»Macbeth« in der Regie von Timofej Kuljabin am Schauspiel Frankfurt

Macbeth ~ Schauspiel Frankfurt ~ Macbeth (Moritz Kienemann) ~ Foto: Thomas Aurin


Shakespeares Drama Macbeth ist am Schauspiel Frankfurt ein Thema für namhafte Regisseure. André Wilms inszenierte es hier in 2006 (Besprechung), Dave St-Pierre präsentierte 2015 eine wortkarge und bildgewaltige Tanz-Performance (Besprechung). Aktuell wird eine Umsetzung des gebürtigen russischen Regisseurs Timofej Kuljabin gezeigt. Auch sie ist besonders.

Das aus fünf Akten bestehende Drama wird in nahtlosen 140 Minuten gespielt. In der von ihm gemeinsam mit der Dramaturgin Olga Fedyanina erstellten Fassung wurden die Söhne von König Duncan, Malcom und Donalbain, und die drei Hexen gestrichen. Gleichzeitig wurde, um den Gräueltaten einen noch intensiveren Ausdruck zu verleihen, die Beziehung der Hauptfiguren intensiviert. So sind die Feldherren Banquo und Macbeth und der schottische Edelmann Macduff allesamt Söhne von König Duncan. Die Morde haben somit auch eine familiäre, persönliche Ebene. Historisch politische Bezüge gibt es nicht, der Krieg zwischen England und Schottland spielt keine Rolle. Vielmehr konzentriert sich Kuljabin auf die im Stück liegende Frage, wo das Böse herkommt. Ist es im Menschen oder kommt es jeweils von außen? Und wie kann ein einzelner Mensch ein Übermaß an Macht erhalten. Womit natürlich auch Bezüge zur Gegenwart bestehen, denn die Zahl der Tyrannen und ihrer Anhänger ist weltweit stetig ansteigend. Konträr ist das offen gehaltene Ende: Macbeth ist der einzige Überlebende.

Macbeth
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Thomas Aurin

Fesselnder Raum der Düsternis

Die Atmosphäre am königlichen Hof ist unheilvoll, die Szenerie wirkt düster. Selbst bei heller Beleuchtung wirkt der große, abstrakt gehaltene Einheitsraum alles andere als einladend. Einerseits wirkt er wie ein industrieller Lagerraum mitsamt hinten angegliedertem Containerraum. In diesem werden verdeckt die Morde ausgeführt und die Leichen entsorgt. Andererseits hat er große, hoch gelegene Fensterfronten, die allesamt mit Farbe zugeschmiert sind. Als einzigen Rückzugsraum für Macbeth und seiner Lady gibt es seitlich eine schäbige Doppeldusche (Bühne: Oleg Golovko). Trotz aller Reduktion entstehen fortlaufend fesselnde Bilder (ohne, dass Blut fließt). Ein Mikrofon dient als zeitgemäße Waffe, um andere niederzustechen. Denn die Handlung wurde dezent in die Gegenwart gelegt. In dieser ist eine mediale Präsenz unverzichtbar. So gibt es Presseevents, die von Journalisten und Kamerateams begleitet werden (auf Videoprojektionen wird jedoch verzichtet).

Die Kostüme von Vlada Pomirkovannaya zeigen die Figuren meist in schwarzen Anzügen. Schwarze Leibchen mit großen vierstelligen Nummern tragen alle Getöteten. Die Lady Macbeth gibt sich in einem geschlossenen dunkelblauen Kleid staatsmännisch. Optisch ob ihrer hellen Kleidung fällt das „gute“ Ehepaar Macduff heraus.

Musik und Klanggeräusche sind elementarer Bestandteil der Inszenierung (Musik: Timofey Pastukhov; Live-Musik: Yuriy Sych). Es donnert und dröhnt ganz ordentlich (wie verfremdete Geräusche schwerer Industriemaschinen). Zweimal wird gesungen. Zunächst intoniert der empathische und loyale Macduff (sich dazu selbst am Klavier begleitend: Thorsten Flassig) auf seines „Vaters“ Party den Sinatra Klassiker „My Way“ (der sarkastisch anmutend mit „And now, the end is near and so I face the final curtain“ beginnt) an, dann karikiert Macbeth Fats Dominos „I found my thrill on Blueberry Hill“ („Ich fand meinen Nervenkitzel auf Blueberry Hill“) und versetzt damit sein Umfeld noch mehr in Angst und Schrecken.

Macbeth
Schauspiel Frankfurt
Lady Macbeth (Lotte Schubert), Macbeth (Moritz Kienemann)
Foto: Thomas Aurin

Moritz Kienemann in der Titelrolle

Anders als der von Anfang an als böse gezeichnete Iago in Otello ist Macbeth nicht von Anfang an ein manischer Mörder. Speziell ist er aber schon. Hier bei einem wortlosen Intro wunderbar dargestellt, wenn er auf einem Presseevent verunsichert zu einem Mikrofon schreitet und noch voller Komplexe ist. Doch schon kurz darauf ändert sich alles. Bei einem Picknick der Großfamilie hüpfen drei Kinder auf einem kleinen Trampolin und sprechen dabei die Worte der unheilbringenden Hexen. Damit ist für Macbeth der Spaß vorbei, kurzerhand sprengt er das Picknick, stopft alles Herumliegende in einen riesigen Sack und das Drama startet seinen Lauf. Die komplex angelegte Titelrolle gibt Moritz Kienemann (erstmals am Schauspiel Frankfurt zu Gast) in all ihrer Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit. Den Spagat zwischen verunsichertem, zaghaftem und jugendlich wirkenden Macbeth hin zum Angst auslösenden Größenwahnsinnigen zeigt er eindringlich. Als Despot trotzt er nur zu eindringlich der Erkenntnis und spuckt die Wahrheit heraus. Verbildlicht wird dies durch exzessives Apfelessen an einer langen Tafel, an der er vor den anderen gleichzeitig seine Machtposition demonstriert.

Die Lady Macbeth der Lotte Schubert gibt sich in der Öffentlichkeit gefasst und kontrolliert. Dabei erscheint sie öfters verspätet, kann dadurch aber alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In ihres Gatten Anwesenheit ist sie in einer Opferposition, verängstigt, aber auch enthemmt. Noblesse verleiht Peter Schröder der Figur des Königs Duncan. Warmherzig zeigt sich die Lady Macduff der Anna Kubin. Den rechtschaffenen und weisen Banquo gibt Mark Tumba mit Elan. Neben Sebastian Reiß als Ross und Michael Schütz als Lennox gibt es zudem sieben weitere Darsteller:innen als Gäste, Kellner, Mörder:innen und Geister (Christian Raab, Sandra Regenbogen, Anhard von Thüngen, Daniel Hartlaub, Annabella Krukow).

Nach 140 packenden Minuten gab es bei der besuchten zweiten Vorstellung sehr viel Applaus.

Markus Gründig


Macbeth

Tragödie in fünf Akten

Von: William Shakespeare
Uraufführung: 1606 (London, am Hof Jakoobs I., erste verbürgte Aufführung)
Deutsche Erstaufführung: 26 November 1771 (Biberach)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 14. April 23 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 21. April 23

In der deutschen Übersetzung von: Dorothea Tieck
Bühnenfassung von: Timofej Kuljabin und Olga Fedyanina

Regie: Timofej Kuljabin
Bühne: Oleg Golovko
Kostüme: Vlada Pomirkovannaya
Musik: Timofey Pastukhov
Koordination und Assistenz: Rustam Akhmedshin
Dramaturgie: Olga Fedyanina, Julia Weinreich
Licht: Marcel Heyde

Besetzung:

Macbeth: Moritz Kienemann
Lady Macbeth: Lotte Schubert
Duncan: Peter Schröder
Macduff: Torsten Flassig
Lady Macduff: Anna Kubin
Banquo: Mark Tumba
Ross: Sebastian Reiß
Lennox: Michael Schütz
Soldat / Mörder / Arzt / Seyton: Miguel Klein Medina
Kammerfrau Lady Macbeth: Marie Julie Bretschneider

Live-Musik: Yuriy Sych
Gäste / Kellner / Mörder:innen / Geister: Christian Raab, Sandra Regenbogen, Anhard von Thüngen, Daniel Hartlaub, Annabella Krukow

Kinder von Banquo und Macduff

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