Sie wagte viel und gewann das Publikum im Handumdrehen für sich: Marina Viotti. Mit einem Liederabend im Opernhaus war die in der Schweiz geborene und in Frankreich aufgewachsene Mezzosopranistin jetzt erstmals im Haus am Willy-Brandt-Platz zu Gast. Wobei, zunächst befanden sich nur der Pianist Todd Camburn und der Kontrabassist Antoine Broch auf der Bühne. Sie suchten die Hauptprotagonistin des Abends und fanden sie schließlich unter dem Flügel liegend! Oje, was war passiert? Ein musikalischer Gruß weckt sie und benommen erinnerte sie sich vage an die letzte Nacht in Paris, an Alkohol und/oder einen Mann…
Cabaret-Atmosphäre im Opernhaus
Bei ihrem Liederabend bot Marina Viotti ein Cross-over-Programm par excellence. Sie präsentierte eine heterogene und genreübergreifende Auswahl. Diese reichte u. a. von Franz Schubert, über Jacques Offenbach, Benjamin Britten und dem Buena Vista Social Club, bis hin zum 1938 geborenen US-Amerikaner William Bolcom. Überraschend gutpassten alle stimmig in die Kategorie der Cabaret-Songs. Viottis fasste ihre Auswahl unter dem Titel „About last night“ zusammen. Bei dieser Erinnerung an den vergangenen Abend leitete sie jedes Lied mit einer kurzen Geschichte ein, womit jedem Lied ein Kontext zugewiesen wurde. Ihre Sinnlichkeit und ihre Leidenschaft für den Gesang waren stets zu spüren.
Zudem beschränkte sie sich nicht nur auf eine besondere Liedauswahl, sondern legte auch viel Wert auf eine entsprechende Präsentation in einer Cabaret-Atmosphäre. So befand sich auf der Bühne ein Stehtisch mitsamt Rotweinflasche und Gläser, darum zwei Barhocker. Das bei einem Liederabend übliche Blumenbouquet befand sich ausnahmsweise nicht auf einem Sockel, sondern lehnte unten am Stehtisch. Bei einigen Liedern wurde das Saallicht mehr als üblich zurückgefahren. Die Nähe zum Publikum suchend, sang Marina Viotti jedes Lied von einem anderen Standort aus, teils von der Bühnenkante oder -seite aus (sitzend, stehend oder auch sich auf dem Boden liegend drehend). Bei Jacques Offenbachs „Je t’adore brigand“ (aus La Périchole) lud sie zwei Zuschauer auf die Bühne ein, die als stumme Verehrer fungierten. Das gesamte Publikum war bei Willial Bolcoms „Song of Black Max“ eingeladen, lautstark „Black Max“ mitzusingen. Für eine Cabaret-Atmosphäre sorgte nicht zuletzt auch der zusätzliche Begleiter Antoine Broch am Kontrabass.
Mit der runden Mischung aus selbstironischen, heiteren, überwiegend aber sehr leidenschaftlichen Liedern, glänzte Marina Viotti mit ihrer, viele Klangfarben aufweisenden, Stimme. Eine Textnachricht des Freundes diente als Anlass für Eric Saties verträumten „Je te veux“. Arthur Hamiltons sentimentaler Song „Cry Me a River“ ist nicht zuletzt durch Diana Krall bekannt. Viotti präsentierte ihn mindestens ebenso intensiv und leidenschaftlich. Ganz besonders berührte sie mit Camille Saint-Saëns` „Mon coeur s’ouvre à ta voix“ (aus Samson et Dalila).
Neben Liedern auf Englisch und Französisch sang sie auch zwei Lieder auf Deutsch. Arnold Schönbergs „Mahnung“ (Einleitung: „Brief der Großmutter) und Franz Schuberts „Der Zwerg“ (Einleitung: „Es gab komplizierte Beziehungen“). Erst vor dem letzten Lied teilte sie mit, dass sie wegen einer leichten Erkältung nicht die geplante Rossini-Arie „Tanti affetti in tal momento“ (aus La donna del lago) singen könne. Stattdessen beendete sie den Abend, erneut ihr schauspielerisches Talent zeigend, mit „Ah! quel dîner je viens de faire!“ aus Jacques Offenbachs Operette La Périchole. Dabei schloss sie den gespannten Bogen und legte sich wie anfangs wieder unter den Flügel.
Der Pianist Todd Camburn und der Kontrabassist Antoine Broch waren bei diesem Abend Begleiter und szenische Unterstützer.
Schon zwischen den Liedern gab es stets viel Zwischenapplaus. Am Ende bedankte sich auch Marina Viotti: Bei der Oper Frankfurt für die Einladung und die praktische Umsetzung ihres Programms und für die Offenheit des Publikums, diesem zu folgen.
Für den großen Schlussapplaus gab das sehr harmonisch wirkende Trio zwei Zugaben.
Markus Gründig, November 22
Die Zugaben:
Jacques Brel (1929-1978): „La chanson des vieux amants“ (1967)
Wiederholung von „Dos gardenias“ (Isolina Carrillo / Buena Vista Social Club) aus dem Hauptprogramm