Schostakowitschs Oper in vier Akten Lady Macbeth von Mzensk eröffneten die Internationalen Maifestspiele. Nicht dieses Jahr, sondern bereits 2005. Unter der Musikalischen Leitung von Fabrizio Ventura inszenierte damals der Vorgänger von Intendant Uwe Eric Laufenberg, Manfred Beilharz. Bei der aktuellen Neuinszenierung im Großen Haus hat die Musikalische Leitung GMD Patrick Lange inne. Für die Regie wurde der aus Kasachstan stammende Evgeny Titov (* 1980) verpflichtet, der in der Vergangenheit durch seine Schauspielinszenierungen, u. a. in Dresden, Düsseldorf und Salzburg auffiel. Auch am Staatstheater Wiesbaden war er in der Vergangenheit zu Gast, hier inszenierte er Molières Der eingebildete Kranke und Gorkis Wassa Schlesnowa. Mit der „Lady“ gibt er sein Debüt als Opernregisseur.
Schonungsloser Blick und deftige Szenen
Mit plakativ dargestellten Szenen macht Evgeny Titov klar, dass er vom Schauspiel kommt. Beschönigt wird nichts, schon gar nicht die schwache Rolle der Frauen im damaligen Russland, die selbst untereinander nichts von weiblicher Solidarität wissen. Dramatisch zeigt er die Massenvergewaltigung einer jungen Arbeiterin (ergreifend: Meryem Sahin aus der Statisterie). Sie kommt zunächst alleine um zu putzen, dann kommen, angefeuert von Aksinja (hier eher aufreizend flirtende Hausdame als Arbeiterin: German-Australian Opera Grant Gewinnerin Michelle Ryan) eine Horde lüsterner Arbeiter, die ihr die Kleider vom Leib reißen. Während sie festgehalten wird und sich die ersten in Stellung bringen, stellen sich andere mit herabgelassenen Hosen davor und onanieren lüstern. Wenn sich später der neue Arbeiter Sinowi in der Nacht Katerina nähert, hat er sogleich ein erigiertes (künstliches) Glied und die beiden treiben es hinter einem Vorhang heftig. Bei ihrem wilden und positionsreichen Liebesspiel entladen sich wahrscheinlich sämtliche angestaute Aggressionen. Starke Bilder finden sich auch in den anderen Szenen, wenn auch ohne Obszönitäten.
Gespielt wird in einem abstrakten blanken und fensterlosen Einheitsbühnenraum. Das Haus des Kaufmanns geicht einem großen Stollen, mit hohen Wänden, gedämpftem Licht und einer Deckenöffnung, die seltsam anmutet. Einzig eine schlichte Dusche befindet sich auf der rechten Seite. Im Schlussbild (auf dem Weg nach Sibirien) deutet ein großes Loch im Boden den See an und ein großer Berghügel die Weiten der Landschaft (Bühne: Christian Schmidt; Licht: Oliver Porst).
Groß besetztes Staatsorchester spielt verdeckt auf der Bühne
Diese Oper ist nicht klein besetzt, weder auf der Bühne, noch im Orchester. Das sie dennoch gespielt werden kann, ist dem Sicherheitskonzept des Hauses geschuldet. Das gesamte Bühnenpersonal wird regelmäßig auf Covid-19 getestet. Dadurch ist es möglich, dass die sonst üblichen Mindestabstände nicht ständig und überall eingehalten werden müssen. Der von Albert Horne einstudierte Chor des Staatstheater Wiesbaden ist voller Spielfreude beteiligt, als würde es Covid-19 nicht gegeben. Lediglich die Polizisten tragen bei der Hochzeitsszene Mund-Nasen-Abdeckungen.
GMD Patrick Lange leitet das groß besetzte Staatsorchester Wiesbaden. Schostakowitschs herausragende Musik, die gewaltigen kraftstrotzenden Klangausbrüche, wie auch die vielen Zwischentöne, kommen imposant zu Gehör.
Die Musiker sitzen nicht im Graben, sondern unter Beachtung der Abstandsregeln, auf der Bühne, verdeckt vom Bühnenbild (das zum Schlussapplaus hochgefahren wird). Der Ton wird verstärkt in den Saal übertragen. Im Orchestergraben unterstützt die Co-Dirigentin und Musikalische Assistentin Christina Domnick die SängerInnen. Die Zwischenmusiken werden bei geschlossenem Vorhang gespielt. Die Inszenierung kommt ohne Videoprojektionen aus.
Glücklich kann sich unser Land schätzen, dass so eine große Produktion derzeit möglich ist, zumal aufgrund des Hygienekonzepts aktuell nur maximal 298 Zuschauer möglich sind (großzügig verteilt auf das Parkett und die drei Ränge).
Starke Stimmen zur aufwühlenden Musik
In den Hauptpartien geben die schwedische Sopranistin Cornelia Beskow und der ukrainische Bass Andrey Valentiy überzeugende Rollendebüts. Beskows zeigt die kinderlose und unerfüllt dahinlebende Kaufmannsfrau Katerina mit großem Ausdruck und kraftvoller Stimme. Was sich erst recht über den profunden Bass des Andrey Valentiy sagen lässt, der energiegeladen und mit starker Präsenz den sich um einen Erben für sein Vermögen und guten Namen sorgenden alten Kaufmann Boris gibt. Um seine Machtposition in der kleinen russischen Kreisstadt zu unterstreichen, trägt er über seiner schwarzen Kleidung einen herrschaftlichen roten Königsmantel (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer). Tenor Beau Gibson ist für die Partie des Kaufmannssohns Sinowi Borissowitsch Ismailow nach Wiesbaden zurückgekehrt. Sein hohes schauspielerisches Talent verbindet Tenor Aaron Cawley mit warmen Stimmtimbre als Arbeiter Sergei, der unbedingt eine gute Partie machen will, um kommod leben zu können. Mezzosopranistin Fleuranne Brockway erfreut als attraktive Strafgefangene Sonjetka. Für Erheiterung sorgt Tenor Erik Biegel als betrunkener und crazy Schäbiger. In seinem Kleidchen erinnert er ein wenig an den berühmtesten Transvestiten Berlins Charlotte von Mahlsdorf (der bis 1997 das Gründerzeitmuseum in Berlin-Mahlsdorf leitete und 1992 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde).
Cornelia Beskow, Patrick Lange und Evgeny Titov zeigen am Staatstheater Wiesbaden deutlich, dass die Lady Macbeth von Mzensk noch immer eine hochinteressante Figur ist.
Markus Gründig, Oktober 20
Lady Macbeth von Mzensk
(Ledi Makbet Mtsenskogo uyezda)
Oper in vier Akten
Von: Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Libretto: Alexander Preis, nach der gleichnamigen Novelle von Nikolai Leskow
Uraufführung 1. Fassung: 22. Januar 1934 (Leningrad, Maly-Theater)
Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 2. Oktober 20 (Großes Haus)
Musikalische Leitung: GMD Patrick Lange
Inszenierung: Evgeny Titov
Bühne: Christian Schmidt
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer
Licht: Oliver Porst
Chor: Albert Horne
Dramaturgie: Wolfgang Behrens
Besetzung:
Katerina Lwowna Ismailowa: Cornelia Beskow
Boris Timofejewitsch Ismailow: Andrey Valentiy
Sinowi Borissowitsch Ismailow: Beau Gibson
Sergei / Bote: Aaron Cawley
Aksinja: Michelle Ryan
Der Schäbige: Erik Biegel
Pope / Alter Zwangsarbeiter / Sergeant: Timo Riihonen
Sonjetka: Fleuranne Brockway
Zwangsarbeiterin: Sharon Kempton
Hausknecht / Wächter: Frederic Mörth
Chor, Extrachor & Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden,
Chorsolisten des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
staatstheater-wiesbaden.de