Nah am Original und doch ganz anders ist jetzt Kleists letztes Drama, Prinz Friedrich von Homburg, zu erleben. Das Frankfurter Theater Willy Praml eröffnet mit diesem Klassiker die neue Spielzeit (dies als erstes Theater im Rhein-Main-Gebiet). Uniformen und Degen gibt es in dieser Inszenierung nicht zu sehen. Die Geräusche von berstenden Bomben dafür zu hören. Regisseur Michael Weber macht deutlich, dass das Thema Krieg allgegenwärtig ist. Durch alle Zeiten bis zur Gegenwart. Dabei, und das ist das Herausragende an der Inszenierung, erzählt er es aus einer ganz anderen Perspektive als üblich: als ein kollektiver Fiebertraum aus einem Lazarett heraus, mit den Stimmen von Schwerverletzten: „Ein Spiel unter Verlierern, auch wenn sie Helden heißen“ (Ankündigungstext).
Hierzu hat Weber eine eigene Textfassung erstellt. Dazu inspiriert wurde er nicht nur von seinem kriegsversehrten Großvater, sondern u. a. auch von Erich Maria Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ aus dem Jahr 1928. Kleists Grundfrage nach individueller Entfaltung, dem Verhältnis des Einzelnen zu der Ordnung eines größeren Ganzen, und Begriffe wie Kühnheit und Disziplin, geraten bei Webers Umsetzung in den Hintergrund.
Im Lazarett befindet sich die Kriegsversehrten mit ihren unterschiedlichen Leiden. Der Prinz hat seine rechte Hand und sein rechtes Auge verloren, der Kurfürst gar beide Augen. Graf von Hohenzollern seine Arme, Rittmeister Golz hat ein lahmes Bein und der Feldmarschall Dörfling eine kranke Lunge. Einzig Prinzessin Natalie und in Personalunion die Krankenschwester im grünen OP-Kittel mit weißer Plastikschürze, sind unversehrt. In legerer Sportkleidung und Hemden mit Printmustern geben sich alle zeitgemäß (Kostüme: Paula Kern).
Die Inszenierung beschränkt sich auf die Hauptfiguren. Sie liegen zu Beginn wie aufgebahrt in ihren Krankenlagern (mit schwarzen Laken und Bezügen). Von einem Bett zieht die Krankenschwester gleich zu Beginn die Bettwäsche ab. Von dem, der hier gelegen hat, zeugt nur noch ein Stofftier-Lämmchen.
Gespielt wird nicht in der Haupthalle, sondern im kleineren Seitenraum (der sonst als zusätzliches Foyer genutzt wird). Das Publikum sitzt frontal den Fenstern gegenüber, vor denen die Betten stehen. Lediglich die Szene Schlachtfeld bei Fehrbellin wird, mit reichlich Nebel, seitlich in der Haupthalle gespielt.
Das Anstrahlen der Fenster von außen vermittelt innen den Einruck von Tageslicht und ermöglicht ein Schattenspiel, wenn der Prinz außen entlangläuft (Lichtdesign: Simon Möllendorf).
Eine weitere Besonderheit der Inszenierung ist die Besetzung des Prinzen und des Kurfürsten durch zwei Frauen. In der Titelrolle besticht Anna Staab mit subtilen und bewegungsreichen Spiel bei gleichzeitig hervorragender Diktion. Eindringlich ist ihre verinnerlichte Interpretation von Queens/Freddie Mercurys Bohemian Rhapsody („Mama,ich habe gerade einen Mann getötet“). Ein Kranz wird tatsächlich auch gebunden, allerdings nicht mit Blättern, sondern mit einem Infusionsschlauch.
Birgit Heuser ist als schwer an den Augen verwunderter Kurfürst (und als dessen Frau) zu erleben (einem Horrorfilm würdig sind die durch die Kriegseinwirkung geschundenen Augen gestaltet, wenn einmal kurz die Binde abgenommen wird). Von einstiger militärischer Macht zeugt nur noch eine kleine Pistole, die wie ein Kuscheltier im Bett versteckt wird.
Den immer wieder zitternden und erzählenden Graf von Hohenzollern gibt Jakob Gail mit großer Intensität. Sehr präsent sind auch Reinhold Behling (Obrist Kottwitz ) und Muawia Harb (Feldmarschall Dörfling). Hannah Bröder kommt als sich um die Verletzten kümmernde Krankenschwester eine besondere Rolle zu, ist sie zugleich doch auch die Prinzessin Natalie. Mit einem Ausschnitt aus Franz Lehars Wolgalied (Der Zarewitsch) erreicht sie nicht nur schöne Höhen, sondern vermittelt auch berührende Momente („Du hast im Himmel viel Engel bei dir! Schick doch einen davon auch zu mir“).
Am Ende weist die Inszenierung auf den autobiographischen Bezug zwischen Kleist und Prinz hin. Im Bette liegen nun Prinz und Prinzessin, oder sind es Kleist und seine todkranke Henriette Vogel…
In pausenlosen gut zwei Stunden wird deutlich, dass Krieg weit mehr ist, als Eroberung und Rückeroberung von Land: Er hinterlässt vor allem in den Seelen einen nur sehr schwer heilbaren Schmerz.
Makrus Gründig, August 23
Kleist. PRINZ VON HOMBURG / SCHLACHT BEI FEHRBELLIN
Drama in fünf Akten von: Heinrich von Kleist
Uraufführung: 3. Oktober 1821 (Wien, Burgtheater; unter dem Titel „Die Schlacht bei Fehrbellin“)
Premiere beim Theater Willy Praml: Freitag, 25. August 23 (Naxos Halle FFM)
Regie, Textfassung, Bühne: Michael Weber
Kostüme: Paula Kern
Lichtdesign: Simon Möllendorf
Produktionsleitung: Rebekka Waitz
Mit: Reinhold Behling, Hannah Bröder, Jakob Gail, Muawia Harb, Birgit Heuser, Anna Staab
Spieldauer: 2h ohne Pause
Theaternachlese im Haus am Dom: Mo, 18. September 23 (19:30 Uhr. Eintritt frei!)
theater-willypraml.de