In einem Hochtal der Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien gelegen, liegt das Fürstentum Andorra. Es ist als Wintersportgebiet und Einkaufsparadies angesagt. Der Schweizer Autor Max Frisch (1911 – 1941) wählte es für seine gleichnamige, im Jahr 1961 erschienene Parabel aus. In dieser geht es um einen Prozess der Bewusstseinsveränderung. Andri, ein zwanzigjähriger Mann, wird von seiner Umwelt, den Andorranern, unreflektiert in eine Rolle reingezwängt, die er schließlich mit fatalen Folgen annimmt. Seit Jahren zählt das Stück zum Schulkanon und passt perfekt zum Spielzeitmotto Antisemitismus.
Bedrückende, dunkle Bunkeratmosphäre statt weiße Hausfarben und heile Bergwelt
Dawid Bösch, der gerade auch Shakespeares Wie es euch gefällt im Schauspielhaus inszenierte, zeichnet auch für Andorra verantwortlich. Auch das Bühnenbild stammt wiederum von Patrick Bannwart. Auch hier ist es ein schwarzer, leerer Raum. Allerdings noch beklemmender, erdrückender als in Wie es euch gefällt. Der Raum gleicht einem großen Bunker, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. An der Decke gibt es eine Öffnung in Form eines herausgeschnittenen Kreuzes. Ein weißer Farbklecks verläuft als loser Verweis auf die abhandengekommene Unschuld der Christen hin. Bösch konzentriert sich stark auf den Text, verzichtet auf Musik und Videoprojektionen.
Wandelbarer Nils Kreutinger
Die zwölf kurzen Szenen werden vom Ensemble eindringlich dargeboten. Wenn sich einige für ihr Tun rechtfertigen, sprechen Sie von der Rampe direkt zum Publikum (wie der autoritäre Arzt des Stefan Graf oder der akkurate Tischler des Peter Schröder). In der Rolle des zum feigen, geschäftstüchtigen Juden abgestempelten Andri überzeugt Nils Kreutlinger. Während er kürzlich als Grabmacher in Zsuzza Banks Alles ist groß als sonorer Grabmacher glänzte, tut er es hier als cooler junger Erwachsener, der seine Lockerheit auch in einer Körpersprache authentisch wirkend umsetzt. Gleichsam vollzieht er den Wandel zum konfliktbeladenen Opfer mit großer Intensität. Wenn die Barblin der Sarah Grunert zu Beginn mit strahlenden Augen freudig bekennt „es liegt etwas in der Luft“, wirkt ihre positive Energie ansteckend. Am Ende die gleichen Worte anteilnehmend und unheilvoll.
Die anderen Figuren sind in diesem Stück als Typen gekennzeichnet. So der verängstigte Lehrer des Michael Schütz, die nicht die Wahrheit aussprechen dürfende Senora der Christina Geiße, der plumpe und rohe Soldat des Isaak Dentler, der gut kalkulierende grobe Wirt des André Meyer und der sich besonnen gebende Pfarrer des Sebastian Reiß. Vom Studiojahr Schauspiel ist Jonathan Lutz als agiler Geselle beteiligt.
Am Ende fühlt sich keiner schuldig, hat jeder eine Rechtfertigung für seine Meinung und sein Tun. Nur woher kommen diese Vorurteile, diese vorgefertigten Bilder über Juden? Sie sind in den Köpfen drin, ohne dass sie jemals hinterfragt wurden. Ist ein Einzelner wirklich machtlos für Veränderungen?
Markus Gründig, Oktober 20
Andorra
Stück in zwölf Bildern
Von: Max Frisch
Uraufführung: 2. November 1961 (Zürich, Schauspielhaus)
Deutsche Erstaufführungen: 20. Januar 1962 (Düsseldorf, Düsseldorfer Schauspielhaus; Frankfurt/M, Schauspiel Frankfurt; München, Münchner Kammerspiele)
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 9. Oktober 20 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 11. Oktober 20
Regie: David Bösch
Bühne: Patrick Bannwart
Kostüme: Falko Herold
Licht: Ellen Jäger
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Besetzung:
Barblin: Sarah Grunert
Andri: Nils Kreutinger
Lehrer: Michael Schütz
Senora: Christina Geiße
Soldat: Isaak Dentler
Tischler: Peter Schröder
Wirt: André Meyer
Doktor: Stefan Graf
Pfarrer: Sebastian Reiß
Geselle: Jonathan Lutz
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