Political »Das Ministerium« am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt

Das Ministerium ~ Staatstheater Wiesbaden ~ Annika Grohn-Kamp (Marie Luisa Kerkhoff), Ivo Stehental (Nils Willers) ~ Foto: Karl und Monika Forster
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Seit Jahren ist David Gieselmann als Autor erfolgreich. Am Schauspiel Frankfurt wurden bereits seine Stücke Herr Kolpert (2005) und Container Paris (2014) gespielt, letzteres dort uraufgeführt. Uraufführungen von ihm gab es auch schon am Staatstheater Mainz (im vergangenen Jahr Villa Alphons über den Wirecard-Skandal) und am Staatstheater Wiesbaden (Casino im Jahr 2020, über die Wiesbadener Kommunalpolitik). In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Clemens Bechtel entstand jetzt sein neuestes Stück Das Ministerium. Es wurde im Kleinen Haus des Staatstheaters Wiesbaden uraufgeführt.

In den vergangenen Monaten sorgte das Staatstheater Wiesbaden immer wieder für Schlagzeilen. Dies nicht nur hinsichtlich der künstlerischen Arbeit, sondern auch wegen innerbetrieblicher Differenzen und Reibungen. 2021 verließ der damalige Generalmusikdirektor Patrick Lange das Haus kurzfristig. Intendant Uwe Eric Laufenberg gab nach „Missverständnissen“ über nicht erfolgte Gespräche zu seiner Vertragsverlängerung bekannt, für eine Verlängerung seines laufenden Vertrages (bis zum Ende der Spielzeit 2023/24) nicht zur Verfügung zu stehen.
Die Träger, das Land Hessen und die Stadt Wiesbaden, sahen sich mehrfach veranlasst, Stellung zu beziehen und auch einzugreifen. Vor einem Jahr wurden verschiedene Maßnahmen vorgelegt, darunter auch eine Mediation mit der Bühnenleitung („Hakenkreuz-Skandal“ in Zusammenhang mit der Neubesetzung des Orchesterdirektors).
Vor einer Woche gaben das Land Hessen und die Landeshauptstadt Wiesbaden bekannt, eine renommierte Unternehmensberatung zu beauftragen. Diese soll die Strukturen des Staatstheaters Wiesbaden analysieren und Verbesserungsvorschläge für Prozesse und Abläufe unterbreiten. Bis erste Ergebnisse vorliegen, wird es wahrscheinlich dauern. Größere Veränderungen wird es vermutlich erst mit dem neuen Leitungsduo Dorothea Hartmann und Beate Heine geben, die zur Spielzeit 2024/25 die Führung am Haus übernehmen.

Wenn nun in der letzten Spielzeit des amtierenden Intendanten zur Eröffnung ein Stück auf die Bühne gebracht wird, das von einer Kulturministerin handelt, ist das natürlich kein Zufall. Und wohl auch nicht ganz unzufällig veröffentlichten zwei Mitarbeiter des Hauses einen Tag vor der Premiere eine „Öffentliche Erklärung“ mit harten Vorwürfen und Hinweisen auf prekäre Verhältnisse am Haus (die Erklärung wird zugleich im Stück in kurzen Auszügen zitiert).

Das Ministerium
Staatstheater Wiesbaden
Annika Grohn-Kamp (Marie Luisa Kerkhoff), Ingrid Montag: Lena Hilsdorf
Foto: Karl und Monika Forster

Unterhaltung mit Spaß und Freude

Trotz des ganzen Tohuwabohus am Haus will das als „Political“ bezeichnete Stück in erster Linie mit Spaß und Freude das Publikum unterhalten. Politische Themen mit aktuellen Bezügen durchziehen diese 100-minütige Farce auf charmante Weise. Im Mittelpunkt steht eine fiktive rheinland-pfälzische Kulturministerin, die diesen Posten nicht aufgrund ihrer fachlicher Qualifikation erhielt (was auch in der Realität keine Voraussetzung ist). „Blut geleckt“, strebt sie nach Höherem, nach einem Posten in Berlin. Dass bei ihrem politischen Ehrgeiz in einer grünen Partei der Ehemann und vor allem die Tochter zu kurz kommen, wundert nicht. Dazu geht es um den, ebenso fiktiven, Künstler Ivo Stehental. Er kämpft vehement für die Freiheit der Kunst und sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, dass eine seiner Ausstellungen als antisemitisch verstanden werden könnte (auch ein Verweis auf die diesbezüglichen Diskussionen bei der documenta fifteen von 2022).

Till Kuhnerts Bühne kommt mit wenigen Requisiten aus. Allerhand Umzugskartons weisen darauf hin, dass die Ministerin nirgendwo wirklich heimisch ist. Dazu gibt es eine große verschiebbare Wand aus Metallgittern und drei Wutboxen. In diesen können sich Mitarbeiter des Ministeriums abreagieren. Die Ministerin übt darin lieber Siegerposen.

Das Ministerium
Staatstheater Wiesbaden
Ivo Stehental (Nils Willers)
Foto: Karl und Monika Forster

Angela Dorn und Uwe Eric Laufenberg werden angedeutet

Die Vorstellung beginnt mit einer Publikumsbefragung zum Thema „Wut“. Wie beispielsweise die Frage „Was macht Sie wütend“. Die Antworten kommen dabei von Zuschauern, aber auch von Darsteller:innen, die sich ins Publikum gemischt haben. Als Erzählerin, hier als „Die Figur, die wie ein Chor ist“ bezeichnet, fungiert Vera Hannah Schmidtke. Sie versucht stets eine neutrale Position zu behalten, was bei dem turbulenten Bühnengeschehen nicht unbedingt leicht ist. Denn Regisseur Clemens Bechtel hat die Figuren stark überzeichnet.
Eine Entwicklung zeigt die Ministerin Annika Gron-Kamp der Marie Luisa Kerkhoff, die nicht nur mit ihrer Frisur durchaus an die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, anspielt. Wirkt sie anfangs distanziert und unnahbar, verliert sie zunehmend ihren selbst errichteten Panzer und wird verletzlich (ohne schwach zu werden). Aufgrund ihrer Vergangenheit findet nicht nur ihre Jugendfreundin Ingrid es absurd, dass sie nun Ministerin sei, sondern sie selbst auch. Tobias Lutze gibt ihren fürsorglichen Ehemann Siegfried, der selbst beim Rollerfahren einen Helm trägt. Als 16-jährige, Kapitalismus-kritische Tochter, der gar die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird, beweist sich mit trotziger Attitüde Rosa Klischat.

Dass auch eine Ministerin nicht vom Himmel fällt, sondern aktiv auf ihr Amt hin nahezu „vermarktet“ wird, zeigt mit Engagement Felix Strüven als ihr Berater (der schließlich mit einer Packung „Merci“ in die Arbeitslosigkeit entlassen wird). Die Hundekot-Attacke des Choreografen Marco Goecke auf eine Kritikerin der FAZ im Februar dieses Jahres findet hier eine Fortsetzung und Steigerung. Der stark auf sich fixierte Journalist Dieter (energisch: Martin Plass) wird vom Künstler Ivo Stehental (kämpferisch: Nils Willers) übel attackiert. Schon mit seinem langen Schal (Kostüme: Vesna Hiltmann) spielt die Figur auf Uwe Eric Laufenberg an. Stehntals hemmungsloses Plädoyer für die Freiheit der Kunst erinnert nebenbei an Laufenbergs Solo-Diskurse während der Corona-Pandemie.

Nicht nur wegen der Übernahme ihres Arbeitgebers durch eine US-Holding ist die Journalistin Wiebke Anschoss (Haltung wahrend: Evelyn M. Faber) resigniert, sondern das Ende des Printjournalismus bereitet ihr Sorgen. Ihren Widerstand gegen das als irrsinnig und den Klang der Sprache zerstörende Gendern muss sie schweren Herzens aufgeben. Die Journalistin, Jugendfreundin der Ministerin und ehemalige Freundin von Dieter gibt nahbar und engagiert Lena Hilsdorf. Sie geht als einzige Siegerin hervor, erhält sie doch am Ende den Posten der Pressesprecherin der Ministerin.

Am Ende der großen Schlammschlacht gab es bei der Premierenvorstellung viel Applaus und keinen neuen Theaterskandal. Politikfilz ist allerorten zu finden, nicht nur in Wiesbaden. Lobenswert ist zudem das Engagement aller Mitarbeiter:innen, trotz des derzeit schwierigen Umfelds, den laufenden Betrieb wie gewohnt aufrechtzuerhalten.

Markus Gründig, September 23


Das Ministerium

Political

Von: Clemens Bechtel und David Gieselmann

Premiere/Uraufführung am Staatstheater Wiesbaden: 15. September 23 (Kleines Haus)


Inszenierung/Recherche/Text: Clemens Bechtel
Bühne: Till Kuhnert
Kostüme: Vesna Hiltmann
Musik: Alex Halka
Dramaturgie: Marie Johannsen

Besetzung:

Annika Grohn-Kamp: Marie Luisa Kerkhoff
Siegfried Grohn-Kamp: Tobias Lutze
Britta Grohn-Kamp: Rosa Klischat / Klara Bullendorf
Dieter Eskendahl: Martin Plass
Ingrid Montag: Lena Hilsdorf
Wiebke Anschoss: Evelyn M. Faber
Jonathan Mais: Felix Strüven
Ivo Stehental: Nils Willers
Die Figur, die wie ein Chor ist: Vera Hannah Schmidtke

Statisterie des Staatstheaters Wiesbaden

staatstheater-wiesbaden.de