Juli Zehs dystopisches »Corpus Delicti« am Schauspiel Frankfurt

Corpus Delicti ~ Schauspiel Frankfurt ~ Mia Holl (Julia Pitsch), Heinrich Kramer (Simon Schwan) ~ © Robert Schittko

Juli Zehs für die RuhrTriennale geschriebenes Theaterstück Corpus Delicti, 2007 in Essen uraufgeführt, wird als moderne Hexenjagd beschrieben, sie selbst als weiblicher George Orwell der Gegenwart. Die dystopische Geschichte der Rechtsanwältin und Autorin spielt im Jahr 2057, in der die Medizintechnik so weit fortgeschritten ist, dass es keine Krankheiten mehr gibt. Was sich gut anhört, hat einen großen Haken. Der Preis dafür ist eine totale Kontrolle der Bürger, die regelmäßig Gesundheitsberichte und Blut-/Urintests abgeben müssen. Zwölf Jahre nach der Uraufführung ist Zehs Vision keine vage Zukunftsvision mehr. Zwar noch nicht so sehr in Deutschland, wo die fortschreitende Digitalisierung aber auch zunehmend ihre Tribute fordert, vor allem aber in China. Dort wird bereits unter dem Namen „Sozialkreditsystem“ der totale Überwachungsstaat aufgebaut (in der chinesische Küstenstadt Rongcheng bereits seit 2014).


Corpus Delicti
Schauspiel Frankfurt
Mia Holl (Julia Pitsch)
© Robert Schittko

Für das Schauspiel Frankfurt hat die junge Regisseurin Marie Schwesinger das Stück gekürzt und die zahlreichen Darsteller auf zwei reduziert. Gespielt wird vor und in der Box, das Publikum sitzt auf den Stufen des Foyers. Die Idee des fanatischen Gesundheitsstaates aufgreifend, können sich die Zuschauer beim Betreten die Hände desinfizieren und mittels ausliegenden Bonbons sogar den Rachengeruch verbessern. Zunächst wird vor der Box gespielt, die mit einem weißen Vorhang verhangen ist. Weiß ist auch der Boden und natürlich das Waschbecken für den Starjournalisten Kramer, der darin fast schon manisch immer wieder seine Hände gründlichst reinigt. Die Welt der Hauptprotagonistin, der Biologin Mia Holl, steht zu dieser klinisch reinen Atmosphäre im Kontrast. Ihr Bereich ist grün und schmutzig (Ausstattung: Martin Holzhauer, Martina Suchanek).


Corpus Delicti
Schauspiel Frankfurt
Heinrich Kramer (Simon Schwan)
© Robert Schittko

Immer wieder spricht Mia mit ihrem Bruder Moritz (zugespielte Stimme von Samuel Simon), der sich mit einer Anglerschnur erhängt hat und für dessen Suizid sie die Gesellschaft verantwortlich macht. In Vor- und Rückblenden wird die Grundfrage des Stücks, wie weit ein Staat individuelle Rechte zugunsten seiner eigenen Sicherheit einschränken kann, spielerisch in sechzig spannenden Minuten diskutiert.
Dafür sorgen zwei groß aufspielende Mitglieder vom StudiojahrSchauspiel, beide Aufnahmejahrgang 2017 an der HfMDK FFM (und Abschlussjahrgang 2021). Julia Pitsch als verstörte und gleichsam selbst Folter hinnehmende Freiheitskämpferin und Staatsfeindin Mia Holl und Simon Schwan als der die „Methode“ verteidigende Starjournalist.

Am Ende sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Oktober 19


Corpus Delicti
Bühnenstück und Roman
Von: Juli Zeh

Uraufführung: 15. September 2007 (Essen, RuhrTriennale)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 24. Oktober 19 (Box)

Regie: Marie Schwesinger
Ausstattung: Martin Holzhauer, Martina Suchanek
Musik: Camilo Bornstein
Dramaturgie: Ursula Thinnes

Besetzung:

Mia Holl: Julia Pitsch
Heinrich Kramer: Simon Schwan
Moritz‘ Stimme: Samuel Simon

Corpus Delicti kann auch als Klassenzimmerstück (ab 15 Jahren) von Schulen gebucht werden.


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