Ferdinand Schmalz´ »Mein Lieblingstier heißt Winter« am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt

Mein Lieblingstier heißt Winter ~ Schauspiel Frankfurt ~ Wolfgang Vogler, Tanja Merlin Graf, Melanie Straub, Katharina Linder ~ Foto: Jessica Schäfer

Leben und Sterben gehören untrennbar zueinander, auch wenn Letzteres gerne verdrängt wird. Der österreichische Dramatiker und Theaterwissenschaftler Ferdinand Schmalz (2020 mit jedermann (stirbt) im Schauspielhaus) setzte sich mit diesem Thema in seinem 2021 erschienenen Debütroman Mein Lieblingstier heißt Winter auseinander. Bereits 2017 erschienen daraus Auszüge, für die er prompt mit dem renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.
Am Schauspiel Frankfurt ist nun erstmals eine amüsante szenische Fassung des Romans zu erleben (in einer Erarbeitung von Regisseurin Rieke Süsskow und Dramaturgin Katja Herlemann).

Mein Lieblingstier heißt Winter
Schauspiel Frankfurt
Stefan Graf, Tanja Merlin Graf, davor: Katharina Linder
Foto: Jessica Schäfer

Schon die skurril anmutenden Inszenierungsbilder verheißen einen unterhaltsamen Abend und das ist er dann auch. Dabei ist er ob der besonderen Erzählstruktur besonders. Denn die Erzählstimme hat einen dominierenden Anteil, die Figuren sprechen stets nur kurze Sätze und Dialogszenen sind Mangelware. Schmalz´ rhythmisierte Prosa bietet einige Kuriositäten, Sensibilität und „gewitzten Nonsens“ (Paul Jandl in der Neuen Zürcher Zeitung, 2021).

Formal geht es bei dieser Kriminalkomödie um einen Tiefkühlkostvertreter, der Hilfe bei einem Suizid leisten soll, dann mangels Leiche zu einem Ermittler wird (und dabei selbst in starke Bedrängnis gerät). Eingesprenkelt sind kurze Bezüge zu Themen wie Ernährung und Klimawandel.

Mein Lieblingstier heißt Winter
Schauspiel Frankfurt
Christina Geiße, Stefan Graf, Tanja Merlin Graf
Foto: Jessica Schäfer

In die Uraufführungsinszenierung wurde viel Arbeit investiert, allein in den Bühnenaufbau. Er besteht aus einer Art Karussell mit fünf Seiten (der Roman beginnt in einem Vergnügungspark). Diese zeigen in Puppenhausmanier die unterschiedlichen Handlungsräume wie Bierbar, Leichenhalle oder eine Straßenflucht. Sie werden vielfach variiert und zum Ende hin demontiert (Bühne: Marlene Lockemann).

Davor ragt aus dem Bühnenboden die Erzählstimme in Form der Katharina Linder heraus. Sie agiert wie eine Dirigentin. Auf ihre Befehle hin ändern sich Licht und Ton, sprechen die ansonsten in exaltierten Posen verharrenden Figuren und erklingen auf die Handlung abgestimmte Soundgeräusche (sowie das „Lacrimosa“ aus Mozarts Requiem; Sound Design und Komposition: Max Windisch-Spoerk). Identitäten sind hier Nebensache. Die überwiegenden männlichen Figuren werden von Schauspielerinnen gegeben, die Damen von den Herren. Dabei sind Christina Geiße, Tanja Merlin Graf, Stefan Graf, Anabel Möbius, Melanie Straub und Wolfgang Vogler so gut durch Maske, Haare und Kostüme zurechtgemacht, dass es oftmals schwer fällt, die wahren Schauspieler:innen zu erkennen (Kostüme: Sabrina Bosshard).

Regisseurin Rieke Süßkow, die im Januar bereits am Staatstheater Mainz Hans Henny Jahnns Der staubige Regenbogen inszenierte und mit Peter Handkes Zwiegespräch am Burgtheater Wien zum Berliner Theatertreffen 2023 eingeladen ist, zeigt das abgründige und oftmals skurril anmutende Mein Lieblingstier heißt Winter mit rasantem Tempo, viel Situationskomik und Leidenschaft. So wie die Erzählerin aus dem Graben die puppenhaften Figuren dirigiert, mahnt der Schluss den gefährdeten freien Willen an: Zur Nachbildung einer überdimensionalen Ameise wird vom parasitären Kernkeulenpilz erzählt, der sich im Kopf der Ameise eingenistet hat. Nun kann er deren Gedanken kontrollieren. So ist es ihm ein Leichtes, nach dem Absterben der Ameise sich auf dem Waldboden munter zu vermehren…
Viel freundlicher Applaus.

Markus Gründig, März 23


Mein Lieblingstier heißt Winter

Roman von: Ferdinand Schmalz (* 1985)
Für die Bühne bearbeitet von: Rieke Süsskow und Katja Herlemann

Premiere/Uraufführung am Schauspiel Frankfurt: 26. März 23 (Kammerspiele)

Regie: Rieke Süßkow
Bühne: Marlene Lockemann
Kostüme: Sabrina Bosshard
Sound Design und Komposition: Max Windisch-Spoerk
Licht: Johannes Richter
Dramaturgie: Katja Herlemann

Mit: Christina Geiße, Tanja Merlin Graf, Stefan Graf, Katharina Linder, Anabel Möbius, Melanie Straub, Wolfgang Vogler
Statisterie: Annika Müller, Jannis Zeiger

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