Beifallsstürme beim »Dreigroschenoper«-Gastspiel des Berliner Ensembles bei den Internationalen Maifestspielen

Die Dreigroschenoper ~ Berliner Ensemble ~ Ensemble ~ Foto: Jörg Brüggemann / Berliner Ensemble

Mit Corona-bedingter Verspätung konnte im August 2021 Bertolt Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper am Berliner Ensemble Premiere feiern. Dort wurde das Werk 1928 uraufgeführt. Die nunmehr fünfte Inszenierung im Theater am Schiffsbauerdamm übernahm der deutsch-australische Opern- und Theaterregisseur Barrie Kosky. Seine Inszenierung sorgte für wochenlang ausverkaufte Vorstellungen. Auch von der Presse wurde sie gefeiert. So hieß es u.a.: „ein phänomenaler Theaterabend“, „populäres Theater im allerbesten Sinn“ und „ein rasanter Renner“.

Für zwei Abendvorstellungen war das Berliner Ensemble nun mit dieser Inszenierung zu den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden eingeladen worden und sorgte auch dort für Beifallsstürme und Standing Ovations beim Publikum. Grundsätzlich ist die Dreigroschenoper schon wegen ihrer Hits ein Selbstläufer. Gleichwohl ist es nicht selbstverständlich, den Spagat zwischen Belehrung und Unterhaltung stimmig und zeitgemäß umzusetzen. Barry Kosky hat dies glänzend geschafft. Trotz viel Glitzer und großer Showbilder sind da auch die Momente, die auf Missstände und Unrecht hinweisen. Und er hat seine Spielfassung nicht komprimiert, sondern auch selten gezeigte Szenen/Lieder eingefügt. So dauert die Aufführung inklusive Pause gute drei Stunden, temporeich und mit vielen guten Ideen umgesetzt.

Die Dreigroschenoper
Berliner Ensemble
Celia Peachum (Constanze Becker)
Foto: Jörg Brüggemann / Berliner Ensemble

Vieldeutige, abstrakte Bühnenkonstruktion und Orchester

Zu Beginn tritt Mr. Peachum (Tilo Nest) vor ein schwarzes Bühnentransparent und unterhält sich dabei mit dem im Rang weilenden Bettler Filch (schon von der Stimme her gut zu erkennen: Nico Holonics). Dann öffnet sich die Bühne langsam mehr und mehr. Zunächst nur mit einem Glitzervorhang, aus dem der Kopf der Bänkelsängerin (Josefin Platt) lugt und die ein erstes Ausrufezeichen setzendes „Die Moritat von Mackie Messer“ („Und der Haifisch, der hat Zähne“) singt. Für die zweite Spielszene dient der Bereich der Bühnenrampe und der halb hochgefahrene Orchestergraben als Ort für einen Pferdestall, dem Hochzeitsort von Macie und Polly.

Allein, dass ein siebenköpfiges Orchester live begleitet, ist ein Trumpf. Adam Benzwi ist dabei nicht nur Dirigent und Pianist, sondern auch szenisch eingebunden, wie teilweise die anderen Orchestermitglieder auch. Selbst das Publikum ist mitunter eingeladen, sich einzubringen. Wenn dann der Blick auf die Bühne frei wird, zeigt sie keinerlei Hinweise auf den Londoner Stadtteil Soho, indem das Stück zur viktorianischen Zeit spielt. Rebecca Ringsts ort- und zeitlose Bühne zeigt ein vieldeutiges, abstraktes Bühnenkonstrukt aus sechs bewegbaren Türmen. Ein Labyrinth, ein Setzkasten, viele Deutungen sind möglich. Beengte, klaustrophobisch anmutende Verhältnisse herrschen in diesen „Unorten“, diesen unterschiedlich breiten und hohen Plateaus, in und über denen sich die Darsteller:innen bewegen. Ein schöner Nebeneffekt ist dabei, dass auch die Höhe bespielt wird und so Zuschauer in den Rängen den Darsteller: Innen näher kommen als üblich. Im Laufe der Handlung fahren einzelne Türme zurück, der Raum weitete sich und so kann Mackie Messer für seine bevorstehende Hinrichtung bildstark in den Mittelpunkt gerückt werden.

Die Dreigroschenoper
Berliner Ensemble
Mackie Messer (Nico Holonics)
Foto: Jörg Brüggemann / Berliner Ensemble

Nico Holonics verführt als Mackie Messer, Constanze Becker als Celia Peachum

Für nicht wenige Zuschauer war der Besuch zudem ein Wiedersehen von vertrauten Gesichtern. Waren doch einige Ensemblemitglieder des Berliner Ensembles am Schauspiel Frankfurt tätig. Constanze Becker, die hier eine wunderbar elegante und verführerische Celia Peachum gibt, war u. a. als Medea und Penthisilea zu erleben und zeigte, dass sie allein beim Vorlesen aus einem Telefonbuch das Publikum fesseln kann (Safe Places). Josefin Platt wirkt immer sehr präsent und geheimnisvoll, auch hier als Mond über Soho. Und natürlich ist auch Bettina Hoppe noch in guter Erinnerung (u. a. als Die Frau, die gegen Türen rannte und Hamlet). Hier ist sie als Spelunken-Jenny von einer lockereren Seite zu erleben.

Tilo Nest ist in Wiesbaden vor allem als Regisseur bekannt (u. a. mit Daniel Kehlmanns Tyll und Giachino Rossinis Il barbiere di Seviglia). Den geschäftstüchtigen Jonathan J. Peachum gibt er mit glaubwürdiger Schärfe. Cynthia Micas kann sich als frisch vermählte Polly Peachum nicht nur auf gefährlich hohen High Heels durch das Bühnenkonstrukt bewegen, sondern singt dazu schön und mit bissiger Note (Ballade der Seeräuber-Jenny). Laura Balzer, in einem blauen dreistufigen Fransenkleid (Kostüme: Dinah Ehm) sticht mit ihrer lockeren Art als ihre neue Nebenbuhlerin Lucy Brown hervor. Die Figur des Polizeichefs Tiger-Brown wurde als Hosenrolle angelegt, Kathrin Wehlisch erledigt sie cool und mit vornehmer Zurückhaltung. Kosky zeigt, dass das Verhältnis und die gegenseitige Anziehung, zwischen Mackie Messer und Tiger-Brown inniger ist, als bisher gedacht.

Im Mittelpunkt steht zweifelsohne der schillernde Mackie Messer des Nico Holonics, der hier alle Chancen nutzt, groß aufzufahren. Auch er war am Schauspiel Frankfurt engagiert und setzte sich bereits mit seiner Soloperformance bei der Blechtrommel ein theatrales Denkmal. Sein Mackie Messer ist ein Womanizer, ein die Klaviatur der Gefühle beherrschender Akteur, vor Energie nur so strotzend, changierend zwischen Ausgelassenheit und Verinnerlichung. Am Ende all seiner Bemühungen steht die Erkenntnis, dass Mackie Messers treibender Motor schlicht und ergreifend der Wunsch war, geliebt zu werden. „Love me“ verkünden große Lettern, bevor das Licht ausgeht.

Markus Gründig, Mai 22


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Die Dreigroschenoper

Vorspiel und drei Akte

Von: Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann
Nach: John Gay’s Beggar’s Opera (1728)

Uraufführung: 31. August 1928 (Berlin, Theater am Schiffbauerdamm/Berliner Ensembles)
Premiere der 5. Inszenierung des Berliner Ensembles: 13. August 21
Gastspiel bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden: 11. Und 12. Mai 22
Besuchte Vorstellung: 12. Mai 22

Regie: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Adam Benzwi
Bühne: Rebecca Ringst
Dramaturgie: Sibylle Baschung
Licht: Ulrich Eh
Kostüme: Dinah Ehm

Besetzung:

Mackie Messer: Nico Holonics
Polly Peachum: Cynthia Micas
Jonathan J. Peachum: Tilo Nest
Celia Peachum: Constanze Becker
Tiger-Brown: Kathrin Wehlisch
Lucy Brown: Laura Balzer
Spelunken-Jenny: Bettina Hoppe
Der Mond über Soho: Josefin Platt
Bandit/Hure: Julia Berger, Julie Wolff, Nicky Wuchinger, Denis Riffel
Filch: Nico Holonics

Orchester: Adam Benzwi, Stephan Genze, Lorenz Jansky, Nathan Plante, James Scannell, Ralf Templin, Otwin Zipp

berliner-ensemble.de / staatstheater-wiesbaden.de