Ausgeklügelt: »Untitled Love Story« am English Theatre Frankfurt @ Volksbühne

Untitled Love Story ~ English Theatre Frankfurt ~ Celeste (Asha Reid), Noah (Noah McCreadie) ~ © Martin Kaufhold
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Noch dauert es, bis die Wanderschaft des English Theatre Frankfurt (ETF) beendet ist. Wenn die Renovierung am Haus des Stammsitzes hoffentlich bald zu einem Ende kommt, soll dort im November die Wiederaufnahme des Muscials Something Rotten! gefeiert werden. Doch zunächst präsentiert das ETF mit Lucy Kirkwoods Untitled Love Story ein ganz besonderes Theaterstück (Deutsche Erstaufführung). Gespielt wird erneut in Michael Quasts Volksbühne im Großen Hirschgraben. Hier war das ETF im vergangenen Jahr bereits mit The Wasp zu Gast. Das diese Spielstätte jetzt dem ETF erneut zur Verfügung steht, hängt mit den begonnenen Proben für das Stück Die lusdischen Weiber von Griesheim zusammen, das ab 3. Juli bei Michael Quasts „Barock am Main“ gespielt wird.

Fünfte Arbeit für Psyche Stott

Schon The Wasp war kein leicht verdauliches Unterhaltungsstück. Untitled Love Story knüpft gewissermaßen daran. Auch hier entwickeln sich die Dinge anders als gedacht und es steckt ebenso voller Überraschungen und ungeahnter Wendungen (vor allem am Schluss). Es stammt von der Dramatikerin und Drehbuchautorin Lucy Kirkwood. Sie ist in England eine anerkannte Größe. Am ETF war im Frühjahr 2018 ihr Stück The Children zu sehen. Dies inszenierte damals die Regisseurin Psyche Stott. Nachdem sie hier zwischenzeitlich The Girl in the Train, The Two Popes und The Wasp inszenierte, zeichnet sie auch für die neueste und letzte Produktion der laufenden Spielzeit des ETF verantwortlich.

Ungeklärter Tod zweier junger Wutbürger

Sie handelt vom jungen Paar Celeste und Noah, das sich im November 2011 bei einem von einer nationalen Tageszeitung organisierten Blind Date kennengelernt hat. Im investigativen Stil wird ihre Geschichte bis zu ihrem Tod Ende 2021 nacherzählt und -gespielt. Dabei kommen immer mehr Fragen auf, als Antworten geboten werden. Viele aktuelle gesellschaftspolitische Themen werden schlaglichtartig angesprochen. Wie die Gesundheitspolitik (insbesondere in Zeiten von Corona), 9/11, private und staatliche Überwachung, Chemtrails, Technologiefortschritt, Umweltverschmutzung…

Untitled Love Story
English Theatre Frankfurt
Ensemble
© Martin Kaufhold

Gleich zu Beginn wird der Stücktitel „korrigiert“. Denn ein Wort trifft auf das Paar ganz besonders zu: „Rapture“ (Entrückt). Ein Wort, für das in diesem Zusammenhang keine unmittelbare Übersetzung passt. Es bezeichnet eher einen Zustand im Sinne von berauscht, verzückt oder geflasht. Das anfangs unpolitische Paar sorgt sich immer stärker um den Zustand der Welt, deren Bestand sie in Gefahr sehen. Das bleibt nicht ohne Folgen… Ihr früher Tod im gemeinsamen Suizid wirft zahlreiche Fragen auf. Wie schafften sie es, an eine Waffe zu kommen? Warum hat die Tatwaffe keine Fingerabdrücke, obwohl sie keine Handschuhe trugen? Warum wurden am Tatort Beweismittel scheinbar vernichtet? Unbestritten ist, dass „rapture“ im mittelalterlichen Französisch „ergriffen“ bedeutet, doch die beiden lebten nicht in Frankreich. War es etwas ein staatlich sanktionierter Mord? Oder hat es die beiden gar nie gegeben?

Theater im Theater

Lizzy Leechs Bühnenbild zeigt von vornherein, das hier Theater im Theater gespielt wird. Die Bühne ist vollständig einsehbar. Drei Reihen von weißen und blauen Deckenleuchten vermitteln schon rein formal eine gewisse Arbeitsatmosphäre. Bühnentruhen und Kulissen werden offen hin und hergeschoben, dazu befinden sich stets Bühnenmitarbeiter:innen darauf. Bild- und Videoprojektionen (Videodesign: Libby Ward) ergänzen das Spiel im Spiel, ebenso musikalische Arrangements (Sounddesign: Max Pappenheim).

Untitled Love Story
English Theatre Frankfurt
Ensemble
© Martin Kaufhold

Um auf das Leben und das Schicksal von Celeste und Noah, den Quilters aufmerksam zu machen, brachte sich die Autorin gleich selbst mit ein. Sie fungiert hier wie eine Nachrichtensprecherin, die ständig Informationen zum Fall liefert (fokussiert und mit vielen Monologen: Alice Osmanksi). Amana Shodeko rundet als Stage Manager Briony das Geschehen ab. Die Quilters selbst geben Asha Reid und Noah McCreadie charmant, leidenschaftlich und mit vielen Facetten.

Der nicht vorhersehbare Schluss des Thrillers ist harte Kost und lässt niemanden unberührt das Theater verlassen. Untitled Love Story zeigt, wie unterschiedlich die Realität aufgenommen wird und gibt viele Anregungen zum Nachdenken, wem oder was zu glauben ist.

Markus Gründig, April 25


Untitled Love Story

A slipperyy new thriller

Von: Lucy Kirkwood
Uraufführung: 16. Juni 2022 (London, Royal Court Theatre; unter dem Titel That Is Not Who I Am von Dave Davidson)
Deutsche Erstaufführung: 26. April 2025 (Frankfurt/M, English Theatre)

Premiere / Deutsche Erstaufführung am English Theatre Frankfurt: 26. April 25 (Volksbühne im Großen Hirschgraben)

Regie: Psyche Stott
Bühnenbild & Kostüme: Lizzy Leech
Lichtdesign: Neill Brinkworth
Sounddesign: Max Pappenheim
Videodesign: Libby Ward
Fight Director: Joseph Reed
Movement and Intimacy Director: Christina Fulcher

Besetzung:
(in alphabetischer Reihenfolge)

Noah Quilter: Noah McCreadie
Lucy Kirkwood: Alice Osmanksi
Assistant Stage Manager: Jordan Peedell
Celeste Quilter: Asha Reid
Briony, Assistant Stage Mananger: Amanda Shodeko
The Real Lucy Kirkwood: Stephanie Rona Range

english-theatre.de