Es soll der perfekte Mord werden, doch dann kommt alles ganz anders. Morgan Lloyd Malcolms Drama The Wasp steckt voller Überraschungen und ungeahnter Wendungen. Dabei ist die Geschichte von zwei Frauen weit mehr als nur ein spannend konstruierter Krimi. Große Themen wie Mobbing, Nachwirkung von Traumata, Ehebruch, erlebte Gewalt, Mißbrauch und Rache werden darin behandelt. Das English Theatre Frankfurt (ETF) mutet seinem Publikum einiges zu, am Ende ist im Saal niemand unberührt.
Aufgrund der anhaltenden Sanierungsarbeiten am Stammsitz (Gallileo Hochhaus) ist das English Theater jetzt temporär zu Gast an Michael Quasts Volksbühne im Großen Hirschgraben. Zur exklusiven Premiere von The Wasp konnte das English Theatre Frankfurt erstmals Christine Lagarde im Publikum begrüßen. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) zählt zu den einflussreichsten und wichtigsten Frauen der Welt. Eine Verbindung zwischen dem English Theatre Frankfurt und der EZB besteht seit vielen Jahren. Durch den geplanten Einzug von einem Teil der EZB in das Galileo Hochhaus wird sich diese künftig intensivieren (die EZB ist der neue Hauptmieter).
Das zwei Personenstück handelt von Carla und Heather. Die beiden um die 30-Jahre alte Frauen treffen sich in einem Café. Sie kennen sich aus Kindheitstagen von der Schule, hatten aber 20 Jahre lang keinen Kontakt mehr. Ihre Lebensläufe verliefen sehr unterschiedlich. Carla lebt in ärmlichen Verhältnissen und ist mit dem fünften Kind schwanger (der Mann ist doppelt so alt). Heather lebt mit ihrem Mann gut situiert im eigenen Haus, das Paar hat vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Heather macht Carla ein besonderes Angebot, das diese aufgrund ihrer prekären Lage nicht ablehnen kann: Sie soll Heathers Mann ermorden…
Schnell wird deutlich, wie stark Mobbing-Ereignisse in der Jugend Leben und Empfinden lebenslang prägen können. Aber auch, wie stark sich Rachegedanken übelst manifestieren können. In der pausenlosen 80-minütigen Aufführung überschlagen sich die Ereignisse. Schreckliche Geschehnisse aus der Vergangenheit werden aufgedeckt und die Dramatik steigert sich einem finalen Höhepunkt entgegen. Der Titel nimmt Bezug zur Wespenart Tarantulafalke, deren Larven sich parasitoid an Vogelspinnen entwickeln. Erst am Ende wird erdrückend deutlich, was es mit der Verbindung zwischen Wespe und den beiden Frauen auf sich hat.
Unter der Regie von Psyche Stott (Girl on The Train / The Two Popes) haben Lucy Walker (Heather) und Jocasta King (Carla) nicht nur viel Text zu bewältigen, sie spielen auch mit packender Intensität. Dabei ist die Bühne von Katie Lias (auch Kostüme) schlicht gehalten. Die Handlungsorte Café und Haus von Heather wirken nicht zuletzt wegen vieler Neonröhren und Metallstangen mitunter wie ein Verhörraum und nicht wie Wohlfühlräume.
Das Stück der britischen Dramatikerin Morgan Lloyd Malcolm wurde 2015 in London uraufgeführt. Diesen Sommer erschien eine Verfilmung. Die Originalfassung davon wird im Rahmen des Fantasy Filmfest 2024 einmalig am 25. September 24 im Frankfurter Harmonie Kino zu sehen sein (ab 18 Jahren). Für die Theaterfassung, die jetzt erstmals in Deutschland zu sehen ist, gibt es keine Altersbeschränkung.
Die Spielzeit des ETF steht unter dem Motto „Not all who wander are lost“ („Nicht alle, die wandern, sind verloren“). Für die Protagonistinnen von The Wasp trift das nur bedingt zu.
Am Ende der Premiere herrschte nicht nur Betroffenheit, es gab auch intensiven und lang anhaltenden Applaus.
The Wasp wird nur für zwei Wochen in der Volksbühne gespielt. Bereits am 22. September 24 findet die Derniere statt. In der mangels ausreichender Spielstätten eingeschränkten Spielzeit 2024/25 des ETF wird vom 11. Dezember 24 bis 20. Februar 25 das Musical Nunsense im Theater am Zoo präsentiert. Im April 25 soll dann noch ein weiteres Gastspiel in der Volksbühne am Großen Hirschgraben folgen (das betreffende Stück wurde noch nicht bekanntgegeben), bevor es dann hoffentlich mit Spielzeitbeginn 2025/26 am Stammsitz mit der Wiederaufnahme von Something Rotten! weitergehen kann.
Die nächste große Premiere in der Volksbühne im Großen Hirschgraben findet am 10. Oktober 24 statt, mit Jacques Offenbachs Operette Die Großherzogin von Gerolstein.
Markus Gründig, September 24
The Wasp
A nail-biting psychological thriller
Von: Morgan Lloyd Malcolm,
Uraufführung: 29. Januar 2015 (London, Hampstead Theatre Downstairs)
Premiere am English Theatre Frankfurt (Deutsche Erstaufführung): 6. September 24 (Cantate-Saal der Volksbühne am Großen Hirschgraben)
Spielzeit: bis 22. September 24
Regie: Psyche Scott
Bühne & Kostüme: Katie Lias
Licht: Neill Brinkworth
Ton: Adrienne Quartly
Kampf-Szenen: Joseph Dereed
Besetzung:
Heather: Lucy Walker
Carla: Jocasta King
english-theatre.de