Tschechows »Der Kirschgarten« beherzt am Frankfurter Theater Willy Praml

Tschechow. KIRSCHGARTEN. Komödie ~ Theater Willy Praml ~ Ljubow Andrejewna (Anna Staab) ~ Foto: Seweryn Zelazny
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Die Menschen, die Tschechow in seinem letzten Bühnenwerk, Der Kirschgarten, beschreibt, sind besonders. Wie in einer Starre verharren Sie in ihrer unglücklichen Situation, sind unfähig zur Selbstreflexion oder gar um Veränderungen herbeizuführen. Er selbst bezeichnete es als Komödie. Dafür muss man aber seinen Sinn für Humor verstehen. Denn eine Komödie im Sinne des Boulevardtheaters ist das Stück nicht. Humor und Tragik machen es mehr zu einer Tragikomödie. Im Kern zeigt er die Unvereinbarkeit der Kräfte der alten mit denen der neuen Zeit. Im Stück steht ein prachtvoller Kirschgarten für die gute alte Zeit. Weil die Familie, deren Besitz der Kirschgarten ist, hoch verschuldet ist, wird er zwangsversteigert. Abgeholzt und in Parzellen aufgeteilt, sollen an seiner Stelle Villen gebaut werden.

Tschechow. KIRSCHGARTEN. Komödie
Theater Willy Praml
Ensemble
Foto: Seweryn Zelazny

In einer leicht komprimierten Fassung zeigt das Frankfurter Theater Willy Praml in der Regie von Michael Weber (auch Bühne) eine werknahe Umsetzung (zwei Stunden ohne Pause). Dabei wird die besondere Atmosphäre der Spielstätte, der Naxos Halle, gut genutzt. Der Boden ist mit weißen Planen belegt und wirkt wie eine kühle Winterlandschaft. Große rote Teddybären dienen zunächst als Zufluchtsort, doch eine Zukunft hat dieser Ort nicht, weshalb sie schnell verschwinden und einer als Mahnmal wie eine Fahne hochgezogen wird. Ein kleiner Streifen des Bodens offenbart, aufgedeckt, grünen Rasen und damit ein kleines Stück Utopie. Farbtupfer bilden die heutige, kontrastreiche und bunte Kleidung der Figuren, die russische Klischees reflektiert (Kostüme: Paula Kern).

Tschechow. KIRSCHGARTEN. Komödie
Theater Willy Praml
Jascha (stehend; Kamel Najma) und Ensemble
Foto: Seweryn Zelazny

Das Publikum sitzt auf einer Tribüne im Westflügel der Halle. Von dort ist der Einblick in die Halle umfassender, als von der umbauten Tribüne im Ostflügel. Vor dieser befindet sich, zunächst wie jede Person unter einer Plane, der Kirschgarten. Die Kirschbäume werden von einer Gruppe Statisten:innen fortgeschrittenen Alters dargestellt. Hierfür reicht, dass sie jeweils einen kleinen Ast in den Händen halten. Seit 2001 bezieht das Theater Willy Praml immer wieder ältere Mitbürger:innen in seine Inszenierungen ein (begonnen mit Liebesbriefe an Adolf Hitler – Briefe in den Tod), hier passt dies besonders gut. Die Verkörperung der Kirschbäume wird zum Ende besonders dramatisch: Der geschäftstüchtige Kaufmann Lopachin (agil: Jakob Gail) verfrachtet sie kurzerhand in einen Transporter. Sehr gut gemacht ist auch eine Videoanimation der Figuren, die den Lauf der Zeit und das Altern zeigt (Film: Rebekka Waitz). Pjotr Iljitsch Tschaikowskis hoch romantische Romanze in f-moll (op. 5) klingt mehrfach an (in verschiedenen Varianten), wodurch der Kühle des Bühnenbildes emotionale Wärme entgegensetzt wird.

Tschechow. KIRSCHGARTEN. Komödie
Theater Willy Praml
Firs (Willy Praml)
Foto: Seweryn Zelazny

Mit großer Leidenschaft ist das Ensemble dabei. Anna Staab ist eine jung wirkende Lebedame und Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna mit starker Präsenz, die, wie alle fast Figuren, mit der Situation überfordert ist. Muawia Harb gibt ihren kompromissbereiten Bruder (Leonid Andrejitsch Gajew). Hannah Bröder nimmt als ihre Tochter Anja ein, die mit dem Studenten Pjotr Trofimow (Florian Schongar) liiert ist. Birgit Heuser ist eine ernüchternde, stets auf einen Heiratsantrag wartende Warja. Markant ist der Kontorist Jepichodow des Reinhold Behling. Aufgeweckt sind der junge Lakai Jascha (Kamel Najma) und das Dienstmädchen Dunjascha (Rebekka Wait).
Bei aller im Stück liegenden Lethargie gibt es am Ende einen kleinen Hoffnungsschimmer. Der alte Lakai Firs (akkurat: Willy Praml) hält plötzlich einen kleinen Ast mit frischer Knospe in den Händen.
Viel freundlicher Applaus.

Markus Gründig, März 23


Tschechow. KIRSCHGARTEN. Komödie

(Wischnjowy sad)
Komödie in vier Akten
Von: Anton P. Tschechow
Uraufführung: 17. Januar 1904 (Moskau, Künstletheater)

Premiere: Freitag, 10. März 23 (Naxos Halle)
Besuchte Vorstellung: 25. März 23

Regie, Bühne: Michael Weber
Kostüme: Paula Kern
Film: Rebekka Waitz
Lichtdesign: Christian Köhler, Simon Möllendorf
Regieassistenz: Florian Schongar

Besetzung:

Ljubow Andrejewna, Gutsbesitzerin: Anna Staab
Anja, ihre Tochter: Hannah Bröder
Warja, ihre Pflegetochter: Birgit Heuser
Leonid Andrejitsch Gajew, ihr Bruder: Muawia Harb
Jermolaj Alexejitsch Lopachin, Kaufmann: Jakob Gail
Pjotr Trofimow, Student: Florian Schongar
Jepichodow, Kontorist: Reinhold Behling
Dunjascha, Dienstmädchen: Rebekka Wait
Firs, Lakai, ein Greis von 87 Jahren: Willy Praml
Jascha, ein junger Lakai: Kamel Najma

theater-willypraml.de