne einstudierte Chor des Staatstheaters Wiesbaden kann sich schon gleich zu Beginn aus dem Saal heraus lautstark einbringen. Das Staatsorchester Wiesbaden spielte erstmals unter der musikalische Leitung des 1. Kapellmeisters Chin-Chao Lin. Sehr sänger:innenfreundlich und mit schwungvollen Tönen.
Zusätzlich wirken Performerinnen des Jungen Staatsmusicals und Gäste mit, die mit Tanzszenen und akrobatische Einsätze das ohnehin schon rege Treiben vielseitig um weibliche Energie ergänzen (Choreografie: Paulina Alpen).
Sprichwörtlich schwungvoll ist das Ende, wenn der Investor auf seiner Abrissbirne sitzend von der Umsetzung seiner Baupläne Abschied nehmen muss. Mit einer Hymne an das Publikum, dass ja letztlich jede Theateraufführung erst möglich macht, endet diese humorvolle Darbietung.
Intensiver und lang anhaltender Schlussapplaus, einige wenige Buh-Rufe für das Regieteam gab es jedoch auch.
Markus Gründig, November 24
Fantasio
Opéra-comique in drei Akten
Von: Jacques Offenbach (1819–1880)
Libretto: Paul de Musset und Charles Nuitter nach der Komödie von Alfred de Musset
Uraufführung: 18. Januar 1872 (Paris, Opéra-Comique, Salle Favart)
Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 10. November 24 (Großes Haus)
In einer Übersetzung von: Carsten Golbeck
Fassung von: Anna Weber und Hanna Kneißler
In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Chin-Chao Lin
Inszenierung: Anna Weber
Bühne: Sina Manthey
Kostüme: Laura Kirst
Choreographie: Paulina Alpen
Licht: Marcel Hahn
Chor: Albert Horne
Dramaturgie: Hanna Kneißler
Besetzung:
Fantasio: Fleuranne Brockway / Camille Sherman*
Theres: Josefine Mindus*/Galina Benevich
Ein Prinz: Jack Lee
Marinoni: Sascha Zarrabi
König vom Theater: Jonathan Macker*/Fabian-Jakob Balkhausen
Flamel: Inna Fedorii
Rutten: Michael Birnbaum
Sparck: James Young
Facio: Joshua Sanders
Hartmann: Wooseok Shim
* Premierenbesetzung
Mitglieder des Jungen Staatsmusicals und Gäste
Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
staatstheater-wiesbaden.de
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