Barockoper »Polifemo« als Gastspiel bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden

Polifemo ~ Parnassus Arts Productions ~ © Marco Borrelli

Vier Jahre ist es her, dass die österreichische Parnassus Arts Productions zu Gast bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden war. In 2019, also noch vor der Corona-Pandemie, präsentierte sie in Koproduktion mit der Opera de Lausanne und dem National Theater Zagreb die selten gespielte Rossini-Oper La Donna del Lago). Jetzt zeigte Parnassus Arts Productions im Großen Haus des Staatstheaters Wiesbaden die Barockoper Polifemo des italienischen Komponisten Nicola Antonio Porpora (1686 – 1768). Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen, wo sie 2019 in der Felsenreitschule Premiere feierte.

Porpora ist ein typischer Vertreter der neapolitanischen ernsten Oper (der sogenannten Opera seria). Bei ihm steht die Gesangskunst und die Virtuosität großer Sänger:innen im Mittelpunkt. Der Komponist und Gesangslehrer lebte ab 1733 für vier Jahre in London, wo ihm die künstlerische Leitung der neu gegründeten „Opera of the Nobility“ („Adelsoper“) übertragen worden war. Diese stand in unmittelbarer Konkurrenz zu den Opernunternehmungen von Georg Friedrich Händel, der sie zahlreiche Sänger:innen abwarb. Bekanntester Sänger von Porpora war in dieser Zeit Farinelli. Bei der Uraufführung von Polifemo 1735 sang er die für seine Stimme geschriebene Partie des Aci.

Polifemo
Parnassus Arts Productions
© Marco Borrelli

Das als „Dramma per musica“ bezeichnete Werk ernsten Inhalts, hat eine mythologische Handlung. Der Librettist Paolo Rolli verband dazu Teile der Metamorphosen des Ovid (die unglückliche Liebe zwischen Acis und Galatea) mit der Odyssee von Homer (Odysseus/Ulisses Kampf gegen die Zyklopen). Das Einheitsbühnenbild von Margit Ann Berger zeigt einen Sandstrand mit Felsen (die allesamt seltsame Spalten aufweisen). Vielleicht handelt es sich um eine Pirateninsel, denn zwei menschliche Gerippe und eine Schatzkiste liegen verstreut im Sand. Auch Ulisse wirkt in seinem schwarzen Hemd und Knickebocker wie ein Pirat.

Veränderungen der Szenerie ergeben sich lediglich durch Projektionen von Meeresbildern auf der Rückwand. Hier toben die Wellen im Sturm (mit zusätzlich eingespielten Geräuschen), ziehen Sonne und Mond ihre Bahnen (Video: Sarah Scherer). Die göttlichen Nymphen tragen an die Sandlandschaft angepasste Kleider und an den venezianischen Karneval anspielende Masken (Kostüme: Giorgina Germanou). Countertenor Max Emanuel Cenčić, der sich hier klangschön und auch sehr spielfreudig als ängstlicher, sich aber dann dennoch wagemutig behauptender Ulisse präsentiert, ist zugleich auch wieder als Regisseur beteiligt. Den ausgedehnten Da-capo-Arien stellt er gewitzt kurze buffoneske Einlagen gegenüber.

Polifemo
Parnassus Arts Productions
© Marco Borrelli

Das dramaturgische Geschehen, die Entwicklung von Charakteren und Personen ist hier nebensächlich. Im Mittelpunkt stehen die zahlreichen virtuosen Arien und deren Sänger:innen. Auf einen Chor wurde bei diesem Gastspiel,vermutlich aus Kostengründen, verzichtet. Die wenigen Chorstellen werden vom Ensemble aus dem Off gesungen.
Größtenteils ist die Besetzung identisch zu der von Salzburg in 2019. Neu dabei sind der mit kraftvoller Stimme aufwartende serbische Bassbariton Sreten Manojlovic in der Titelrolle und die israelische Sopranistin Rinnat Moriah als Nerea. Mezzosopranistin Sonja Runje gibt eine anmutige Calipso. Als sich um Galateas Liebe mühender und von Polifemo aus Eifersucht getöteter Aci, nimmt Countertenor Yuriy Mynenko stark für sich ein (insbesondere mit der innig dargebotenen Arie „Alto Giove“, während der er mit weißer Farbe zu einem Stein umgewandelt wird). Doch niemand hat so viele und exponierte Arien wie die Nymphe Galatea. Die russische Sopranistin Julia Lezhneva ist vom Wuchs nicht die größte Sängerin, als Galatea zieht sie das Publikum mit ihrer frischen Ausstrahlung, ihren glanzvollen Koloraturen und ihrem lyrischen Feinsinn jedoch umso mehr in ihren Bann.
Am Pult des Orchesters Armonia Atenea sorgte Markellos Chryssicos für einen sehr sängerfreundlichen Klang und verband Wärme mit Geschmeidigkeit.

Nachdem bereits nahezu jede Arie einen Zwischenapplaus erhalten hatte, gab es am Ende für alle Beteiligte einen lang anhaltenden und kräftigen Schlussapplaus nebst Standing Ovations.

Markus Gründig, Mai 23


Polifemo

Dramma per musica in drei Akten
Von: Nicola Antonio Porpora (1686 – 1768)
Libretto: Paolo Rolli

Uraufführung: 1. Februar 1735 (London, King’s Theatre in the Haymarket)
Premiere der Produktion der Salzburger Festspiele in Zusammenarbeit mit Parnassus Arts Productions: 8. Juni 19
Gastspiel im Rahmen der Internationalen Maifestspiele Wiesbaden 2023 am Staatstheater Wiesbaden: 27. Mai 23

Dirigent: Markellos Chryssicos
Inszenierung: Max Emanuel Cenčić
Bühne: Margit Ann Berger
Kostüme: Giorgina Germanou
Licht: Stella Kaltsou
Video: Sarah Scherer

Besetzung:

Aci: Yuriy Mynenko
Ulisse: Max Emanuel Cenčić
Galatea: Julia Lezhneva
Polifemo: Sreten Manojlovic
Calipso: Sonja Runje
Nerea: Rinnat Moriah

Armonia Atenea

maifestspiele.de

Eine in Zusammenarbeit mit Bayreuth Baroque und dem BR entstandene Aufnahme ist auf CD erhältlich (parnassus-shop.com).

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