Uraufführung des Familienmusicals »Drosselbart« zur Eröffnung der 38. Brüder Grimm Märchenfestspiele Hanau

Drosselbart ~ Brüder Grimm Festspiele Hanau ~ Ensemble ~ © Brüder Grimm Festspiele Hanau / Hendrik Nix

Lässt sich angesichts der aktuellen schwierigen Zeit Theater spielen, eine Freilichtsaison durchzuführen und es dem Publikum ermöglichen für ein paar Stunden der Realität zu entfliehen? „Ja man kann und darf es“, sagten bei der Eröffnung der 38. Brüder Grimm Festspiele Hanau am vergangenem Freitag (13. Mai 22) sowohl die Märchenbotschafterin Marie-Louise Marjan als auch der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsk: „Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die Welt besser wird, als sie ist“. Vor Beginn der Aufführung wurde den bisher in der Ukraine Gefallenen und den jüngsten Hanauer Mordopfern (zwei Kinder) mit einer Schweigeminute gedacht.

Katastrophale Werte beim Politbarometer

Eröffnet wurden die Märchenfestspiele sodann mit einer Uraufführung: dem Familienmusical Drosselbart. Es nimmt nur sehr lose Bezug zum Märchen der Brüder Grimm (König Drosselbart). Da das Politbarometer katastrophale Werte für die Monarchie enthüllte, muss Prinzessin Ann unbedingt heiraten, denn um die Männerquote im Königshaus steht es schlecht. Ansonsten droht den Umfrageergebnissen zufolge der Untergang der Monarchie. An Bewerbern mangelt es nicht, doch das Problem von Ann ist ihre radikale Ehrlichkeit und dass sie jeden Bewerber ablehnt. Im Königreich „Nebenan“ gibt es dafür einen selbstverliebten Prinzen, der nur für sein selbst geliebt werden will. So tauscht er mit dem hässlichsten Mensch der Welt (mit einem Kinn wie der Schnabel einer Drossel) die Rolle und wie es sich für ein Märchen gehört, finden die beiden sich am Ende glücklich zusammen. Dazu gibt es mit der Köchin und dem „Hühnchen“ ein weiteres Liebespaar.

Drosselbart
Brüder Grimm Festspiele Hanau
Prinz Ferdinand von Nebenan (Paul Csitkovics), Prinzessin Ann (Pamina Lenn)
© Brüder Grimm Festspiele Hanau / Hendrik Nix

Märchenhaftes mit sozialkritischen Aussagen

Geschrieben hat es der Musicalprofi, Autor und Regisseur Peter Lund (Neuköllner Oper und UdK Berlin). Komposition, Arrangements und Orchestrierung stammen von Wolfgang Böhmer. Das als groß angelegte Stück beinhaltet Ausflüge zu weiteren Märchen, wie zu Schneewittchen und die sieben Zwerge. Es verbindet Märchenhaftes mit sozialkritischen Aussagen. Auch geht es darum, einfache Tätigkeiten, wie Hausarbeit und Kochen, anzuerkennen. Es lenkt den Blick darauf, dass Menschen nicht ausgebeutet werden und dass innere Werte wichtiger sind als äußere. Lunds Texte reimen sich oft („man muss es auch wagen, zum Glück ja zu sagen“), besonders in den Liedern („ganz ehrlich ist gefährlich“). Bezüge zu TV-Shows fehlen nicht („ich habe nur eine Rose“). Böhmers Musik ist sehr vielseitig und verbindet viele verschiedene Stilelemente. Die unter der musikalischen Leitung von Tobias Deutschmann (auch Piano) auf der Empore befidliche Liveband spielt mit viel Esprit.

Drosselbart
Brüder Grimm Festspiele Hanau
Prinzessin Rosie (Ira Theofanidis), Jakob (Pedro Reichert), Prinzessin Cindy (Shireen Nikolic)
© Brüder Grimm Festspiele Hanau / Hendrik Nix

Bunte, fröhliche Zirkuswelt

Neben dem bekannten Team Luft/Böhmer wurde mit Regisseur Christoph Drewitz ein weiterer großer Name der Musicalszene verpflichtet. Drewitz hatte zuletzt Ku’dam 56 – Das Musical inszeniert, das aktuell im Berliner Theater des Westens zu sehen ist. Mit sicherem Gespür für effektvolle Momente führt er souverän durch die zweieinhalbstündige Aufführung (inklusive einer Pause). Bauern lässt er als Spielfiguren tanzen und die sieben Zwerge als Bergarbeiter schuften.
Die Handlung spielt hier nicht in einem Schloss, sondern in einer bunten und fröhlichen Zirkuswelt aus verschiedenen Bühnen und Podesten (Bühnenbild: Hans Winkler). Die Artistenoutfits und die Kleider wirken sehr hochwertig und wurden detailverliebt ausgestaltet (Kostümbild: Anke Küper, Kerstin Laackmann).

Drosselbart
Brüder Grimm Festspiele Hanau
Jakob (Pedro Reichert), Berta (Anne Hoth)
© Brüder Grimm Festspiele Hanau / Hendrik Nix

Good Vibes im Ensemble

Erfahrene Muscialdarsteller:innen setzen die Geschichte leidenschaftlich um. Für die meisten der an diesem Stück beteiligten ist es das erste Engagement bei den Brüder Grimm Märchenfestspielen in Hanau. Pamina Lenn gibt eine stolze 18-jährige Prinzessin Ann von und ohne Fehl und Tadel, die es dann aber doch schafft, sich zurückzunehmen. Paul Csitkovics kann als selbstverliebter „Prince Charming“ (Prinz Ferdinand von Nebenan) viele Facetten zeigen. Empathie entwickelt die Königsmutter Bianca der Charlotte Heinke. Shireen Nikolic als nach Hohem strebende Prinzessin Cindy und Ira Theofanidis als neidische Prinzessin Rosie streiten sich oft (wie es unter Geschwistern vorkommt). Weitsicht und ein großes Herz verkörpert die Maggikraut und Fertigsaucen verteidigende Köchin Berta der Anne Hoth, Humor und Energie der Hofkoch Jakob („Hühnchen“) des Pedro Reichert.

Am Ende viel Applaus und umgehende Standing Ovations. Eine Premierenfeier gab es nur für die Beteiligten vor und hinter der Bühne. Das eingesparte Geld der Publikumspremierenfeier wird einer ukrainischen Hilfsorganisation gespendet.

Markus Gründig, Mai 22


Drosselbart

Musical
Liedtexte / Libretto: Peter Lund (nach dem Märchen König Drosselbart der Brüder Grimm)
Komposition / Arrangements / Orchestrierung: Wolfgang Böhmer

Premiere/Uraufführung bei den Brüder Grimm Märchenfestspiele Hanau: Freitag, 13. Mai 22 (Amphitheater Schloss Philippsruhe)

Regie: Christoph Drewitz
Choreographie: Bart De Clercq
Musikalische Leitung: Tobias Deutschmann
Bühnenbild: Hans Winkler
Kostümbild: Anke Küper, Kerstin Laackmann
Maskenbild: Wiebke Quenzel
Regieassistenz/Inspizienz: Christina Görkes
Kostümbildassistenz: Anna Frauendorf
Maskenwerkstatt: Sonja Hernandez Cruz
Technische Leitung: Jan Langebartels
Requisite: Barbara Müller
Ton: Kevin Kenntemich
Licht: Markus Röschke

Besetzung:

Königin Bianca: Charlotte Heinke
Prinzessin Ann: Pamina Lenn
Prinzessin Cindy / 4. Zwerg: Shireen Nikolic
Prinzessin Rosie / 5. Zwerg: Ira Theofanidis
Minister Hirnoff / 6. Zwerg: Steffen Laube
Berta, Köchin / 7. Zwerg: Anne Hoth
Prinz Ferdinand von Nebenan: Paul Csitkovics
Jakob, Hofkoch: Pedro Reichert
Erbfürst Rosenstolz / Hofschmeichler / 3. Zwerg / 2. Bauer: Christopher Dederichs
Baron Roderich / 2. Zwerg / 1. Bauer: Florian Sigmund
Khan Ali Baba / 1. Zwerg / 3. Bauer: Kevin Arand

Live-Musik:

Piano: Tobias Deutschmann / Dominik Franke
Keyboard: Vitaliy Baran
Bass: Stefan Kreuscher
Akkordeon: Vassily Dück
Gitarre: Kai Picker
Schlagzeug: Thomas Elsner

festspiele.hanau.de