Aszure Barton wird Artist in Residence bei Gauthier Dance

Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart: Akram Khan, Turning of Bones (Foto: Jeanette Bak)

Die renommierte Choreographin Aszure Barton wird ab der Saison 2025/26 Artist in Residence von Gauthier Dance. In dem illustren choreographischen Quartett Marco Goecke (2019 bis zum Ende der Saison 2022/23), Hofesh Shechter (seit Sommer 2021) und Barak Marshall (seit der Saison 2024/25) übernimmt mit Aszure Barton erstmals eine Frau diese Position.

Mit der Berufung schließt sich ein Kreis für den Künstlerischen Leiter Eric Gauthier und Barton, die sich länger als ein halbes Leben kennen, von ihrer gemeinsamen Zeit an Canada’s Ballet School. Schon als Teenagerin war Barton dort an der Entwicklung eines bis heute existierenden Workshop-Formats für Choreographie beteiligt und legte den Grundstein für ihre steile Karriere. Über ein Austauschprogramm besuchte Barton außerdem eine Zeitlang die John Cranko Schule – ein besonders schöner Aspekt ihrer Rückkehr in diese Stadt.

Aszure Barton
(Foto: Graeme Mitchell)

Um Erlaubnis zu fragen, kam für Aszure Barton nie in Frage. Mit der Gründung von Aszure Barton & Artists (AB&A) dachte sie in den frühen 2000-er Jahren das traditionelle Choreograph*in-Company-Modell neu. Damit schuf sie, was sie „a mobile home for trusted humans“ nannte – ein sensibles, lebendes Ökosystem, verbunden durch Vertrauen und kreative Inklusion.

Neben ihrer Arbeit für AB&A choreographiert Barton weltweit für berühmte Auftraggeber wie das Nederlands Dans Theater, das American Ballet Theatre, die Martha Graham Dance Company, das Bayerische Staatsballett, das English National Ballet, die Sydney Dance Company, die Scala und das San Francisco Ballet.

Derzeit ist sie Artist in Residence bei Hubbard Street Dance Chicago und hatte zuvor die gleiche Position beim Baryshnikov Arts Center inne, wo sie auch direkt mit Baryshnikov zusammenarbeitete. In Kanada wurde sie mit dem prestigeträchtigen Arts & Letters Award ausgezeichnet und zum „Official Ambassador of Contemporary Choreography in Canada“ ernannt. Für ihr ursprünglich für AB&A kreiertes Programm BUSK mit der Alvin Ailey American Dance Theater gewann sie 2020 zudem einen Bessie Award.

Die Kollaboration mit Gauthier Dance schließt an ihre frühere Arbeit bei The Seven Sins von 2022 an. Bartons Interpretation der Faulheit, human undoing, brachte ihr im Jahrbuch 2022 der Fachzeitschrift tanz eine Nominierung in der Kategorie ‚Interessanteste*r Choreograph*in‘ ein. Die Begründung des Kritikers: Barton „macht auch die Todsünde ‚Faulheit‘ als körperlichen Überdruss zu einem empathisch durchgeformten Ereignis.“

Dazu Aszure Barton: „Erics Einladung, Teil seines Teams zu werden, bedeutet mir viel. Es hat etwas wirklich Schönes, wie sich das alles entwickelt, und es ist echt cool, nach Stuttgart zurückzukehren, wo ich auch einen Teil meiner Ausbildung erhalten habe. Die Tänzer*innen bei Gauthier Dance sind ungemein talentiert, unprätentiös und der Schlüssel zum Erfolg der Company. Was Eric aufgebaut hat, ist bemerkenswert – dieser ambitionierte, positive Geist schafft optimale Voraussetzungen für die Arbeit. Diese Kollaboration drückt aus, was ich für essenziell erachte: Institutionen arbeiten zusammen, damit unsere Tanzgemeinschaft fortbesteht und sich entfalten kann. Ich bin gespannt darauf, was wir zusammen entdecken werden.“

In der Spielzeit 2025/26 steuert Barton den Pas de deux aus Lascilo Perdere (A Journey of Letting Go) für das JUNIORS-Programm Radical Classical bei sowie eine größere Neukreation, Luck für den Doppelabend Luck / Unluck im Tandem mit ihrem Kollegen Hofesh Shechter.


Die Saison 2025/26: Ein erster Ausblick

Gauthier Dance JUNIORS//Theaterhaus Stuttgart: Radical Classical

Choreographien von Aszure Barton, Marie Chouinard, Eric Gauthier, Marco Goecke, Andreas Heise, Sol Léon & Paul Lightfoot, Ohad Naharin
mit musikalischen Erklärfilmen mit Infos und Hintergründen zu jedem Musikstück
Premiere am 23. Januar 2026

Welche Kunstform verbindet klassische Musik und Bewegung? Bei einer Blitzumfrage auf der Straße würden sicherlich fast alle mit „Ballett“ antworten. Wie faszinierend die gar nicht so seltene Kombination von zeitgenössischem Tanz und Klassik ist, dafür will der Tanzabend Radical Classical eine Lanze brechen. Das Mittel der Wahl: zeitgenössische „Klassiker“ berühmter Choreograph*innen.

Der mediale Mehrwert in den Pausen zwischen dem Tanz: eigens produzierte Erklärfilme, die jedes Musikstück aus einem anderen Winkel beleuchten. Entwickelt von Eric Gauthier und dem Dramaturgen Thomas Geiger, liegt der Fokus hier teils auf den Instrumenten, teils auf den Komponisten, teils auf den ausführenden Künstler*innen.

Und obwohl diese kurzen Dokus für das ganze Publikum interessant sein dürften, hatte Eric Gauthier bei der Planung dieses Programms vor allem eine spezielle Zielgruppe im Blick: Jugendliche, die normalerweise wenig mit klassischer Musik in Berührung kommen. Die Zeichen stehen gut, dass Radical Classical sie nicht nur informiert, sondern begeistert. Schließlich sind die Gauthier Dance JUNIORS nicht nur die ultimativen Sympathieträger*innen. In diesem darstellerisch wie technisch ausgesprochen anspruchsvollen Programm treten sie den Beweis an, wie radikal Klassik sein kann.

Mit ihrem Pas de deux aus Lascilo Perdere (A journey of letting go), ursprünglich 2005 kreiert für ihre eigene Company AB&A, dürfte Aszure Barton einen Rekord geknackt haben – für die längste und gewagteste Zungenkuss-Szene in einem Tanzstück. Zur hypnotischen Musik von Antonio Vivaldis Nisi Dominus – Cum Dederit bannt die neue Artist in Residence ein Paar über die gesamte Dauer des Stücks in eine physisch schier unmögliche Verschlingung. So wurde Vivaldi garantiert noch nie vertanzt!

Urknall der Tanzmoderne: Für die Ballets Russes choreographierte Nijinski 1912 sein ikonisches Tanzstück L’Après-midi d’un faune. Musikalische Vorlage war das impressionistische Meisterwerk von Claude Debussy. Inspiriert von Nijinskis bahnbrechender Choreographie und von historischen Fotografien, die ihn in seiner Paraderolle zeigen, schuf Marie Chouinard ihre eigene Version für eine Faunin, die als Schlüsselwerk auch in ihrem Œuvre gelten darf. Mit den ersten Tönen von Prélude à l’après-midi d’un faune versetzt uns das Solo in eine mythische, archaische, buchstäblich un-menschliche Welt. Wie und was träumt ein Fabelwesen? Die kanadische Tanz-Avantgardistin zeigt es uns.

Um ein Fabelwesen geht es auch bei Marco Goecke. Das Werk ist ebenfalls eng mit der Geschichte der Ballets Russes zu Beginn des 20. Jahrhunderts verknüpft. Denn diesen Pas de deux kreierte der langjährige Artist in Residence von Gauthier Dance aus Anlass des 100. Geburtstags von Igor Strawinskys Feuervogel. In Goeckes typisch fiebriger, hyperpräziser Bewegungssprache, mit flatternden Hand- und ruckhaften Kopfbewegungen, erzählt der Choreograph die Geschichte einer Annäherung zwischen Mensch und Vogelwesen.

Britten, Händel, Mozart, Schütz, Purcell, Schubert, Wagner …: Wenige Choreograph*innen haben sich so eingehend mit klassischer Musik und speziell mit der Oper auseinandergesetzt wie Andreas Heise. Auch Frühlingsstimmen schaut unter die Oberfläche. Auf der einen Seite die überschäumende Seligkeit von Johann Strauss Sohns Walzerklassiker, der Taumel und die Schönheit der erwachenden Natur. Auf der anderen Seite der Zweifel und die Skepsis, eine marionettenhafte Szenerie mit Tänzer*innen, die sich wie ferngesteuert bewegen. Und die drängende Frage: Wo verlaufen die Bruchlinien in einer vermeintlich heilen Welt?

Wohl kaum ein Musikstück wurde so oft, so unterschiedlich und so kreativ in Tanz übersetzt wie Maurice Ravels Boléro. Auch Ohad Naharin ließ sich von dieser ikonischen Vorlage inspirieren – zu seinen eigenen Bedingungen … Nicht nur enthält der Titel B/olero einen Schrägstrich, der Godfather des Gaga hat sich auch für ein Synthesizer-Arrrangement des japanischen Komponisten Isao Tomita entschieden. Mit seinem kraftvollen, unerbittlich synchronen Duett gelingt Naharin ein echtes Kunststück: Makellose Präzision von den beiden Tänzerinnen zu verlangen – und gleichzeitig die Komik in den wie ein Uhrwerk schnurrenden Bewegungsabläufen zu entdecken.

Eine gute Portion Humor bringt auch Orchestra of Wolves von Eric Gauthier mit. Zum ersten Satz von Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie setzt diese Miniaturkomödie augenzwinkernd den vielbeschworenen Autoritätskonflikt zwischen Dirigent gegen Orchester in Szene. In der professionellen Musikszene normalerweise ein Ringen zwischen zwei halbwegs gleichstarken Gegnern. Dumm nur, dass in diesem Stück der Dirigent ein Vogel ist und im Orchester ausschließlich Wölfe spielen …

Für Tänzer*innen vergeht die Zeit besonders schnell. Schließlich bleiben ihnen für ihre aktive Karriere viel weniger Jahre als in praktisch allen anderen Berufen. Auf ebenso humorvolle wie eindrückliche Weise visualisiert das Choreographen-Duo Sol Léon & Paul Lightfoot in Susto diesen Wettlauf gegen die Zeit in einem allegorischen Bühnenbild: einem großen Trichter, dem ständig Sand entströmt. Die Tänzer*innen lassen sich berieseln wie unter einer Dusche, sie jagen sich und schlittern auf dem rutschigen Untergrund. Passend dazu greift das Schlussstück von Radical Classical ebenfalls den ersten Satz aus Beethovens 5. Sinfonie auf – der „Schicksalssinfonie“ …

Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart & Gauthier Dance JUNIORS//Theaterhaus Stuttgart: Anthems

Doppelabend Barak Marshall mit den Choreographien Barker & Harry
Premiere am 7. Mai 2026

Für den ersten Doppelabend der Saison zeichnet Artist in Residence Barak Marshall verantwortlich. Und doppelt heißt in dem Fall wirklich doppelt! Denn Anthems spannt nicht nur zwei Choreographien, sondern auch beide Theaterhaus-Companies zusammen. Stück Numero 1 für die JUNIORS feierte vor Kurzem beim COLOURS-Festival Premiere, als erste Familienproduktion von Gauthier Dance überhaupt.

Und ob Kinder, Erwachsene oder die Presse – alle liebten es. Mit Slapstick, Humor, märchenhafter Übertreibung und reichlich Publikumsbeteiligung erzählt Barker die Geschichte einer erfolgreichen Rebellion. Sechs Dienstboten setzen sich gemeinsam zur Wehr gegen die Unterdrückung durch ihre Herrin Frau Siegrun. Für COLOURS wurde Barker ganz bewusst im Setting der Theaterhaus-Sporthalle inszeniert. Schließlich wird das Stück während der Saison 2025/26 ausgiebig durch die Schulturnhallen der Region touren … Im Kontext von Anthems wird Barker noch einmal neu eingerichtet für die große Theaterhaus-Halle T1.

Stück Numero 2 des Doppelabends entstand 2012 als Teil des Programms zum 40. Jubiläum der renommierten kanadischen Truppe Ballets Jazz Montréal und zählt zu den erfolgreichsten Werken des Choreographen. Denn Harry sprüht nicht nur vor Lust am Tanzen und Fabulieren. Auch der hinreißend lebhafte, ultimativ tanzbare Soundtrack mit Swing aus den 20-er und 30-er Jahren ist unverkennbar Barak Marshall. 14 Jahre nach der Uraufführung will er sich diese frühe Arbeit noch einmal vornehmen und auf die 16 Tänzer*innen von Gauthier Dance zuschneiden.

Die Company kann sich in jedem Fall auf ein ebenso leidenschaftliches wie humorvolles Stück Tanztheater freuen. Ursprünglich sollte es The 9 Lives of Harry Fleischman heißen – und dieser Titel beschreibt den Plot ziemlich genau. Für die Liebe seines Lebens trotzt Harry den Göttern und dem Schicksal. Davon kann ihn selbst sein wiederholter Tod nicht abhalten. Widersetze dich allen Mächten, die dich einengen wollen – und folge deinem Herzen. Diese „Hymne auf die Menschlichkeit“ verbindet Harry und Barker. Und steht für Marshalls tiefe Überzeugung, dass es sich lohnt, für die Freiheit zu kämpfen.

Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart: Luck / Unluck

mit Uraufführungen von Aszure Barton und Hofesh Shechter
Eine Produktion von Theaterhaus Stuttgart
Premiere am 26. Juni 2026

Bei diesem Doppelabend geht das Herz auf! Denn Luck / Unluck vereint zwei der drei Artists in Residence von Gauthier Dance. Vor allem aber ist es ein Programm, das es in sich hat. Schließlich beruht das Stücke-Duo auf einem starken Gegensatz und spielerischer Spannung – ausgleichende Gerechtigkeit inklusive! Nachdem die neue Artist in Residence von Gauthier Dance in The Seven Sins Freiwillige für die Todsünde Faulheit war, widmet sich Aszure Barton nun dem Thema Glück.

Hofesh Shechter behandelt mit Unluck den Gegenpart. Eine Wahl, die bei vielen sicherlich gleich das Kopfkino anspringen lässt. Denn Shechters dunkle, bildgewaltige Tanzwelten sind wie prädestiniert für eine Beschäftigung mit dem Unglück.

Definitiv „Luck“ haben dennoch beide Artists in Residence. Denn sie dürfen nicht nur am Theaterhaus Stuttgart, sondern zusätzlich an einem der idyllischsten Orte der Welt kreieren, der Orsolina 28 Art Foundation. Nach dem letzten Aufenthalt kann die Company das Wiedersehen mit diesem Tanzparadies schon jetzt kaum erwarten.
Da Luck / Unluck erst im Juni 2026 Premiere hat, folgen ausführlichere Infos rechtzeitig in der kommenden Spielzeit.

theaterhaus.com


Das Programm im September und Oktober 2025

Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart: Akram Khan, Turning of Bones
Eine Produktion von Theaterhaus Stuttgart
Uraufführung in Koproduktion mit COLOURS International Dance Festival und Orsolina28 Art Foundation
Regie & Choreographie: Akram Khan
Arrangeur, Soundscape Designer: Aditya Prakash
Mit Auszügen aus Kompositionen von Jocelyn Pook, Ben Frost, Aditya Prakash
Kostümdesign: Gudrun Schretzmeier
Lichtdesign: Mario Daszenies
Kreative Mitarbeit & Leitender Repetitor: Mavin Khoo
Probenleitung: Angela Towler
Repetition: Joy Alpuerto Ritter, Jasper Narvaez

Akram Khan und Gauthier Dance: Diese Kombination erwies sich in der Tat als ein „match made in heaven“. Die umjubelte Eröffnungspremiere des 5. COLOURS International Dance Festivals geriet zu einer zutiefst berührenden emotionalen Reise. Startpunkt waren Schlüsselwerke Akram Khans. Auszüge daraus griff der Choreograph wieder auf, entwickelte sie weiter und verband sie durch eine neue Erzählung – die Geschichte zweier Liebender, die auf tragische Weise mit dem Thema des Opfers und des Geopfertwerdens konfrontiert sind. Sie teilten eine Botschaft: Verblendung und Arroganz lassen die Menschen im Lauf der Geschichte die immer gleichen Fehler begehen.

Theaterhaus, T1
Freitag, 24. Oktober 2025 / Samstag, 25. Oktober 2025 – jeweils um 20:00 Uhr / Sonntag, 26. Oktober 2025 um 15:00 Uhr & 20:00 Uhr

Gauthier Dance unterwegs

Tourmanagement: ecotopia dance productions, ecotopiadance.com

Gala Gauthier Dance & Fondazione Nazionale della Danza / Aterballetto
Show-Programm mit Sharon Eyal, Alone / Eric Gauthier, ABC / Marco Goecke, Infant Spirit / Hofesh Shechter, Bonus Track
Veranstalter: Soprintendenza Speciale di Roma
Freitag, 26. September 2025 / Samstag, 27. September 2025 / Sonntag, 28. September 2025 in den antiken Caracalla-Thermen, Rom

Akram Khan, Turning of Bones
Ankündigung siehe oben
Freitag, 10. Oktober 2025 um 21:00 Uhr, Visavì Dance Festival, Gorizia (Italien)
Dienstag, 14. Oktober 2025 um 19:30 Uhr, Festspiele Ludwigshafen 2025, Theater im Pfalzbau
Freitag, 17. Oktober 2025 um 20:00 Uhr, Burghof Lörrach
Donnerstag, 30. Oktober 2025 / Freitag, 31. Oktober 2025 – jeweils um 18:00 Uhr, Theater Gütersloh