Mysteriöser Besucher bei Patricia Highsmith ~ English Theatre Frankfurt startet neue Spielzeit mit »Switzerland«

Switzerland ~ English Theatre Frankfurt ~ Edward Ridgeway (Daniel Burke), Patricia Highsmith (Karen Ascoe) ~ © Martin Kaufhold

Erfolgreiche und öffentlichkeitsscheue Autorin

Gleich ihr erster Roman war ein Megaerfolg, der von Alfred Hitchcock verfilmt wurde: Patricia Highsmiths Strangers on a Train. Insgesamt publizierte die US-amerikanische Schriftstellerin (1921 – 1995) 22 Romane und etliche Erzählungen. Highsmith gilt als anspruchsvollste Vertreterin der Kriminalliteratur. Sie interessierte weniger die Aufklärung einer Tat, als die psychologischen Hintergründe, wie Kriminalität bei einem Durchschnittsmenschen entsteht und sich entwickelt. Den größten Teil ihres Lebens verbrachte die öffentlichkeitsscheue Autorin in Europa, ihre letzten Lebensjahre in Locarno in der Schweiz. Wegen der unterschwelligen Homoerotik in einigen ihrer Romane, insbesondere bei der fiktiven Figur des sich vom Kleinkriminellen zum Mörder entwickelnden Tom Ripley, wurde sie zu einer Ikone der schwul-lesbischen Literatur. Einzelheiten aus Ihrem Leben sind vielen nicht bekannt. Dies änderte die australische Autorin Joanna Murray-Smith mit ihrem in 2014 in Sydney uraufgeführten Stück Switzerland.

Katzen, Schnecken, Waffen und Whiskey

Das English Theatre Frankfurt eröffnete mit Switzerland die neue Spielzeit, die unter dem Motto steht „We have a plan… but not a clue!“. Die Stücke der Saison stehen, die jeweiligen Spielzeiten sind von der Entwicklung hinsichtlich der Corona-Schutzmaßnahmen abhängig. Gegenwärtig kann rund nur ein Drittel der Plätze verkauft werden, da jede zweite Reihe komplett frei bleibt und zwischen zwei sitzenden Zuschauern jeweils drei Plätze. Switzerland, ein Wunschstück von Pressesprecherin Caroline Winter, passt als Zwei-Personen-Stück dabei besonders gut. Joanna Murray-Smith lässt darin einen jungen New Yorker Verlagsmitarbeiter auf die eigensinnige Patricia Highsmith treffen. Im Jahr ihres Todes, in ihrem Schweizer Domizil. Sie weiß, dass sie schwer krank ist („not quite on my deathbed,… but it`s freshly made up“). Dabei bleiben ihre Marotten, wie eine Vorliebe für Alkohol, Katzen, Schnecken und Waffen nicht lange verborgen. Contenance ist ihr fremd und sie gebraucht häufig das F* Wort. Sie gibt offen zu, keine Schwarzen, Juden und schon gar keine Katholiken zu mögen. Trotz alledem ist sie in der Verkörperung durch Karen Ascoe eine interessante, streitbare aber nicht unsympathische Figur. Sie hat misanthropische Züge („I can‘t stand people who see the best. People are actually at their best when they‘ re at their worst… Happy people are just people who don‘t ask enough questions“), ist aber auch eine heimliche Romantikerin, die zu Showtunes singt und tanzt (wie zu „Happy Talk“ aus Rodgers & Hammersteins Musical South Pacific).

Switzerland
English Theatre Frankfurt
Patricia Highsmith (Karen Ascoe), Edward Ridgeway (Daniel Burke)
© Martin Kaufhold

Der nur vordergründig freundliche Edward Ridgeway des Daniel Burke widersteht mit seiner unnachgiebigen Art mehreren Aufforderungen ihr Haus zu verlassen und trägt dabei von Bild zu Bild immer elegantere Kleidung. Für die Regie konnte erneut der britische Regisseur Tom Littler gewonnen werden. Er inszenierte hier bereits mehrfach. Zuerst 2014 Strangers on a Train und zuletzt das Musical Cabaret. Mit dezent eingespielter Musik (Composition & Sounddesign: Max Pappenheim) schafft er eine sich von Szene zu Szene steigernde Spannung, bis hin zum dramatischen Ende (nach zwei Stunden Spielzeit, inklusive einer Pause). Geschickt wird die Bühne ausgenutzt. Highsmiths Chalet, umsäumt von Büchern, hat durch hohe, mit Messern und Waffen verzierte Wände einen mondänen Charme. Darin befinden sich u. a. ein nostalgisch anmutender HiFi-Turm, eine Nachbildung von Alberto Giacomettis Plastik Man Walking und eine Büste von Freud. Im Hintergrund sind die Schweizer Alpen und ein See zu sehen (Ausstattung: Neil Irish).

Switzerland ist ein Spiel über den Zauber der Literatur und als Psychothriller zudem ein toller Auftakt für die neue Spielzeit am English Theatre Frankfurt. Das quasi nebenbei erzählte Porträt der Einsiedlerin Patricia Highsmith macht Lust, mehr von ihren Werken zu lesen.


Switzerland

(Switzerland – Der Fall Patricia Highsmith)

Von: Joanna Murray-Smith

Uraufführung: 11. November 2014 (Sydney, Sydney Theatre Company in Ko-Produktion mit Geffen Playhouse, Los Angeles)
Deutsche Erstaufführung: 18. Dezember 2016 (Baden-Baden, Theater Baden-Baden)
Übersetzer: John und Peter von Düffel

Premiere am English Theatre Frankfurt: 3. September 20
Spielzeit bis 8. November 20

Regie: Tom Littler
Ausstattung: Neil Irish
Lichtdesign: Richard G. Jones
Composition & Sounddesign: Max Pappenheim

Besetzung:

Patricia Highsmith: Karen Ascoe
Edward Ridgeway: Daniel Burke

english-theatre.de