Richard Wagners Oper »Lohengrin« am Staatstheater Wiesbaden zwischen den Interpretationsmöglichkeiten gelesen

Lohengrin ~ Staatstheater Wiesbaden ~ Lohengrin (Mirko Roschkowski), Chor ~ Foto: Karl und Monika Forster
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Mit Richard Wagners romantischer Oper Lohengrin präsentierte das Staatstheater Wiesbaden in diesem Monat die erste Opernpremiere der neuen Spielzeit 2023/24. Die Inszenierung von Henriette Hörnigk hinterfragt die Figur des Titelhelden, zeigt das Volk als ambivalente Masse und stellt so manches Rätsel auf. Auf musikalischer und sängerischer Seite ist die Produktion durchweg ein Trumpf.

Lohengrin ist die erste Opern-Inszenierung von Henriette Hörnigk. Als Theaterregisseurin ist sie seit vielen Jahren erfolgreich. Am Staatstheater Wiesbaden inszenierte sie Carl Zuckmayers Der fröhliche Weinberg, Tom Stoppards Die Küste Utopias und Joseph Roths Hiob. Ende April 24 wird Elfriede Jelineks Angabe der Person folgen.

Lohengrin
Staatstheater Wiesbaden
Heerrufer des Königs (Christopher Bolduc Telramund (KS Thomas de Vries ), Heinrich der Vogler (Young Doo Park), Elsa (Heather Engebretson), Ortrud (Khatuna Mikaberidze), Chor
Foto: Karl und Monika Forster

Es gibt sehr viel zu entdecken

Der Oper Lohengrin nähert sich Henriette Hörnigk, indem sie bei den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten (Künstlerdrama, politisches Schlüsselwerk oder psychologisches Märchen) gewissermaßen zwischen den Zeilen liest und nach Verbindungen zwischen ihnen sucht (Dramaturg Constantin Mende geht im Programmheft sehr ausführlich zu vielen diesbezüglichen Themenkreisen ein).

Das Geschehen ist per großflächiger Videoprojektionen von Bildern eingerahmt, die Hochhaussiedlungen zeigen. Sie können damit die Weltbevölkerung repräsentieren. Sind es zu Beginn des ersten Aufzugs Aufnahmen aus China, ist es zu Beginn des zweiten Aufzugs die Skyline von Frankfurt/M . Es folgen kurz Panzer, die auf Bedrohungen und Gefahren hinweisen. Der erste Aufzug spielt in einer Art Hörsaal. Die Mitglieder des Tribunals sitzen wie bei einem kommunistischen Parteitag unisono gekleidet beieinander. In engen Boxen, wie eingepfercht, mit nach oben verschlossenen Decken, die dann als Laufflächen genutzt werden. Optisch sind sie unisono auf Menschen aus Asien getrimmt. Dazu tragen sie Brillen, deren Rahmen bläulich leuchten können. Als verbindendes Relikt halten sie in Erwartung eines Retters einen zu einem Ring geformten Kunststoffschlauch hoch. Später ist dann Lohengrins vom Bühnenhimmel herabschwebender Schwan aus Kunstoff- LED-Schläuchen geformt (nachdem zuvor gezeigt wurde, dass Heinrich der Vogler dringend auf Sauerstoff aus ebensolchen Schläuchen angewiesen ist).

Lohengrin
Staatstheater Wiesbaden
Heerrufer des Königs (Christopher Bolduc), Chor
Foto: Karl und Monika Forster

Schlicht sind die folgenden Bilder. Für den zweiten Aufzug fährt ein Bühnenboden als Balkonersatz hoch und neben langen Vorhängen gibt es Metallkonstruktionen, die eine Skyline nachbilden (eine solche ist zudem verzerrt im Hintergrund zu sehen). Für den dritten Aufzug gibt es statt eines gemütlichen Hochzeitbetts lediglich ein Bettgestell aus Metall (das immerhin mit Tüchern etwas Heimeligkeit erhält). Trotz dieser Schlichtheit entstehen durchaus große Bilder. Zumal der Heerrufer des Königs (auch stimmlich strahlend: Bariton Christopher Bolduc) hier zusätzlich als ein gut gelaunter stummer Conférencier durch alle drei Aufzüge führt.

Aufwändig sind die Kostüme von Claudia Charlotte Burchard, vor allem die für das Volk. Teilweise mit Tiermasken, zeigt sich das Volk gerne im leuchtenden Blau. Zum Schlussbild erscheint es als bunter Querschnitt der Menschheit, durch Zeit und Stile. Etliche Figuren sind zu erkennen, wie beispielsweise Holly Golightly alias Audrey Hepburn, Queen Elisabeth, Miss Universum, Elvis, Punks, dazu gewöhnliche Arbeiter und Angestellte. Am Ende haben dann alle, so wie zuvor nur der Heerrufer, einen roten Handschuh an, denn keiner ist frei von Schuld.

Die unterschiedlichen Bilder verbinden mehrere Regieideen. In erster Linie ein von der Decke herabgelassenes Pendel, das lange Zeit schwingend und auf Justitia anspielend, an die Gerechtigkeit mahnt. Dann die Farbe Blau, die für Objektivität, Neutralität und Klarheit steht (daneben Hoffnung stiftendes Grün und böse Vorahnung ausdrückendes Braun). Demonstrativ dargebotene Armbewegungen lassen an einen nicht näher definierten Ritus denken. Es gibt sehr viel zu entdecken und manch Rätsel zu lösen in Henriette Hörnigks Inszenierung.

Lohengrin
Staatstheater Wiesbaden
Elsa (Heather Engebretson), Chor
Foto: Karl und Monika Forster

Es gibt viel Gutes zu hören

Das groß besetzte Hessische Staatsorchester Wiesbaden spielt unter der musikalischen Leitung von Michael Güttler angenehm austariert. In der Titelrolle macht der Dortmunder Tenor Mirko Roschkowski auf sich aufmerksam. Gekonnt verbindet er Strahlkraft und Geschmeidigkeit. Auch zeigt er deutlich die Zerissenheit Lohnengrins.
Die chinesisch-amerikanische Sopranistin Heather Engebretson sorgte vor einem Jahr als Cio-Cio-San (Madama Butterfly) an der Oper Frankfurt für Aufsehen. Die Figur der Elsa verkörpert sie mit jugendlicher Attitüde: impulsiv und verträumt und mit beeindruckenden Spitzentönen. Optisch erinnert sie mit hochgesteckten Haaren ein wenig an die isländische Sängerin Björk. Über leuchtend roten Boots trägt sie ein weißes Kleid (von Beginn an mit Blut am Herz, am Ende wird das ganze Kleid blutrot sein).

Lohengrin
Staatstheater Wiesbaden
Ortrud (Khatuna Mikaberidze), Telramund (KS Thomas de Vries)
Foto: Karl und Monika Forster

Bei der besuchten zweiten Vorstellung lehrte die Ortrud der Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser (für die erkrankte Khatuna Mikaberidze) nicht nur Elsa das Fürchten. Unmissverständlich zeigte sie mit ihrer durchsetzungsfähigen Stimme, dass man sich mit ihr besser nicht anlegt.

Seine Wagner-Erfahrung ist Kammersänger Thomas de Vries anzumerken bzw. anzuhören. Er gibt einen passend finsteren Telramund, besonders in vokaler Hinsicht. Als körperlich gebrechlicher aber vokal auf der Höhe stehender Heinrich der Vogler vermittelt Bass Young Doo Park Erhabenheit. Lebhaft beteiligt ist der von Albert Horne einstudierte Chor des Staatstheaters Wiesbaden, wie sich auch die vier brabantischen Edle und die vier Edelknaben engagiert einbringen.

Am Ende der besuchten zweiten Vorstellung viel Applaus für die musikalische Seite des Abends.

Markus Grüdig, September 23


Lohengrin

Romantische Oper in drei Aufzügen

Von: Richard Wagner (1813-1883)
Uraufführung: 28. August 1850 (Weimar, Großherzogliches Hoftheater)

Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 16. September 23 (Großes Haus)
Besuchte Vorstellung: 24. September 23

Musikalische Leitung: Michael Güttler
Inszenierung: Henriette Hörnigk
Bühne: Julius Theodor Semmelmann
Kostüme: Claudia Charlotte Burchard
Licht: Andreas Frank
Chor: Albert Horne
Dramaturgie: Constantin Mende

Besetzung:

Lohengrin: Mirko Roschkowski, Marco Jentzsch, Klaus Florian Vogt
Elsa: Heather Engebretson
Ortrud: Khatuna Mikaberidze / Dshamilja Kaiser
Telramund: KS Thomas de Vries, Egils Silins
Heinrich der Vogler: Young Doo Park, Timo Riihonen
Heerrufer des Königs: Christopher Bolduc
Vier brabantische Edle: Tianji Lin, Istvan Balota, Benjamin Hee, Tim-Lukas Reuter
Chor, Chorsolist:innen & Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden


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